sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2025, 13(1), 101-111

doi.org/10.36900/suburban.v13i1.1021

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Debatte zu: Johann Braun und Anke Schwarz „Regression als Aufbruch?“

Kommentare von: Valentin Domann, David M. Higgins, Agnieszka Pasieka, Zita Seichter, Matt Varco

Regression als Aufbruch?

Kritische Geographien rechter Zukunftsentwürfe

Johann Braun, Anke Schwarz

[W]e must resist the reflex which concludes that narrative fantasies which a collectivity entertains about its past and its future are ‚merely‘ mythical, archaetypal and projective, as opposed to ‚concepts‘ like progress or cyclical return, which can somehow be tested for their objective or even scientific validity.

(Jameson 2007: 282)

Im Herbst 2024 erfährt ein architekturpolitischer Antrag in einer Debatte im Landtag von Sachsen-Anhalt besondere mediale Aufmerksamkeit. Zwischen Tagesordnungspunkten zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und zum Gedenken an den rechtsterroristischen Anschlag von Halle 2019 arbeitet sich die AfD-Fraktion am einst in Weimar und Dessau beheimateten Bauhaus ab. Die Architektur- und Designschule, mittlerweile als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt, deutet der Antragstext als „Irrweg der Moderne“. Zu unpersönlich, ideologisch und global, gar „kulturfremd“ seien Architekturstil und Bauwerke, so der AfD-Text vom 15. Oktober 2024 (AfD 2024). In der Debatte unterstellt die AfD, das Bauhaus habe „das menschliche Bedürfnis nach Geborgenheit und Behaglichkeit […] vergewaltigt“ (Tillschneider 2024). Der Antrag wird schlussendlich abgelehnt. Und doch gelingt es der AfD, Begriffe und Deutungen in den öffentlichen Diskurs zu speisen, die stadt- und architekturpolitische Debatten in der konservativen und radikalen Rechten seit Langem prägen (Braun 2024; Oswalt 2023). Den „Irrweg der Moderne“ kann dabei nur die Rückbesinnung auf die „Geborgenheit und Behaglichkeit“ (Tillschneider 2024) heimatlichen und traditionellen Bauens korrigieren.

Im Angesicht dieses jüngeren Beispiels von Kulturpessimismus und Nostalgie mag sich der Eindruck aufdrängen, rechte Mobilisierungen und Projekte würden im Vergangenheitsbezug verharren und Zukunft nur als dystopische Drohung kennen. Dieser – zugegeben nicht völlig substanzlose – Eindruck darf jedoch nicht darüber hinwegsehen lassen, dass rechte Ideologien und Mobilisierungen keineswegs „zukunftslos“ sind (Rhein 2023). Ihre narrativen Fantasien von Gegenwart und Zukunft werden etwa dort wirkmächtig, wo über die Angst vor einem zukünftigen Untergang mobilisiert oder die Apokalypse als Startschuss einer nationalen Erneuerung herbeigesehnt wird. Uns interessiert in diesem Debattenaufschlag, wie Zukunft und Aufbruch im Verhältnis zum Reaktionären und Regressiven stehen, welche räumlichen Formen rechte Zukunftsentwürfe annehmen, inwiefern sich manche Spielarten der Retrospektive und Regression explizit als Präfigurationen lesen lassen und welche Ambivalenzen eine solche Lesart zutage zu fördern vermag.

Unter den Bedingungen einer nunmehr allgegenwärtig und planetar diagnostizierten Multikrise (für die Humangeographie vgl. Verne/Marquardt/Ouma 2024), die durch eine Vielzahl sich überlappender und gegenseitig bedingender, mitunter verstärkender Krisenereignisse und -dynamiken gekennzeichnet ist, nähern sich Gesellschaften Zukünften auf bestimmte Art und Weise an. Gesellschaftlich sind Zukünfte und Zukunftsentwürfe dabei stets umkämpft: Welche Zukunftsentwürfe plausibel erscheinen, gewählt und multipliziert werden, kann dabei Auskunft darüber geben, ob und wie es diesen Entwürfen gelingt, die Komplexität von Krisenerfahrungen in Eindeutigkeit zu verwandeln. Kritische stadt- und humangeographische Ansätze können an diese Betrachtungen anschließen und raum- sowie zeitsensible Zugänge (Massey 1992) einer intersektionalen Geographie multipler Krisen entwickeln. Aus einer solchen Perspektive heraus lassen sich, so unsere These, rechte Zukunftsentwürfe als verräumlichende Krisenbearbeitungen aufschlüsseln und entlang ihrer spezifischen Charakteristika nachvollziehen.

Die gesellschaftspolitische Situation einer multiplen Krisenhaftigkeit und ihre rechten Wendungen sind (mittlerweile) vielfach als zeitgenössische Konstellation zusammengedacht worden. So haben etwa Andreas Malm und das Zetkin Collective mit White skin, black fuel (2021) eine Betrachtung vorgeschlagen, die den Aufschwung der radikalen Rechten mit der Abwehr von Klimapolitiken und einer ungebrochenen Idealisierung fossil-kapitalistischer Produktionsweisen in Verbindung bringt. Weißes Überlegenheitsdenken konstatiert Andrew Baldwin in der politischen Debatte um Migration und Klimakrise: In The other of climate change (2022) und an der Figur des „Klimaflüchtlings“ rekon­struiert er racial futurism als rassistischen Ordnungsentwurf auf der Ebene des Planetaren, der die europäische Unschuld an der Klimakrise behauptet und zugleich die Größe der europäischen Hilfsbereitschaft betont. Und Donatella Di Cesare fasst das Exil als planetare Lebensweise, indem sie in Philosophie der Migration (2021) die identitär-essenzialisierenden Vorstellungen von Heimat, Herkunft und Zuhause als Rückzugsort unter Krisenbedingungen dekonstruiert. Bezogen auf die kritische Stadtforschung haben sich jüngst Schwerpunktausgaben der Zeitschriften dérive (Antimodern, antidemokratisch, revisionistisch. Die extreme Rechte im Stadtraum, 2024) und n (Autoritärer Urbanismus, 2023) konkreten Beispielen reaktionärer Krisenbearbeitung im Urbanen unter den Vorzeichen eines neoliberalen, fossilen und zunehmend autoritären Kapitalismus gewidmet.

Im Folgenden reißen wir kurz unser zugrunde liegendes Verständnis von Zukunft als Praxis an, blättern dann drei Spielarten rechter Krisen­bewältigung und deren Verhältnis zu Zukünften auf, bevor wir einige Fragen zur Debatte um das produktive, vorwärtstreibende Moment rechter Zukunftsentwürfe in den Raum stellen.

1. Zukunft als präfigurative Praxis

In Auseinandersetzungen mit der multiplen Krisenhaftigkeit der Gegenwart fällt zunächst auf, dass sowohl deren Effekte als auch deren Bearbeitung gesellschaftliche Zukünfte oft grundsätzlich infrage stellen, zugleich jedoch alternative Zukünfte entwerfen. Diese Mobilisierungen, diese Versuche eines Gegenwärtigmachens von Zukünften lassen sich mit Ben Anderson als antizipatorische Praxis fassen: „futures are made present while remaining absent through practices of calculation, imagination and performance“ (Anderson 2010: 783).

Zukunft ist mithin weniger ein bestimmter Zeitabschnitt als vielmehr das ewig flüchtige und nie ganz zu realisierende Produkt antizipatorischer Praxis; Berechnung, Vorstellung und Performanz sind daher wesentliche Praktiken eines solchen Zukunftmachens. Von Zukünften in der Mehrzahl zu sprechen, markiert dabei eine postpositivistische Abwendung vom Empirizismus der einen, mit immer besseren Methoden immer präziser prognostizierbaren Zukunft (Gidley 2017: 44 ff.). Ob Stadtplaner*in, Science-Fiction-Autor*in, Aktivist*in oder Zukunftsforscher*in – von dieser Warte aus sind eine Vielzahl von Protagonist*innen in die Arbeit des Zukunftmachens involviert, an der Gestaltung von möglichen Zukünften beteiligt. So modellieren Wissenschaftler*innen in der Klima- und Risikoforschung Expositionstrends und analysieren Vulnerabilitäten und Resilienzen unter verschiedenen Szenarien von Zukunft, um daraus Handlungsempfehlungen für die Gegenwart abzuleiten. Sicherheitspolitische Debatten fordern die Absicherung der Zukunft über Rüstung und geopolitische Polarisierung. Epidemiologische Debatten haben die detaillierte Erfassung von Bevölkerungsdaten und -dynamiken zur Verfolgung und Modellierung von Krankheitsereignissen als präventives Werkzeug zum Schutz vor zukünftigen Pandemien vorgeschlagen. Nicht zuletzt ist Zukunft zentraler Gegenstand (emanzipatorischer) sozialer Bewegungen. So tragen etwa feministische Bewegungen wie Ni una menos (eine von Argentinien ausgehende soziale Bewegung gegen Femi(ni)zide, die feministische Aktivist*innen im europäischen Kontext stark beeinflusst hat) und die Klimaproteste von Fridays for Future oder Extinction Rebellion zukunftsbezogene Forderungen auf die Straße: Sie mobilisieren sowohl Körper als auch Emotionen im Angesicht gegenwärtiger Gewaltverhältnisse und des bevorstehenden Klimakollaps. Hier scheint Paul Sörensens Vorschlag, von präfigurativer Politik zu sprechen, passend:

„eine aktivistische, auf öffentliche Wahrnehmung zielende Vorgehensweise, die im Jetzt intentional soziale Beziehungsweisen, Organisationsformen und Institutionen einer angestrebten künftigen – anderen und mithin besseren – Gesellschaft modellhaft im Kleinen etabliert und sich davon transformatorische Impulse erhofft.“

(Sörensen 2023: 23)

Doch trifft dieses präfigurative Moment allein auf kritisches Denken, auf emanzipatorische Bewegungen, auf Wissenschaft und Forschung im weiteren Sinne zu – gerade angesichts der multiplen Krisenhaftigkeit der Gegenwart? Ist es nicht auch Praxis der konservativen und radikalen Rechten, Zukünfte zu entwerfen und sie in regressiv gewendete transformatorische Impulse zu übersetzen?

2. Rechte Zukünfte als verkürzte Krisenbearbeitungen

Präfigurativen Politiken der konservativen und radikalen Rechten ist ihr Ausgangspunkt gemein. Zuvorderst stellen sie eine fatalistische Beschreibung gegenwärtiger Verhältnisse dar. Jeder negative Kontakt mit diesen Verhältnissen wird moralisierend der Fremdheit, Dekadenz und Entsicherung der gesellschaftlichen Ordnung unterstellt. Der Weg in den Untergang scheint vorgezeichnet (Schilk 2024), die Aussicht auf morgen verspricht drohend Schlimmeres. Zugleich ist damit der Ruf nach politischem Bewusstsein und die Bereitschaft zum Widerstand verbunden. Politische Subjektivierung und Vergemeinschaftung als Kollektiv derer, die die „verkommenen“ Umstände durchdrungen haben, wird so zum Mittel der Selbstermächtigung. Rechte Zukunftsentwürfe differenzieren sich nun entlang der Frage einer Rettung aus dieser als bedrohlich präsentierten Gegenwart (Weiß 2017: 135). Dabei sind drei unterschiedliche Spielarten erkennbar.

Eine erste Art rechter Zukunftsbezüge sucht nun tatsächlich Ori­entierung in einer von Widersprüchen und Verwerfungen befreiten Vergangenheit. Besonders mächtig wirken Erzählungen und Erprobungen von Heimat und Gemeinschaft, die diese politischen Vorstellungen an überhistorischen Normen und Naturalisierungen ausrichten – meist romantisch verklärt, abseits der großen Städte verortet und als markante Ikonografien präsentiert. Dieser nostalgische Rückzug vor Gegenwartsphänomenen lässt sich mit David Begrich unter der Frage „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“ (Begrich zit. in Bernhard 2022) subsumieren. Für beinahe alle rechten Mobilisierungen und Projekte hat dieser Zugriff weltanschauliche Tragkraft – ob als partiell mobilisiertes Bild harmonischer Ländlichkeit (Kahmann 2016: 101 ff.) oder als Leitidee völkischer Siedlungsprojekte (Röpke/Speit 2019). Doch steht dieser nostalgische Rückzug nicht allein.

Ein zweiter rechter Zukunftsbezug deutet sich bereits in den historischen Arbeiten Jeffrey Herfs an. Mit dem Begriff des reactionary mod­ernism (Herf 1981) zeigt er auf, wie die deutsche Rechte der Zwischenkriegszeit moderne Technikbegeisterung mit der deutschen romantischen Tradition verschränkte und trotz aller Widersprüchlichkeit funktional werden ließ. Durch diese „Versöhnung“ (Linse 1993: 315) stand nicht mehr der Rückzug vor der Moderne in die völkische Abgeschiedenheit im Vordergrund, sondern die Überwindung ihrer liberal-demokratischen Ausprägung mit technischen Mitteln der Massenmobilisierung und der industriellen Rationalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Zukunft war und ist dann nicht mehr nur dystopisches Schreckbild, sondern gleichzeitig Ergebnis von Aufbruch und Erneuerung. Dieser faschistische Impetus prägt rechte Mobilisierungen und Projekte bis heute und zeigt sich besonders in den Leitlinien rechter Stadtpolitiken. Masse und Öffentlichkeit werden dabei als moderne städtische Erfahrungen gegeißelt, während sie zugleich die Mittel rechter Mobilisierung darbieten. Sie sollen eine neue, zukünftige städtische Ordnung hervorbringen und Gemeinschaft in eine posturbane Normalität führen (Braun 2024: 235-238).

Die Idee des Aufbruchs wird in einem dritten rechten Zukunftsbezug übersteigert, der durch seine akzelerationistischen Bestrebungen angetrieben wird. Dieser Bezug ist auf eine bewusste Beschleunigung und Herbeiführung des Untergangs erpicht, um im befürchteten Chaos eine neue Gesellschaftsordnung errichten zu können. Vorläufer dieser Politik finden sich in den avantgardistisch-disruptiven Ideen des Futurismo der 1920er-Jahre, die in wesentlichen Teilen im italienischen Faschismus mündeten. Heute sind akzelerationistische Zukunftsentwürfe in allen Strömungen der radikalen Rechten wirksam (Dittrich/Rathje 2022). Marktradikale und rechtslibertäre Strömungen legen dabei besonderen Wert auf eine Zukunft unter technokratischer Herrschaft, die ökonomische Rationalität in allen Gesellschaftsbereichen gegen jeden Einhegungsversuch verteidigt (Lauer/Jakobson 2020). In neonazistischen, rechtsterroristisch agierenden Strömungen sollen „ethnische Konflikte“ zugespitzt und in einem „Rassenkrieg“ aufgelöst werden, der Weiße Vorherrschaft global absichert (Quent 2019). Solche Absichtsbekundungen finden sich bereits im Rechtsterrorismus der frühen Bundesrepublik (Manthe 2019) oder in den Schriften, die den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zu ihren Taten inspirierten und diese anleiteten (Botsch 2012: 108 f.; Stolle 2018). Ähnlich argumentierten im global vernetzten Rechtsterrorismus auch die Attentäter von Oklahoma City 1995 oder Christchurch 2019.

Rechte Zeitbezüge kennzeichnet also eine durchaus widersprüchliche Varianz. Nostalgische Sehnsüchte nach der sozialen Ordnung vormoderner Gemeinschaften finden sich so neben faschistischen Rufen nach Aufbruch und Erneuerung oder dem gezielten Befördern von Gewaltverhältnissen im Rechtsterrorismus. Nicht die fehlende argumentative oder analytische Stringenz dieses Nebeneinanders ist dabei beachtenswert, sondern vielmehr das gezielte Mobilisieren dieses Repertoires an Zukunftsentwürfen zur Bearbeitung gesellschaftlicher Krisenerfahrungen. Zukunftsentwürfe sind also Mittel, um den eigenen Standpunkt in der Gegenwart zu erhellen.

3. Regression als Aufbruch

Spätestens an dieser Stelle erleidet die Vorstellung von Zukunft als etwas Hoffnungsvollem, als Versprechen, als positiv-utopischem Vorschein von einem besseren Leben für alle – mithin von Zukünftigkeit als etwas quasi per se Progressivem – einen klaren Bruch (etwa Illouz 2024). Dies kommt nicht von ungefähr – begrifflich sind Moderne, Fortschritt und damit vielleicht auch „die Zukunft“ als Versprechen in verschiedenen kritischen Debatten längst entzaubert worden. Die postkoloniale Kritik der vergangenen Jahrzehnte etwa hat lineare Begriffe von Zeitlichkeit („Entwicklung“) bereits gründlich erschüttert, indem sie ursprüngliche Akkumulation und koloniale Gewalt als Basis und integralen Bestandteil einer (europäischen) Moderne verortet (u. a. Quijano 2000) und auch die intersektionale Verschränkung von coloniality, modernity, gender und race einer radikalen Kritik unterzogen hat (Lugones 2007). Um gegenwärtige rechte Zukünfte und ihre geographischen Materialisierungen in ihrer Brüchigkeit zu analysieren, schlagen wir nichtsdestotrotz für die folgende Debatte vor, mit dem Begriffspaar Fortschritt und Regression zu arbeiten. Die Lektüre von Rahel Jaeggis gleichnamiger Monographie (2023) hat uns an dieser Stelle dazu motiviert, Regression als (zumindest potenziell) vorwärtstreibendes Moment, Fortschritt dagegen als sich anreichernden Lernprozess zu verstehen. Fortschritt wäre also weniger im Sinne einer linearen Entwicklung auf etwas hin zu denken, sondern vielmehr als eine nie vollendete und doch notwendige Bewegung von etwas weg auszurichten.

„Gesellschaften haben kein Ziel, sie lösen Probleme. Ob sie sich fortschrittlich oder regressiv verhalten, bemisst sich […] nicht an der Nähe oder Ferne zu einem (normativen) Ziel, sondern an der Qualität der Problemlösung, die immer die Qualität des Problemlösungsprozesses ist.“

(Jaeggi 2023: 43)

Dabei weisen wir mit Jaeggi eine vorschnelle Einordnung rechter Ideologien und Projekte als rein dystopisch oder nostalgisch-verklärend zurück – hebt sie doch gerade den vorausblickenden, vorwärtstreibenden Charakter manch regressiver Bewegung und Praxis hervor. Aus ihrer Lesart der Kritischen Theorie heraus betont Jaeggi das Prozesshafte und Programmatische der Regression: „Regression […] ist kein bloßes Zurückschreiten, kein simpler Rückfall hinter Erreichtes, sondern eine bestimmte Art des motivierten und folgenreichen Verlernens: eine nicht angemessene Form der Krisenbewältigung.“ (Ebd.: 43 f.) In diesem Sinne können rechte Mobilisierungen und Projekte durchaus eine Form des Zukunftmachens annehmen, also darauf abzielen, Visionen konkreter Zukünfte räumlich zu imaginieren und materialisieren. Behauptungen von einer rechten Zukunftslosigkeit oder rein dystopischen Ausrichtung rechten Zukunftsdenkens wäre daher zu entgegnen: Rechte Zukunftsentwürfe zeichnen sich durch die imaginative Leistung aus, das Realisieren regressiver Zukünfte als utopischen Aufbruch zu rahmen und als Antwort auf Krisenerfahrungen zu präsentieren.

Mit dem Ziel, Machtpositionen zu erlangen und zu stabilisieren, werden hier zwei miteinander verwobene Versprechen in Anschlag gebracht: ein Normalitätsversprechen, das konforme Positionen, Kollektive und Subjekte stärkt, und das verwandte Versprechen, sich Relationalitäten entziehen zu können. Regressive Zukunftsversprechen beziehen sich auf die (Wieder-)Herstellung einer vermeintlichen „Normalität“ – versprechen also jenen, die sich als Teil einer Norm verstehen, eine Reduktion von Komplexität im Alltag, welche angesichts allerorts drohender und bereits spürbarer Auswirkungen planetarer Krisendynamiken Attraktivität entfaltet. Diese Normalitätsversprechen tendieren bisweilen dazu, in parochiale Logiken zu münden – so der mehr oder weniger impliziten Behauptung, ein Rückzug aus überfordernder Gegenwart, aus historischer Verantwortung und planetarer Verwobenheit in eine wie auch immer geartete Nische sei möglich. Das Parochiale bezeichnet hier eben jene reskalierenden Praktiken schließender Vergemeinschaftung, die einer Logik räumlicher Differenzierung folgen und insulare Vorstellungen von Raum mobilisieren, um spezifische Räume als diskret, als nicht relational, als skalar isoliert und isolierbar zu fassen (Schwarz 2022). Beispiele wären revisionistische Strömungen in Architektur und Städtebau (etwa Oswalt 2023; Hartbaum 2020), die sich unter anderem aus essenzialisierenden und kulturalisierenden Vorstellungen davon speisen, was eine als homogen imaginierte „europäische Stadt“ ausmache (Ha 2014). Mit Fernando Coronil lassen sich solche Versuche einer ahistorischen Wendung europäischer Gesellschaften auch als okzidentale Logik fassen:

[B]y guiding our understanding toward the relational nature of representations of human collectivities, it brings out into the open their genesis in asymmetrical relations of power, including the power to obscure their genesis in inequality, to sever their historical connections, and thus to present as the internal and separate attributes of bounded entities what are in fact historical outcomes of connected peoples.

(Coronil 1996: 56)

Diese Logik lässt sich nur aufbrechen, wenn nicht nur die nostalgischen Verklärungen, sondern auch und gerade die utopischen Momente rechter Zukunftsentwürfe zum Gegenstand der Analyse werden. Sie kann sodann ein tiefergehendes Verständnis gegenwärtiger Erfolge rechter Politiken liefern, so unsere These. Um also zu klären, was rechte Mobilisierungen und Projekte für viele ansprechend, wählbar und aufrüttelnd macht, laden wir im Folgenden zu einer Debatte ein, die speziell das Vorwärtstreibende, Aufbruch verheißende regressiver Entwürfe als verkürzte und verkürzende Problemlösungen unter die Lupe nimmt.