Touristification in Berlin. Ein Bericht zur Workshop-Reihe des Vereins Kritische Geographie Berlin

Kritische Geographie Berlin

Die Gruppe Kritische Geographie Berlin beschäftigt sich seit Längerem mit Phänomenen, Ursachen, Akteuren und Wirkungsweisen des neuen touristischen Interesses an Berliner ‚Trend- Bezirken’ wie etwa Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und den nördlichen Teilen Neuköllns. Nachdem zunächst in mehreren Diskussionen und internen Workshops ein Überblick über das Thema und einzelne Facetten dieser ‚Touristifizierung der Stadt’ erarbeitet wurde, folgte in den Jahren 2012/13 eine öffentliche Workshop-Reihe. Hier wurde der Versuch unternommen, in einer strukturierten Annäherung an unterschiedliche Dimensionen der ‚Touristification’ diese in ihrem komplexen Charakter lesbarer zu machen und sich über Fragen der Analyse und Bewertung, aber auch zu möglichen Interventionen und Initiativen auszutauschen. 

„Die Bibel kennt zehn Plagen, Berlin kennt viele Plagen. Eine der lästigsten ist der Berlin-Tourist. Er gehört zu Berlin wie Ben Becker, die B.Z., Baupleiten, der Potsdamer Platz, Schultheiss-Bier oder Claus Peymann: Nicht schön, aber unvermeidlich. […] Mindestens so seltsam wie Berlin-Touristen sind Touristen-Hasser. Seit einiger Zeit wollen Kreuzberger, die selbst vor Jahren aus der Provinz zugewandert sind, ihren Stadtteil vor touristischer Überfremdung schützen. Zu diesem Zweck sprayen sie in deutscher Tradition ‚Touristen fisten’ an die Wände.“ (Laudenbach 2013: 7 ff.)

Was Peter Laudenbach hier in seiner polemischen Beobachtung zum aktuellen Berliner Tourismusphänomen und dessen Auswüchsen schreibt, verdeutlicht recht anschaulich, welches Ausmaß das Thema Tourismus in den öffentlich geführten Diskussionen der Stadt angenommen hat. Das Sinnieren darüber füllt nicht nur Bücher wie dieses, auch in Zeitungsartikeln und Fernsehbeiträgen oder auf Diskussionsveranstaltungen gibt es vieles zu lesen oder zu hören: über den segensreichen oder zerstörerischen Einfluss des Tourismus auf die Stadtteile; von neuen Clubs, Cafés und Kneipen, in denen vor allem Englisch oder Spanisch und nicht mehr Deutsch gesprochen wird; von steigenden Mieten und sich verknappendem Wohnraum; von elf Monate leerstehenden Ferienwohnungen schwedischer Bildungsbürger_innen oder informellen Apartmentbörsen findiger lokaler Wohnungsbesitzer_innen; vom Boom der Spätverkäufe oder auch von den langen Besucherschlangen vor den Museen der Stadt.

Tourismus in Berlin hat viele Gesichter und noch mehr Akteure, er wird kontrovers diskutiert, aktionistisch polarisiert und politisch adressiert. Oft verschwimmen dabei definitorisch die Grenzen zwischen Klassenfahrten und Tagestourismus, Easyjetset (Rapp 2009), Hauptstadt- und Kulturtourismus, Konferenz- und Arbeitsmigration, temporären Aufenthalten ohne bekanntes Ende usw. Kurz gesagt: Alle reden vom Tourismus, und niemand weiß so richtig, was damit alles gemeint ist und wie man Tourismus/Tourist_innen von anderen Kategorien (Migrant_innen, Flüchtlinge, Teilzeitmobile oder multilocals) abgrenzen kann.

Angesichts der Fülle an Kommentaren zu Berlinbesucher_innen im Allgemeinen und der beobachtbaren kritischen Einstellungen gegenüber mutmaßlichen Effekten der Tourist_innen und des Tourismus im Besonderen sollte sich in einer vertiefenden Workshop-Reihe unter dem Titel ‚Touristification in Berlin’ den gegenwärtigen Entwicklungen in Berlin mit einem Fokus auf die Ortsteile Kreuzberg und Neukölln aus theoretisch geleiteter und analytischer Perspektive angenähert werden.[1]

Der Arbeitsbegriff ‚Touristification’ versucht dem Definitionsdilemma, das damit auch ein Analysedilemma ist, zu entkommen. Hier sind eben nicht nur die idealtypischen Tourist_innen, also irgendwie auswärtige Tagesgäste und Urlauber_innen, gemeint, sondern es sollen alle handelnden und betroffenen Akteure im Prozess gegenwärtiger Reisebewegungen in den Blick genommen werden, mit all den verschwimmenden Grenzen und Praktiken. ‚Touristification’ wird somit zu einem Konzeptbegriff, der auch die vielfach unbekannten, schwer kategorisierbaren touristischen Akteure in die Betrachtung einbindet. Dieser konzeptionelle bzw. definitorische Ansatz ist keinesfalls neu. Als ‚Touristification’, ‚Tourismification’ (Jansen-Verbeke 1998) oder eben als ‚Touristifizierung’ (Evans 2002, Gotham 2005, Foljanty et al. 2006, Foljanty/Pfeiffer, o. J., Bhandari 2008, Wöhler 2011) geistert er schon seit mehreren Jahren in der Stadtforschungsdebatte herum, scheint aber bisher eher phänomenologisch denn analytisch geprägt zu sein.

„Touristification beschreibt einen Prozess, durch den bis dahin touristisch wenig attraktive Stadtteile und Orte von Touristen entdeckt und für sie erschlossen werden. Es etablieren sich monostrukturelle Ökonomien, die den zahlungskräftigen Touristen alles bieten, was sie brauchen – Cafés, Bars, Supermärkte, Souvenirshops –, aber die Bedürfnisse der Anwohner vernachlässigen […]. Die Geschichte der Stadt wird dabei ebenso vermarktet wie eine breit gefächerte Kulturlandschaft mit ihren Szenevierteln. Zu beobachten ist diese Touristification insbesondere in den Innenstadtbezirken Mitte und Prenzlauer Berg, zunehmend aber auch in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln.“ (Borries von 2011: 161)

In dieser Definition von Friedrich von Borries bleibt es bei der Feststellung, dass zuvor ‚wenig Attraktives’ erschlossen wird und sich in Folge ‚monostrukturelle Ökonomien’ herausbilden. Unbeantwortet bleiben hier die elementaren Fragen zum Ablauf dieses Prozesses (Colomb 2011). Welche (politischen) Akteure, welche (ökonomischen und stadtpolitischen) Interessen oder welche Diskurskoalitionen treiben die Entwicklung voran? Ebenso stellt sich die Frage, ob wirklich eine Monostruktur entsteht oder nicht eher ein flexibles Gebilde mikrokapitalistischer Dienstleistungsvielfalt auf Grundlage lokal zugeschriebener Coolness, jedoch mit geringer Halbwertszeit, beispielsweise in Form von Clubs und Hostels.

‚Touristification’ ist andererseits auch ein stadtpolitischer Kampagnen- und Aktionismusbegriff, der zu Missverständnissen führen kann. Nicht nur wegen den Anklängen zu Gentrifizierung wird ‚Touristifizierung’ gern in Verbindung mit der Verdrängung ärmerer Bevölkerung aus aufgewerteten Stadteilen genannt. Doch diese schnelle Verbindung zweier unterschiedlicher sozialer Phänomene und ihrer Akteure erfordert eine genauere Untersuchung: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann lediglich beobachtet werden, dass gerade erlebnistouristisch attraktive Viertel Widersprüche zu neobürgerlichen Lebensstilen im Townhouse, mit Spielplätzen und Kindergarten um die Ecke, erzeugen. Unvergessen ist nicht nur die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsteile aus dem Bezirk Prenzlauer Berg, sondern auch die der dort ehemals ansässigen Clubs, Kneipen und Gaststätten, deren Lärmpegel mit den Schlafbedürfnissen seiner Neubürger_innen kollidierte. ‚Touristifizierung’ scheint also zunächst in seiner Coolness und Lifestyle-Variante weniger bestimmte Viertel auch immobilientechnisch aufzuwerten, sondern eher zu einer Zonierung und Fragmentierung der Stadt in unterschiedliche Erlebnisräume analog einer neuen sozioökonomischen Funktionstrennung der Stadt in Rotlicht-, Kneipen- und Club-, Sport- und sonstige spezialisierte Viertel zu führen.

Oftmals werden in diesem Zusammenhang auch Ferienwohnungen und -apartments als Teil der touristifizierten Aufwertung der Stadt aufgeführt. Auch hier erscheinen schnelle Rückschlüsse auf eine Kausalität zwischen steigenden Mieten und prosperierendem Tourismus unangebracht (Füller/Michel 2014). Insofern kann mit dem Begriff der ‚Touristifizierung’ auch eine aktuelle Debattenkonjunktur bezeichnet werden – ähnlich der ‚Yuppisierung’[2] in den frühen 1990er Jahren oder den „Welcome to Schwabylon“-Kampagnen Anfang der 2000er (vgl. hierzu Schulz 2011) rückt mit den Tourist_innen eine kulturelle Figur im Sprachspiel vieler Stadtdiskussionen nach, die als Eindringlinge und mutmaßliche Neuberliner_innen für viele, wenn nicht gar alle negativen Veränderungen in der Stadt verantwortlich gemacht werden können. Auch dieser blaming approach in Bezug auf eine mit spezifisch stereotypisierten Attributen ausgestattete Figuration (Kamera, Rollkoffer, Hipster-Accessoires etc.) fällt unter den Begriff ‚Touristifizierung’.

Zu guter Letzt tauchen als Teil des vielschichtigen Phänomens neben den politischen und ökonomischen Neuordnungen und diskursiven Deutungsverschiebungen die Tourist_innen selbst als Analysegegenstand auf. In sozialräumlicher Hinsicht sind sie nicht nur Konsument_innen touristischer Orte und Atmosphären einer Stadt oder einzelner Stadtteile. Sie produzieren vielmehr diese Räume mehr oder weniger aktiv und bewusst mit. ‚Touristification’ ist daher auch die Bezeichnung für einen momentanen Zustand, ein Produkt oder ein temporäres Ereignis der Inwertsetzung von Stadt(-teilen) als touristischer Ort durch freizeitliche oder konsumorientierte Alltagspraktiken. Die Abgrenzung zwischen touristischen Handlungsweisen und den alltäglichen Routinen der Bewohner_innen scheint besonders aus dieser Hinsicht kaum möglich.

Es wird schnell deutlich, dass sich aus den bisherigen Überlegungen und Texten für die Deutung und Analyse der beobachteten Phänomene und deren Hintergründe eher drängende Fragen als befriedigende Erklärungen ergeben. In diesem großen Themenfeld Tourismus/ Touristification haben sich für uns drei zentrale Dimensionen herausgebildet: Ökonomie, Politik und Alltagspraxen. Daraus ergaben sich drei thematische Veranstaltungen: 1. Zur politischen Ökonomie der Touristification Berlin-Kreuzköllns; 2. Governance des Tourismus und der Touristen/Touristification – Steuerung, Akteure und Konflikte und 3. Touristische Alltagspraktiken. Die drei Tagesworkshops, die in einem halbjährlichen Turnus stattfanden, waren gekennzeichnet durch eine gezielt offen gehaltene Debatte, die von Mitgliedern der Gruppe Kritische Geographie Berlin vorbereitet, strukturiert und moderiert wurde. Die Einschätzung war, dass das Thema (auch aufgrund geteilter Erlebnis- und Erfahrungshorizonte zum Beispiel durch eine eigene touristische Praxis) allgemein ‚anschlussfähig’ ist und es möglich sein sollte, Positionshierarchien und ‚Good and Evil’-Polaritäten zu vermeiden. Ein Ergebnis der Workshops waren auf den Diskussionen basierende Thesenpapiere, die unter anderem auf Konferenzen (z.B. auf der der Jahrestagung desResearch Committee 21 der International Sociological Association“ im August 2013 in Berlin) und in Seminaren und weiteren Workshops (z.B. für das Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung am 26. Oktober 2013) vorgestellt wurden. Diese Thesenpapiere sind zudem Grundlage des vorliegenden Beitrags.

Workshop 1: Zur politischen Ökonomie der Touristification Berlin-Kreuzköllns

Die Auftaktveranstaltung der Workshop-Reihe fand am 9. Juni 2012 statt: Ausgangspunkt war letztlich eine banale und immer wieder wahre Erkenntnis: Tourismus (und die damit verbundenen zentralen Praktiken des Reisens, der Gastronomie und Hotellerie) besteht im Wesentlichen aus der Produktion (inklusive der Konsumption) kommodifizierter (also auch fetischisierter) Orte.

a) Angebot: Jede touristische Destination bedarf eines (mehr oder weniger) differenzierten, spezifischen und (mehr oder weniger) vielfältigen Spektrums infrastruktureller und dienstleistungsbasierter Angebote zur Befriedigung touristischer Bedürfnisse an genau diesem dafür aufgesuchten Ort. Der Charakter dieser Angebote ist abhängig von den lokalen Märkten und ihrem Publikum. Im Ganzen betrachtet, kann dies als Prozess der lokalen Inwertsetzung betrachtet werden. Das beinhaltet nicht allein konkrete Warenangebote, sondern auch die symbolische Tauschwertsetzung durch Attribute wie (etwa für Kreuzberg/ Neukölln) kreativ, alternativ, urban, multikulturell, tolerant, offen etc. Die Angebotsseite touristischer Waren besteht somit nicht nur aus der Zurverfügungstellung von Unterkünften, Gastronomieangeboten und anderen Dienstleistungen. Dazu gehören auch Mobilitätsangebote und eine erlebbare (und kontinuierliche) Präsenz symbolischer Artefakte des touristischen Orts, die sich zumeist als Kollektivsymbole (heritage, Erinnerungsorte, ‚Kultur’) darstellen. Wichtig dabei sind aber auch praktische und atmosphärische Raumattribute wie etwa einfache Zugangsmöglichkeiten, die Abwesenheit von ‚Angsträumen’ und eine mehr oder weniger freundliche lokale Akzeptanz bis hin zu Willkommenskulturen, also die Erlebbarkeit von Situationen des sinnlich-ästhetischen Begehrens und Verzehrens.

b) Nachfrage: Die Nachfrage, also primär immer auch das physische Aufsuchen eines touristischen Orts, bedarf eines diesen Ort konsumierenden Subjekts, also eines Personenkreises, der sich dorthin aufmacht, um dort Geld für unterschiedlichste Angebote und Dinge auszugeben. Die touristische Nachfrage besteht somit aus der Verdichtung eines begehrenden Wollens und dessen Konsumption an einem ‚authentischen’, also einem nicht unbedingt spezifisch dafür hergestellten Ort (oder zumindest der Illusion dieser Echtheit). Tourist_innen müssen bereit und willens sein, diese Orte aufzusuchen, deren Attraktivitäten zu verlangen und diese kontinuierlich zu reproduzieren. Die kapitalistische Begierde ist hier zu einem inkorporierten Konsumverhältnis geworden, einer körperlich-subjektiv gelebten Alltagspraxis der umfassenden Aneignung eines Orts (und der sich dort befindenden sozialen Objekte), vom „tourist gaze“ (Urry 2002) bis hin zum umfassenden situativen Eintauchen. Tourist_innen sind/werden durch ihre Anwesenheit an diesen Orten selbst Teil der Raumproduktion, sie werden damit zu nicht rein veräußerlichten Konsument_innen einer Ware.

c) Mobilität und Zirkulation: Die Wechselwirkung aus Nachfrage und Angebot überschneidet sich im Bereich des touristischen Zirkulierens. Zirkulationen und Mobilitäten sind ebenfalls eine Grundbedingung touristischer Praxen. Wenn der touristische Mensch nicht zu den Orten des Begehrens gelangt, hilft weder eine ausgefeilte Angebotswerbung noch deren sehnsuchtsvolle Nachfrage bei der Synthese dieser beiden Pole. Mobilität und ihre Möglichkeiten und Restriktionen sind also die sensible Schnittstelle, das Scharnier des gegenwärtigen „fossilen Kapitalismus“ (Altvater 2005). Auch hier bestimmen historisch kontingente Transportmedien (Flugzeug, Schiff, Bahn, Kutsche) und die dafür aufzuwendenden Preise die Möglichkeiten des touristisch Reisenden. Die dynamische, aber immer temporäre Neuzusammensetzung von Touristengruppen wird zudem über administrative Territorialisierungen, legale Reisemöglichkeiten (Visa) und deren Aufenthaltsdauer bestimmt. Die Dialektik zwischen Angebot und Nachfrage setzt einen Kommunikationszusammenhang zwischen diesen beiden Sphären und eine Vermittlung an die dort aktiven Subjekte voraus. Daher ist die letzte Dimension, die es zu betrachten gilt, die der Kommunikationsbeziehungen.

d) Die mediale/kommunikative Ebene: Diese verbindet im engeren Sinne die drei vorherigen Ebenen in einer Synthese aus Kommunikation und Wissen. Der konsumierende Zugriff auf einen touristischen Ort setzt die Kenntnis dieses Orts als Möglichkeit zur Anwesenheit, zu den Zugängen und zu den Wegen dorthin voraus. Die Imaginationen eines (temporären) Aufenthalts an einem Ort werden von dem Wissen über die dort potenziell zu konsumierenden Objekte und Atmosphären bestimmt. Reisebücher, Tourguides und andere touristische Gebrauchs- und Ratgeberliteratur liefern hier ein umfassendes Angebot. Die Kommunikation solcher Wissensbestände über sich historisch wandelnde Medien aller Art hat einen deutlich ikonographischen Schwerpunkt. Raumbilder und Bild(re)produktionen bestimmen wesentlich den touristischen Blick, das eigene visuelle Dokument ist topologisches Zeugnis der Ortskonsumption, die (Foto-)Kamera wird zum unverzichtbaren Artefakt der touristischen Alltagspraxis und der konservierten Anwesenheit. Je mehr Bilder entstehen, umso weniger taugen sie als besonderes Medium des Anwesenheitsbeweises. Trotzdem ist die Kamera ein immer noch omnipräsenter Artefakt des Tourismus.

Nach einer ausgiebigen Vorstellung dieser Grundzüge touristischer Ökonomie wurde in der anschließenden Debatte aber deutlich, dass diese Betrachtungsebenen kompakt erscheinen und auch als Analyseansatz durchaus praktisch umzusetzen wären. Zu unterbelichtet blieben aber, so die Eindrücke mehrerer Workshopteilnehmer_innen, die alltäglichen Prozesse der touristischen Produktion/Reproduktion im relativ unbe/gelebten Raum hängen. Die unterschiedlichen Akteure und deren Perspektiven, also die der anbietenden Dienstleister_innen (von der Hotelputzkraft bis hin zum Miniunternehmen des Spätverkaufs) sowie der konsumierenden Tourist_innen, müssten unbedingt auch in diese politische Ökonomie des Handelns miteinbezogen werden oder eher gar als Ausgangspunkt gewählt werden. Hier werden die bereits erwähnten Schwierigkeiten eindeutiger Kategorisierungen zum Problem, nicht allein deshalb, weil Tourist_innen bei genauerer Betrachtung eine generell sehr amorphe und heterogene Personengruppe sind. Im gleichen Maße, in dem touristische Besucher_innen Teil des städtischen Alltages werden, ist die Stadt mit ihnen auf mannigfaltige Weise verwoben. Freilich lassen sich in den Häufungen von touristischen Großereignissen wie Festivals, Messen, Jahresfeiern oder Sportveranstaltungen solche tourismusindustriellen Effekte beobachten. Aber eine Berücksichtigung der mikroökonomische Ebene der Imbissbude, des Clubs, des Spätverkaufs und der Ferienwohnung bringt das Bild der kapitalistischen Polarisierung in ‚Profiteure’ und ‚Leidtragende’ doch erheblich durcheinander.

Zudem, so wurde auf dem Workshop zumindest angerissen, ist der Zusammenhang von Tourismus und Freizeitorientierung zunehmend undeutlich geworden. Gingen frühere Thesen zu touristischen Praktiken (Rojek 1991: 2005) bei aller Kritik an diesem Freizeitansatz doch immer selbstverständlich davon aus, dass sie eine reproduktive Sphäre der Arbeitskraft darstellen, muss unter flexibel akkumulierenden Kapitalverhältnissen die klare Trennung zwischen produktiver Arbeit und Freizeit auch hier infrage gestellt werden. Zumindest was die internationalen Subjekte des innerstädtischen Erlebnis- und Kreativtourismus angeht, ist Berlin nicht allein ein feiner „Ort zum Erleben, Feiern und Abhängen“ geworden, sondern in vielerlei Hinsicht „the place to be“ (wie auch der offizielle Slogan der Hauptstadtkampagne „be Berlin“ seit dem Jahr 2009 vermitteln soll). Daher sollten touristische Praxen nicht nur als eine Frage des Lifestyles und als eine reine ‚Freizeitangelegenheit’ abgehandelt und verstanden werden, sondern auch als Prozess produktiver Subjektivierung und als Responsibilisierung zur Steigerung des eigenen professionellen Erfolgs. Die Akkumulation kulturellen Humankapitals ist elementarer Bestandteil einer Selbstinwertsetzung und Vermarktungsstrategie geworden, der auch viele vermeintlich touristische Besucher_innen unterliegen. Kurz: Tourismus ist Arbeit, auch am unternehmerischen Selbst!

Workshop 2: Governance des Tourismus und der Touristen_innen / Touristification – Steuerung, Akteure und Konflikte

Der zweite Workshop der Touristification-Reihe fand am 6. Oktober 2012 unter dem Titel „Steuerung, Akteure und Konflikte“ statt. Ausgangspunkt war hier, dass der Prozess der ‚Touristification’ einer Steuerung und Governance unterliegt, wobei Governance als vermachtete Regelung unterschiedlich artikulierter und hegemonialer bzw. in Konflikt stehender Interessen verstanden wird. Es geht also um die Regulierung von Interessensgegensätzen und der Akkumulation von Gewinnen bei den üblichen Verdächtigen, aber auch um die ‚Selbstorganisation der anderen’.

Auf den Spuren dieser politischen Machtfrage ist daher anzunehmen, dass auch in Berlin Tourismuspolitik nicht im luftleeren Raum stattfindet. Eingebettet in die hegemoniale Konstellation der mit anderen Orten konkurrierenden, imageproduzierenden, effizienzorientierten und Gewinne privatisierenden – kurz ‚unternehmerischen’ – Stadt streiten sich die verschiedenen Akteure in der tourismuspolitischen Arena um die Durchsetzung ihrer Interessen: Senat, Bezirke, „Visit Berlin“, der Branchenverband des Gastgewerbes DEHOGA, Träger des Quartiersmanagements, Kiezinitiativen usw. Ein Ziel des Workshops war es daher, die relevanten Akteure und Akteursgruppen im Bereich ‚Touristification’ in Berlin zu identifizieren und ihre Strategien und Interessen offenzulegen. Dabei sollte den folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche Machtressourcen, Handlungsmöglichkeiten und Instrumente stehen den verschiedenen Akteuren auf welchen räumlich-politischen Ebenen zur Verfügung? Mechanismen der Koalitionsbildung und mögliche politische Ausgrenzung sollten anschließend anhand konkreter Beispiele aufgezeigt werden.

Der Workshop gliederte sich in drei Blöcke. Im ersten Block gab der als Experte eingeladene Stadtplaner Johannes Novy ein Inputreferat zur aktuellen Tourismuspolitik in Berlin. Hierbei hob er hervor, dass es eigentlich kein wirkliches strategisches Konzept der Stadt gebe, um die mit dem Tourismusboom einhergehenden Konflikte zu steuern oder wenigstens zu moderieren. Die politischen Verlautbarungen („Berlin als Tourismusstandort“) wirken so eher als hohle Phrasen, ohne ein dahinterstehendes Konzept. Novy zufolge existiert eine Diskrepanz zwischen der Präsenz der Imagekampagnen wie „be Berlin“ und dem Stellenwert, den das Thema Tourismus im Verwaltungshandeln des Senats einnimmt. Auf der Grundlage seiner mit Senatsmitarbeiter_innen geführten Interviews zog Novy den Schluss, dass andere Themen wie das Aufrechthalten des Besucherwachstums als wichtiger eingestuft würden. Generell müsse man in Zukunft weiterdenken und überlegen, wie nachhaltige Tourismuskonzepte aussehen könnten (vgl. Novy 2013).

In einem zweiten Block stellte der Geograph Tilman Versch seine eigene Erhebung zu Ferienwohnungen und Hostels in Kreuzberg vor. Primär ging es darum, ob Ferienwohnungen ein signifikantes Problem für den Stadtteil darstellen, und wenn ja, für wen. Da, wie Versch argumentiert, der durch Umwandlung entstehende Wohnraumverlust rein quantitativ betrachtet eher gering sei, stellte sich die grundsätzliche Frage, welche Wichtigkeit dem Problem überhaupt beigemessen werden sollte. Allerdings ist auch zu beachten, dass die vorgestellte Erhebung strengen Kriterien unterlag und somit viele Wohnungen, die nur phasenweise als Ferienwohnungen genutzt wurden, mit ihr nicht erfasst werden konnten. So kann angenommen werden, dass die (vor allem gefühlten) Effekte doch beträchtlich sind. An diese Diskussion schloss sich dann die Frage zu den möglichen Wirkungen einer staatlichen Zweckentfremdungsverbotsverordnung an, die die gewerbliche Nutzung von privaten Wohnungen als Ferienapartments einschränken soll.

Im dritten Teil ging es einerseits um Kiezinitiativen und stadtpolitische Gruppen, die sich mit Tourismus und der Verknappung des Wohnraums beschäftigen, und andererseits um die Bilderpolitik in der Tourismuswerbung und ihre visuellen Gegenstrategien wie beispielsweise Graffiti. Hier gingen verschiedene Interventionsansätze in die Diskussion ein: So hat in Neukölln eine Gruppe ein Manifest mit dem Titel „Spot the touri“ geschrieben, um auf die xenophoben Aspekte in der Touristification-Debatte hinzuweisen und dies in einer öffentlichen Veranstaltung präsentiert und diskutiert. In eine ähnliche Richtung zielt die sogenannte Hipster-Antifa, die mit ihren Plakaten, auf denen sie Tourist_innen, Hipster und Schwaben willkommen heißen, für mediales Aufsehen sorgten. Anlass waren die im öffentlichen Raum Berlins vermehrt vorzufindenden Aufkleber und Graffiti mit den Aussagen „Schwabylon“, „No more Rollkoffer“, „Berlin stinkt“ und „Touristen fisten“. Solche Graffitis zu Tourismusthemen werden mittlerweile auch durch die Polizei von Berlin kartiert, wie ein weiterer Beitrag verdeutlichte. Im Zusammenhang damit wurde diskutiert, ob ‚Touristen-Bashing’ ein adäquates Mittel einer linken Anti-Touristification-Politik sein könne oder nur eine weitere verkürzte Kritik sei.

Workshop 3: Touristische Alltagspraktiken

Der abschließende dritte Workshop fand am 1. Juni 2013 statt und widmete sich touristischen Alltagspraktiken. Auch wenn angenommen werden kann, dass touristische Handlungen unter dem Einfluss einer politischen Ökonomie unter anderem des Hotel- und Gaststättengewerbes stehen (Workshop 1) und sie mehr oder weniger politisch aktiv gesteuert und reguliert erscheinen (Workshop 2), kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass es doch und vor allem die individuellen und kollektiven Praktiken unterschiedlichster Akteure sind, welche die konkrete Art und Weise des Tourisitfizierungsprozesses in Berlin bestimmen. Beobachtungen und Studien zeigen, dass dabei die Grenzen zwischen touristischen und migrantischen Praktiken einerseits und alltäglichen Praktiken der schon längerfristig an einem Ort Wohnenden andererseits zunehmend schwinden. Neue Formen von Mobilität und transnationalen Lebensstilen bilden sich heraus, deren Einfluss auf die Bedürfnisse der Menschen an ihr jeweiliges, temporäres Umfeld noch weitgehend untererforscht scheinen (Römhild 2008, 2009), aber die Art und Weise des touristischen Umgangs mit der Stadt wesentlich prägen. Das ist unter anderem sichtbar in einer wachsenden Präsenz touristischer Akteure in der Stadt, weitgehend unabhängig von erkennbaren Saisonzyklen oder jahreszeitlichen Höhepunkten, die sich zu einem konstanten und festen Bestandteil des Straßenbildes und der öffentlichen Räume entwickelt haben.

Die spezifischen touristischen Handlungsformen und -praxen sind weder durch die Möglichkeiten der Stadt vollständig determiniert, noch können sie sich über deren Grenzen oder Strukturierungen gänzlich hinwegsetzen. Touristischer Alltag, so die These, bewegt sich also in einem ständigen Aushandlungsprozess zwischen Struktur und Handlungsmöglichkeiten. Schwerpunkt dieses dritten Workshops war es daher, alltägliche Praktiken touristischer Akteure als „Scharnier zwischen Struktur und Subjekt“ (Hörning 2004: 33) und vor allem die sich neu herausbildenden touristischen Handlungsorientierungen in den Blick zu nehmen. Uns interessierte, welche Handlungsweisen und Praxisformen eigentlich gemeinhin als touristisch identifiziert werden und ob bzw. wie die sich gewandelten Ausprägungen urbaner Tourismusformen mit den ebenso neuen Praxen verbinden.

Zu Beginn des Workshops ging es zunächst darum, zu präzisieren, wer oder was genau in Studien zu Tourismus überhaupt als Tourist_in bzw. touristisch erfasst wird. Viele und zum Teil recht unterschiedliche Beispieldefinitionen und Forschungszugänge ließen schnell erahnen, wie schwierig es ist, touristische Aktivitäten für Untersuchungen von anderen eindeutig abzugrenzen. Auch ein kurzer Einblick in entsprechende (handlungs- und praxis-)theoretische Hintergründe verdeutlichte, dass sich touristische Praktiken etwa von alltäglichen ortsgebundenen Handlungsmustern nur schwer unterscheiden lassen. Als mögliche Anhaltspunkte für eine Klassifizierung könnten – trotz berechtigter Vorbehalte gegenüber diesem Ansatz – Orte und Objekte dienen. Gibt es typisch touristische Orte oder solche, an denen touristische Aktivitäten in größerer Häufigkeit anzutreffen sind und wenn ja, wo sind diese beispielsweise in Berlin-Kreuzberg? Zu den Objekten gesellte sich die Frage, ob und wie man touristische Aktivitäten an gewissen Materialitäten/ Gegenständen festmachen kann.

Die Fülle dessen, was generell unter touristischen Praktiken und vor allem beobachtbaren Handlungsweisen verstanden werden kann, wurde in einem nächsten Schritt mit Moderationskarten noch einmal zusammengetragen. Schon die Sammlung möglicher Aktivitäten ließ weitere Zweifel an Konzepten der empirischen Erfassbarkeit aufkommen. Dennoch sollte ein Praxisexperiment gewagt werden, um nach eben jenen Handlungsformen Ausschau zu halten. Hierfür teilten sich die Workshop-Teilnehmer_innen in der Mittagszeit in drei Gruppen auf und besuchten verschiedene Orte im Kiez, die uns zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen als besonders geeignet erschienen: So wanderte eine Gruppe die Schlesische Straße entlang in Richtung Arena-Gelände, eine zweite in die entgegengesetzte Richtung zum Schlesischen Tor und zur Oberbaumbrücke und eine dritte Gruppe begab sich in den Görlitzer Park.[3]

Die Kiezbeobachtungen veranschaulichten, wie problematisch eine Kategorisierung anhand der Objekte vermeintlicher touristischer Ausstattung und des Bewegungsverhaltens der betrachteten Menschen ist. Innerhalb der Gruppen konnten nur Vermutungen formuliert werden: Ohne ein Gespräch mit den Menschen verblieben die gemachten Beobachtungen oft auf der spekulativen Ebene. Viele der beobachteten Personen ließen sich kaum eindeutig zuordnen, wie zum Beispiel die überraschend vielen Partygänger_innen am Schlesischen Tor oder auf dem Arena-Gelände. Allerdings waren die Beobachter_innen geneigt, anhand von bestimmten Objekten Menschen als Tourist_innen zu identifizieren. Stadtpläne, Tagesrucksäcke, Wasserflaschen oder geliehene Fahrräder wurden schnell zu Indikatoren deklariert. Ebenso gab es Ansätze, anhand von Bewegungsarten und -geschwindigkeiten zu unterscheiden: langsamer Schritt, weitschweifende, langsam betrachtende, mit bestimmten Erwartungen verknüpfte Formen eines tourist gaze, Fotografieren, weniger miteinander redend, oftmals suchend, Menschen, die sich einen Überblick verschaffen, Aussichtspunkte suchen wie zum Beispiel einen Hügel im Görlitzer Park. Deutlich wurde dies vor allem zum Nachmittag hin, als die ersten größeren touristischen Gruppen in Erscheinung traten, sowohl im klassischen Pauschaltourismus-Arrangement mit hochgehaltenem Regenschirm als auch in Form von spezialisierten Stadtführungen etwa zum Thema Streetart, die häufig die mittlerweile für das globale Berlin-Image ikonographisch wirkenden Wandbemalungen des Künstlers Blu an der sogenannten Cuvry-Brache aufsuchen.

Die gemeinsame Auswertung der Beobachtungen und Erfahrungen half anschließend, die Ergebnisse einzuordnen und mit Konzepten und Abgrenzungen in der Tourismusdebatte in Bezug zu setzen. Die Diskussion wurde von zwei zentralen Leitfragen strukturiert: Einerseits ging es um Wahrnehmungen und das (Nicht-)Beobachtbare, andererseits um die Frage, ob sich über dieses Vorgehen die vermuteten neuen Trends in touristischen Praktiken nachweisen lassen. Durch diesen Austausch wurde deutlich, dass eine Abgrenzung ‚neuer’ von ‚alten’ Formen des Tourismus ebenso schwierig ist wie die Kategorisierung von Tourist_innen an sich. Wer ist wann, in welcher Form und für wie lange ein/e Tourist_in? Hieraus folgt die in der öffentlichen Diskussion häufig aufkommende Frage, wer dann welche Klassifizierungen touristischer Aktivitäten (unhinterfragt) in welchen Diskursen einsetzt. Nicht zuletzt gilt es auch zu beachten, wie sich diese Erkenntnis im gegenwärtigen Diskurs zu Tourismus in Berlin kritisch einbringen lässt, auch und vor allem in der Verbindung zu den Diskursen zu Stadtentwicklung, Gentrification oder Diversitätspolitiken.

Fazit

Zusammengefasst bleibt die Frage, was die durch die Workshop-Reihe erzielten Erkenntnisse nun für die weitere Erforschung der politischen Ökonomie des Tourismus, des touristischen Subjekts sowie des Berlin-Tourismus im Allgemeinen und in seinen Alltagspraktiken bedeuten.

Zunächst einmal, und das mit ganzer Überzeugung, heißt es, Abschied zu nehmen von einem beliebten Antagonisten in der Debatte um Stadtentwicklung, den Tourist_innen als idealtypische Gentrifizierer_innen, reiche Konsument_innen der Berliner ‚Echtheit’ und Verfremder_innen der ‚autochthonen, authentischen’ Orte. Dies gilt auch für die Kategorie des/der Tourist_in, vor allem wenn es um die Beschreibung der gegenwärtigen Internationalisierung auf der Alltagsebene geht. Nicht wenige der in der Debatte und von uns als Tourist_innen bezeichneten Stadtbewohner_innen sind (mehr oder weniger temporäre) Arbeitsmigrant_innen im Kontext internationaler prekarisierter Beschäftigungs- und Subjektivierungsverhältnisse und somit Teil einer gemeinsamen Lage und nicht ihr Gegenentwurf.

Diese Erweiterung der mutmaßlich touristischen Praktiken um Aspekte neuer translokaler und internationaler Arbeitsverhältnisse (jenseits der Dichotomie Arbeit vs. Freizeit) eröffnet eine politische Ökonomie, die über lokal bezogene Negativeffekte aus der Perspektive einer wie auch immer imaginierten Lokalbevölkerung hinausgeht. Gerade zur Frage der Verknüpfung unterschiedlich miteinander verbundener Alltagspraktiken wurden in der sozialgeographischen Scale-Debatte (Brenner 2000, Wissen et al. 2008) viele neue Ansätze, etwa zur ‚Glocalisierung’ (Swyngedouw 2004), entwickelt, die als Anregung auch für zukünftige Untersuchungen im Bereich ‚Touristification’ dienen können. Vom großen Interesse sind hier die Verbindungen mit Menschen aus Städten wie Barcelona, Paris, Warschau oder New York, die in den dortigen Arbeits- und Lebensverhältnissen mit ähnlichen Konstellationen etwa auf dem Wohnungssektor konfrontiert sind. Ob damit ein Teil der Berlinbesucher_innen zu Verbündeten im Kampf gegen die Verdrängung aus zunehmend attraktiver werdenden Innenstadtbezirken oder in anderen Auseinandersetzungen um das ‚Recht auf Stadt’ werden kann, wird sich in der Praxis erweisen müssen. In die richtige Richtung geht die Initiative der von Verdrängung betroffenen Mieter_innen am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, die sich als ‚Kotti & Co.’ zusammengeschlossen haben. Auf einer ihrer Postkarten, die sie an die Passant_innen verteilen, ist zu lesen: New Berliners and short term visitors (tourists). We invite you to support us in our struggle against the exploding rents here in Berlin.“

Denn zu guter Letzt läuft eine nur auf Berlin bezogene Stadtpolitik nicht nur hinsichtlich des Umgangs mit ‚Touristification’ gern in die territorial trap und fällt damit der Vorstellung anheim, dass die Konflikte in der Stadt allein auf der lokalen Ebene lösbar sind. Gerade in Bezug auf Mobilität und Migration, Tourismus und Bewegungsfreiheit gerät aber ein häufig übertriebener, von Partikularinteressen angetriebener Lokalismus (Sharzer 2012) der ‚echten Berliner_innen’ zu einer reaktionären Pose der Privilegienverteidigung. Oder wie es Claire Horst (2011) in ihrem Kommentar zum Kreuzberger Tourismusstreit schreibt:

„Kreuzberg als gallisches Dorf, das gegen die Kolonialisierung und Überfremdung durch Touristen kämpft. […] Das konstruierte Selbstbild des prekären und unangepasst lebenden Kreuzbergers hat mit dieser Realität wenig zu tun. Denn die kleinbürgerlichen Reflexe, mit denen das Territorium verteidigt wird, der Bezug auf die eigene Gruppe und den eigenen Besitz, kommen in diesem Selbstbild nicht vor. Seine eigene lokale Begrenztheit nimmt der Kreuzberger nicht wahr.“

Endnoten

Autor_innen

Die Gruppe Kritische Geographie Berlin arbeitet in folgenden Bereichen: Kritische Geographie, Stadtgeographie, Politische Geographie, Soziale Geographie, Ethnologie und Sozialwissenschaften.

info@kritische-geographie-berlin.de

Literatur

Altvater, Elmar (2005): Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen: Eine radikale Kapitalismuskritik. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Bhandari, Kalyan (2008): Touristification of cultural resources: A case study of Robert Burns. In: Tourism 56/3, 283-293.

Borries, Friedrich von (Hg.) (2011): Berliner Atlas paradoxaler Mobilität. Berlin: Merve Verlag.

Brenner, Neil (2000): The urban question as a scale question. Reflections on Henri Lefebvre, urban theory and the scale question. In: International Journal of Urban and Regional Research 24/2, 361-378.

Colomb, Caire (2011): Staging the New Berlin: Place Marketing and the Politics of Urban Reinvention Post-1989. London/New York: Routledge.

Evans, Graeme (2002): Living in a world heritage city. Stakeholders and dialectic of the universal and particular. In: International Journal of Heritage Studies 8/2, 117-135.

Foljanty, Lukas / Kappus, Michael / Pfeiffer, Verena / Oehlkers, Wolf (2006): Touristification: Nutzungswandel durch Tourismus in großstädtischen Altbauquartieren. Arbeitspapier. Berlin: Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität Berlin.

Foljanty, Lukas / Pfeiffer, Verena (o. J.): Die Touristen sind schon alle da (Urbanophil Website), unter: http://archive.is/etjGA.

Füller, Henning / Michel, Boris (2014): “Stop Being a Tourist!” New dynamics of urban tourism in Berlin-Kreuzberg. In: International Journal of Urban and Regional Research (im Erscheinen).

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