Die Versammlung des Kollektivs

Kommentar zu Alexa Färbers „Potenziale freisetzen“

Roland Lippuner

Die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) und ihre Derivate wie die sogenannte Assemblageforschung (AF) haben in den letzten Jahren zu einer erfreulichen Belebung der Theoriediskussion in den Sozial- und Kulturwissenschaften beigetragen. Das ist unter anderem deshalb bemerkenswert, weil der Begriffsapparat dieses Ansatzes im Grunde aus der empirischen Forschung in einem vergleichsweise engen Feld der Wissenschafts- und Techniksoziologie stammt und eher wenig systematisch aufgebaut ist. Möglicherweise war es aber gerade der Verzicht auf strenge Kohärenz, der die Anwendung der Theorie in den unterschiedlichsten Themenfeldern der Sozial- und Kulturwissenschaft beförderte. Die offensichtlich beabsichtigte Unschärfe der Begriffe sorgt anscheinend für Anschlussfähigkeit im Hinblick auf thematische Anwendungen. Diese Offenheit der ANT steht jedoch in merkwürdigem Widerspruch zu einem an Verbissenheit grenzenden Eifer, mit dem insbesondere Bruno Latour seine Konzeption von (fast) allen bisherigen Ansätzen der Sozialtheorie abgrenzt – aber auch zur Vehemenz, mit der die ANT/AF umgekehrt von Vertreter_innen anderer Theorierichtungen kritisiert wird. In der interdisziplinären Debatte, die sich um die Positionen der ANT/AF entwickelt hat, werden nicht selten kontroverse Ansichten vertreten, die entweder eine mehr oder weniger vollständig Ablehnung oder eine nahezu uneingeschränkte Zustimmung zum Ausdruck bringen.

Alexa Färber nennt in ihrer Skizze des Potenzials von ANT/AF für die kritische Stadtforschung aus der deutschsprachigen Diskussion stellvertretend die Kontroverse in der Zeitschrift für Kulturwissenschaften(2/2009) und mit Blick auf die internationale Stadtforschung unter anderem die Debatte in der Zeitschrift CITY (aus dem Jahr 2011). Ihr eigener Beitrag kann dem Feld der Befürworter_innen zugerechnet werden. Sie plädiert dafür, „ANT und Assemblage als Forschungsansätze in der Stadtforschung zu stärken“, und nennt als Gründe unter anderem die Möglichkeit, Stadt und Urbanität als soziomaterielle Ganzheit erfassen zu können und die damit verbundene Aussicht auf „interdisziplinäre Kollaborationen“. Sie fügt allerdings einschränkend hinzu, dass der Platz für die induktive Vorgehensweise der Assemblageforschung, die ihre Kategorien aus der empirischen Beschreibung entwickelt, in der aktuellen Wissenschaftslandschaft erst noch gefunden werden müsse. Die herrschenden Publikations- und Rezeptionsgepflogenheiten würden, so Färber, kaum den Raum und die Zeit bieten für die extensive „exemplarische Darstellung von Alltagen“, wie sie die Assemblagenforschung theoretisch erfordere. Deshalb gelinge es oft nicht, die empirische Dichte und die Aussagekraft, die der Ansatz der Assemblagen zu erfassen beansprucht, in der Darstellung tatsächlich zu präsentieren. Die vielen Artikel, „die mittlerweile versammelt worden“ seien, wirkten „häufig […] zu dünn“. Man kann das, wie Färber es tut, auf Besonderheiten der Wissenschaftslandschaft und die darin enthaltenen Zwänge zurückführen. Man könnte aber auch fragen, ob es nicht einfach ein Ausdruck davon ist, dass ANT/AF empirisch nicht mit dem Schritt halten kann, was die Theorie fordert (oder verspricht).

Dass die Auseinandersetzung über die Herausforderung der Sozialwissenschaften durch die ANT/AF eine Zeit lang recht intensiv geführt wurde, liegt nicht zuletzt daran, dass vor allem Latour, der die größten Anstrengungen unternommen hat, die Ideen und Einsichten aus den wissenschafts- und techniksoziologischen Studien zu einer Theorie zusammenzuführen (vgl. Latour 2007), Polemik selbst ausgiebig als rhetorisches Mittel benutzt. Insbesondere strategisches misreading gehört zu den Stilmitteln, die Latour häufig einsetzt. Dass dies durchaus bewusst und explizit geschieht, kann man zum Beispiel auf den ersten Seiten seines Entwurfs einer „neuen Soziologie für eine neue Gesellschaft“ (ebd.) nachvollziehen. Latour gibt dort unumwunden zu, dass seine Rezeption andere Sozialtheorien nicht korrekt wiedergebe. Er begründet dies damit, dass es ihm gar nicht um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit anderen Theorien gehe; andere sozialwissenschaftliche Theorien würden lediglich als Kontrastfolie benutzt, um die eigene Position darzustellen. Weil seine Position „so marginal“ und „ihre Erfolgschancen so gering seien“, gebe es auch keinen Grund, mit den Alternativen, die die eigene Theorie widerlegen könnten, „fair und gründlich“ umzugehen (ebd.: 29).

Diese Einstellung mag für eine pointierte Darstellung hilfreich und als Diskursstrategie durchaus verbreitet sein. Sie wird aber inhaltlich fragwürdig, wenn die Auseinandersetzung mit dem bestehenden Repertoire sozialwissenschaftlicher Konzeptionen eine zentrale Argumentationsstrategie ist, um die eigene Position zu bestimmen und einen alternativen Begriffsapparat aufzubauen. Bei einem solchen Vorgehen, bei dem die eigenen Begriffe ex negativo aus der Kritik gewonnen werden, ist die Differenziertheit und Gründlichkeit, mit der das Bestehende kritisiert wird, ausschlaggebend für die begriffliche Schärfe und das analytische Potenzial der so entwickelten Theorie. Gerade eine Theorie wie die ANT, die bei der Konzeption des theoretischen Vokabulars wesentlich auf der Einsicht in die Problematik von Grundannahmen anderer Perspektiven aufbaut, müsste größtmögliche Sorgfalt bei der Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Ansichten walten lassen.

Es muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass die ANT ihrem Selbstverständnis nach gar keine Theorie im konventionellen Sinne, das heißt kein systematisches Gebilde von Annahmen, Begriffen und Sätzen sein will. Mithilfe eines solchen begrifflichen Apparats – eines theoretischen Rahmens – etwas zu den Beschreibungen hinzuzufügen, um das Soziale zu erklären, ist eine jener Strategien der konventionellen Sozialtheorie, die Latour mit seinem Ansatz bekämpft. Er entwickelt seinen Ansatz deshalb als Programm für eine Beschreibung, die Verbindungen verschiedenster Art nachzeichnet und sich (damit) selbst an der Versammlung dessen beteiligt, was sie beschreibt. Dadurch entzieht sich die Theorie einer konventionellen Beurteilung nach dem Muster der Falsifikation und setzt sich dafür einer anderen Art von Bewährung aus: Sie muss sich als Beschreibung performativ beim Versammeln von Akteuren und Objekten bewähren. Die Theorie begreift sich also selbst als Praxis (des Versammelns) und hebt die konventionelle Unterscheidung von Theorie und Praxis damit auf. Sie lässt sich dann im Grunde nur noch in Bezug darauf beurteilen, wie es ihr gelingt, die Verbindungen herzustellen, die sie beschreibt. Die ANT erhebt, mit anderen Worten, den Anspruch, mit der Beschreibung unterschiedlichster Verbindungen das zu tun, wovon diese Beschreibungen handeln: heterogene Elemente zu versammeln. Dabei macht sie Latour zufolge lediglich das explizit, was die konventionellen Sozialwissenschaften stillschweigend (bewusst oder unbewusst) die ganze Zeit tun: sich aktiv an der Verknüpfung von Akteuren beteiligen. Jede Disziplin, so Latour (2007: 441), „erweitert das Spektrum der in der Welt wirkenden Entitäten und beteiligt sich zugleich aktiv daran, einige von ihnen in verlässliche und stabile Zwischenglieder zu verwandeln“.

Wenn es der kritischen Stadtforschung darum geht, die Stadt nicht nur zu beschreiben und zu erklären, sondern dadurch auch in irgendeiner Weise zu deren Veränderung beizutragen, dann müsste die ANT/AF mit diesem Anspruch ein vielversprechender Ansatz sein. Ihr Potenzial bestünde vor allem im theoretischen und empirischen assembling, das heißt in der Art und Weise, wie sie Akteure, Erzählungen und Objekte versammelt und unter Umständen auf eine neue, bisher unbekannte Weise miteinander in Beziehung bringt. Latour betont im Namen der ANT fortwährend, dass die Ausweitung des Spektrums von Entitäten in solchen Assoziationen ein politisches Projekt darstelle (vgl. dazu insbesondere Latour 2001).

Entscheidend dafür ist, dass die ANT/AF es bei diesem Versammeln vermeidet, zwischen einer „Versammlung auf dem Papier“ im Sinne einer theoretischen Klassifikation und einer konkreten oder praktischen Versammlung im Sinne der Bildung eines Kollektivs oder einer „kampfbereiten Gruppe“ zu unterscheiden (Bourdieu 1985: 12 f.). Die Missachtung dieser Differenz wird in der Wissenschafts- und Sozialtheorie für gewöhnlich als Hypostasierung oder Verdinglichung kritisiert. Bourdieu (1998: 203 ff.) zum Beispiel sieht darin einen wesentlichen „scholastischen Fehler“ sozialwissenschaftlicher Beobachtung. Aus Sicht der ANT/AF sind jedoch die theoretische Praxis des Entfaltens (von Akteuren) im Rahmen einer objektivierenden Beschreibung – wie sie auch in der Forschungspraxis der ANT/AF nicht ausbleibt – und die praktische Versammlung von Akteuren und Objekten, das heißt die Vereinigung eines Kollektivs im Rahmen einer konkreten Aktion, gerade nicht auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt. Sie bilden lediglich zwei unterschiedliche Prozeduren, die jedoch die gleiche Wirklichkeit bearbeiten oder, besser gesagt, an der gleichen Welt teilhaben. So können (und müssen) nach Latour (2007: 434 ff.) zwar die beiden Verfahren des Entfaltens und der Versammlung unterschieden werden. Es wäre aus Sicht der ANT/AF jedoch falsch, diese beiden Verfahren zwei getrennten Bereichen – einer „unvoreingenommenen Wissenschaft“ einerseits und einem „engagierten […], leidenschaftlichen Handeln“ andererseits – zuzuordnen. Es sei, so Latour, das Problem des konventionellen Wissenschaftsverständnisses, dass es stets zwischen Wissenschaft und Politik unterscheide und dazu zwinge, das eine Projekt aufzugeben oder zu unterbrechen, wenn man sich mit dem anderen beschäftigen wolle. Für Latour (2007: 445) besteht der Ausweg aus diesem Dilemma darin, sich der Aufgabe zu stellen, „eine gemeinsame Welt zu versammeln“ und dabei das Spektrum der Entitäten zu erweitern, um die bisher ausgeschlossenen wieder einzubeziehen. Nur so werde man der Tatsache gerecht, dass jede Wissenschaft auch ein politisches Projekt sei: „Forschung bedeutet stets, in dem Sinne Politik zu machen, dass sie versammelt oder zusammensetzt, woraus die gemeinsame Welt besteht.“ (ebd.: 440)

Mit diesem Ansinnen markiert die ANT/AF eine interessante Gegenposition zu einem Wissenschaftsverständnis, wie es große Teile der kritischen Sozialwissenschaften prägt. Einer der prominentesten Vertreter dieser kritischen Sozialwissenschaft ist Pierre Bourdieu, dessen Ansichten Latour häufig zur Abgrenzung der eigenen Ideen benutzt. Als kritischer Sozialwissenschaftler, der sich eingehend mit den gesellschaftlichen Bedingungen wissenschaftlicher Beobachtung beschäftigt hat, weiß Bourdieu natürlich, dass Wissenschaft von Interessen korrumpiert wird. Dabei geht es nicht in erster Linie um offenkundige Versuche der politischen Beeinflussung von Wissenschaft, sondern vielmehr um die stillschweigend anerkannten Voraussetzungen und die unbewusst reproduzierten Einstellungen, die sich in die Gewohnheiten der wissenschaftlichen Beobachtungs- und Beschreibungspraxis (zum Beispiel in die Wahl der Themen oder die Art der Fragestellung usw.) eingeschlichen haben – eine Praxis, die wie jede andere Praxis auch von einem Habitus geprägt ist, das heißt von Dispositionen, die im Zuge der Ausübung praktisch zur Anwendung kommen und in der Regel nicht reflektiert werden.

Aus der Einsicht in diese gesellschaftliche Einbettung der Wissenschaft zieht Bourdieu aber einen ganz anderen Schluss als Latour. Für Bourdieu folgt daraus, dass die Wissenschaft ihre Anstrengungen verstärken und versuchen müsse, sich von den Zwängen zu befreien, die ihre Verankerung in der Gesellschaft mit sich bringen. Weil diese Zwänge subtiler Art seien und ihre größte Wirkung dadurch entfalteten, dass sie als unhinterfragte Überzeugungen unbewusst reproduziert würden, bestehe die Chance, sich ihrer zu entledigen, wenn man die gesellschaftliche Verankerung der Wissenschaft sichtbar mache. Bourdieu fordert die Wissenschaft deshalb zur Selbstreflexion auf. Insbesondere die Sozialwissenschaft besitze alle Mittel, um sich fortwährend selbst zum Gegenstand zu machen und die eigene Arbeit als soziale Praxis zu reflektieren. Damit habe sie auch die Mittel in der Hand, um die Grundlagen für eine objektive Betrachtung zu generieren:

„Indem sie die sozialen Determinierungen zutage fördert, die vermittels der Logik der Produktionsfelder auf allen kulturellen Produktionen lasten, zerstört die Soziologie keineswegs ihre eigenen Fundamente, sondern erhebt vielmehr noch den Anspruch auf ein epistemologisches Privileg: dasjenige, was ihr aus der Tatsache erwächst, dass sie ihre eigenen wissenschaftlichen Einsichten und Errungenschaften in Form einer soziologisch verstärkten epistemologischen Wachsamkeit wieder in die wissenschaftliche Praxis einbringen kann.“ (Bourdieu 1992: 11)

Durch beständige Selbstreflexion erarbeite sich die Sozialwissenschaft also das epistemologische Privileg einer unvoreingenommenen Betrachtung, den Gesichtspunkt ohne Gesichtspunkte – „point de vue sans point de vue“ (Bourdieu 2001: 222). Dieser privilegierte Standpunkt, der gemäß Latour (2007: 242) nur die „berühmte Perspektive Gottes“ sein könnte, versetzt die Sozialwissenschaft nach Bourdieu (1985: 55) in die Lage, ,,ein objektives Bild der Auseinandersetzung um die Durchsetzung einer ‚wahren‘ Repräsentation der Wirklichkeit zu erstellen“ und die Menschen über die Bedingungen ihres Tuns in Kenntnis zu setzen (ebd.).

Abstrakt gesprochen fordert Bourdieu also ein re-entry der Unterscheidung von Theorie und Praxis auf der Seite der Theorie. Er versucht so, den Aufklärungsanspruch kritischer Sozialwissenschaft epistemologisch zu rechtfertigen und zu verteidigen. Latour lehnt diesen Anspruch ab, gibt aber nicht den Anspruch auf, mit sozialwissenschaftlicher Beobachtung und Beschreibung an der Welt teilzuhaben, um sie zu verändern: „Wenn der Soziologe nicht die Stelle des allumfassenden und alles sehenden Gottes der Sozialwissenschaft einnehmen kann, so heißt das noch lange nicht, dass er blind in einen Keller eingesperrt bleiben muss.“ (Latour 2007: 243). Stattdessen schlägt Latour ein re-entry der Unterscheidung von Theorie und Praxis auf der Seite der Praxis vor, oder besser gesagt, er empfiehlt, dieses re-entryzuzulassen. ANT/AF setzt gerade nicht darauf, dass wissenschaftliche Beschreibungen in der Welt als Ausdruck einer unvoreingenommenen (objektiven) und damit überlegenen Betrachtung Anerkennung finden, sondern darauf, dass sie ihre Performanz ausspielen und sich an der praktischen Arbeit des Versammelns von Akteuren beteiligen. Latour zufolge ist es für die Sozialwissenschaften im Grunde gar nicht möglich, sich dieser Arbeit zu entziehen. Es müsse deshalb darum gehen, diese Arbeit „gut zu machen“ (ebd.: 443).

Offen bleibt dabei jedoch die „heikle Frage“ (ebd.: 440) nach den Gütekriterien für die Bewertung dieser Arbeit. Wenn es der kritischen Stadtforschung darum gehen sollte, nach dem Vorbild der ANT/AF in dem Sinne Politik zu machen, dass sie durch praktische Performanz „versammelt oder zusammensetzt, woraus die gemeinsame Welt besteht“ (ebd.), dann müsste sie auch entscheiden, „welche Art von Versammlung und welche Art von Zusammensetzung gebraucht werden“ (ebd.). Latour entzieht sich (konsequenterweise) einer Beantwortung dieser Frage. Es sei nicht Sache der Sozialwissenschaft, in den Kontroversen über die Zusammensetzung des Sozialen zu schlichten. Dies sollten die (künftigen) Teilnehmer_innen selbst entscheiden. Es komme nur darauf an, die sozialen Verbindungen so zu gestalten, dass sie auch wieder aufgelöst werden können (ebd.).

Damit bezieht die ANT/AF einen eher schwachen normativen Standpunkt. Sie schließt nicht nur die Attitüde des Besserwissens aus, sondern erlaubt auch keinen Ausschluss durch Kritik. Stattdessen fordert sie dazu auf, die Zusammensetzung der Kollektive regelmäßig zu überprüfen und zu erneuern, mit dem Ziel, bislang ausgeschlossene Entitäten mit einzubeziehen und die Kollektive zu erweitern (ebd.: 444). Entscheidend ist dabei, dass diese Erweiterung der Kollektive eine horizontale Bewegung darstellt. Sie geht nicht vom privilegierten Standpunkt einer Beobachtung höherer Ordnung aus, von dem der wissenschaftliche Beobachter einen panoptischen Überblick gewinnt und von dem er dann mit den so gewonnenen Eindrücken in die beobachtete Welt zurückzukehren muss, um in dieser Welt praktisch zu handeln und sie zu verändern. Nach Ansicht der ANT/AF finden Beobachtung und Beschreibung als Praxis stets in der Welt statt und tragen so unweigerlich zu deren Veränderung bei. Diese Beschreibungen mögen im Einzelnen auch ‚kritisch‘ sein; eine Metaposition kann dafür jedoch nicht in Anspruch genommen werden. Die kritische Sozialwissenschaft kann mit kritischen Beschreibungen jedoch Anlass zu Strukturvariationen geben (vgl. dazu Luhmann 1993). Dazu muss sie beständig neue Verbindungen aufzeigen und fortwährend daran arbeiten, die Grenzen des Sozialen zu verschieben, um die Kollektive zu erweitern. Sie würde sich in normativer Hinsicht an einem ethischen Imperativ orientieren, dessen Devise nach Heinz von Foerster (1993: 49) lautet, die Anzahl der Möglichkeiten stets zu erhöhen, weil damit nicht nur Wahlmöglichkeiten (Freiheit) vergrößert würden, sondern auch die Chancen stiegen, Verantwortung für eigene Handlungen zu übernehmen. Ob die ANT/AF mit dieser Grundhaltung in der kritischen Stadtforschung bestehen kann, soll hier nicht entschieden werden. Sie stellt aber zumindest eine Option dar, vergrößert also die Wahlmöglichkeiten und erhöht von Foerster zufolge damit die Chance, dass Entscheidungen bewusst getroffen und Konsequenzen dem eigenen Handeln zugerechnet werden.

Autor_innen

Roland Lippuner arbeitet in folgenden Bereichen: Sozialgeographische Stadtforschung, Sozialtheorie und sozialwissenschaftliche Umweltforschung.

lippuner@uni-bremen.de

Literatur

Bourdieu, Pierre (1985): Sozialer Raum und Klassen. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.

Bourdieu, Pierre (1992): Homo academicus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.

Bourdieu, Pierre (1998): Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.

Bourdieu, Pierre (2001): Science de la science et réfléxivité. Paris : Éditions Raisons D’Agir.

Foerster, Heinz von (1993): Über das Konstruieren von Wirklichkeiten. In: ders., Wissen und Gewissen. Versuch einer Brücke, hrsg. von Siegfried J. Schmidt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, 25-49.

Latour, Bruno (2001): Das Parlament der Dinge. Für eine politische Ökologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.

Latour, Bruno (2007): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag.

Luhmann, Niklas (1993): „Was ist der Fall?“ und „Was steckt dahinter?“. In: Zeitschrift für Soziologie 22/4, 245-260.