sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2025, 13(1), 169-173

doi.org/10.36900/suburban.v13i1.1050

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CC BY-SA 4.0

Debatte zu: Johann Braun und Anke Schwarz „Regression als Aufbruch?“

Kommentare von: Valentin Domann, David M. Higgins, Agnieszka Pasieka, Zita Seichter, Matt Varco

Regression als Aufbruch?

Eine Replik

Johann Braun, Anke Schwarz

Völkische Siedler*innen erproben rechte Vergemeinschaftung in naturnahen Peripherien. Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) stilisiert sich als Retterin im Politikfeld Wohnen. Auf TikTok gehen rassistische Vertreibungsfantasien viral. Die reaktionär-disruptive Agenda des „Project 2025“[1] prophezeit eine wiedererstandene amerikanische Nation. In Nachbar*innenschaften italienischer Städte revitalisieren neofaschistische Bewegungen Ideen des futurismo. Die Beiträge der vorliegenden Debatte haben die Vielgestalt rechter Zukunftsentwürfe vor Augen geführt und deren wiederkehrende Logiken von historischer Verwurzelung, Gegenwartsbezug und Normalitätsversprechen sichtbar gemacht. Zugleich besprechen die Beiträge – mal en passant, mal explizit – wie rechte Zukunftsentwürfe eine räumliche Form nicht nur annehmen, sondern die eigene Verräumlichung oft unmittelbar vorantreiben. Zukunfts- und Raumproduktion gehen Hand in Hand. In unserer Replik zur Debatte „Regression als Aufbruch?“ wollen wir beide Stränge verdichten und Mittel zur Demontage dieser rechten Hegemoniebestrebungen anreißen.

Rechte Mobilisierungen und Projekte verbindet das Versprechen, den Kampf um eine bestimmte Zukunft unmittelbar im Hier und Jetzt zu starten und zugleich klare Anker in einer bestimmten Vergangenheit (die sich zumeist als erfundene Tradition entpuppt) für sich zu reklamieren. Diese Verankerung in einer imaginierten Vergangenheit steht somit einer Vorschau auf faschistische Zukünfte nicht im Wege – sie ist keine reine Nostalgie oder Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die niemals war. Vielmehr soll sie dem Kampf um die Zukunft besondere Legitimation verschaffen. Dieser Aufbruchscharakter steht mithin nicht im Widerspruch zum anti-emanzipatorischen Charakter dieser Projekte – so unser Argument im Auftakt zur Debatte (Braun/Schwarz 2025). Die fünf Beiträge von Agnieszka Pasieka, Matt Varco, Valentin Domann, Zita Seichter und David M. Higgins (alle 2025) haben dieses Argument eindrücklich empirisch unterfüttert. So beschreibt Agnieszka Pasieka den Widerwillen rechter Kader, ihre politischen Positionen als nostalgisch verstanden zu sehen. Lineare und exklusive Bezüge auf Geschichte und Territorium machen sie zur Bedingung für identitären Halt und die Verwurzelung ihres politischen Kampfs in der Gegenwart. Vergangenheit und Gegenwart werden also „sorgfältig miteinander verknüpft“, wie es Pasieka (2025: 119) formuliert, indem gerade heutige extreme Rechte ihre sozialpolitischen Aktionen als Fortsetzung der kümmernden Agenden historischer Vorbilder inszenieren. Zukunft als selbstreferenzieller Wunsch nach Normalität und sozialer Ordnung wird, wie auch David M. Higgins (2025) in seiner Beschreibung des „Project 2025“ herausstellt, nur gegen die „moderne Welt“ erkämpft werden – von geschlossenen Gemeinschaften, die diese Zukunft heute schon antizipieren. Dieser Zirkelschluss von historischer Verwurzelung, Gegenwartsbezug und Normalitätsversprechen verdeutlicht letztlich den regressiven Kern rechter Zukunftsvorstellungen, wie ihn Higgins mit Bezug auf das literarische Genre der speculative fiction auf den Punkt bringt: „Während die reaktionäre Spekulation versucht, eine bereits festgelegte Ordnung durchzusetzen, lädt uns die progressive Spekulation – im besten Fall – dazu ein, uns mit der Fremdheit, dem Wunder und dem Schrecken jener Möglichkeiten zu konfrontieren, welche noch nicht realisiert wurden.“ (ebd.: 164).

Rechte Kämpfe um Zukunft vollziehen sich demnach in der Gegenwart, in konkreten bewegungsförmigen Mobilisierungen und Projekten, in affektiven, imaginativen, performativen und infrastrukturellen Konstellationen (Autor*innenkollektiv Terra-R 2025) - und damit in konkreten Räumen und um diese. Wie die Debatte deutlich macht, werden zur Vergegenwärtigung rechter Zukunftsentwürfe verschiedenste raumbezogene Techniken der Antizipation und Präfiguration in Dienst genommen, etwa indem sich die radikale Rechte im Kampf gegen eine „linke Deutungshoheit über urbane Räume“ (Domann 2025: 136) vergemeinschaftet und in pseudoplanerischer Manier eine vermeintliche Auseinandersetzung mit der Wohnungsfrage zu inszenieren sucht. Die apokalyptische Zukunftsrhetorik der AfD steht dabei in Kontrast zum modernistischen, linearen Zukunftsverständnis der Raumplanung – wobei ein planerischer Fokus auf das Lokale rechten Diskursen und imaginierten Schuldzuweisungen zugleich Anknüpfungspunkte zu bieten scheint. Zita Seichters (2025) Beitrag zeichnet das performative, präfigurative Momentum einer keineswegs harmlosen Alltäglichkeit kollektiver, identifikationsstiftender Imaginationen von Zukunft im Kontext digitaler Plattformpolitiken nach. Vertreibungsfantasien und -ikonografien im digitalen Raum korrespondieren mit konkreten, alltäglichen, rassistischen Erfahrungen von Gewalt, wobei „TikTok als Aushandlungsraum fungiert, in dem rechte Vorstellungen von Zukunft zwischen Desinformation, rassistischem Humor und dem Wunsch nach exklusiven Räumen angenommener Normalität artikuliert, geformt und propagiert werden“ (ebd.: Abstract).

Hier schließt sich ein Auftrag an die kritische (Stadt-)forschung an: Wo rechte Zukunftsentwürfe an Geographien und raumbezogene Antizipations- und Planungspraktiken geknüpft sind, lassen sie sich als eben solche bearbeiten. Interdisziplinäre Zugänge sind dabei, wie die fünf Debattenbeiträge aus Anthropologie, Geographie, Raumplanung, Literatur- und Politikwissenschaften zeigen, äußerst produktiv. Um Projekte rechter Zukünfte in ihrer Räumlichkeit analytisch zu durchdringen, ist eine multiskalare Betrachtung hilfreich. Denn gerade der vermeintlich klare Zuschnitt auf eine lokale Gemeinschaft, eine Nation oder die Formulierung eines globalen Machtanspruchs erweist sich bei näherer Betrachtung doch oft als Verwebung across scales – manchmal auch als gezielte Strategie der Reskalierung, wie Domann in seinem Beitrag mit Bezug auf das Lokale aufzeigt.

Mehr denn je gilt es, Ambivalenzen und Widersprüche als Ansatzpunkte für eine Demontage, ein Brechen rechter Normalisierungs- und Hege­moniebestrebungen herauszuarbeiten – auch und gerade, wenn sie räumlich eingeschrieben sind. Der populären und mitunter bequemen Externalisierung dieser Bestrebungen als vermeintlich rückständige, vergessene gesellschaftliche Peripherien ist mit Ansätzen zu entgegnen, welche der Inszenierung einer demokratisch entwickelten und unverdächtigen „Mitte“ widerstreben indem sie rechte Mobilisierungen und Projekte aus den gesellschaftlichen Verhältnissen und politisch-kulturellen Dynamiken erklären und dabei engagierte, widerständige Bewegungen trotz rechter Dominanzbehauptungen nicht übersehen – so der zentrale Ansatz unseres kürzlich im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienenen Buches Das Ende rechter Räume (Autor*innenkollektiv Terra-R, 2025). Darin schlagen wir vor, Territorialisierungen vonseiten und bezüglich der radikalen Rechten als machtvolle und zugleich verkörperte Prozesse zu verstehen, welche die kollektive Handlungsfähigkeit sowohl erweitern als auch einschränken können. Diese Idee lässt sich auf Fragen des Zukunftmachens übertragen, die sich als Ermächtigung, als räumliche Präfigurationen, als Vorschein auf und Stabilisierung von Zukünfte(n) lesen lassen. Dabei gilt es, wie Matt Varco schreibt, „die Botschaft rechter Zukünfte so zu verstehen, dass sie eine Exzeptionalisierung der Rechten vermeiden. So zeigt sich etwa, dass autoritäre Ideologien sich in anderen geografischen und politischen Kontexten auf ganz gewöhnliche Weise einschreiben“ (Varco 2025: 131 ). Rechte Politiken sind demnach als politische Praktiken zu verstehen, die immer schon jenseits der radikalen Rechten zu finden waren und es heute in besonderem Maße sind.

Versuchen wir weiterhin, im Sinne der Kritische Theorie an einer Idee von Fortschritt als einem sich anreichernden Lernprozess mit offenem Ausgang festzuhalten, so ließe sich der Normalisierung rechter Zukunftsentwürfe auf mehreren Wegen begegnen: zum einen durch eine oft eingeforderte Selbstreflexion, kritisches Denken und ein systematisches Lernen aus Fehlern. Zum anderen aber insbesondere durch Selbstermächtigung und Solidarisierung, die in unsicheren Zeiten handlungsfähig macht, durch emanzipatorische Zukunftsentwürfe und deren Materialisierung und Stabilisierung in konkreten Erfahrungsräumen, durch Organizing[2], durch antifaschistische Arbeit, und ja, auch durch utopische Erzählungen von anderen, offenen, solidarischen Zukünften.