Das Verhältnis von Stadt und Sterben kann sowohl als alltäglich wie auch als außeralltäglich bezeichnet werden. Während es zur Realität jeder Großstadt gehört, dass jährlich Zehntausende Menschen dort ihr Leben verlieren, kann ein Bild wie jenes aus der frühen Phase der COVID-19-Pandemie im März 2020, als eine Kolonne von Militärtransportern beladen mit Särgen die italienische Stadt Bergamo verließ, einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Krematorien und Leichenhallen waren so überfüllt, dass die Verstorbenen an andere Orte gebracht und dort verbrannt werden mussten. In vielerlei Hinsicht rückte die Pandemie den Tod in den Mittelpunkt politischer Diskussionen (vgl. Mohr 2023), wobei die Stadt als wesentlicher Ort diente, in dem das kollektive Sterben unausweichlich sichtbar wurde.
Michel Foucault (1976: 255) weist in seiner Auseinandersetzung mit der Pest darauf hin, wie die „verpestete Stadt“ am Ende des 17. Jahrhunderts zum Austragungsort einer disziplinierenden Gesellschaft wurde, deren Ziel es war, den Tod zu bekämpfen und Leben zu retten: „Die verpestete Stadt bildete ein Disziplinarmodell des Ausnahmezustandes: vollkommen und gewaltsam; der todbringenden Krankheit setzte die Macht eine ständige Todesdrohung entgegen; das Leben war auf seinen elementarsten Ausdruck reduziert“ (ebd.: 267). Für Foucault war die städtische Regulierung der Pest ein elementares Beispiel für eine städtische Biopolitik, und konkret dafür, wie die Stadt am Leben gehalten wird. Die pandemische Stadt des 21. Jahrhunderts erlaubt es, einige Parallelen zu Foucaults Betrachtung der verpesteten Stadt zu ziehen. Auch hier wurde die Stadt zum wesentlichen Bezugspunkt biopolitischer Macht- und Wissenstechniken – beispielsweise darüber, wie die „Dichte als Gefahr“ rekonstruiert wurde (vgl. Roskamm 2021). In biopolitischer Hinsicht war es auch im Kontext der Pandemie von zentraler Bedeutung, die Stadt im Sinne einer „Biopolis“ am Leben zu halten, wenn auch dieses Leben durch eine ständige Todesdrohung beeinträchtigt und zum Teil auf seinen elementarsten Ausdruck reduziert wurde.
Fernab von Ausnahmezuständen, ausgelöst durch Krisenszenarien, in denen die Präsenz des Todes ins Zentrum des öffentlichen Lebens und politischen Handelns tritt, stellt sich die Frage, inwiefern das Sterben in der Stadt ein unsichtbares Phänomen darstellt. Bei genauerer Betrachtung der Stadtforschung liegt dieser Schluss nahe, priorisiert sie doch in aller Regel die Vitalität städtischen Lebens gegenüber Tod und Sterben. Nina Kreibig (in diesem Heft) verweist darauf in ihrem Debattenbeitrag, wenn sie schreibt, dass „insbesondere ausgewiesene Orte, die mit dem Tod verbunden sind, vielfach Forschungsdesiderate darstellen“ (2024: 152). Im Hinblick auf Ansätze, die den urbanen Vitalismus hervorheben, ließe sich sogar von einer noch intensivieren Betonung des Lebens in Städten sprechen, das als noch vielfältiger als bislang angenommen gekennzeichnet wird (vgl. Nederhand et al. 2024). Allerdings, so zeigen unsere Debattenbeiträge, handelt es sich bei der Marginalisierung des Todes nicht um ein einfaches Forschungsdesiderat, denn die Unsichtbarkeit von Prozessen des Sterbens und von Verortungen des Todes wird durch Regierungspraktiken politisch und machtvoll hergestellt. Das heißt, dass das Unsichtbarmachen von Sterben und Tod ein wesentlicher Bestandteil der Herstellung gesellschaftlicher Ordnung ist – und damit eine gängige politische Praxis. Der Tod wird dadurch, so Akin Iwilade (in diesem Heft), zu einem „Ausgangspunkt, um die Regierung gesellschaftlichen Lebens im weiteren Sinne zu erforschen“ (2024: 182). Diese Marginalisierung zeigt sich nicht nur auf generischer Ebene, sondern auch sozialstrukturell im Sinne einer Stratifizierung des Sterbens und der Toten, räumlich im Sinne einer Einhegung und Verdrängung der Orte der Sterbenden und der Toten – und schließlich akademisch im Sinne einer Vernachlässigung des Themas, der wir mit unserem Plädoyer für eine Thanatostadtforschung entgegenwirken möchten.
Von einer generellen Unsichtbarkeit zu sprechen, käme aber ebenfalls einer Verzerrung gleich. Denn nicht nur existieren Heterotopien (Foucault 2005) wie Friedhöfe, Hospize und Leichenhallen als Evidenzen dieser Ordnung, sondern auch der Alltag in Städten ist vom Sterben durchzogen. Dabei wird deutlich, dass das städtische Sterben analog zum städtischen Leben durch eine Vielzahl von Hierarchisierungen gekennzeichnet ist, die daraus eine zutiefst ungleiche Angelegenheit werden lassen. Wer wo, wann, weshalb und wie stirbt und wem ein Platz eingeräumt wird für Erinnerung und Gedenken, ist ungleich verteilt. Das lässt sich nicht nur demographisch in unterschiedlichen Sterblichkeitsraten festhalten, sondern auch diskursiv in der Form, wie diese Themen gesellschaftlich (ir-)relevant gemacht werden. Zudem ist die Frage der Relevanz von Sterben und Tod eng mit kulturellen und religiösen Bezügen verbunden. Schon allein aufgrund pluraler Sinnbezüge innerhalb städtischer Gruppen kann also von einer pauschalen alltäglichen Unsichtbarkeit keine Rede sein. Analog zum Plädoyer, die (verräumlichten) Grenzziehungen zwischen Säkularität und Religiosität in Städten stärker in den Blick zu nehmen (Farías et al. 2023; siehe auch die Rezension von Stefan Höhne 2024), scheint es folglich angebracht, die Grenzziehungen zwischen städtischem Leben und Sterben entlang ihrer multiplen, teilweise parallelen, teilweise konkurrierenden Sinnbezüge nachzuvollziehen.
Die Beiträge in dieser Debatte geben uns wertvolle Hinweise darauf, weshalb das Sterben heute räumlich, akademisch und gesellschaftlich derart marginalisiert ist. Für die westlich-christliche Stadtentwicklung beschreibt Nina Kreibig diese Marginalisierung als Wandel von der „apotropäische[n] Einbeziehung in die Gemeinschaft der Lebenden“ hin zur Ausgrenzung (2024: 162): Während historisch also der Tod und seine allgegenwärtige Bedrohung eingehegt werden musste, kann heute vielmehr von einer generellen Ausgrenzung im Kontext eines als säkular bestimmten städtischen Raums gesprochen werden. Auch jenseits der gewaltsamen Verhältnisse des „Unsichtbarmachens“, die Jan Hutta (2024) in Bezug auf Rio de Janeiro nachzeichnet, scheint die Marginalisierung des Todes bis heute eine weitestgehend hegemoniale Praxis des Städtischen zu sein. Auch das „Verschwindenlassen“, Anonymisieren und das Unterwerfen des Sterbeprozesses unter institutionelle und gesellschaftliche Normen folgen dieser Logik. Tod und Sterben werden in diesem Rahmen, wenn auch oft auf subtile Weise, als unerwünschte und störende Elemente erachtet, die es zu verdrängen gilt. In diesem Kontext werden Sterbende häufig zu passiven Objekten, deren Tod durch medizinische, rechtliche und soziale Systeme kontrolliert und reguliert wird. Dabei wird der Tod entpersönlicht und dehumanisiert, sodass der subjektive und kulturelle Umgang mit dem Sterben weitestgehend ausgeblendet wird. Demgegenüber stehen Praktiken des „Sichtbarmachens“ von Tod und Sterben für einen gegenhegemonialen Versuch, die aktive Auseinandersetzung mit dem Tod als einen zentralen Bestandteil des Lebens zu erachten. Hier wird der Tod nicht als ein Ereignis des Verschwindens betrachtet, sondern als eine Gelegenheit, individuelle und kollektive Narrative über Identität, Erinnerung und Zugehörigkeit zu formulieren. Solche gegenhegemonialen Ansätze zielen darauf ab, dem Sterben eine Stimme zu geben und es aus den Schatten der gesellschaftlichen Verdrängung herauszuholen.
Ausgehend hiervon, werfen die Beiträge in diesem Heft die Frage nach dem Recht auf Tod und Sterben auf und verdeutlichen damit die Notwendigkeit einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte darüber, wie der Tod in der Gesellschaft verhandelt und gestaltet werden soll. Kreibigs (2024: 163) Vorschlag, das Recht auf Präsenz von Tod und Sterben neu auszuhandeln, fordert eine bewusste Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie im öffentlichen Raum mit Sterbenden und Verstorbenen umgegangen wird. Huttas Beitrag (2024: 167) verdeutlicht, dass das „Recht, gut zu sterben“, nicht nur eine persönliche Angelegenheit ist, sondern tief in kulturelle und soziale Praktiken eingebettet ist, während die Kämpfe um Erinnerung in den Deathscapes von Rio de Janeiro zeigen, wie entwürdigtes Sterben und das fehlende „Recht auf Erinnerung und Gedenken“ (ebd.: 173 f.) einen Raum für politische Auseinandersetzungen eröffnen können. Iwilade (2024: 185) adressiert ebenfalls das Recht auf Sterben, indem er aufzeigt, wie Gangs sich „das Recht des Staates [aneignen], Leben zu nehmen“, was die komplexen moralischen und politischen Dimensionen des Sterbens weiter unterstreicht. Das offensichtlich differenzierte Recht auf die Präsenz des Todes, auf ein gutes Sterben machen es möglich, Tod und Sterben als Ausdruck gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse zu deuten, die eine tiefere Reflexion über Gerechtigkeit, Erinnerung und die Rolle des Staates erfordern.
In räumlicher Hinsicht finden sich in den Debattenbeiträgen zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Kreibigs Beitrag fokussiert in erster Linie auf die konkreten Orte und Räume des Sterbens beziehungsweise die „Topoi des Todes“ (2024: 154) und zeigt darüber auf, wie sich der Tod in bestimmte räumliche Verhältnisse einschreibt. Bestimmend ist hierbei, wie einerseits konkrete Orte in der Stadt dem Tod und Sterben gewidmet werden, während zugleich überall in der Stadt gestorben wird. Die Heterotopien und Atopien des Todes stehen folglich in einem Widerspruch zu unsichtbaren Sterbeorten wie Wohnungen (siehe auch Loke 2023). Während Kreibig die konkreten Orte des Todes und Sterbens in den Blick nimmt, legen Hutta und Iwilade den Fokus stärker auf die strukturellen Verhältnisse, in denen gestorben wird. Der räumliche Bezug findet sich hier weniger in klassifikatorischen „Raumtypen“ (Kreibig 2024: 153) als vielmehr in der Verbindung körperlicher, geographischer, politischer und soziokultureller Kontexte. So weist das von Hutta angeführte Konzept der nekropolitischen Deathscape (2024: 171) in Rio de Janeiro auf die Stadt als einen Raum hin, innerhalb dessen die unerwünschten Toten des Kolonialsystems (auf der Überfahrt verstorbene Versklavte) politisch unsichtbar gemacht werden. Bis es zu einer Rückkehr der Verdrängten ins öffentliche Bewusstsein kommt, bleibt die „andere Nekropole“ unentdeckt und schafft damit eine Art Nicht-Ort für die Toten. Einerseits lässt sich damit die Stadt als Raum des Sterbens und der Verstorbenen unter dem Gesichtspunkt der Herrschaft in den Blick nehmen – einer Herrschaft des Lebens gleichermaßen wie spezifischer kultureller Praktiken und sozialer Gruppen. Andererseits wird damit auch deutlich, dass die Stadt – die Nekropole ebenso wie die „andere“ Nekropole – ein Teil weit darüber hinausreichender Deathscapes ist, die im Beispiel den kolonialen Raum der totalen Beherrschung und Unterordnung von lebenden, sterbenden und verstorbenen Körpern aufspannen.
Iwilade (2024) weist wiederum nach, wie die Präsenz von Gewalt und Tod durch Gangs den städtischen Raum durchdringt und eine Fragmentierung dessen mit hervorbringt. Wie er mit Bezug zu Lagos argumentiert, reproduziert das Spektakel von Gangmorden Zonen der Ein- und Ausgrenzung. Die exaltierte Zurschaustellung des Todes als makabre Inszenierung der toten Körper im öffentlichen Raum sind dabei eben nicht nur eine Kommunikation zwischen konfligierenden Gangs, sondern richten sich ganz gezielt auch an den Staat, der diesen Raum zwar polizeilich überwacht, aber ansonsten vor allem abwesend ist. Gleichzeitig provozieren diese Spektakel auch, dass sich jene verschanzen, die vor den Gangs Schutz suchen. Bewachte Wohnanlagen, privat kontrollierte Straßen und Kontrolltechniken wie Überwachungskameras schaffen städtische „Lebensräume“, die sich von der veräußerten Todesdrohung abgrenzen. Das städtische Regieren von Tod und Sterben steht in einem intrinsischen Zusammenhang mit dem Regieren städtischen Lebens und materialisiert sich in räumlicher Ein- und Ausgrenzung ebenso wie im (Un-)Sichtbarmachen von toten Körpern. Analytisch sehr fruchtbar ist hierfür Iwilades Konzept der sozialen, räumlichen und zeitlichen Distanzlosigkeit des Sterbens. Das Verhältnis zwischen städtischem Leben und Sterben wird so interpretierbar als die Verhandlung darüber, wie der Tod in die Nähe rückt. Die drei Beiträge von Kreibig, Hutta und Iwilade eröffnen also erste Wege, um das Verhältnis von Stadt und Tod raumtheoretisch zu fundieren und danach zu fragen, welche städtischen Räume von Tod und Sterben produziert werden.
Für eine kritische Stadtforschung im Sinne einer Thanatostadtforschung ist hier auch zentral, nicht nur die politischen, sondern auch die ökonomischen Struktureffekte des städtischen Sterbens in den Blick zu nehmen. Normalität und Außeralltäglichkeit, Einbindung und Ausgrenzung sind dabei ebenfalls stark mit der Kommodifizierung des Sozialen verbunden. Einerseits werden die Orte des Sterbens und der Verstorbenen zu einem Kostenfaktor, was die Aufrechterhaltung von Friedhöfen, Hospizen und anderen „Architekturen des Todes“ (Kreibig 2024: 155) mit der Verwertungslogik des städtischen Raums konkurrieren lässt. Andererseits bietet die Marginalisierung des Todes auch neue Möglichkeiten, den Tod als Spektakel ökonomisch zu inszenieren und zum Beispiel als „Dark Tourism“ zu vermarkten (ebd.: 162).
Eine noch zu schließende Lücke unserer Debatte betrifft das Sterben von Städten selbst. Aus Sicht einer Thanatostadtforschung unterliegt auch die Stadt selbst Prozessen, die wirkmächtig daran beteiligt sind, die Stadt „am Leben zu halten“. Zwar reißt Hutta (2024: 175) das Thema an einer Stelle bereits an, wenn er den „Urbizid“ – das aktive Zerstören von Städten – in ein Verhältnis zu der Zerstörung von Sozialräumen und damit in Bezug zu Deathscapes stellt. Darüber hinaus sehen wir jedoch noch weitere Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit „sterbenden Städten“. Während die Zerstörung von Städten auf eine lange Geschichte in Literatur, Film und Populärkultur zurückreicht (Page 2008), weist Mike Davis (2002: 364) darauf hin, dass „tote Städte nicht nur fiktive Konstrukte“ sind (vgl. auch Dobraszczyk 2017). Davis hatte dabei zwei konkrete Vorstellungen von „toten Städten“ im Sinn: zum einen die Städte, die durch die Bombenangriffe in Europa und Japan während des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden, und zum anderen die US-amerikanischen Städte, die in den 1960er-Jahren durch städtische Unruhen verfielen (vgl. Graham 2004). Wohingegen Metropolen wie Detroit über Jahre hinweg als „sterbende Städte“ diskursiv konstruiert wurden (vgl. Binelli 2014; Pohl 2018), hat die kriegsbedingte Zerstörung von Städten in jüngster Zeit wieder zunehmend an Bedeutung gewonnen. Hieran zeigt sich mit größter Vehemenz und Brutalität, in welchem Zusammenhang die städtischen Räume mit Leben und Tod stehen. Die „sterbende“ oder „tote“ Stadt ist also nicht nur als Metapher, sondern auch als sichtbarer Ausdruck dieses Zusammenhangs zu sehen. Möglicherweise lässt sich hier an die jüngeren Debatten zu mehr-als-menschlichen Perspektiven auf das Städtische anknüpfen: Diese ermöglichen nicht nur ein Zutagetreten der großen Vielfalt städtischen Lebens, sondern auch das diffizile Verhältnis anthropozentrischer Räume zu dieser. Das aktive Töten und leise Sterben von Biodiversität in Städten ist hier unsichtbar alltäglich.
Wir sehen aus unserer Debatte zumindest acht Forschungsperspektiven hervorgehen, die für eine Einbeziehung dieser Themen in die Stadtforschung zukünftig eine größere Rolle spielen dürften:
Die sub\urban-Debatte um die Relevanz von Tod und Sterben in der Stadtforschung ist erst am Anfang, und wir möchten unsere Leser*innen dazu einladen, daran aktiv teilzunehmen. Die drei Beiträge in dieser Debatte veranschaulichen bereits aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven, welches Potenzial für ein Verständnis städtischer Entwicklungen in der Analyse des Verhältnisses von Leben und Sterben steckt, und legen damit erste Wegmarken für eine Thanatostadtforschung, in der Nekropolis und Biopolis stets aufeinander weisen. Wir sind gespannt auf weitere Forschung dazu.