sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2025, 13(1), 7-12

doi.org/10.36900/suburban.v13i1.1061

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CC BY-SA 4.0

Editorial

Liebe Leser_innen,

ein aktueller Blick auf die globale politische Landschaft ergibt ein beunruhigendes Bild: Autokratische Tendenzen, Nationalismus, Faschismus und rechter Populismus sind auf dem Vormarsch. Die zweite Amtszeit von Donald Trump in den Vereinigten Staaten ist nicht zuletzt geprägt von einer unverhohlenen Geringschätzung von Wissen(-schaft) und Expertise. An der Tagesordnung sind – neben Exzessen einer rassistischen Innen- und Außenpolitik und der Aushöhlung von sozialstaatlichen Errungenschaften – die Beschneidung von Forschungsgeldern und die Verleumdung von Wissenschaftler_innen. In den USA werden derzeit Beiträge aus staatlich finanzierten Forschungen und Forschungseinrichtungen auf Schlagwörter wie gender, queer oder auch climate durchsucht. Ziel der Trump-Regierung ist es, kritische Wissenschaft zu behindern und zu verhindern, ihr die Gelder zu streichen und sie mundtot zu machen.

In vielen anderen Ländern gibt es ähnliche Tendenzen. In Ungarn schränkt die Regierung von Viktor Orbán seit vielen Jahren systematisch die akademische Freiheit ein und diffamiert kritische Denkansätze. Die Central European University (CEU), eine renommierte Hochschule mit kritischem Fokus, wurde aus dem Land gedrängt. Argentiniens rechtspopulistischer Präsident Javier Milei hat Sozialleistungen gestrichen, Renten gekürzt, das Arbeits- und Mietrecht beschnitten sowie den Gewerkschaften und allen anderen fortschrittlichen Kräften den Kampf angesagt. Er attackiert und kriminalisiert sämtliche Organisationen und Institutionen, die für Demokratie und Menschenrechte, für Umweltschutz oder die Rechte von Frauen und Minderheiten eintreten. Solche Angriffe zielen darauf ab, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und die öffentliche Meinung im Sinne der Regierung zu manipulieren. In Argentinien zeigt sich deutlich, wie sich eine radikal neoliberale Agenda als extrem rechte politische Doktrin hervortut.

Auch in Deutschland ist der Rechtsruck längst manifest. Bei der Bundestagswahl ist die AfD die zweitstärkste Partei geworden und, was vielleicht noch beunruhigender ist, ihre Themen bestimmen in weiten Teilen die diskursiven Inhalte der sogenannten „bürgerlichen“ Parteien. Die AfD hetzt gegen Minderheiten, leugnet den Klimawandel und diffamiert kritische Wissenschaft und kritischen Journalismus. Die Programme der meisten anderen Parteien nähern sich in zentralen inhaltlichen Punkten der rechten Agenda an. In einem Überbietungswettbewerb werden rassistische und menschenfeindliche Regelungen und Gesetze vorgeschlagen und umgesetzt, die sich gegen all jene richten, die nicht im Raster einer nationalen Herkunft klassifiziert werden. Welche Ausrichtung von einer neuen Bundesregierung hinsichtlich nicht konformer Meinungen und Haltungen zu erwarten ist, zeigte zuletzt die CDU/CSU-Fraktion mit ihrer als Kleine Anfrage an den Bundestag getarnten Drohgebärde gegenüber gemeinnützigen Organisationen und Initiativen. In diesen Zusammenhang sind auch Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit einzuordnen, die in den letzten Monaten vor allem bei Auseinandersetzungen zum Nahostkonflikt enorm zugenommen haben.

Diese Entwicklungen haben unmittelbare Auswirkungen auf den gesellschaftlichen und politischen Alltag. Zugleich bedrohen sie die Grundlagen kritischer Forschung und Wissenschaft. Die AfD und andere rechte Kräfte versuchen, die Deutungshoheit über die Stadt zu erlangen und ihre nationalistischen und ausgrenzenden Vorstellungen durchzusetzen. Kritische Stadtforschende, die sich mit Themen wie Migration, Diversität, Feminismus und sozialer Ungleichheit auseinandersetzen, werden zunehmend angefeindet und diffamiert. Angriffe auf eine kritische Wissenschaft finden bereits statt und werden weiter um sich greifen. Kritische Forschung, das wird in diesen Tagen mehr als deutlich, ist alles andere als selbstverständlich und wird sich in Zukunft noch mehr positionieren, behaupten und ihren Platz erkämpfen müssen.

In dieser Situation ist es wichtiger denn je, dass wir als kritische Stadtforschende unsere Stimme erheben und uns den regressiven Tendenzen entgegenstellen. Zu analysieren sind die Ursachen und Mechanismen des Rechtsrucks und dessen Auswirkungen auf die Städte und ihre Bewohner_innen. Dabei ist es wichtig, dass wir uns nicht von den Anfeindungen einschüchtern lassen, sondern unsere Forschungsergebnisse weiterhin öffentlichkeitswirksam kommunizieren. Zudem wird es wichtig sein, sich mit anderen kritischen Wissenschaftler_innen und Aktivist_innen zu vernetzen und uns gemeinsam zugunsten derjenigen einzusetzen, die durch Kapitalismus, durch Rassismus, durch Gender- und Sexualitätsregime, durch Ableismus sowie durch andere hegemoniale Strukturen marginalisiert werden. Als Zeitschrift für kritische Stadtforschung bieten und verteidigen wir einen Raum für Debatten, Analysen und Interventionen, die Ausdruck einer solchen politischen Praxis sind.

In diesen unruhigen Zeiten freuen wir uns, die erste n-Ausgabe des Jahres 2025 vorlegen zu können. Es ist ein offenes Heft, hat also keinen kuratierten thematischen Schwerpunkt. Dennoch sind in den Beiträgen dieser Ausgabe auch gemeinsame Perspektiven und Herangehensweisen versammelt. Das wird in der folgenden Vorstellung der in diesem Heft publizierten Texte deutlich.

In der Sektion „Aufsätze“ thematisieren Toni Adscheid und Antje Bruns in ihrem Beitrag „(Un)Menschliche Urbanität: Schwarze Geographien im Zeitalter des Planetaren“ das allgemeine Verständnis vom Menschsein und untersuchen, wie dieses Verständnis räumlich-diskursiv konstruiert, reproduziert, kontestiert und reimaginiert wird. Die Autor_innen fokussieren die ungleichen Auswirkungen von race, Geschlecht und Klasse in – wie sie formulieren – planetaren Transformationsprozessen. Das Planetare wird hier eingeführt als Handlungs- und Maßstabsebene sowie als Denkstil, der es erlaubt, natur- und sozialwissenschaftliche Prozesse als miteinander verschränkt zu betrachten. Der Bezug auf eine planetare Menschheit, so lautet die These des Textes, ist nur dann sinnvoll, wenn berücksichtigt wird, dass hegemoniale Erzählungen vom Menschsein nur bestimmte Menschen einschließen, dass Menschsein eine umkämpfte räumlich-diskursive Praxis ist und dass alternative Erzählungen vom Menschsein fortwährend vorgestellt und verräumlicht werden.

Der zweite Aufsatz „Feministische Perspektiven von pobladorxs auf Reparationen. Forderungen einer selbstorganisierten Wohnvereinigung aus Santiago de Chile“ von Julia Espinoza und Lisa Waegerle fokussiert auf die Bodenverhältnisse in Chile, wo sich Landeigentum bis heute häufig in den Händen weniger aristokratischer Familien befindet. Solche Eigentumsverhältnisse, so argumentiert der Text, werden bei Debatten über fehlenden sozialen Wohnraum oftmals nicht berücksichtigt. In ihrem Beitrag beschreiben die Autorinnen die Kämpfe der selbstorganisierten Agrupación por la vivienda Luchadores de Lo Hermida gegen ungleiche und kolonial bedingte Landeigentumsverhältnisse. Sie fragen, inwiefern Forderungen nach Reparationen eine Möglichkeit zur Sichtbarmachung und Bekämpfung der historischen Ursachen geschlechtsspezifischer, rassifizierter und klassenbasierter Ausgrenzung und Gewalt darstellen. Damit verbunden erörtern sie, wie eine Auseinandersetzung mit dem Thema Reparationen in wissenschaftlichen Betrachtungen und bei stadtplanerischen Entscheidungsfindungen aussehen könnte.

Der Titel des dritten Aufsatzes in diesem Heft lautet „Leere im Raum. Eine Kritik des städtischen Bestands“. Darin entfaltet Ulf Strohmayer eine Vorstellung von Stadt, die sich nicht durch ihre Fülle, sondern durch ihre Leere konstituiert. Der urbanen Leere ordnet Strohmayer ein „inhärentes Unterbrechungsmoment“ zu, das sowohl als offene Möglichkeit wie auch als strukturelle Notwendigkeit von Stadt zu verstehen sei. Strohmayer diskutiert seinen Ansatz anhand einiger aktueller und historischer Beispiele aus Paris. Wichtig wird dabei der von ihm eingeführte Begriff des Supplements, der einen Überschuss konstatiert, welcher von der urbanen Struktur produziert wird, jedoch nicht von ihr kontrolliert werden kann. Mit seinen Überlegungen versucht sich Strohmayer somit an einem doppelt auf den Kopf gestellten Verständnis von Stadt.

Unsere Rubrik „Debatte“ hat dieses Mal zwei Themenbereiche: einmal eine Diskussion in klassischer Anordnung – mit Debattenaufschlag, Kommentierungen zum Aufschlag und Replik – zum Thema „rechte Zukunftsbilder“ sowie einmal stadttheoretische Reflexionen von Loïc Wacquant über Kernthemen der Stadtsoziologie, die in Form eines Gesprächs mit dem Stadtsoziologen Clément Rivière verfasst sind.

Der Aufschlag zu den „rechten Zukunftsbildern“ stammt von Johann Braun und Anke Schwarz und trägt den Titel „Regression als Aufbruch? Kritische Geographien rechter Zukunftsentwürfe“. Darin argumentieren sie, dass gerade die utopischen Momente rechter Zukunftsentwürfe zum Gegenstand kritischer Analysen werden müssen, um die gegenwärtigen Erfolge rechter Politiken besser verstehen zu können. Den Debattenaufschlag diskutieren fünf Kommentare: Agnieszka Pasieka fragt anhand ihrer ethnographischen Forschung, wie rechte Aktivist_innen versuchen, die „liberale Frage“ anzugehen und ein Bild der Zukunft zu zeichnen; Matt Varco berichtet über Zukunftsvorstellungen und Naturverständnisse in völkischen Netzwerken; Valentin Domann beschäftigt sich mit stadtpolitischen Großstadtvisionen der Neuen Rechten; Zita Seichter beleuchtet aus einer praxeologischen Perspektive rechte Zukunftsvorstellungen im Digitalen; David M. Higgins schließlich diskutiert die Unterscheidung zwischen „vorantreibenden“ und „progressiven“ Vorstellungen von Fortschritt und betont die Bedeutung von progressiven Gegenentwürfen alternativer Zukünfte. In ihrer Replik resümieren Johann Braun und Anke Schwarz verschiedene Möglichkeiten, sich der Normalisierung rechter Zukunftsentwürfe entgegenzustellen: zum einen durch Selbstreflexion, kritisches Denken und ein systematisches Lernen aus Fehlern sowie zum anderen durch Selbstermächtigung und Solidarisierung, durch emanzipatorische Zukunftsentwürfe und deren Materialisierung und Stabilisierung in konkreten Erfahrungsräumen.

In dem Gespräch zwischen Loïc Wacquant und Clément Rivière, das n für diese Ausgabe ins Deutsche übersetzt hat, geht es um ein an Bourdieu angelehntes Verständnis von Stadt als Nährboden für soziale Felder und zugleich als Motor sozialer Perplexität. Wacquants These ist es, dass das Gefängnis eine städtische Kerninstitution darstellt, die ins Zentrum einer Soziologie der Produktion und Regulierung von Klasse sowie ethnischer Marginalität gerückt werden muss. Generell sollten für eine Theorie des Urbanen die Kategorien von Klasse, Ethnizität, Kultur und Raum zusammengehalten werden, um zu verstehen, auf welch spezifische Weise sie in der Großstadt zum Ausdruck kommen.

Im Bereich „Magazin“ veröffentlichen wir in dieser Ausgabe zwei Beiträge. Der erste Text „Superblock für alle? Das Konzept der Superblocks zwischen Mobilitätswende und neoliberalen Stadtpolitiken in Offenbach am Main“ von Lena Funk, Luisa Horsch und Ludwig Jäger leuchtet die Ambivalenzen des verkehrsberuhigenden Mobilitätskonzepts „Superblock“ zwischen Möglichkeitsraum für eine andere Stadtentwicklung und Instrument für eine unternehmerische neoliberale Stadtpolitik aus. Der zweite Magazinbeitrag trägt den Titel „Polylog: Sorgende Stadt zwischen Utopie und Strategie“ und ist ein Gespräch zwischen Jojo Fabricius, Angelika Gabauer, Susanne Hübl, Inga Lamprecht, Hannah Müller und Rivka Saltiel. Darin gehen sie der Frage nach, wie sich solche Städte gestalten lassen, und diskutieren verschiedene konzeptionelle Ansätze sowie konkrete Beispiele eines „sorgenden Urbanismus“.

Den Schluss des Heftes bilden fünf Rezensionen: Andreas Kallert bespricht – thematisch passend zur oben skizzierten Debatte – das Buch „Stadt von Rechts. Über Brennpunkte und Ordnungsversuche“ von Johann Braun; Katrin Singer rezensiert die Publikation „Beyond Molotovs: A visual handbook of anti-authoritarian strategies“, herausgegeben von der International Research Group on Authoritarianism and Counter-Strategies und dem kollektiv orangotango; Sarah Klosterkamp stellt das Buch „Arbeit am Wohnen. Zur schwierigen Aneignung eines städtischen Reproduktionsmittels“ von Moritz Rinn vor; Josefine Klaus diskutiert Jenny Künkels Text „Sex, Drugs & Control. Das Regieren von Sexarbeit in der neoliberalen Stadt“ und Timo Bartholl bespricht die Publikation „Das Regieren der Favela: Gewaltherrschaft, Populärkultur und soziale Kämpfe in den Peripherien von Rio de Janeiro“ von Stephan Lanz.

Wenige Tage vor der Fertigstellung dieser Ausgabe erreichte uns die traurige Nachricht vom Tod Klaus Ronnebergers. Mit seinen Arbeiten hat Klaus Ronneberger die kritische Stadtforschung seit den 1990er Jahren entscheidend mitgeprägt. Wer das Glück hatte, ihn persönlich kennenzulernen, weiß, dass hinter seiner Leidenschaft für die urbane Revolution, insbesondere für die Arbeiten von Henri Lefebvre, ein ebenso kritischer Geist wie auch ein zutiefst warmherziger Mensch stand. Sein Tod bedeutet einen schweren Verlust für die kritische Stadtforschung.

Wir wünschen allen Leser_innen wie immer eine anregende Lektüre.

Eure Redaktion von n

Kristine Beurskens, Laura Calbet i Elias, Nihad El-Kayed, Nina Gribat, Stefan Höhne, Johanna Hoerning, Jan Hutta, Michael Keizers, Yuca Meubrink, Boris Michel, Gala Nettelbladt, Lucas Pohl, Nikolai Roskamm, Nina Schuster und Lisa Vollmer