Vom Zentrum an die Peripherie und wieder zurück. Eine kritische Reflexion über die städtischen Distinktionspraktiken der alten Istanbuler Elite

Katharina Sucker

Der Begriff der Mittelklasse ist in Istanbul schon lange nicht mehr aktuell. Nichtsdestotrotz wird er weiterhin genutzt. Dabei ist die Gesellschaft nicht nur durch riesige Einkommensdiskrepanzen gekennzeichnet, sondern sie ist auch mehrfach horizontal fragmentiert. Verschiedene soziale Gruppen wetteifern bei gleicher Kaufkraft um das Erbe und um die zukünftige Identität Istanbuls, was zu einer immer stärker werdenden stadträumlichen Segregation mit immer komplexeren städtebaulichen und architektonischen Ausprägungen führt.

Bestimmend sind dabei die Abgrenzungsversuche der alteingesessenen säkularen Istanbuler Bourgeoisie, die vor sich vor allem gegen die islamisch geprägte Wirtschaftselite des Landes richten. Diese „neureiche“ Elite hat sich, gefördert durch die neoliberale Wende der 1980er Jahre, in der Wirtschaftsspitze des Landes etabliert und findet heute in der Regierungspartei AKP ihre politische Repräsentation. Die Partei entstand aus den Rängen der ehemals durch die Verwestlichung Atatürks benachteiligten Bevölkerung des Hinterlands, die nun mit aller Kraft aus dieser (räumlich und sozial bedingten) Benachteiligung heraustritt. In punkto Lebensstil divergiert die alte von der neuen Elite vor allem durch ein völlig anderes Konsumverhalten. Obwohl beide Bevölkerungsgruppen wirtschaftlich gut aufgestellt sind, verschmäht erstere die Demonstration von Reichtum, während letztere ihren gesellschaftlichen Aufstieg stolz zur Schau stellt. Die alte Mittelklasse, welche das als vulgär empfindet, versucht dabei, durch ein Anpassen ihrer eigenen Ästhetik der Bescheidenheit, durch die sie sich von den „Neureichen“ zu unterscheiden glaubt, Ausdruck zu verleihen. Dies tut sie jedoch nicht durch Verzicht, sondern durch einen feinen materiellen Puritanismus, welcher nicht selten kostspielige Materialien und Verarbeitungsmethoden erforderlich macht.

Die komplizierten Diskursinnovationen, welche so durch die alte Elite zustande kommen, macht sie dadurch in vielen Bereichen des kulturellen Lebens zur Avantgarde. Obwohl zusehends wirtschaftlich und politisch benachteiligt, gibt die alte säkulare Elite im intellektuellen Milieu den Ton an. Die Architekturavantgarde, von der hier die Rede sein wird, geht aus ihren Rängen hervor, was nicht zuletzt an der gesellschaftlichen Verantwortung und Rolle liegt, die die Moderne den Architekten aufgetragen hat. Viele gut ausgebildete Architekten der modernen Schule sympathisieren daher mit den Vorstellungen und Aversionen der alten Elite. Als Erbe des westlich-modernen Lebens steht die innovative Architekturavantgarde heute nicht nur der neuen wirtschaftlichen Elite antagonistisch gegenüber, sondern auch der Regierung und der öffentlichen Baubranche.

In ihrem Diskurs verbindet die alte Elite die Neureichen mit Vulgarität und Kulturlosigkeit und schreibt ihnen so ein Profil sozialer Minderwertigkeit zu, das diese durch das Scheffeln von Geld kompensieren würde. Die Gier nach Geld wurde so zum Attribut einer unerwünschten Klasse und damit zu einem krankhaften sozialen Missstand erklärt. Weite Teile der alteingesessenen Istanbuler Elite zogen deshalb in den 1990er Jahren in andere Stadtteile, als ihre innerstädtischen Territorien, befähigt durch die steigende Kaufkraft der Neureichen, erobert wurden.

Im Jahr 1989 entstand daraufhin am nördlichen Stadtrand Istanbuls das Projekt Kemer Country, eine Wohnbausiedlung, die in utopischer Manier den Stadtflüchtigen der alten Elite eine Insel der Rettung bot. Kemer Country basierte auf der Idee des New Urbanism, welche zum Avantgardemodell des zivilisierten Lebens erhoben wurde, denn es befriedigte nicht nur die Abgrenzungswünsche seiner Bewohner_innen, sondern stellte durch Raumkonzept, Lage und Architektur auch eine sozio-kulturelle Selektion der Bewohnerschaft sicher. Die Siedlung bestand aus luxuriösen Villen, eingebettet in eine privat betriebene Parkanlage. Sie eröffnete denjenigen, die dort lebten, Sport- und Freizeitmöglichkeiten aller Art. Kemer Country markierte die Geburtsstunde der Istanbuler Gated Community.

Zehn Jahre später wurde die Gated Community, für die Kemer Country als eines der bedeutendsten Beispiele galt, an Istanbuler Universitäten viel und heiß diskutiert. Sie stand symbolisch für die Spaltung der Gesellschaft, zunächst nur in Arm und Reich, sowie für die Zersiedelung der Stadt und die Zerstörung des öffentlichen Raumes. Am meisten zitiert wurde dabei das Buch Setha Lows „Behind the Gates: Life, Security and the Pursuit of Happiness in Fortress America“ (Low 2003) und die Beschreibung Teresa Caldeiras (Caldeira 1999: 83):

„… fortified enclaves are privatized, enclosed and monitored spaces for residence, consumption, leisure and work. The fear of violence is one of their main justifications. They appeal to those who are abandoning the traditional public sphere of the streets to the poor, the marginal and the homeless.”

Die Forschung nach 2008 zeigt jedoch mit ihrer endlosen Zahl an Definitionen und Kategorien, dass die Gated Community in Istanbul weder mit einer bestimmten Lage, noch mit einer bestimmten Architektur in Verbindung gebracht werden kann und dass die Käufer_innen aus allen Einkommensschichten und sozial-kulturellen Gruppen stammen. Umso interessanter ist es zu sehen, wie fest die Gated Community heute im Diskurs der türkischen Architekturavantgarde verankert ist.

Erstaunlicherweise gilt die Gated Community dort mittlerweile als die Antithese des zivilisierten Lebens. Heute wird ihr Name vor allem in Verbindung gebracht mit dem jüngsten Appell an die Alteingesessenen, wieder in die Stadt zurückzukehren. Dabei ist es noch nicht allzulange her, seit es diese Leute aus der Stadt in den suburbanen Raum trieb. Wie kam es wohl zur Verunglimpfung eines Ortes, der erst kürzlich als neue Heimat erfunden worden ist, und wodurch ließen sich die Bewohner_innen von Kemer Country wieder zurück in die Stadt locken? Eine Antwort findet sich in den Jahren direkt nach dem Bau von Kemer Country. Der wirtschaftliche Aufschwung der 1980er Jahre ging in der Türkei mit der Gründung vieler Bau- und Immobilienfirmen einher, die nicht den Wünschen der alten städtischen Elite, sondern denen einer anderen Käufergruppe nachkam. Der Immobilienmarkt hatte sich um ein Segment erweitert, das die besserverdienende, regierungsnahe Mittelklasse bediente. In die ehemals bürgerlichen Stadtteile ergossen sich neue Investitionen.

Doch das Ausweichen der Alteingesessenen in den suburbanen Raum war im Zuge der territorialen Erweiterung nur ein Abgrenzungsmodel von kurzer Dauer. Schon nach wenigen Jahren setzte das Immobilien-Investment durch die neue Elite auch dort ein. Der dringende Wunsch, am New Urbanism teilzuhaben und so auch das zu bekommen, was den Bürgerlichen so begehrenswert erschien, hatte auf jene Gruppen der Stadtbevölkerung übergegriffen, die der eigentliche Grund für die Stadtflucht und die Geburt der Gated Community in Istanbul gewesen waren.

So wurde zu Beginn der 1990er Jahre damit begonnen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kemer Country ein kleines Waldstück zu roden, um eine Eigenheimsiedlung im Stil von Kemer Country zu errichten: Villen, eingebettet im Grünen, mit akkurat angelegter Wegeführung und Bepflanzung, privat betrieben und mit einem Zaun umgeben. Andere Projekte dieser Art folgten. Die von den Bewohner_innen von Kemer Country als prätentiös wahrgenommene neue Architektur bestand zunächst aus Replikas, die aufgrund stilistischer Inkohärenzen, überflüssiger Dekoration oder absurder Namensgebung als „schlechte Kopien“ bezeichnet wurden. So wurden zum Beispiel für die Eingangsbereiche der neuen Villen historisierende Elemente verwendet oder die Dachfirste mit osmanischer Ornamentik geschmückt. Solche ästhetischen Stilbrüche entlarvten die neuen Nachbarn trotz ihrer elitistischen Aspiration als nicht zugehörig zur westlich-puritanischen Welt der alt-bürgerlichen Elite. Im öffentlichen Raum gaben sich die Neuankömmlinge durch eine explizite Zurschaustellung ihrer Statussymbole zu erkennen: schwarze Range-Rover und Jeeps mit verdunkelten Fenstern, teure Uhren, Sonnenbrillen und Markenkleidung gesellten sich zur eklektizistischen Architektur ihrer Häuser und zeichneten ein Bild ostentativer Geschmacklosigkeit.

Veranlasst durch die Bezirksregierung, die größere Areale in direkter Nähe zu Kemer Country für Bauvorhaben erschloss, setzte rasch eine weiträumige suburbane Zersiedelung ein. Diese wurde von der Bezirksregierung noch weiter gefördert, indem sie großzügige Parzellierungen für die Grundstücke vornahm und die Mindestinvestitionsmarke im obersten Bereich ansetzte. Gab es im Jahre 1995 fünf private Siedlungen, so hatte sich ihre Zahl gerade fünf Jahre später weit mehr als verdoppelt. Nach dem Ausverkauf der besten Grundstücke präsentierte sich das ehemalige Waldgebiet am nördlichen Stadtrand als zusammenhangsloser Siedlungsbrei, der nahezu ausschließlich aus Gated Communitys bestand und den Raum zwischen den einzelnen Projekten zu einer reinen Transitzone verkommen ließ (siehe Abb. 1 und 2). Schon bald stieg jedoch auch das Interesse an diesen räumlichen Überresten; sie wurden durch mehrstöckige Apartments aufgefüllt, welche sich zu dritt oder zu viert hinter einem privilegiert anmutenden, goldumrahmten Willkommensschild versammelten.

Abb. 1 Karte der Gated Communities im Stadtviertel Göktürk von 1995 (Quelle: IABR) Abb. 2 Karte der Gated Communities im Stadtviertel Göktürk von 2009 (Quelle: IABR)
Abb. 1 Karte der Gated Communities im Stadtviertel Göktürk von 1995 (Quelle: IABR)
Abb. 2 Karte der Gated Communities im Stadtviertel Göktürk von 2009 (Quelle: IABR)

Für die Bewohner_innen von Kemer Country bedeuteten diese Entwicklungen nur eines: Der Traum von Suburbia war geplatzt. Heute haben das Urbane und das öffentliche Leben den Wunsch nach Intimität und Zurückgezogenheit abgelöst und locken die Stadtflüchtigen von damals wieder zurück ins Stadtzentrum. Motiviert sind jene aber vor allem durch die Schrecken der suburbanen Zersiedlung an der sie selber, obwohl sie dessen Pioniere waren, nicht beteiligt zu sein glauben. Dieser Schrecken ist es, dem heute eine fast fühlbare Sehnsucht nach der alten Heimat, der Stadt der Moderne, entspringt. Er ist es auch, der den jüngsten Architekturdiskurs in Istanbul prägt. Die Nostalgie des Lebens in der Stadt der Moderne speist sich aus dieser Antithese.

Die Wahrnehmung der avantgardistischen Architekturszene verbindet nicht nur die Geographie, sondern auch die weiträumige suburbane Bautypologie zusammen mit dem Eklektizismus und postmodernem Dekor zu einem Schreckensbild: dem der Gated Community. Die Gated Community als Sinnbild der Gier und Prahlerei beherbergt heute jedoch eine weitere, im Verborgenen liegende, Antithese. Sie ist nämlich nicht nur ein mit konkreten Kontexten und Attributen ausgestattetes Phänomen der Forschung, sondern auch ein Symbol der Avantgarde und somit auch der alten Elite. Dieses Symbol trägt in sich die schmerzliche Erinnerung an die Aneignung durch eine „sozial minderwertige, unrechtmäßig zu Macht gelangte Klasse“, und steht so, getränkt mit der Angst vor dem sozialen Abstieg, Pate für die Aversion vor dem „Kapitalismus für Jedermann“. Die Ursache für ihre Aversion, die die alte Elite in der Vulgarität der Neureichen und der Maßlosigkeit der Regierung sucht, wird durch die Gated Community repräsentiert. Die Gated Community beim Namen zu nennen, ist der Versuch der alten Elite, die soziale Grenze wieder herzustellen und so neue Sicherheit zu gewinnen.

Die alte Elite überließ den suburbanen Raum den „Spekulanten“ und gab sich dem Leben der Restaurants und Kaffeehäuser altbürgerlichen Ambientes hin. Die Urbanität im Zentrum der Stadt wird dabei als positiver Gegensatz zu der verbauten Enge am Stadtrand wahrgenommen. Trotz einer eigentlich höheren Siedlungsdichte scheint dabei die mit der Ästhetik der bürgerlichen Nostalgie versehene Dichte der Innenstadt eher den Vorstellungen von einer zivilisierten Stadtgesellschaft zu entsprechen. Der selbstverständliche Umgang mit dieser neuen Dichte, sie sogar zu genießen, demonstriert zudem, dass es trotz der städtischen Intimität möglich ist, Rücksicht auf die Nachbarn zu nehmen und dass dies ein soziales Attribut bestimmter Kreise ist.

Das von Swanke Hayden Connell 2009 entworfene Projekt „Bomonti Apartments“ im Bezirk Şişli zelebriert die Rückkehr des alteingesessenen Städters in die Stadt. Es überrascht daher nicht, dass sich in „Bomonti Apartments“ Zentrumsnähe, Urbanität und Dichte zu einem Bild der Stadt der 1940er Jahre verbinden, in denen Bomonti ein Vorzeigeviertel der damaligen Stadtplanung war. Die Architektur des Projekts erinnert an die planerischen Zeichnungen Henri Prosts, die er für eine Straße in direkter Nachbarschaft des Projekts angefertigt hatte, kurz nachdem er von Atatürk in das Amt des Stadtplaners berufen wurde. Und auch auf der Webseite des Projekts werden durch computergenerierte, scheinbar handgezeichnete Aquarelle modernistischer Städtebauszenen starke Assoziationen mit dieser Periode hervorgerufen. Eine solche Rückbesinnung auf die Moderne ist nur vor der Kulisse einer gescheiterten suburbanen Bewegung zu verstehen. Es ist der Versuch, wieder herzustellen, was zunächst in den 1980er Jahren im bürgerlichen Zentrum und dann 25 Jahre später am Stadtrand erneut verloren gegangen war – das Gefühl zu Hause zu sein. Ein Gefühl, das sich bei der alten Elite nur einzustellen scheint, solange das Bedürfnis nach Exklusivität befriedigt wird.

Abb. 3 Henri Prost Zeichnung
Abb. 3 Henri Prost Zeichnung

In einer Stadt, in der die Avantgarde rapide zum Mainstream verkommt und wo Territorien binnen kürzester Zeit von unerwünschten Nachbarn erobert werden, stellt sich dieses Gefühl, wenn überhaupt, nur für eine kurze Dauer ein. Noch bis in die 1970er Jahre wurde das Zuhause durch einen gestaffelten Wohnungsmarkt und eine fest daran gebundene Stellung in der Gesellschaft gewährleistet. Kam jemand aus bürgerlichen Kreisen, war es vom Einkommen – mitunter sogar nur vom Erbe – abhängig, ob er/sie sich ein Zuhause im angestammten sozial-räumlichen Umfeld sichern konnte. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg einer neureichen, den bürgerlichen Traditionen und Gewohnheiten nicht entsprechenden Schicht, erweiterte sich jedoch die vertikale Organisation der Gesellschaft, in der jede_r bürgerlich war, die/der in einem Viertel der Besserverdienenden zu Hause war, durch eine horizontale Ebene. Menschen mit völlig anderen kulturellen Ansichten konnten sich die Viertel der Altbürgerlichen leisten. Von diesem Zeitpunkt an war es nicht mehr nur das Geld, das die soziale Zugehörigkeit gewährleistete. Komplexere Strategien der Abgrenzung, räumlich wie sozial, wurden erforderlich. Auf der Suche nach einem neuen Zuhause zog es die alte Elite zunächst an den Stadtrand, wo sie ihrer Angst vor dem Verlust der sozialen Identität durch räumliche Distanz Abhilfe schuf. Der neue Standort untermauerte die Abgrenzung durch eine geographische Distanz. Die suburbane Architektur von Kemer Country vervollständigte durch ihren visionären Stil nur noch die Aneignung des neuen Raumes.

Die eigentlichen Mechanismen der Abgrenzung, die diesen Prozess der Aneignung begleiteten, zeigten sich in ihrer Unausweichlichkeit jedoch erst bei dem erneuten Richtungswechsel. Die Rückkehr in die Innenstadt markiert daher nicht nur geographisch eine Wendung um 180 Grad. Sie verinnerlicht die doppelte Umkehrung der Utopie – die scheinbare Rückkehr zum Ausgangspunkt. Sie verkörpert jedoch keine wahre Rückkehr, sondern markiert eine immer feiner werdende gesellschaftliche Spaltung entlang antagonistischer Grenzen durch eine innovative Veränderung der Raumsymboliken.

Abb. 4 Bomonti Apartments, Straßen­ansicht (Foto: Katharina Sucker) Abb. 5 Screenshot Bomonti Apartments
Abb. 4 Bomonti Apartments, Straßen­ansicht (Foto: Katharina Sucker)
Abb. 5 Screenshot Bomonti Apartments

Projekte wie Bomonti Apartments stehen nicht für eine bloße Rückkehr in die bürgerliche Stadt zu Zeiten der Republik. Trotz des Bezugs zur Vergangenheit stellt das Projekt einen völlig neuen Beitrag zum türkischen Architektur- und Stadtdiskurs dar, der sich aus der Abgrenzung von der Gated Community speist und aus einer Kombination alter und neuer materieller Anordnungen und Gewohnheiten herleitet. Bomonti, das Viertel, in dem das Projekt steht, ist auch nicht mehr das Bomonti, das sich die alte Elite ersehnt und an das sie sich zu erinnern glaubt.

Es ist dasselbe alte Viertel, das sie Anfang der 1990er Jahre verließ und das sich während ihrer Abwesenheit noch weiter gewandelt hat. Es ist hässlich, es ist nachverdichtet und seine Bewohner_innen kommen von überall her. Die Nostalgie allerdings gilt einem Bomonti, das weiter in der Vergangenheit liegt: einem Bomonti, dem die republikanische Vision der Stadtplanung zugrunde lag. Sie verändert die Ortswahrnehmung und lässt die mittlerweile stark verbaute Innenstadt in neuem, attraktivem Licht erscheinen.

Das Bedürfnis nach Nostalgie lässt die Immobilienpreise in den altbürgerlichen Bezirken in die Höhe schnellen. Doch auch hier setzen die Großinvestoren der neuen Utopie ein rasches Ende. Neben weitreichenden Flächensanierungen durch die öffentliche Hand und die gleichförmige Architektur vollverglaster Luxushotels in der Nachbarschaft kann sich Bomonti Apartments nicht behaupten. Vor allem aber hat es als privates Immobilienprojekt keinen Einfluss darauf, was sich außerhalb seiner Grundstücksgrenzen zuträgt. Steigende Grundstückspreise bringen neue, unerwünschte Investoren und schon bald wird das neu entdeckte innerstädtische Leben auch für die neue Elite zum Privileg erkoren. Das fortschreitende Absterben des öffentlichen Raumes und die Verdrängung der ehemals in Bomonti Gebliebenen lässt den Kampf um die Stadt nur allzu deutlich werden. Die Möglichkeit, sich den Raum anzueignen, beschränkt sich auf immer größer werdende Akteure im Immobilienmarkt und führt zur erneuten Marginalisierung des alten Bürgertums. Die maximale Erschöpfung der Raumresourcen durch privates Kapital und fehlende Investitionen in den öffentlichen Raum lassen die Grenzen, räumlich wie sozial, nur allzu deutlich hervortreten. Die Erfahrung von Kemer Country wiederholt sich.

Autor_innen

Katharina Sucker beschäftigt sich mit Diskursanalyse, Architekturtheorie und poststrukturalistischer Theorie.

urbanitiez@gmail.com

Literatur

Caldeira, Teresa (1999): Fortified Enclaves: The new urban segregation. In: Setha Low (Hg.), Theorizing the city. New Brunswick/ N.J.: Rutgers University Press.

Low, Setha (2003) Behind the gates: Life, Security and the Pursuit of Happiness in Fortress America. New York: Routledge.