Obwohl der Tod ein allgegenwärtiger Bestandteil des städtischen Gefüges ist, wurde dem Zusammenhang zwischen Stadt und Tod bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar wurden alltägliche Aspekte des Sterbens (z. B. Gressgård 2017; Hope/Marshall 2000; Shcheglovitova 2020) und auch die krisenhaften Dimensionen untersucht, die die komplexen Wechselwirkungen zwischen dem Sterben in und von Städten betreffen (z. B. King 2010; Martínez/Short 2021), nichtsdestotrotz bleibt die Thematisierung des Todes in der Stadtforschung eine Randerscheinung und ist unserer Wahrnehmung nach gerade im deutschsprachigen Raum stark begrenzt. Es fehlt sowohl an einer umfassenden Erörterung der bereits existierenden Forschungen aus dem internationalen Kontext als auch an einer eigenständigen Beleuchtung der spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen und Herausforderungen des Sterbens in deutschen Städten. Dafür soll der folgende Aufruf den Anstoß zu einer Debatte geben.
Ein Grund für die Marginalisierung des Todes in der Stadtforschung, wie auch in anderen Teilen der Sozialwissenschaften, liegt in ihrer grundsätzlichen Priorisierung des Lebens vor dem Tod. Der Stadtforschung wohnt ein Hang zum Vitalismus inne (Pløger 2006), der sich in einer direkten Auseinandersetzung mit dem städtischen Leben sowie in einer indirekten Betonung von Dynamiken, Strömungen, Bewegungen und Begegnungen als elementaren Aspekten des Städtischen zeigt. Ein vitalistisches Denken suggeriert „einen permanenten Anspruch des Lebens im Lebendigen […], die Identität des dem Lebendigen immanenten Lebens mit sich selbst“ (Canguilhem 2009: 155). Übertragen auf Stadt und Stadtforschung, steht der Vitalismus folglich für eine Perspektive, die städtisches Leben als ausschließlich lebendiges Leben verhandelt und dabei die dem Leben immanente Rolle des Todes für städtisches Leben aus dem Blick verliert. In der Soziologie ist mit der „Thanatosoziologie“ bereits ein kleines Forschungsfeld entstanden, das sich mit dem gesellschaftlichen Einfluss auf und dem Umgang mit dem Tod widmet (vgl. Feldmann 2004), und auch in der Geographie sind jüngst ähnliche Vorstöße unternommen worden (vgl. Griffiths 2022).
Der Tod prägt die Stadt schließlich genauso wie das Leben. Dies geschieht über den gesamten Stadtraum verteilt sowie an besonderen Orten, die dem Alltag mehr oder weniger äußerlich und teilweise sogar entfremdet sind. Zugleich sind Städte dynamische Räume, in denen das komplexe Zusammenspiel soziokultureller, ökonomischer und politischer Kräfte die Erfahrungen und Praktiken rund um den Tod in besonderer Weise prägen. So wird etwa durch die hohe Konzentration von Industrie, Verkehr und Bevölkerung die Umweltverschmutzung zu einer explizit städtischen Todesursache. Hinzu kommen erhöhte Mortalitätsraten bedingt durch Verkehrsunfälle, Gewaltverbrechen, Wohnungslosigkeit und andere Formen struktureller Gewalt (vgl. Godarzani-Bakhtiari 2024). Abseits menschlicher Todeserfahrungen sind auch nicht-menschliche Akteure wie Tiere im städtischen Raum auf besondere Weise vom Tod betroffen (vgl. Fleischmann/Kornherr/Adolphi 2024): Vögel kollidieren mit Fensterscheiben von Hochhäusern, Insektenpopulationen werden durch Pestizide vernichtet, Haustiere landen regelmäßig nach ihrem Ableben zusammen mit anderen Abfällen in der städtischen Mülltonne. Während das Sterben im Alltag ein oft unbemerkter Faktor des städtischen Zusammenlebens bleibt, erhält der Tod insbesondere in Krisenzeiten eine markante Sichtbarkeit im städtischen Raum: Kriege zerstören nicht nur Städte, sondern vernichten auch das Leben ihrer Bevölkerungen; gesundheitliche Krisen, ausgelöst durch Infektionskrankheiten, steigern die Sterberaten insbesondere in verdichteten Stadträumen; Umweltkatastrophen wie Überflutungen und Hurrikane gehen vor allem in Städten oft mit einer großen Zahl von Opfern einher.
Als Beginn für eine umfassendere Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Stadt, Sterben und Tod erschien es uns naheliegend, einige Stimmen aus unterschiedlichen Disziplinen zu versammeln, die in den letzten Jahren bereits zu der Verbindung von Stadt, Sterben und Tod geforscht haben, um danach zu fragen, was aus ihrem disziplinären und themenspezifischen Fokus heraus Argumente für die Auseinandersetzung mit der Stadt als einem Ort des Sterbens und Todes sind. Im Dialog mit Autor*innen aus unterschiedlichen Disziplinen und mit verschiedenen regionalen sowie thematischen Bezügen wollen wir eruieren, warum wir eine Forschung zu Stadt und Tod heute benötigen und was aktuelle Forschungslücken in diesem Bereich sind. Wir haben Forschende aus der Soziologie, Geographie, Planung, den Politik- und Geschichtswissenschaften sowie der internationalen Entwicklungsforschung eingeladen und sie um Beiträge gebeten. Drei Texte finden sich bereits in diesem Heft. Weitere folgen hoffentlich in zukünftigen sub\urban-Ausgaben.