Editorial

Redaktion sub\urban

Liebe Leser_innen,

nach zwei thematisch fokussierten urban-Ausgaben (Stadt und Migration und Illegalität – Stadt – Polizei) erscheint nun ein thematisch offenes Heft. Die Beiträge verbindet die Frage, was kritische Stadtforschung bedeutet und wie sie von der Theorie in die Praxis übersetzt werden kann. Sie reichen von der theoretischen Diskussion über eine künstlerische Auseinandersetzung bis hin zu empirischen Studien von Rio de Janeiro über Spanien und Deutschland bis in die Türkei.

Mit einer theoretischen Auseinandersetzung zum Potenzial der urban-policy-mobility-Forschung für die Analyse der Neuordnung des Städtischen eröffnet ein Beitrag von Jenny Künkel das Heft. Sie plädiert darin für ein stärkeres Zusammendenken politökonomischer und poststrukturalistischer Ansätze. Malte Steinbrink, Daniel Ehebrecht, Christoph Haferburg und Veronika Deffner vertreten am Beispiel von Rio de Janeiro – Austragungsort der Männerfußball-WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016 – die These, dass sozialräumliche Interventionen und Folgen solcher Megaevents in Städten des Globalen Südens drastischer sind als im Globalen Norden. Sie untersuchen das Spannungsverhältnis zwischen einer am Gemeinwohl orientierten Legitimation der Ausrichtung auf der einen und den tatsächlichen stadtpolitischen Strategien und Auswirkungen des Großereignisses auf der anderen Seite.

Michael Mießner und Thorsten Fehlberg widmen sich in ihrem Beitrag dem nach wie vor brisanten Problem der Wohnraumversorgung. Sie zeigen am Beispiel der studentisch geprägten Stadt Göttingen, dass auch abseits der Metropolregionen Mietpreissteigerungen und Wohnungsengpässe zu verzeichnen sind. Um frühzeitig die lokale Diskussion mit kritischen Argumenten zu beliefern, haben die Autoren in Absprache mit urban ihre Ergebnisse bereits am 16. Oktober 2014 im Göttinger Tageblatt veröffentlicht.

Die Debatte wendet sich dieses Mal der postkolonialen Stadtforschung zu. In seinem Auftakt formuliert Stephan Lanz eine Kritik an der eurozentrischen Perspektive, die in der deutschsprachigen Wissenschaft tief verankert ist. Er stellt den aktuellen Stand der Postkolonialismus-Diskussion vor, die einen Ansatz bietet, um Prämissen der westlichen Stadttheorie zu dekonstruieren. Was dies konkret für die Stadtforschung bedeuten kann, bespricht Lanz auf zwei Ebenen: Zum einem zeigt er anhand zweier konkreter Kämpfe in und um Berlin, wie grundlegende Verständnisse von Stadt und Zugehörigkeit in Frage gestellt werden. Zum anderen fordert Lanz, postkoloniale Forschung als methodischen und nicht nur als theoretischen Ansatz zu betreiben. Shadia Husseini, Laura Wenz, Kanishka Goonewardena und Jin Haritaworn kommentieren aus unterschiedlichen Perspektiven und wissenschaftlichen Disziplinen den Text. Die Debatte endet mit einer Replik von Stephan Lanz, in der er auf die Kommentare Bezug nimmt.

Ebenfalls aus einer postkolonialen Perspektive deutet Éric Macé im Magazinteil die Terroranschläge Anfang 2015 in Paris und setzt sie in den Kontext einer zunehmend radikalisierten Spannung zwischen Dschihadismus und dem ‚Krieg gegen den Terror‘. Weiter geht es im Magazinteil mit der andalusischen Stadt Almería, am Beispiel derer Olaf Tietje methodologische Möglichkeiten aufzeigt, wie (unsichtbare) widerständige Praktiken gegen die europäische Migrationskontrolle rekonstruiert werden können. Katharina Sucker untersucht den Zusammenhang zwischen ausgewählten Stadtentwicklungen und den Distinktionspraktiken der säkularen Mittelschicht in Istanbul seit den 1980er Jahren.

In diesem Heft gibt es weiterhin ein Interview von Nina Gribat mit dem Stadtforscher und Aktivisten Yaşar Adnan Adanalı. Darin wird das kollektive Kartierungsprojekt Networks of Dispossession vorgestellt, das sich während der Gezi Proteste in Istanbul formte und sich zum Ziel gesetzt hat, durch Kartierungen die Akteure und ihre verschiedenen Netzwerke sichtbar zu machen, die hinter verschiedenen Großprojekten in der Türkei stehen. Das Magazin wird abgerundet mit einem künstlerischen Stadtforschungsbeitrag von Albert Markert, der anhand von Kollagen die Veränderungen im Berliner Stadtteil Schöneweide untersucht – eine der Kollagen haben wir für die Titelseite dieser Ausgabe ausgesucht.

Als Ausblick zu weiteren Themen der kritischen Stadtforschung beinhaltet das Heft dieses Mal drei Rezensionen: Friederike Landau und Henning Mohr rezensieren Die Kunst des urbanen Handelns von Judith Leister und Anton Lederer, Philippe Greif die Studie On The Run. Fugitive Life in an American City von Alice Goffman und Lisa Vollmer das Buch Vom Häuserkampf zur neoliberalen Stadt. Besetzungsbewegungen und Stadterneuerung in Berlin und Barcelona von Armin Kuhn.

 

An dieser Stelle möchten wir euch außerdem einladen, unsere nächsten Ausgaben durch eine Spende oder eine Fördermitgliedschaft zu unterstützen. Auf unserer Homepage findet ihr mehr Informationen dazu.

 

Viel Spaß bei der Lektüre!

Die Redaktion

 

Laura Calbet i Elias, Mélina Germes, Nina Gribat, Johanna Hoerning, Stefan Höhne, Jan Hutta, Yuca Meubrink, Boris Michel, Kristine Müller, Carsten Praum, Nikolai Roskamm, Nina Schuster, Lisa Vollmer