sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2025, 13(1), 159-168

doi.org/10.36900/suburban.v13i1.1031

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Debatte zu: Johann Braun und Anke Schwarz „Regression als Aufbruch?“

Kommentare von: Valentin Domann, David M. Higgins, Agnieszka Pasieka, Zita Seichter, Matt Varco

Antrieb oder Fortschritt? Die Grenzen des reaktionären Futurismus

Kommentar zu Johann Braun und Anke Schwarz „Regression als Aufbruch? Kritische Geographien rechter Zukunftsentwürfe“

David M. Higgins

Einer der überzeugendsten Aspekte des Debattenaufschlags von Johann Braun und Anke Schwarz (2025) ist die von Rahel Jaeggi vorgenommene Unterscheidung zwischen „vorantreibend“ und „progressiv“ (Jaeggi 2023). Dieser Rahmen ist für das Verständnis einer rechten Zukünftigkeit von entscheidender Bedeutung, da es gefährlich ist, anzunehmen, dass es der extremen Rechten an einer Zukunftsvision oder einer kohärenten Strategie zu deren Verwirklichung fehlt. In den USA zum Beispiel veranschaulicht das Project 2025 der Heritage Foundation– veröffentlicht als Mandate for leadership. The conservative promise (Dans/Groves 2023) – das Engagement der extremen Rechten für eine vorantreibende, zukunftsorientierte Agenda, die progressive Errungenschaften untergräbt und demontiert. Das Project 2025 (das nach der Wiederwahl Trumps in vollem Gange ist) ist ein umfassender Fahrplan für die Neuerfindung der US-Regierung gemäß autoritären, christlich-nationalistischen Grundsätzen. In dem detaillierten Plan wird vorgeschlagen, die Exekutive umzugestalten, um dem Präsidenten die nahezu vollständige Kontrolle über die Bundesbehörden zu geben, indem langjährige Beamtinnen und Beamte im öffentlichen Dienst durch loyale politische Beauftragte ersetzt werden. Das Projekt zielt darauf ab, das Bildungsministerium aufzulösen, die Rechte von LGBTQ+ und die reproduktive Freiheit einzuschränken, den Umweltschutz zu reduzieren und konservative christliche Werte in der öffentlichen Politik zu institutionalisieren (ebd.).

Project 2025 zeigt, dass rechtes, spekulatives world-building unerbittlich vorantreibend sein kann und eine Vision unterstützt, die eine zukunftsorientierte Transformation anstrebt, selbst wenn diese Transformation mit Rückschritten in ältere Formen der Ausgrenzung und Hierarchie einhergeht. Der Begriff „vorantreibend“ (engl. propulsive) birgt hier eine dunkle Ironie: Er beschreibt nicht nur den aggressiven Vorstoß der extremen Rechten in Richtung reaktionärer Ziele, sondern beschwört auch die unerbittliche petrokapitalistische Agenda herauf, die diese Vision befeuert. Heute verbindet man den Begriff „Antrieb“ fast zwangsläufig mit fossilen Brennstoffen – man denke nur an die Weltraumraketen von Elon Musk, die für ihren Auf- und Abwärtsschub unermessliche Mengen an Kohlenwasserstoffen verbrauchen. In diesem Sinne wird die vorantreibende Agenda der extremen Rechten buchstäblich von fossilen Brennstoffen befeuert. Dies wird anhand der Forderung des Project 2025 deutlich, aus internationalen Klimaabkommen wie dem Pariser Abkommen und der UN-Klimarahmenkonvention auszusteigen, die Förderung fossiler Brennstoffe zu beschleunigen und den Wandel hin zu sauberen Energien zu untergraben (Federico/Colón/Williams 2024).

Wie im Debattenaufschlag erwähnt, liefern Andreas Malm und das Zetkin Collective mit White skin, black fuel. On the danger of fossil fas­cism (2021) einen erschreckenden Bericht darüber, wie rechte Politik und Klimaleugnung bei der Verteidigung weißer Privilegien Hand in Hand gehen. Sie machen deutlich, dass mit fossilen Brennstoffen betriebene Technologien, die aus historischen Systemen der rassischen und ökonomischen Ausbeutung entstanden sind, weiterhin von reaktionären Kräften gefördert werden. Vom Abbau der Umweltregulierungen bis zur Förderung des Verbrennermotors – dieser auf fossilen Brennstoffen basierende „Antrieb“ beschleunigt nicht nur die Klimakrise, sondern stärkt auch die ausgrenzenden Hierarchien, die dem rechtsextremen Futurismus zugrunde liegen. Auf diese Weise zwingt die vorantreibende Vision der extremen Rechten die Zukunft, einen turboaufgeladenen Kurs der ökologischen Zerstörung und des sozialen Rückschritts einzuschlagen, der ihre Agenda an die buchstäbliche und metaphorische Verbrennung bindet.

Diese Verflechtung von fossilem Antrieb und reaktionärer Politik unterstreicht die übergeordnete Strategie der extremen Rechten, eine Zukunft zu konstruieren, die Macht und Privilegien festigt und gleichzeitig ökologische und soziale Krisen beschleunigt. In ähnlicher Weise wirft Jordan S. Carrolls Speculative whiteness. Science fiction and the alt-right (2024) einen kritischen Blick auf eine andere Dimension dieses Phänomens: die rassifizierte Zukunftsgestaltung des weißen Nationalismus. Carroll untersucht, wie rechte Bewegungen Science-Fiction-Narrative mobilisieren, um eine Zukunft zu entwerfen, die von einem „spekulativen Weißsein“ geprägt ist – dem Glauben, dass „das Weißsein einen spekulativen Wert besitzt, der nur in einer faschistischen Hightechzukunft realisierbar ist“ (ebd.: 13).

Carroll erklärt, dass weiße Nationalist*innen auf Science-Fiction-Texte und -Paradigmen zurückgreifen, um ein metapolitisches Projekt zu verfolgen, das darauf abzielt, die weiße Vorherrschaft von einer Randideologie in eine unvermeidliche Realität zu verwandeln und Weißsein als ein von der liberalen multikulturellen Gesellschaft verschüttetes Potenzial darzustellen (ebd.: 9). Diese Vision stellt Weiße als Menschen mit ungenutzten Fähigkeiten dar, die durch den modernen Liberalismus ausgebremst und unterdrückt werden, der angeblich weiße Männer entmannt und traditionelle Machtstrukturen schwächt. Die Alt-Right-Bewegung sieht ihr Projekt als „die Entfaltung von Möglichkeiten, die bereits in der weißen Ethnie schlummern“ (ebd.: 25), und verspricht, dass durch die Beseitigung vermeintlicher gesellschaftlicher Hindernisse die dem Weißsein und der Männlichkeit innewohnende Kraft entfesselt werden kann.

Carrolls Studie hebt einflussreiche Archäofuturist*innen wie Richard Spencer und Guillaume Faye hervor, die auf unterschiedliche Weise behaupten, dass der Fortschritt einer Kultur auf der Rückkehr zu ihrem Ursprung (arche) beruht, was ihnen als Blaupause einer idealen Zukunft dient. Faye, eine führende Persönlichkeit der Neuen Rechten Frankreichs, beschreibt den Archäofuturismus als die Überzeugung, dass „die Zukunft nicht die Negation der Tradition und des historischen Gedächtnisses eines Volkes ist, sondern vielmehr deren Metamorphose, durch die sie letztlich verstärkt und belebt werden“ (Faye zit. n. Carroll 2024: 82). Diese Ideologie rechtfertigt die Gestaltung einer weißen nationalistischen Welt als einen Prozess, in dem die vermeintlichen Barrieren des modernen Liberalismus niedergerissen werden, um eine Zukunft zu ermöglichen, in der die weiße Kultur, Tradition und Macht wiederhergestellt und gefestigt werden.

Indem Carroll aufzeigt, wie die spekulative Zukunft der Rechten auf einem rassifizierten Mythos von Potenzial und Schicksal beruht, enthüllt er, wie weiße nationalistische Spekulationen eine ausgrenzende, vorantreibende Vision konstruieren. Im Gegensatz zu progressiven Vorstellungen, die sich nach außen hin zu einer neuen und vielfältigen Zukunft öffnen, die die Macht- und Herrschaftsstrukturen, die die Vergangenheit und Gegenwart geprägt haben, ablehnt, operiert die rechte Zukunftsvision der weißen Vorherrschaft innerhalb eines geschlossenen Systems und definiert die Zukunft als einen Raum, in dem rassische und kulturelle Hierarchien wiederbelebt und gefestigt werden. Diese düstere, vorantreibende Vision behauptet, unterdrückte Potenziale zu befreien, aber sie tut dies, indem sie sich eine Welt vorstellt, die sich gegen Inklusion wehrt, und eine Zukunft schafft, die auf diejenigen beschränkt ist, die aufgrund ihrer Ethnie und Kultur bereits über Macht, Reichtum und Privilegien verfügen.

 

Wenn die Unterscheidung zwischen vorantreibenden und progressiven Spekulationen eine zentrale Erkenntnis für das Verständnis der rechten Zukünftigkeit bietet, was unterscheidet dann letztlich den vorantreibenden Reaktionismus von einem authentischeren Progressivismus? Carrolls Speculative whiteness trägt ebenfalls dazu bei, diese Frage zu klären, insbesondere durch seine Erforschung der Speculative Fiction als Ort sowohl der reaktionären Verschlossenheit als auch der progressiven Möglichkeit. In Erweiterung eines kritischen Konsenses in der Welt der Science Fiction Studies stellt Carroll fest, dass Speculative Fiction im besten Fall eine „radikal historisierende Geste“ vollzieht, „die die Gegenwart als kontingent offenbart und uns gleichzeitig die Möglichkeit gibt, uns vorzustellen, wie die Dinge anders sein könnten“ (2024: 101). Durch diese transformative Qualität ist die Speculative Fiction in der Lage, sich von den Zwängen der formelhaften Wiederholung zu befreien und alternative konzeptionelle Möglichkeiten und damit alternative Zukünfte zu eröffnen.

Die Frage, ob literarische Genres Verschlossenheit oder Offenheit fördern, ist seit Langem Gegenstand kritischer Diskussionen. John Cawelti (1977) zum Beispiel argumentiert, dass viele populäre Genres, wie zum Beispiel der Western, durch die Einhaltung von Erzählformeln definiert sind: vertraute Charaktere, Handlungsbögen und Enden, die den Leser*innen ein Gefühl von Stabilität und Freude an der Wiederholung vermitteln. Diese formelhafte Struktur kann kulturelle und ideologische Normen verstärken und schließt die Möglichkeiten für echte (und disruptive) Neuerungen aus. Im Gegensatz dazu wird Science Fiction oft für ihre Fähigkeit gefeiert, mit Formeln zu brechen und das zu erforschen, was Darko Suvin als „kognitive Entfremdung“ (1979: 4) bezeichnet. Durch die Einführung eines „Novums“ oder radikal neuen Elements schafft Science Fiction das, was Brian Attebery in Anlehnung an Suvin als „eine radikal entfremdete Vision der Welt, in der wir leben“ (Attebery 2013: 6) beschreibt. Diese Entfremdung fordert die Leser*innen heraus, ihre Realität als kontingent (und nicht als fest und unveränderlich) zu betrachten, und lädt dazu ein, sich transformative Alternativen vorzustellen.

Attebery erweitert diese Unterscheidung, indem er Science-Fiction-Narrative als expansive Parabelbögen beschreibt. Im Gegensatz zu formelhaften Geschichten, die oft wie geschlossene Kreise wirken und zu denselben Schlussfolgerungen zurückkehren, sind parabolische Erzählungen offen. Attebery und Veronica Hollinger erklären: „Eine parabelförmige Bahn ist eine Bahn, die an ihrem sonnenzugewandten Ende mit einer Ellipse verwechselt werden kann, sich aber am anderen Ende ins Unendliche öffnet. Ein Komet mit einer parabelförmigen Umlaufbahn wird nie wiederkommen.“ (2013: viii) In ähnlicher Weise haben Science-Fiction-Geschichten das Potenzial, die Leser*innen vom Vertrauten ins Unbekannte zu führen und einen Blick auf Möglichkeiten zu werfen, die jenseits der Grenzen des heutigen Verständnisses liegen.

Diese Offenheit steht im Einklang mit Jaeggis Konzept des Fortschritts als „sich anreichernder Lern- und Erfahrungsprozess“ (Jaeggi zit. n. Ortega-Esquembre 2024: 996). Lernen, wie es Jaeggi formuliert, erfordert, dass man sich auf Ungewissheit einlässt, die eigenen Grundannahmen revidiert und dem Drang widersteht, der Welt einen starren Rahmen aufzuerlegen. Dies steht im krassen Gegensatz zu reaktionären Narrativen, die Jaeggi in Anlehnung an Adorno als „Verrat am Möglichen“ beschreibt (ebd.). Regression ist in ihren Worten nicht nur nostalgisch, sondern eine Verweigerung des Lernens – eine aktive Verhinderung von Möglichkeiten zu echter Veränderung. Es ist ein Rückzug in gewohnte Kontroll- und Dominanzmuster, die letztlich die wahren Krisen der Gegenwart beschleunigen, anstatt sie zu beseitigen.

Aus dieser Perspektive wäre es falsch zu sagen, dass Fortschritt einfach relativ ist – der Fortschritt des einen ist der Rückschritt des anderen und umgekehrt –, denn der Progressivismus erfordert die Bereitschaft, sich auf eine produktive Gegenseitigkeit mit dem Neuen, dem Außen und dem Ausgeschlossenen einzulassen, egal wie unbequem dies sein mag. Eine von Carrolls zentralen Erkenntnissen ist, dass rechte Narrative zwar oft vorantreiben, aber ganz bewusst nicht die Art von Öffnung hin zu radikal Neuem und Gegenseitigkeit erreichen, die sich Suvin, Attebery und Jaeggi vorstellen. Stattdessen ziehen sich solche Zukünfte in eine Art selbstreferenziellen Solipsismus zurück, der bereits bestehende Hierarchien und soziale Bedingungen verstärkt.

Carroll stützt sich auf Alain Badious Begriff des „Pseudobruchs“, um zu argumentieren, dass diese Narrative eine Transformation simulieren, indem sie das anbieten, was wir als falsche oder verarmte Nova betrachten könnten, während sie letztlich einen echten Wandel ausschließen (2024: 101). Sie berufen sich auf die Sprache des Potenzials und der Disruption und bedienen sich der affektiven Anziehungskraft der revolutionären Transformation, aber ihr Ziel ist es, eine idealisierte Vergangenheit wiederherzustellen und zu verstärken, anstatt unbekannte Zukünfte zu erkunden. Weiße nationalistische spekulative Praktiken zum Beispiel konstruieren eine Zukunftsvision, die vollständig von einem rassifizierten Mythos von Potenzial und Schicksal bestimmt wird. Diese Narrative schließen einen formelhaften Kreis, anstatt sich nach außen zu öffnen, und wiederholen und verstärken Machtstrukturen, anstatt sich von ihnen zu befreien.

Diese Unterscheidung ist wesentlich für das Verständnis der Grenzen der reaktionären Zukünftigkeit. Die reaktionäre Spekulation mag zwar transformativ erscheinen, wird aber letztlich durch ihr Engagement für die Aufrechterhaltung exkludierender Paradigmen eingeschränkt. Während die reaktionäre Spekulation versucht, eine bereits festgelegte Ordnung durchzusetzen, lädt uns die progressive Spekulation – im besten Fall – dazu ein, uns mit der Fremdheit, dem Wunder und dem Schrecken jener Möglichkeiten zu konfrontieren, die noch nicht realisiert wurden.

Gerade diese Offenheit macht die Speculative Fiction zu einem so mächtigen Instrument für progressives Denken. Eine solche radikale, selbstreflexive Offenheit findet man in Science-Fiction-Texten wie Ursula K. Le Guins Die linke Hand der Dunkelheit (1969) und vielen anderen, aber nicht in reaktionären spekulativen Werken wie William Luther Pierces Die Turner-Tagebücher (1978). Indem sie die Kontingenz dessen, was wir als Welt erleben, offenlegen, anstatt zu versuchen, der Welt mit vorantreibender Gewalt regressive Agenden aufzuzwingen, schaffen progressive spekulative Visionen Räume für die Vorstellung von Alternativen, die mit den Zwängen der Gegenwart brechen – einer Gegenwart, die von der ausbeuterischen Gewalt und Ungerechtigkeit des kolonialen rassischen Petrokapitalismus geprägt ist.

 

Nachdem die Unterscheidung zwischen vorantreibendem Reak­tionismus und Progressivismus getroffen und ein grundlegender Unterschied zwischen ihnen – formelhafte Geschlossenheit versus parabolische Offenheit – untersucht wurde, lohnt es sich, sich anderen herausfordernden Fragen zuzuwenden, die in der Einleitung von Braun und Schwarz (2025) aufgeworfen werden: Was macht rechte Mobilisierungen für viele so attraktiv? Warum scheint das reaktionäre world-building einen Ausweg aus der heutigen, krisengeschüttelten Welt zu bieten?

Eine Antwort auf diese Fragen kann in dem Phänomen gefunden werden, das ich in Reverse colonization als imperialen Masochismus beschreibe – das Vergnügen, das Reaktionäre dabei empfinden, sich selbst als kolonisierte und minorisierte Opfer zu identifizieren (Higgins 2021). Die Anziehungskraft des imperialen Masochismus erklärt, warum rechte Mobilisierungen eine solche affektive Kraft haben können: Unter kulturellen Bedingungen der Post-1968er, in Zeiten, in denen antikoloniale Widerstandskämpfer*innen zu universellen Held*innen wurden und in denen Imperien fast reflexartig als böse kodiert wurden, vereinnahmten Reaktionäre die antiimperialistische Stimmung, um sich wieder in Stellung zu bringen. Durch die Linse der reverse colonization werden Subjekte, die bereits eine hegemoniale soziale Position innehaben – insbesondere weiße Männer –, ermutigt, sich selbst als kämpferische Aufständische vorzustellen, die gegen ein tyrannisches liberales Establishment vorgehen. Narrative der reverse colonization bieten einen verführerischen emotionalen Anreiz: Sie suggerieren, dass weiße Männlichkeit, angeblich weit davon entfernt, eine privilegierte Position zu sein, belagert wird und sich heldenhaft erheben muss, um ihr rechtmäßiges Potenzial zurückzuerobern.

Diese Identifikation mit der Opferrolle ist nicht einfach ein Neben­produkt der rechten Propaganda, sondern ein zentraler Bestandteil ihrer formelhaften Struktur. In der narrativen Logik der Fantasie der reverse colonization wird der zeitgenössische Liberalismus zu einem unterdrückerischen Imperium, das die ungenutzte Macht weißer Männlichkeit ausbremst und fortschrittliche Politiken eher als Instrumente der Beherrschung denn der Emanzipation darstellt. Dieses Narrativ bietet eine emotionale Katharsis – insbesondere für junge weiße Männer–, indem es die Verteidigung systemischer Privilegien als heldenhaften Widerstand umdeutet und es Reaktionären ermöglicht, Herrschaft und Gewalt als Selbstverteidigung zu rechtfertigen. So mobilisiert die reaktionäre Spekulation das Opferdasein nicht nur als affektives Instrument, sondern auch als narratives Mittel, um Hierarchien unter dem Deckmantel des Aufbegehrens zu verstärken.

Neben der Anziehungskraft der Identifikation mit der Opferrolle findet die reaktionäre Zukünftigkeit jedoch noch aus einem anderen wichtigen Grund Anklang: Im Kern versucht die reaktionäre Zukünftigkeit oft, echte Probleme anzugehen – wirtschaftliche Prekarität, ökologischen Kollaps und Erosion der Gemeinschaft –, aber sie tut dies, indem sie genau die Herrschaftssysteme stärkt, die diese Krisen überhaupt erst verursacht haben. Naomi Kleins Doppelganger (2023) bietet einen erschreckenden Einblick in dieses Phänomen, insbesondere durch ihre Analyse rechter Verschwörungsfantasien. Klein stellt fest, dass „Verschwörungstheoretiker*innen Fakten falsch einschätzen“, wenn es darum geht, was in der Welt kaputt ist, „aber oft Gefühle richtig einschätzen“ (ebd.: 242). Viele, die sich zu populären reaktionären Bewegungen hingezogen fühlen, haben also ein intuitives Gefühl dafür, dass „jedes menschliche Elend der Gewinn eines anderen ist“ (ebd.). Dieses Bauchgefühl spiegelt eine authentische gelebte Realität der Ausbeutung im neoliberalen Kapitalismus wider, doch reaktionäre Ideologien verweigern sich, die systemischen Strukturen zu erkennen, die dieser Erfahrung zugrunde liegen. Stattdessen wird gesellschaftlicher Schaden fälschlicherweise Sündenböcken zugeschrieben (z. B. Einwandernden, die angeblich Haustiere in Ohio verspeisen), wodurch berechtigte Verdachte der Ausbeutung in fremdenfeindliche, autoritäre und ausgrenzende Agenden umgewandelt werden.

Diese Irreführung ist nicht zufällig. Reaktionäre Bewegungen kanalisieren bewusst legitime Frustrationen in vereinfachte und regressive Lösungen: Grenzen schließen, abweichende Meinungen zum Schweigen bringen, imaginäre Reinheit wiederherstellen. Diese Narrative versprechen, die heutigen Krisen durch die Rückkehr zu einer mythologisierten Vergangenheit zu lösen – eine tröstliche, wenn auch falsche Vision von Sicherheit und Stabilität. Diese Verengung des Möglichen entspricht der reaktionären Tendenz zur formelhaften Wiederholung. Während fortschrittliche Vorstellungswelten im besten Fall Offenheit für das radikal Neue anstreben, versucht die reaktionäre Zukünftigkeit, der Zukunft die Strukturen einer idealisierten Vergangenheit aufzuzwingen, und bietet nur Pseudobrüche, die das Fehlen einer echten Transformation verschleiern.

Hier liegt also ein wesentlicher Unterschied zwischen reaktionären und progressiven Spekulationen: Die reaktionäre Zukunft bietet ein Narrativ der Rückkehr zu traditionellen Hierarchien, rassischer Reinheit und kultureller Homogenität. Diese Visionen spenden Trost, weil sie vertraut sind, aber sie halten den Horizont der Zukunft in den hierarchischen Grenzen der Vergangenheit gefangen. Wie Braun und Schwarz (2025) in ihrer Einleitung betonen, ist die heutige Welt von miteinander verwobenen Krisen geprägt – Umweltzerstörung, Aushöhlung der Demokratie, militarisierte Migrationskontrolle und anhaltende Instabilität des neoliberalen Kapitalismus. Die reaktionäre Zukünftigkeit versucht nicht, diese Krisen zu lösen, sondern macht sie zur Waffe, indem sie regressive Blaupausen als Neuanfang präsentiert, der Sicherheit durch Ausgrenzung und Machtfestigung verspricht.

Die progressive Spekulation hingegen weist diese Gewissheit durch Schließung zurück. Sie verlangt von uns, dass wir uns mit dem Unbekannten, dem Ausgeschlossenen und dem Ausgegrenzten auseinandersetzen und uns auf Zukünfte einlassen, die noch nicht vorstellbar, aber dringend notwendig sind. In Anlehnung an Jaeggis Argument, dass Fortschritt keine Bewegung in Richtung eines vorbestimmten Endpunkts ist, sondern vielmehr ein Prozess des kontinuierlichen Lernens, ist progressive Zukünftigkeit nicht einfach ein Gegennarrativ, sondern eine Form der Auseinandersetzung mit der Komplexität der Welt. Sie verlangt von uns, dass wir ererbte Privilegien aufgeben, uns mit systembedingten Ungerechtigkeiten auseinandersetzen und anerkennen, dass unsere derzeitigen Kategorien von Identität, Macht und Zugehörigkeit weder festgelegt noch unvermeidlich sind.

Doch gerade dieses Missbehagen macht den Progressivismus so wichtig. Wie Braun und Schwarz (ebd.) andeuten, werden selbst im dystopischen Terrain des Krisenkapitalismus Zukünfte mobilisiert – nicht nur durch reaktionäre Kräfte, sondern auch durch Bewegungen für Klimagerechtigkeit, dekolonialen Widerstand und transnationale Solidarität. Es geht also nicht nur darum, reaktionäre spekulative Blaupausen zu kritisieren, sondern zu erkennen, dass alternative Zukünfte aktiv gestaltet werden müssen. Um über den reaktionären Pseudobruch hinauszukommen, müssen wir die Ungewissheit dessen, was als Nächstes kommt, in Kauf nehmen, damit neue Welten möglich bleiben.