Die Helle Mitte. Kunst im öffentlichen Raum in Berlin-Hellersdorf

Candy Lenk, Anna Borgman

PROJEKT LUFTSCHLOSS
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Im Jahr 1979 begannen die umfassenden Baumaßnahmen zur Errichtung der Großsiedlung Berlin-Hellersdorf. Sie gehört neben Marzahn, Hohenschönhausen und Altglienicke zu den wichtigsten Neubauprojekten Ost-Berlins zur Wohnraumversorgung der Bevölkerung. Zum Zeitpunkt des politischen Umbruchs 1989/90 waren die Baumaßnahmen in Hellersdorf noch nicht abgeschlossen. Von den geplanten 46.000 Wohnungen waren 34.000 realisiert, zudem fehlten das Ortszentrum und wesentliche Teile der öffentlichen Anlagen und Versorgungseinrichtungen.

Der Magistrat/ Senat von Berlin führte im Jahr 1990 im Zusammenhang mit der Entwicklung des Bezirkszentrums von Hellersdorf (inklusive Multiplex-Kino, Warenhäuser, Rathaus, Ärztehaus, Gastronomie, Oberstufenzentrum, Fachhochschule und Stadtpark) den ersten gesamtdeutschen städtebaulichen Wettbewerb durch. Nach dem Siegerentwurf der Architekten Andreas Brandt und Rudolph Böttcher sollten sich die Einrichtungen um einen zentralen Platz herum gruppieren. Als Vorbild wurde die Plaza Mayor im spanischen Salamanca mit ihren opulenten Barockfassaden genannt.

Im Jahr 1992 erhielt die Märkische Entwicklungs- und Gewerbeansiedlungs AG (Mega AG) vom Senat den Auftrag, das Projekt mit einem Investitionsvolumen von 2,2 Milliarden DM umzusetzen. Es galt als eine der ersten Public-private-Partnerships in Berlin. Durch den mit der Stadt geschlossenen Vertrag (Durchführungs-, Erschließungs- und Kaufvertrag) wurde die Mega AG zur Eigentümerin aller nicht öffentlichen Bauflächen. Im Gegenzug hatte das Unternehmen alle für die Gestaltung des öffentlichen Raums im Stadtteilzentrum notwendigen Kosten zu tragen. Im Herbst 2002, inmitten der Baumaßnahmen, meldete die von fünf West-Berliner Baulöwen (darunter Dietmar Otremba) gegründete Mega AG Insolvenz an. Die bis ins Jahr 2006 geplanten Baumaßnahmen, zu denen sich die Mega AG vertraglich verpflichtet hatte – etwa Investitionen in den Stadtpark in Höhe von 6 Millionen Euro –, wurden nicht realisiert. Erst 2010 gelang es, hauptsächlich finanziert durch Ausgleichs- und Ersatzmittel der Deutschen Bahn AG, die Pläne für den Stadtpark in einer Sparvariante umzusetzen.

Nach der Insolvenz der Mega AG und dem Ausbleiben öffentlicher Investitionen in die Infrastruktur zogen sich viele der Investoren und Gewerbetreibende aus der Hellen Mitte, wie das Bezirkszentrum heute genannt wird, zurück. Unternehmensketten wie C&A, Doorbreaker, WE, Foot Locker, H&M und Leiser, die dort zunächst Filialen eröffnet hatten, schlossen wieder. Saturn verließ den Standort Ende 2012. Im selben Jahr stellte das Multiplex CineStar den Betrieb in etwa der Hälfte seiner Kinosäle ein. Auch das große Summer-Beach-Fest und das traditionelle Klassik Open Air fanden 2012 zum letzten Mal statt. Seit einigen Jahren gibt es in der Hellen Mitte im Winter auch keinen Weihnachtsmarkt und keine Eislaufbahn mehr. Zum Jahreswechsel 2013/14 schlossen BabyWalz, NKD, Orion und Schuhhof die Türen. Der Lebensmitteldiscounter Real hat seinen Auszug für die erste Hälfte des Jahres 2014 angekündigt. Zurück bleiben lediglich einige wenige soziale Einrichtungen wie das evangelische Jugendhilfswerk Arche, das im Jahr 2001 in der Nähe des neuen Bezirkszentrums seine allererste Suppenküche für Kinder eröffnet hat.


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Das Luftschloss

Unter dem Eindruck der Situation in Hellersdorf und vor dem Hintergrund der beginnenden Baumaßnahmen für die Replik des Berliner Stadtschlosses, das um die 600 Millionen Euro kosten soll, haben wir, die Künstler_innen Candy Lenk und Anna Borgman, uns entschlossen, die Bewohner_innen von Hellersdorf mit einem eigenen Schloss zu ehren. Das PROJEKT LUFTSCHLOSS ist Ergebnis unserer Auseinandersetzung mit den Resultaten eines doppelt gescheiterten Städtebaus. Die unfertigen, fragmentierten Orte und Brachen im Stadtteilzentrum werden hier schon lange nicht mehr als offene Handlungsräume betrachtet. Für die Hellersdorfer_innen sind es Symbole und Manifestationen von Vernachlässigung und Niedergang. Die Lücke ist hier nicht mehr die Lücke, die erwartet, gefüllt zu werden; sie ist schon lange kein Freiraum mehr, der Triebkräfte weckt, und kein Ort für Projektionen und Ideen. Nach 30 Jahren Stagnation ist die Hellersdorfer Mitte eine Wunde, die nicht heilen will, ein Mahnmal, das an das strategisches Versagen von öffentlicher Stadtplanung erinnert, und Quelle der Frustration für die meisten Bewohner_innen der Großsiedlung. Mit dem PROJEKT LUFTSCHLOSS entstand zwischen Mai und April 2012 in der Mitte des neuen Stadtzentrums von Berlin-Hellersdorf auf dem Alice-Salomon-Platz eine 2.300 Quadratmeter umfassende Installation. Basis der Konstruktion waren am Bau übliche Modulgerüste und Bauschutznetze. Entgegen ihrem gewöhnlichen Gebrauch, dem Verhüllen und Stützen von Bauwerken, wurden die Netze und Gerüste hier selbst zum (Bau-)Werk. Die inszenierte Baustelle wurde wöchentlich ohne erkennbaren Zweck umgebaut und verschwand nach einem Monat restlos.

Autor_innen

Candy Lenk ist Freier Architekt und Künstler. Seit 2007 lehrt er Gestalten und Entwerfen an der Hochschule Coburg, der Technischen Universität Dresden und der Kunsthochschule Berlin Weißensee. Mit der dänischen Bildhauerin Anna Borgman betreibt er ein gemeinsames Studio in Berlin.

mail@borgmanlenk.com