Illegalität - Stadt - Polizei. Einführung

Mélina Germes

Mit diesem Themenheft ,Illegalität – Stadt – Polizei’ geht s u b \ u r b a n der Frage nach, wie städtische Räume einerseits durch Polizei(-arbeit) und andererseits durch Illegalität konstruiert werden, aber auch, wie das Zusammenspiel von Illegalität und Polizeiarbeit zur Produktion des Städtischen beitragen.

Rechtsverstöße werden häufig als Existenzberechtigung der Polizei betrachtet, deren Aufgabe es ist, staatliches Recht durchzusetzen, indem das Illegale bekämpft wird. Jedoch ist es problematisch, Polizei durch die Bekämpfung von Illegalität zu definieren unddiese Dichotomie sollte hinterfragt werden. Das Themenheft will dazu einen Anstoß geben. Wie im Folgenden dargelegt wird, zeichnet sich Polizeiarbeit durch einen besonderen Bezug zur Legalität aus, der weder nur auf Gesetze noch ausschließlich auf die Rechtsprechung reduziert werden kann. Er ist vor allem zentral bei der Legitimitierung von Gewaltanwendung. In den folgenden Ausführungen zu Stadt und Sicherheit sollen die Zusammenhänge von Illegalität und Polizeiarbeit deutlich gemacht und analysiert werden.

1. Illegalisierte Praktiken und legitime Gewalt: räumliche Zusammenhänge

1.1. Von der Environmental Criminology zu (verräumlichenden) Kriminalisierungen

Die Kriminologie, und darunter besonders die an Raum interessierte Environmental Criminology, begreift städtische Orte und räumliche Konfigurationen nicht nur als Schauplatz von Verbrechen, sondern zieht diese auch zur Erklärung von Kriminalität heran. Diskurse zur Gefährlichkeit der Städte, die diese häufig mit Überbevölkerung, Dreck, Anonymität und Gier assoziieren, haben eine lange Geschichte (Dinges/Sack 2000). Die Entwicklung von räumlichen Konzepten des policing und die Verbreitung von Sicherheitsdispositiven werden durch das Argument gerechtfertigt, dass Orte einen Einfluss auf Kriminalität haben (vgl. Brantingham/Brantingham 1991 [1981]). Andere kriminologische Studien gehen dem Zusammenhang von Kriminalität und Armut beziehungsweise Bildungsdefiziten und schlechten Wohnbedingungen nach und entwickeln auf dieser Grundlage Vorschläge für staatliche Interventionen wie etwa Programme zur Revitalisierung und Erneuerung von Stadtteilen. Hier zeigt sich, wie Kriminologie als Herrschaftswissenschaft fungiert und dazu beitragen kann, dass Räume stärker kontrolliert werden, wobei die Bevölkerung vermehrt mit verräumlichten Sicherheitsstrategien regiert wird.

Die Entwicklung kritischer Ansätze in der kriminologischen Forschung zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur zu Kriminalität als etwas Gegebenem, sondern auch über die Prozesse der Kriminalisierung als Produkte von staatlichen Institutionen, der Gesetzgebung und unterschiedlicher Strafpraktiken geforscht wird (Sack 1972, vgl. auch Cremer-Schäfer in diesem Heft).

Die Kriminologie erforscht die_den ,Kriminelle_n‘ an den Schnittstellen von Soziologie, Statistik, Psychologie, Medizin und Anthropologie. Ihre Leitfrage lautet: Warum wird etwas Illegales getan? Hingegen ist die Frage, warum etwas als illegal definiert wird, für die Forschung über Kriminalisierung relevant. Diese untersucht die Institutionen, Diskurse und Dispositive, die manche Handlungen beziehungsweise Menschensgruppen kriminalisieren (oder eben nicht). Kriminalisierungen sind in dieser Lesart die Produkte von staatlichen Institutionen, Gesetzen und Strafpraktiken. Polizei und Gefängnis, Justiz und zahlreiche Institutionen der Sozialarbeit rücken dabei in den Fokus der Forschung.

Die kritische Kriminologie, die grundsätzlich von der Konstruiertheit von Kriminalität ausgeht (Belina et al. 2012, Sack 1993), weist darüber hinaus räumlichen Faktoren in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu (Glasze et al. 2005). In Abgrenzung zur Environmental Criminology werden Sicherheitspolitiken und Polizeipraktiken daraufhin untersucht, wie sie Räume als Mittel des Regierens nutzen. Die kritische Kriminologie geht davon aus, dass die Materialität und die Alltagspraktiken städtischer Räume im Namen der Sicherheit geprägt und sogar angeordnet werden: durch Zugangsberechtigungen, Abweisungsmaßnahmen, sichtbare und unsichtbare Überwachungssysteme usw. Diskurse etwa zu ‚Unsicherheitsgefühlen‘ an bestimmten Orten, Dispositive wie präventive Sozial- und Stadtpolitiken, Praktiken der Polizei und privater Sicherheitsdienste bestimmen demnach maßgeblich die Produktion des städtischen Raums.

1.2. Polizeiforschung: von der Legitimität zum illegalisme

Die Forschung, die sich mit der Institution Polizei im engeren Sinne beschäftigt, ist durch recht unterschiedliche Zugänge und Positionierungen gekennzeichnet. So gibt es neben eher ,unabhängigen‘ universitären Studien auch direkt von der Polizei in Auftrag gegebene Untersuchungen sowie eine polizeiinterne Forschungstätigkeit. Außerdem divergieren die Arbeiten hinsichtlich ihrer politischen Perspektive und Haltung, etwa zur Legitimation staatlichen Zwangs oder hinsichtlich ihrer theoretischen Grundlagen, zum Beispiel in Bezug ihr Verständnis von der Konstruiertheit der sozialen Welt. Der Forschungsgegenstand ‚Polizei‘ wirft also einige allgemeine, eher konzeptionelle Fragen auf: Wie kann die Forschung Polizei konzeptionell bestimmen, und dabei die Vielzahl ihrer Aufgaben, die institutionelle Viefalt und die politisch-administrativen Unterschiede zu erfassen? Wie versteht sie die Beziehungen zwischen Staat, Polizei und Gesellschaft, sowohl in praktischer als auch in theoretischer Hinsicht?

Wesentlich für die sozialwissenschaftliche Analyse und Theoriebildung zu Polizei ist der Aspekt der Gewalt. Der Bezug der Polizei zum Staat ist dabei grundlegend. Der Staat legitimiert sie und stattet sie mit dem Gewaltmonopol aus. Anknüpfend an Max Weber und den Polizeisoziologen Egon Bittner wird Polizei in Soziologie, Politikwissenschaft und Kriminologie meist als ein Staatsapparat begriffen, der über das Monopol auf legitimen Zwang verfügt (Brodeur 2002). Daran wird kritisiert, dass (polizeiliche) Gewalt zwar legitimierbar, jedoch nur eines der Mittel und nicht der Kern beziehungsweise der Zweck der Polizeiarbeit sein sollte. Dieser Kern liege vielmehr in der Aufrechterhaltung einer sozialen Ordnung, die die Legalität der Mittel nicht vorraussetzt. So schlägt Fabien Jobard (2012) vor, die Polizei weniger durch ,Gewalt‘ als durch die Möglichkeit der Definition von ,Gesetzeswidrigkeit‘ zu definieren. Gesetzeswidrigkeit (nach Foucaults Konzept des illegalisme) widerspreche nicht der sozialen Ordnung, sie wohne ihr vielmehr inne. So erlaubten sich Polizist_innen etwa beim Einsatz in französischen Banlieues Provokationen und brutale Verhaltensweisen, die anderswo undenkbar wären – weil sie dort von der Polizei, anderen Institutionen und von der Mehrheit der Bevölkerung als legitim erachtet würden. Die Einschätzung des Gegenübers, der Orte und Situationen, in denen Zwang (coercive force) einspruchslos zum Einsatz kommen kann, hänge von veränderlichen politischen Mandaten und gesellschaftlichen Erwartungen ab, die zur Identifikation eines ,Feindes‘ beitrügen.

Diese ,Gesetzlosigkeiten‘ werden in den aktuellen Städten auch räumlich zum Ausdruck gebracht, insbesondere in den als ‚problematisch‘ eingestuften Vierteln. An manchen Orten werden von der Polizei Taten begangen, die anderenorts als unethisch, rechtswidrig oder kriminell gedeutet würden. Während Polizeiübergriffe vielerorts zu einer Anzeige führen und manchmal sogar zu einer Verurteilung der Täter, kann sich die Polizei dagegen in bestimmten lokalen Kontexten darauf verlassen, für rechtswidriges Handeln nicht belangt oder bestraft zu werden. Der illegalisme der Polizei, von dem Jobard spricht, hat eine dezidiert räumliche Komponente.

2. Sicherheit und Stadt

Kritische Polizeiforschung zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht die Polizei an sich zum Forschungsgegenstand hat, sondern sich mit Praxen des Polizierens befasst, die sie als problematisch wahrnimmt. Sowohl für die Polizeiarbeit als auch für die kritische Polizeiforschung spielt der (städtische) Raum in mehrfacher Hinsicht eine bedeutende Rolle. Zunächst ist er materieller und konkreter Bezugspunkt polizeilicher Arbeit – etwas, das es zu beherrschen gilt. Darüber hinaus greifen Sicherheitsideologien immer wieder auf räumliche Bedrohungen und Besonderheiten zurück (vgl. Eick/Briken 2014).

2.1. Durchsetzung von räumlichen Ordnungen

Aus der Perspektive kritischer Polizeiforscher_innen sind Städte Orte, an denen gesellschaftliche Konflikte besonders konzentriert auftreten und sichtbar werden. Hier finden sich Orte struktureller Diskriminierung, Verdrängung, Überwachung, Kontrolle und Repression. Polizeiliche Ordnungs- und Sicherheitsideologien, die in Konzepten wie ,saubere Räume‘ oder ‚kriminelle Parallelgesellschaften‘ zum Ausdruck kommen, aber auch der Umstand, dass viele Massenproteste und Demonstrationen, etwa gegen von staatlicher Seite favorisierte Großprojekte, im urbanen Raum stattfinden, machen Städte zum Gegenstand eines breiten Spektrums von polizeilichen Maßnahmen und Kontrollstrategien.

Polizeiarbeit zielt zum Beispiel darauf ab, bestimmte Menschen, die sich in unerwünschter Weise verhalten, wie Bettler_innen, Obdachlose, Prostituierte, Drogenabhängige, Alkoholiker_innen oder Straßenkinder, aus öffentlichen Räumen zu vertreiben. Im Fokus stehen dabei insbesondere stark frequentierte öffentliche Räume und solche mit repräsentativem Charakter. An als gefährlich eingestuften Orten oder in bestimmten Stadtvierteln reichen der Polizei allgemeine Verdachtsmomente aus, um bestimmte Personengruppen willkürlich zu kontrollieren, festzunehmen und zu schikanieren. Diese Praktiken können bis hin zur Anwendung exzessiver Gewalt reichen. Weiterhin hat die Polizei die Aufgabe, systemkritische Demonstrationen und politische Protestbewegungen, beispielsweise gegen Regierungspolitiken, die die Städte manchmal für Stunden oder gar Tage zu ,Orten des Politischen‘ machen, zu kontrollieren, den Protest zu begrenzen, dabei gegebenenfalls Menschen einzuschüchtern und ihre Versammlungen mit Gewalt aufzulösen (Starr et al. 2011). Solche Polizeiarbeit wird unterstützt und begleitet durch eine weniger sichtbare, jedoch massive Überwachung mithilfe von Kameras und Verkehrs- und Informationssnetzwerken sowie der „Militarisierung der städtischen Sicherheit” (Graham 2010). Teilweise in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen und privaten Akteur_innen, die im Bereich Stadtplanung und -marketing oder auf dem Immobilienmarkt tätig sind, tragen diese polizeilichen Maßnahmen zur Transformation des Städtischen bei.

Die Polizei ist also neben anderen Institutionen ein machtvoller Apparat, der eine bestimmte räumliche Ordnung durchsetzen kann – eine Ordnung, die gesellschaftlich eine breite Zustimmung genießt.

2.2. Lokale Sicherheits- und Präventionspolitiken

Städte sind auch lokale Regierungseinheiten, in denen Politik und Verwaltung den Auftrag haben, die Sicherheit der Bevölkerung und die soziale städtische Ordnung zu gewährleisten. Für europäische Städte gilt dies seit dem Mittelalter. Daher waren Polizeien vielerorts lange Zeit städtische Institutionen, bevor sie (zum Teil und auf unterschiedlichen politischen Ebenen) verstaatlicht wurden. Je nach nationalem Kontext gibt es unterschiedliche institutionelle und politische Zuständigkeiten. Polizeien können kommunale oder städtische Behörden sein, aber auch im Dienst von Bundesländern, Provinzen oder dem Nationalstaat stehen. Gleichwohl treffen die verschiedenen Polizeien im Rahmen ihrer gesetzlichen Vorgaben eigene Entscheidungen. Sie können als Akteurinnen mit eigenen Interessen in der Sicherheitpolitik begriffen werden.

Zur Durchführung lokaler Sicherheitspolitiken nehmen kommunale Akteure die Dienste der Polizei in Anspruch, beispielsweise um bei stadtplanerischen Projekten oder zur Krimnalitätsprävention in Schulen eine Expertise zu liefern. Das Expertenwissen der Präventionsbeauftragten basiert auf unterschiedlichen kriminologischen Konzepten und beruflichen Erfahrungen. Es soll Techniken zur Abschreckung von Kriminalität und zur Erhöhung der Sicherheit vermitteln. Diese Präventionsarbeit ist auch das Ergebnis einer neoliberalen Entwicklung der Polizeiarbeit, die eng mit Kommunalpolitiken verbunden ist (Eick et al. 2007). Dabei dient auch der zunehmende Einsatz von polizeilichen Kriminalitätskartierungen der Prävention, da hiermit die polizeiliche Einsatzplanung verbessert und Straftaten bereits im Vorfeld verhindert werden sollen. Auf Basis bestehender Daten zu Polizeieinsätzen werden mithilfe von GIS (Geographical Information Systems) Karten produziert, die städtische Räume und Kriminalität auf deterministische Art verknüpfen (Belina 2009).

2.3. Gewaltbefugnisse, legal consciousness und Stadt

Die Polizei ist dabei nicht allmächtig. Ihre besonderen Machtbefugnisse sind nicht willkürlich, sondern hängen von bestimmten Bedingungen ab. Diese werden jedoch nicht nur von der Gesetzgebung und politischen Mandatsträgern festgelegt, sondern sind immer auch durch gesellschaftliche und politische Kontexte geprägt. Nicht alles ist jeder Zeit machbar; Grenzen der institutionellen und gesellschaftlichen Akzeptanz verschieben sich. Die Legitimität einer Handlung kann nicht nur durch einen formalen Rechtsbegriff festgelegt werden. Das Konzept der legal consciousness (vgl. Silbey 2005), ein in den Rechtswissenschaften entwickeltes Konzept, ermöglicht es, der Legitimierung polizeilicher Handlungen näherzukommen und unterschiedliche Ansichten über polizeiliche Befugnisse zu erfassen. Dabei ist es weder auf die Polizist_innen noch auf die Institution zentriert ist. Es erfasst polizeiliches Handeln von ganz verschiedenen Positionen, deren Rechtsverständnis und -bewusstsein erheblich voneinander abweichen können. ‚Recht‘ ist nicht nur als vermeintlich objektive Gesetze und Rechtspraktiken definiert, etwa die Kenntnis, Auslegung, Aushandlung und Anwendung von Gesetzen in allen Bereichen des Alltags. Vielmehr spiegeln sich im Recht Ideologie und spezifische Wertevorstellungen, die wiederum in der Praxis, gestützt auf Gesetze, zum Ausdruck kommen. Dabei existieren grundlegende Unterschiede zwischen dem Recht als Prinzip sozialer Ordnung und dem Recht im Sinne von Grundrechten – eine Kluft, die zu widersprüchlichen Deutungen polizeilicher Aufgaben und polizeilichen Handelns führt. Ein und derselbe polizeiliche Einsatz kann von den einen als gerechtfertigt und notwendig wahrgenommen werden, während für andere kein Zweifel an dessen Rechtswidrigkeit besteht, da dabei Freiheitsrechte eingeschränkt wurden. Entsprechend ist das, was als legitime polizeiliche Gewaltanwendung gilt, nicht nur gesetzlich festgelegt, sondern Ergebnis permanenter gesellschaftlicher Aushandlungen und Auseinandersetzungen.

Das Polizieren hat sich als wichtiger Aspekt der Raumproduktion erwiesen. Trotz zahlreicher nationalstaatlicher Besonderheiten und Unterschiede lassen sich im internationalen Vergleich auch eine Reihe grundlegender Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Institution Polizei feststellen. Dennoch ist die Polizeiforschung nach wie vor von einem gewissen „methodologischen Nationalismus“ (vgl. Wimmer/Glick-Schiller 2002) und einem gewissen Eurozentrismus gekennzeichnet. Darüber hinaus gilt es zu unterstreichen, dass die angesprochenen Gefüge zwar grundlegend wirken, aber im Zeitverlauf veränderbar sind. Wenn sich die hegemonialen Verhältnisse verschieben und Sicherheit und Recht entsprechend umgedeutet werden, verschieben sich auch die Trennlinien, anhand welcher die Räume und Menschen kategorisiert werden, ebenso wie die Sicherheitsdogmen und Überwachungstechniken. Die Unterschiede in der Auslegung des Rechts führen dazu, dass die Polizei auch infrage gestellt wird, beispielsweise durch die Empörung, die aufmerksame Kritik und die Aktionen des zivilen Ungehorsams von zivilgesellschaftlichen Gruppen und politischen Netzwerken.

3. Praktiken der Illegalität: eine andere Form der Kritik an Sicherheitsdispositiven?

Illegalität wird nicht nur durch Gesetze und Polizeiarbeit produziert, sie ist nicht nur eine fremdbestimmte Kategorisierung und Zuschreibung. Manche Akteur_innen lockt die Illegalität ihrer Praktiken: Illegalität kann dann reizvoll erscheinen oder zur Ressource werden. In manchen Praktiken städtischer Akteur_innen zeigt sich ein interessanter Umgang mit dem Prinzip der Illegalität und den Prozessen der Illegalisierung. Neben explizit politischen Manifestationen, die sich mit verschiedenen Mitteln gegen den autoritären ,Sicherheitsstaat‘ richten, gibt es auch spielerische Formen der direkten und indirekten Kritik. Hierzu zählen Graffiti, unangemeldete Partys, Musikveranstaltungen und andere Vergnügungen oder Happenings im öffentlichen Raum.

Diese Praktiken könnten in Zeiten zunehmend technisierter Überwachung und repressiver Praktiken als inkonsequent erscheinen. Solche Praktiken werfen tatsächlich wichtige Fragen über ihre mögliche Subversion auf, wobei das Risiko der Romantisierung jeglicher Subversion als politische Kritik besteht. Zugleich sollte die Macht solcher Veranstaltungen und Praktiken nicht unterschätzt werden. Zwar verlassen diese Praktiken das Feld des klassischen politischen Aktivismus‘ und Widerstands, können aber als politisch relevant betrachtet werden, wenn sie das Feld des Politischen erweitern.

Die Kontroverse um radical clowning ist ein Beispiel für diese Debatte. Radical clowning ist im Kontext von Demonstrationen der globalisierungskritischen Bewegung entstanden, als friedliche und subversive Antwort auf die Eskalation von Gewalt und Polizeirepression. Kleinere Gruppen von Aktivist_innen begleiten dabei als Clowns verkleidet Demonstrationen und Straßenproteste und gehen zum Teil ‚bewaffnet‘ mit Staubwedeln, Wasserpistolen oder Blumen direkt auf die Einsatzeinheiten der Polizei zu. Hauptzweck dieses Vorgehens ist es, militärisches Auftreten durch übertreibende Nachahmung lächerlich zu machen und die Sicherheitskräfte zu verwirren (Klepto 2004). Diese Clownsaktivist_innen unterwandern mit ihrem Auftreten zudem die üblichen Wahrnehmungen und Kategorien, mit denen solche Demonstrationen und ihre Teilnehmer_innen in der Regel erfasst werden und mit denen über sie berichtet wird. Sie spielen darüber hinaus mit Gefühlen. Dadurch, dass sie etwa Polizist_innen zum Lachen bringen, können Ängste und Vorurteile abgebaut werden (Routledge 2012).

Diese Clowns sind apolitisch, insofern sie keine politischen Forderungen stellen und auch sonst auf verbale Äußerungen und Analysen verzichten. Für manche Forscher_innen sind ihre Praktiken nur anekdotisch, da sie nichts grundsätzlich an den Geschehnissen und noch weniger an den Machtverhältnissen änderten. Dieser Ansicht nach schadet die Flüchtlichkeit der karnevalesken Auftritte sogar politischen Kämpfen. Allerdings bedienen sie sich eines alten Prinzips, der Tradition des politischen Karnevals (Dupuis-Déri 2010). Der taktische und satirische Karneval macht sich über die Mächtigen, die herrschenden Verhältnisse und Hiererchien lustig und stellt den hegemonialen Diskurs der politischen Alternativlosigkeit infrage. Alternativen werden verkörpert, ein anderer Raum für eine subversive Macht wird durch die Clowndemonstration geschaffen (Bogad 2010). Der aufständische Karneval kann zwar nicht mit revolutionären Erfahrungen gleichgesetzt werden, er erzeugt aber mehr als nur momentane Irritationen. Die medial gut in Szene gesetzen Auftritte sind dazu in der Lage, die Symbole und Rituale der Macht ,anzugreifen‘ und teilweise auch subversiv umzudeuten, so dass Vorstellungen von einer anderen Ordnung und Gesellschaft möglich werden.

Die hier angesprochenen Praktiken, die auf Illegalität, Informalität und Provokation rekurrieren und mit diesen experimentieren, können als Formen eines kreativen und spielerischen Widerstands im Sinne de Certeaus betrachtet werden. Mit ihnen wird es möglich, gesellschaftliche Verhältnisse und Stadt anders zu denken. Bestehende urbane Räume können zumindest temporär umgedeutet, aber auch anders gestaltet und genutzt werden.

 

Dieses Themenheft, dessen Beiträge mit unterschiedlichen theoretischen Ansätzen und Methoden solche (Widerstands-)Praxen vorstellt und reflektieren, ist eine Einladung, die komplexen Zusammenhänge von Illegalität, städtischem Raum und Polizei neu zu betrachten und weiter zu denken.

Autor_innen

Mélina Germes; Geographin, mit Schwerpunkt auf Polizeiforschung und Sicherheitspolitiken, in Frankreich und Deutschland.

melina.germes@cnrs.fr

Literatur

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Belina, Bernd / Kreissl, Reinhard / Kretschmann, Andrea / Ostermeier, Lars (Hg.) (2012): Kritische Kriminologie und Sicherheit, Staat und Gouvernementalität (10. Beiheft Kriminologisches Journal). Weinheim: Beltz Juventa.

Bogad, Larry M. (2010): Carnivals against capital: radical clowning and the global justice movement, in: Social Identities 16/4, 537-557.

Brantingham, Patricia / Brantingham, Paul (Hg.) (1991 [1981]): Environmental Criminology. Prospects Heigh: Waveland Press.

Brodeur, Jean-Paul (2002): Gewalt und Polizei. In: Wilhelm Heitmeyer / John Hagan (Hg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 259-283.

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Dupuis-Déri, Francis (2010): Nouvelles du front altermondialiste: l’armée de clowns rebelles tient bon. In: Les Cahiers de l’Idiotie 3, 213-250.

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Eick, Volker / Sambale, Jens / Töpfer, Eric (Hg.) (2007): Kontrollierte Urbanität. Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik. Bielefeld: Transcript Verlag.

Glasze, Georg / Pütz, Robert / Rolfes, Manfred (Hg.) (2005): Diskurs – Stadt – Kriminalität. Städtische (Un-)Sicherheiten aus der Perspektive von Stadtforschung und Kritischer Kriminalgeographie. Bielefeld: Transcript Verlag.

Graham, Stephen (2010): Cities Under Siege. The New Military Urbanism. London: Verso.

Jobard, Fabien (2012): Proposition on the theory of policing. In: Champ pénal, Vol. IX. http://champpenal.revues.org/8286 (Zugriff: 10.10.2014).

Klepto, Kolonel (2004): Making war with love: the Clandestine Insurgent Rebel Clown Army. In: City 8/3, 403-411.

Routledge, Paul (2012): Sensuous solidarities: emotion, politics and performance in the Clandestine Insurgent Rebel Clown Army. In: Antipode 44/2, 428-452.

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