Editorial

Redaktion sub\urban

Liebe Leser_innen,

das vierte Heft unserer Zeitschrift erscheint zwei Jahre nach unserem Gründungsworkshop in Berlin und mehr als ein Jahr nach der ersten Ausgabe von s u b \ u r b a n. Über das wachsende Interesse für die Zeitschrift freuen wir uns sehr und hoffen weiterhin auf eure Unterstützung!

Zu diesem Heft: Illegalität – Stadt – Polizei

Im neuen Heft – koordiniert und herausgegeben von unserem Redaktionsmitglied Mélina Germes – gehen wir der Frage nach, wie städtische Räume durch Polizei(-arbeit) einerseits und Illegalität andererseits konstruiert werden und wie die Interaktion zwischen Polizei (bzw. Sicherheit) und Illegalität (bzw. Illegalisierungen) zu der Produktion des Städtischen beiträgt.

Während wir dieses Editorial schreiben, finden in der US-amerikanischen Kleinstadt Ferguson trotz Ausgangsperre und militarisierter Polizeieinsätze Demonstrationen und Proteste gegen rassistische Polizeigewalt statt, nachdem dort ein junger afroamerikanischer Mann durch Schüsse einer Polizeistreife zu Tode gekommen ist. Diese Geschehnisse verdeutlichen auf drastische Weise die unterschiedlichen Probleme des Polizierens wie Diskriminierung, Kontrolle, Demütigungen und Gewalt – und nicht zuletzt des Polizierens von als deviant, gefährlich und unkontrollierbar eingestuften Stadtteilen. Die Polizei ist eine Institution zum Regieren städtischer Räume und zur Kontrolle städtischer Ordnung (siehe die Einführung zu diesem Heft). Jedoch gibt es nicht die eine Polizei, sondern vielfältige polizeiliche Institutionen, mit einer komplexen inneren Arbeitsteilung und mit unterschiedlichen Bezügen zum politischen Auftraggeber und zu städtischen Politiken (so gibt es z. B. erhebliche Unterschiede zwischen der Streifen- und Einsatzpolizei, aber auch zwischen dem sichtbaren Außen- und dem unsichtbaren Innendienst). Polizeiarbeit und Polizeien als Institutionen sind nicht zu trennen von (veränderbaren) Prozessen der Illegalisierung und Kriminalisierung – von Praktiken, von Menschen, von Orten. Darüber hinaus werden der Polizei immer wieder Handlungsweisen vorgeworfen, die am Rande der Legalität liegen oder aber unbestraft jenseits der Legalität. Diesem Nexus von Illegalität, Stadt und Polizei nähern wir in diesem Heft mit zwei Schwerpunkten.

Den ersten Schwerpunkt dieses Heftes bildet die Debatte zur Frage, was ‚kritische Polizeiforschung‘ eigentlich ist und leisten sollte. Im Anschluss an die von Kendra Briken und Jenny Künkel organisierte Tagung „Kritische Polizeiforschung“ im Februar 2013 in Frankfurt am Main haben wir einige der Referent_innen gebeten, zu dieser Frage Stellung zu beziehen. Bernd Belina und Helga Cremer-Schäfer definieren Polizei als Durchsetzung einer spezifischen sozialen Ordnung. Damit hat kritische Polizeiforschung die Aufgabe, die damit verbundenen Herrschaftsverhältnisse zu hinterfragen. Markus-Martin Müller verdeutlicht, welche Potenziale eine mögliche Ausweitung der bisher meist eurozentrischen Polizeiforschungen haben kann. In ihrer Replik zu diesen drei Beiträgen schlägt Jenny Künkel eine umfassende Reflexion über Polizeien als gesellschaftlich produzierte Institutionen vor und betont die Notwendigkeit, verschiedene kritische Theorieansätze miteinander zu verbinden. Der Aufsatz von Anna Kern wirft einen originellen Blick auf die kritische Polizeiforschung. Sie lehnt eine generalisierende Kritik am polizeilichen Staatsapparat ab und schlägt stattdessen vor, mithilfe einer materialistischen Analyseperspektive – dem Konzept von veränderbarer Sicherheitsregime – die widersprüchlichen Entwicklungen der Polizeiarbeit zu erfassen. Der Text von Didier Fassin, ein Auszug aus seinem 2011 erschienenen Buch La force de l’ordre. Une anthropologie de la police des quartiers, den wir eigens für diese Ausgabe übersetzt haben, beschäftigt sich aus ethnographischer Sicht mit Konzepten von ‚Gewalt‘, und zwar anhand des Beispiels der Praktiken einer besonderen Polizeieinheit in benachteiligten Pariser Wohnvierteln. Er leistet damit einen Beitrag zu einer soziologischen Reflexion der Frage, inwiefern sich die Polizei durch Gewaltanwendung definieren lässt. Fassins Textauszug wird durch einen Beitrag von Mélina Germes ergänzt, die seinen analytischen Ansatz, der auf dem Konzept der ,moralischen Ökonomie‘ basiert, erläutert und diskutiert. Diese Beiträge zur kritischen Polizeiforschung zeigen, wie veränderbare polizeiliche Grenzziehungen in Stadträumen (etwa die Definition ,gefährlicher Wohnviertel‘ oder die Trennung zwischen Privaträumen und Öffentlichkeit) die Praktiken der Polizeiarbeit je nach Bezugsraum prägen und verfestigen.

Im zweiten Schwerpunkt des Heftes geht es um Illegalität, das heisst um soziale Praktiken, die nicht nur von der herrschenden Ordnung abweichen, sondern die auch die Absicht verfolgen, die Polizei(-arbeit) und die vorherrschende Sicherheitsideologie herauszufordern. Partys, Graffitis und Rap-Musik sind festliche Praktiken und können mit dem Rückgriff auf illegalisierte Praktiken, Informalität oder Provokation neue (städtische) Räume schaffen und erfassen, wie etwa ,Zwischenräume‘ in den Lücken der herrschenden Ordnung. Anhand von (Graffiti-)Writing untersucht Sascha Schierz in seinem Aufsatz eine subkulturelle Praxis, die spielerisch mit sozialer Kontrolle umgeht, aus Illegalität eine Ressource macht und die Frage der Transgression im öffentlichen Raum aufwirft. Chantal Remmert und Xenia Kokoula sehen in illegalen Partys die temporäre Umdeutung und Neuordnung von öffentlichen Räumen. Andreas Tijé-Dra widmet sich den Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Rappern in Frankreich und zeigt, wie Rapper versuchen, die hegemonialen Narrative zu den Konflikten in den französischen Vorstädten umzudeuten. In allen drei Fällen sind die Praktiken in klar definierten städtisch-lokalen Szenen verankert. Dabei wird die Frage aufgeworfen, inwiefern manche illegalisierten Handlungen als Praktiken einer Kritik gegen dem ,Sicherheitsstaat‘ gezählt werden könnten.

Im Gegensatz zu diesen kleinen, selbstgeschaffenen ‚Freiräumen‘ schildert Martin Schinagl, dass digitale Überwachung großenteils auf der Komplizenschaft des/der Überwachten beruht. Weiterhin bespricht Joscha Metzger im thematisch offenen Magazin- und Rezensionsteil des Heftes das kürzlich erschienene Buch Recht auf die Stadt. Von Selbstverwaltung und radikaler Demokratievon Daniel Mullis, in dem der Autor Konzepte von Henri Lefebvre mit von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe entwickelten theoretischen Ansätzen zusammenbringt und danach befragt, wie diese für urbane soziale Bewegungen nutzbar zu machen sind. Sam Merrill und Sandra Jasper setzen sich kritisch mit der Debatte um die Stadtforschung zu Berlin auseinander, indem sie einerseits die Diskussionen zum Thema bei mehreren internationalen Konferenzen im Jahr 2013 reflektieren und andererseits den Berlin Reader(hrsg. von Matthias Bernt, Britta Grell und Andrej Holm) rezensieren. Christian Volk analysiert aus demokratietheoretischer Sicht verschiedene mediale Interpretationen von politischen Protesten. Dabei beschäftigt ihn die Frage, warum die Presse politische Proteste in modernen Demokratien oftmals anders interpretiert als jene in als weniger demokratisch wahrgenommenen Ländern. Volk entwickelt in seinem Beitrag die These, dass radikale Formen des Protests potenzielle Momente der Repolitisierung in modernen Demokratien darstellen.

 

Wir laden unsere Leser_innen ein, auch als Autor_innen von Aufsätzen und Magazinbeiträgen oder mit Vorschlägen für Debatten für s u b \ u r b a n tätig zu werden. Auch über Kommentare und Reaktionen auf die veröffentlichten Beiträge freuen wir uns jederzeit!

 

Wir wünschen allen eine anregende Lektüre!

Die Redaktion

Laura Calbet i Elias, Mélina Germes, Nina Gribat, Nelly Grotefendt, Jan Hutta, Johanna Hoerning, Boris Michel, Kristine Müller, Carsten Praum, Nikolai Roskamm, Nina Schuster, Lisa Vollmer