Ein neues Gefühl liegt in der Berliner Luft, so um 1910. Der Dichter Ernst Blass erinnert sich:
„Was lag in der Luft? In der Luft lag vor allem van Gogh, Nietzsche, Freud, Wedekind. Gesucht wurde ein postrationaler Dionysos. Van Gogh: Das war der Ausdruck und das Erlebnis, dem Impressionismus und Naturalismus entgegengesetzt als flammende Tradition als Jünglingsechtheit, Unmittelbarkeit, Subjekttiefe; als Exhibition, Halluzination. Das Wort Expressionismus wurde von anderen gebacken, aber in unseren Kreisen segelte man schon lang in expressionistischen Wellen.“ (1965: 38)
Gewährsmänner werden genannt: Ein ‚wahnsinniger‘ Maler mit glühender Farbpalette, ein Philosoph, der ‚mit dem Hammer philosophiert‘, ein Seelenarzt des Sexus, der das Ich als Herrn aus dem eigenen Haus vertrieben hat und ein erotomaner Dramatiker und Bänkelsänger, der von der Zensur verfolgt wird. Das ‚neue Gefühl‘ soll jung, echt und ekstatisch sein, und es hat einen Namen: Expressionismus.
Dieses neue Gefühl realisiert sich in spezifischen Räumen, die zwanglose, ‚junge‘ Geselligkeit und Gemeinschaftserfahrung ermöglichen. Ein privilegierter Gefühlsraum in diesem Zusammenhang ist das Café. Der Bohemien Alfred Richard Meyer (alias Munkepunke) erinnert sich:
„Man kann sich heute beim besten Willen nicht mehr vorstellen, mit welcher Erregung wir abends im Café des Westens […] das Erscheinen des Sturm oder der Aktion erwarteten […] Alle Börsenberichte waren für uns von nebensächlicher Bedeutung. Wir selbst waren die neuen Marktwerte! Und jeder wußte darum. Wie heißt der neue Mann? Alfred Lichtenstein-Wilmersdorf. Und sein Gedicht ‚Dämmerung‘ betitelt. Verdrängt das das ‚Weltende‘ von Jacob Hoddis?“ (1965: 55)
Das obige Zitat unterstreicht vier Momente, die bezüglich der Frage nach Maskulinität, Expressionismus und ‚Gefühlsraum‘ wichtig werden: Die Existenz eines emphatischen ‚Wir‘ (im Folgenden ‚affektive Gemeinschaft‘), das Café als Raum der literarischen Praxis und der Performanz von ‚Dichtertum‘, die außergewöhnliche Bedeutung des Gedichts als Signatur und Kristallisationskern der Gruppenbildung und zuletzt die Tatsache, dass im doppelten Sinne nach dem ‚neuen Mann‘ gesucht wurde. Bei Letzterem ging es vor allem um einen ‚anderen Mann‘.
Der Dichter Max Herrmann-Neiße schrieb 1912: „Das Männlich-Starre, Kriegerische, Fatzken-Korrekte ist ja das feindliche Prinzip“ (2012: 14). Der Autor geht im selben Brief an seine Geliebte sogar so weit, sich der Männlichkeit gänzlich zu entledigen: „Ich – bin eigentlich gar kein Mann – nöh! (Wenn schon mehr Sinnlichkeit in mir explodiert, täglich, als bei so und so vielen Draufgängern monatlich nach außen!) – aber mir fehlt die Rücksichtslosigkeit und Gewissenlosigkeit und der so genannte Mut und alles Brutale dieser Helden“ (Brief an Lenie Gebert, 24.10.1912, ebd.: 43). Eine solche Ablehnung konventioneller wilhelminischer Männlichkeiten führte zur Suche nach neuen Modi des Gefühlsausdrucks. Diese bedienten unterschiedliche Register verstärkter Expressivität. Wie das anfängliche Zitat von Ernst Blass belegt, bürgerte sich für diese Kunst- (und Lebens-) Praxis die Sammelbezeichnung Expressionismus ein. Kurt Hiller, der Spiritus Rector der neuen expressionistischen Bewegung und Herausgeber ihrer ersten programmatischen Gedichtanthologie Der Kondor (1912) formulierte noch tastend: „Man stellt sich [unter Expressionismus] weniger einen Stil vor als eine […] Gefühlsart, der man allein bejahbar eine moralhafte entgegensetzt (Gesinnung, Wille, Intensität, Revolution); und man neigt dazu, den Stil, den diese neue Gefühlsart erzeugt, wegen seiner konzentrierten Hervortreibung des voluntarisch Wesentlichen Expressionismus zu nennen“ (zitiert nach Raabe 1987: 7).
Es scheint selbstverständlich zu sein, diese neue Gefühlsart ausschließlich männlich zu konnotieren.[1] Der Gründungsaufruf zum Neuen Club – der Berliner Keimzelle des literarischen Expressionismus –, bezieht sich programmatisch auf sechs Männer: Baruch Spinoza, Friedrich Nietzsche, Johann Wolfgang von Goethe, Oscar Wilde, Hugo von Hofmannsthal und Frank Wedekind (Schutte/Prengel 1987: 658).[2] Die Vorbilder der Clubmitglieder, zu denen unter anderem die Lyriker Georg Heym, Ernst Blass und Jacob van Hoddis zählten, verweisen auf unterschiedliche Referenzfelder der Dichtergeneration. Mit Baruch Spinoza verweisen sie gleichzeitig auf ein jüdisches Erbe – viele der jungen Dichter waren, wenn auch in der Mehrheit areligiös oder getauft, jüdischen Ursprungs – sowie auf eine monistische Philosophie des Affekts (im Gegensatz zur dualistischen Philosophie der europäischen Aufklärung von Descartes, Kant und Hegel). Friedrich Nietzsche steht für eine vitalistische Lebensphilosophie, eine radikale Kritik an der nationalen Borniertheit deutscher Zustände und für (über-)mensch/männliche Selbstbehauptung (zum Bezug des deutschen Expressionismus auf Nietzsche siehe Taylor 1990, zu Nietzsche und Kurt Hiller insbesondere ebd.: 60-88).
Die literarischen Referenzen sind etwas breiter aufgestellt. Neben Goethes sinnlicher Klassik wird Oscar Wildes satirische und dekadente Eleganz aufgerufen, gewiss aber auch der internationale Skandal um seine Homosexualität. Kurt Hiller, der zu den für seine Zeit äußerst seltenen bekennenden Homosexuellen gehörte, hatte Magnus Hirschfelds Aufruf zur Abschaffung des Paragrafen 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, mit unterschrieben. Mit Hofmannsthal wird ein jünglingshafter literarischer Ästhetizismus angesprochen und ebenfalls eine männerbündische homoerotische Dimension, wie sie sich im ‚Jungen Wien‘ mit Dichtern jüdischer Herkunft wie Hofmannsthal, Arthur Schnitzler und Max Beer-Hoffmann zusammengefunden hatte. Und zuletzt steht Frank Wedekind – wie schon in der anfangs zitierten Eloge von Ernst Blass – für einen von Kaiser Wilhelm II. wegen Majestätsbeleidigung und erotische Freizügigkeit juristisch verfolgten und zensurierten Kollegen und damit für politischen Protest und das aufziehende Klima einer ‚ersten sexuellen Revolution‘.[3]
Die oben aufgelisteten Gewährsmänner kartieren einen Gefühlsmodus, den ich ‚affektive Männlichkeit‘ nennen möchte. Die expressionistische Dichtergruppe Neuer Club, die im Folgenden in diesem Kontext gelesen werden wird, positionierte sich entschieden in der Moderne. Sie war sich aber gleichzeitig ihrer Marginalität bewusst. Sie gehörte einer vielfach geschmähten „unwillkommenen“ Avantgarde an (Schmiedebach 2006: 240) – die oben erwähnte erste expressionistische Gedichtanthologie wurde böse verrissen.[4] Sie war in Gestalt ihrer jüdischen Mitglieder dem zeittypischen politischen Antisemitismus ausgesetzt. Als junge, unverheiratete hetero- oder homosexuelle Männer litten die Mitglieder des Neuen Clubs generell unter einer Sexualrepression, die freien Verkehr unter den Geschlechtern sanktionierte und in Bezug auf Homosexualität mit den zeitgleichen Eulenburgprozessen (1907 bis 1911) ein Spektakel öffentlicher Empörung über die vorher wenig diskutierte ‚Perversion‘ inszenierte (Domeier 2010).
Bürgerliche wilhelminische Männlichkeiten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren durchweg soldatisch geprägt und sahen sich idealtypisch im preußischen adeligen Offizier verwirklicht (Szczepaniak 2011).[5] Sie waren vaterländisch eingestellt, das heißt sie hingen teutonischen Vorstellungen eines martialischen Deutschtums an, wie sie sich mit der Nationwerdung des deutschen Reichs 1870 entfaltet hatten (Frevert 1996). Auch war man mit den Großmachtträume von Wilhelm II. einverstanden, der sich in der kolonialen Aufteilung der Welt zurückgesetzt sah und entsprechend mit dem Säbel rasselte. Und zuletzt sahen wilhelminische Männlichkeiten im Vater die unumstrittene und unanfechtbare Machtinstanz der Familie. Insofern war für die marginalisierte affektive Gemeinschaft der jungen Expressionisten der Vater-Sohn-Konflikt endemisch. Eine Vielzahl von Dichtern aus dem Umkreis – Georg Heym, Franz Werfel, Walter Hasenclever und Franz Kafka – rieben sich lebenslang an diesem Problem auf, und viele kultivierten ein Jünglingsideal, das sich der familialen Herrschaftsform zu entziehen suchte (Dahlke 2006).
Will man, wie die Grundfragestellung des Aufsatzes vorgibt, Geschlecht/Maskulinität, Affekt/Gefühl und Raum zu sich ergänzenden Forschungsperspektivierungen bündeln, hat man es mit sehr unterschiedlichen und zum Teil recht neu kartografierten Erkenntnisachsen zu tun, die sich jeweils aus Defiziten oder Begrenzungen bisheriger Ansätze speisen. Sie schließen zum Teil an die sogenannten cultural turns an, die um die Jahrtausendwende ausgetretene Denkpfade herausgefordert hatten (siehe Bachmann-Mehdick 2010). Die ‚räumliche Wende‘ (Thrift 2007, Döring/Thielman 2008) gründet in der Kritik an der Übermacht der Zeiterzählung sowie ihrer Neigung zu Kausalität und Fortschrittsnarration, aber auch in einer neuen Aufmerksamkeit für die Materialität der Orte (Schlögel 2003: 51). Eine Erkenntnisperspektive auf unterschiedliche und zuweilen ko-präsente Maskulinitätskonzepte entwickelte sich aus der feministischen Kritik an Androzentrismus und männlicher Herrschaft. Sie hat es inzwischen neben den Gender Studies auch in Einzelsektionen der Soziologie (Bourdieu 1997, Connell 2006, Meuser 1998) und der Geschichtswissenschaft (Schmale 2003, Dinges 2005) zu einem gewissen Einfluss gebracht. Der emotional turn wiederum zielt auf gelebte Erfahrung und Befindlichkeit. Diese Neubetonung von Affekt/Gefühl richtet sich gegen die Neigung, die Welt allein nach ihrer sprachlichen Verfasst- oder Konstruiertheit zu beurteilen.
Es gibt einige Versuche, diese unterschiedlichen Neuperspektivierungen zu kombinieren. Überlegungen zu Raum und Geschlecht sind inzwischen in größerer Zahl erschienen, aber sie konzentrieren sich vorwiegend auf Weiblichkeit (Massey 1994, Löw 2001, Förschler et al. 2014). Raum und Gefühl werden ebenfalls in einigen neueren Erkundungen zusammengefügt.[6] Dabei wird immer die Relationalität beider Kategorien betont: „Raum wird durch menschliches Handeln […] konstituiert. Umgekehrt wirken Räume auf das Handeln und die Gefühle zurück“ (Lehnert 2011: 11). Andreas Reckwitz integriert beide Größen zur Kategorie ‚affective spaces‘. Er spricht in diesem Zusammenhang von „changing assemblages of artefacts in space“, die sowohl zu irritierenden Veränderungen urbaner ‚Atmosphären‘ als auch zur Formation neuer ‚affektiver Kulturen‘ geführt haben (2012: 256).
Die Emotionsgeschichtsschreibung lehrt, dass Gefühle keine ‚natürlichen‘ und schon gar keine unveränderlichen Entitäten sind, sondern spezielle emotives ausbilden, die sich an historisch spezifischen ‚emotionalen Regimen‘ orientieren (Reddy 2001). Der Emotionshistoriker William Reddy orientiert sich hier an Michel Foucaults Machtanalytik und insistiert darauf, dass Gefühle nicht als freier Selbstausdruck gelesen werden können, sondern sich historisch in jeweils mögliche/erlaubte Ausdrucksregime einfügen müssen (oder andernfalls als deviant oder ‚wahnsinnig‘ gelten). Die Kosten der notwendigen Disziplinierung können abgemildert werden, indem man in Gemeinschaften eine Binnensicherheit kultiviert.[7]
Im hier diskutierten Untersuchungszeitraum des Spätwilhelminismus übernahm eine Vielzahl von Männerbünden – studentische Corps, Vaterlands- und Schützenvereine, Soldaten- und Offiziersverbände sowie Turnvereine – diese stabilisierende Funktion. Wenn sich allerdings, wie im Fall der Expressionisten, Dissonanzen mit den herrschenden Gefühlsregimen ergeben, bilden sich neben den hegemonialen ‚emotionalen Gemeinschaften‘ sogenannte „marginal emotional communities“ heraus (Rosenwein 2006), in denen sich in Abgrenzung zum herrschenden Männlichkeitsideal Protest-Maskulinitäten entwickeln. Der oben erwähnte Neue Club war eine solche Gemeinschaft. Er bestand in großer Mehrzahl aus Studenten, meist aus der juristischen Fakultät. Die Friedrich-Wilhelm-Universität war durchsetzt von Burschenschaften mit ihren Kneipen- und Fechtritualen. Der Neue Club war insofern eine Gegengründung, weil seine Mitglieder im klassischen Verbindungswesen nicht nur keine Heimat fanden, sondern auch – insofern sie jüdischer Herkunft waren – massiv und organisiert abgelehnt wurden (Kampe 1987, Hammerstein 1995).
Das Projekt einer Gegen- oder Protestmaskulinität hatte sich, wie bereits erwähnt, zur Aufgabe gemacht, einen ‚neuen Mann‘ zu kreieren. Der spätere Dadaist Richard Huelsenbeck schrieb 1917 zu diesem ‚neuen Mann‘: „[E]r ist der Gott des Augenblicks, die Größe der seelischen Affekte, der Phönix aus dem guten Widerspruch, und immer ist er neu, der homo novus eigenen Adels, weil sein Herz ihm jede Minute die Alternative bereit hält: Mensch oder Unmensch“ (zitiert nach Nobs 1991: 92 f.). Man sieht an diesen Formulierungen deutlich, wie das ‚Neue‘ sich aus dem ‚Alten‘ konstruiert. Die ‚Größe‘ bezieht sich auf die Großmannssucht der ‚verspäteten Nation‘.[8] Und die Inanspruchnahme eines ‚neuen Adels‘[9] setzt sich von der nicht mehr zeitgemäßen Herrschaft des alten Adels des preußischen Offizier- und Junkertums ab. Huelsenbeck spricht vom neuen Mann als „dem Phönix aus dem guten Widerspruch“ (ebd.).
An dieser Stelle ist es sinnvoll, das Konzept der ‚emotionalen Gemeinschaft‘ in Richtung ‚affektiver Gemeinschaft‘ zu präzisieren. Leela Gandhi (2006) zum Beispiel spricht von politisch und ästhetisch radikalen Freundschaftsgruppen im britischen Fin de Siècle, die als „affective communities“ trotz der Ubiquität des Empire kolonialismuskritische Positionen bezogen. Der Philosoph und Affekttheoretiker Felix Guattari schlägt das Modell einer affektiven Gemeinschaft („affective community“) vor, in der nicht nur ein ‚Wir‘ zum Tragen kommt, sondern eine „multiplicity within oneself“ (1996: 216). Nach Guattaris Vorstellung ist es fruchtbar, wenn Menschen, die in einer handlungsfähigen Gruppe agieren, sich darüber hinaus auch als in sich widersprüchliche Einzelpersonen verstehen. Nur so seien Konformitätsdruck und konstitutive Ausschlüsse zu vermeiden. Das trifft insbesondere auf die Mitglieder der expressionistischen Gruppe zu, deren ‚andere‘ Männlichkeiten ja darin bestanden, nach jeweils besonderen Formen der Individualität zu suchen.
Ein Aspekt dieser Guattari’schen ‚Vielheit im Selbst‘ vermittelt sich über eine rückblickende Beschreibung des zeitgenössischen Gefühlsraums von Friedrich Schulze-Maizier, einem der Gründer des frühexpressionistischen Neuen Clubs:
„Offen gesagt: mein Verhältnis zu den Männern vom ‚Neuen Club‘ stand von Anfang an im Zeichen einer gewissen Ambivalenz, einer seelischen Doppelwertigkeit, wie ich sie in gleicher Ausgeprägtheit nie wieder erlebt habe. […] Wir sind damals nicht immer bequem füreinander gewesen […] manche der damals empfangenen Wunden haben lange geeitert und vernarbten nur schwer“ (1962: 332 + 337).
Solch andere ‚affektive‘ Maskulinitäten propagierten nicht nur ‚andere‘ Gefühle, sie erhoben Anspruch auf das Gefühl überhaupt. Im Manifest Über den dichterischen Expressionismus schrieb Kasimir Edschmid 1918: „Ihnen entfaltete sich das Gefühl maßlos“ (1982 [1918]: 46). Kurt Pinthus deklarierte 1915 im Manifest Zur jüngsten Dichtung, es gehe darum, „[d]ie Wirklichkeit […] durch des Geistes Bohrkraft, Beweglichkeit und Klärungssehnsucht, durch des Gefühls Intensität und Explosivkraft [zu] beherrschen“ (1987 [1915]: 70). Und Ernst Blass entdeckte – wiederum auf der Bühne des Cafés: „Ja, es war schon ein seelenvoller Kampf gegen die Erlebnislosigkeit, gegen die Stumpfheit, Trägheit und Gemeinheit der Philisterwelt. Im Café, da war die Seele noch etwas wert. […] Es war eine Erziehung zur Gefühlswahrheit“ (1965: 38).
Die junge Dichtergeneration wollte also ihre Gefühle steigern und deren Intensität explosiv machen. Die Phantasie richtete sich gegen kaisertreue preußische Männlichkeit, wie sie ein ebenfalls verehrter Gewährsmann, Heinrich Mann, im Untertan später beschreiben sollte, und gegen das militärisch Soldatische des Wilhelminismus. Freiwillig oder unfreiwillig (aufgrund von Judentum und/oder Homosexualität) am Rand der Gesellschaft positioniert, gruppierte man sich in ‚Brüderhorden‘ (Heppe 1987) an besonders affektgeladenen Orten mit einem besonderen Habitus – zum Beispiel auf der „Bühne des Cafés“ (ebd.) als anti-bürgerliche Bohemiens, in Vortragssälen als dramatische Rezitatoren eigener Arbeit und in Arbeitsräumen neu gegründeter Avantgardezeitschriften mit sprechenden Namen wie Sturm oder Aktion als Redakteure.[10]
Entsprechend dem Leitmotiv ‚Gefühlsraum‘/‚Raumgefühl‘ werden im Folgenden nicht nur ‚reale‘ Räume diskutiert, sondern, wie es für eine Dichtergruppe naheliegt, auch fiktive Räume, sowie die Frage, wie und wo beide hergestellt werden und was damit bei unterschiedlichen Rezipienten evoziert wird.
Die hier zu rekonstruierenden expressionistischen Gefühlsräume werden sich deshalb an zwei textuell zu erschließenden Achsen ausrichten: an neuen gefühlszentrierten Produktions- und Rezeptionsorten von Dichtern und Gedichten in den frühen 10er Jahren des 19. Jahrhunderts einerseits sowie an sich verändernden (Stadt-)Raumgefühlen und ihrer semantischen und formalen Verhandlung im Gedicht andererseits. Beide Untersuchungsperspektiven sollen einander jeweilig durchqueren und raumorientierte und emotionsgeschichtliche Kulturanalysen verbinden. Damit sollen „affective spaces“ im Sinne von Andreas Reckwitz (2012) erschlossen werden. Bei der Zusammenschau von Raum und Emotion soll im Untersuchungsgegenstand ‚expressionistisches Gedicht‘ ein spezifisches Energiefeld identifiziert werden, das als mentale Topologie bezeichnet werden kann.
Im Folgenden werden alternierend ‚Gefühlsräume‘, also metaphorische Räume und reale Räume gegenübergestellt. Es beginnt mit dem Gedicht als Artefakt und als fiktivem Raum, setzt sich fort mit ‚Raumgefühlen‘, nämlich den Orten der Gedichtproduktion (und ihrer Fiktionalisierung im Gedicht). Es wird sodann auf eine Dimension räumlicher Praxis, nämlich der Dichterlesung und deren emotionalen ‚Investitionen‘ übergegangen, um dann kurz das berühmteste Feld des expressionistischen Gedichtes zu streifen, das historische Ersterlebnis der Großstadt. Die oben angesprochenen prekären und ‚affektiven‘ Männlichkeiten werden dabei als Kräfte begriffen, die die künstlerischen mentalen Topologien prägen.
Der sogenannte linguistic turn oder die strukturalistische Wende beendete eine germanistische Tradition, in der noch selbstverständlich vom Gedicht als einer Gattung der Gefühlsverdichtung ausgegangen wurde, wo man entweder – mit Bezug auf Dilthey – von Erlebnislyrik oder aber von Stimmungslyrik sprach (siehe dazu Meyer-Sickendiek 2012: 2 ff.). Jürgen Link stellte dagegen 1976 das Gedicht als rein sprachliches Artefakt vor, dessen Wirkung auf „überstrukturierter Textkonstruktion“ (Link 1976) beruhe. Mit der allmählichen Akzeptanz von Emotionsforschung in der Neu-Germanistik (siehe dazu z. B. Huber 2004) haben sich die Gattungspoetiken des ‚Lyrischen‘ wieder stärker in Richtung des ‚Gefühls‘ verschoben. Burkhard Meyer-Sickendiek macht dabei die Kategorie des ‚lyrischen Gespürs‘ stark. Wie schon in seiner Studie Affektpoetik (2005) ist sein Projekt vorwiegend gattungspoetisch motiviert. Er rubriziert unter Modi wie dem ‚Magischen‘, ‚Leiblichen‘, ‚Sozialen‘, ‚Atmosphärischen‘ oder ‚Temporalen‘ Gedichte vom Barock bis in die Postmoderne, strukturiert aber die gesamte Studie nicht nach Epochenschwellen und Zeitschnitten. Insofern treffen seine Modellierungen auf alle Gedichte unabhängig von ihrer historischen Verortung zu. Die hier zu unternehmende Erkundung ist dagegen einer historisch konkreten Kontextualisierung verpflichtet. Konzentriert man das Augenmerk auf expressionistische Gedichte, scheinen spezifische mentale Topologien auf. Eine davon ist, das Gedicht selbst als Raum zu verstehen. Franz Werfel schreibt 1917 zum Gefühlsraum Gedicht:
„Der dichterische Raum ist zu vergleichen mit großem hallenden Hausflur, mit Inneren eines Domes, wo jedes Lispeln, jeder Schatten, jedes Bild, jedes Gerät sein Echo hat. Der Wert des Raumes besteht in der Armut seines Reichtums, in der Kargheit seiner vieldeutigen Gestalt […] Seine Gegenstände müssen sich sanft wehren gegen die Raserei des Zeitlichen, so wie das Dunkel einer Kirche sich gegen den Farbenrausch der festlichen Menge und gegen die Stürme des Gesanges zu wehren scheint“ (1960: 162).
Im literarischen Expressionismus ist das Gedicht das privilegierte Vehikel für ‚Gefühlswahrheit‘. Der Realismus war für die Prosa und der Naturalismus fürs Drama bekannt geworden. Im Expressionismus, so wird behauptet, werde das Gedicht sozusagen neu kreiert. Es sei ein:
„Komplex von Worten […in dem], das allerhand zerebrale, […] allerhand Wollungen […] ineinander schmelzen und einig zusammenfließen mit dem Weltgefühl, das unsere Seele kennt. All dies gemischt und gefaßt in das Gesetz einer Form – Das Gedicht ist da […] Ich setzte als Ziel der Gedichtschreibung: das pathetische Ausschöpfen dessen, was dem entwickeltsten Menschentypus täglich begegnet“ (Hiller 1913: 117+ 119).
Gedichte wurden bildlich gesprochen ‚auf Fahnen geschrieben‘, die vorangetragen wurden. Expressionisten verstanden sich als ‚Avantgarde‘. Als räumliche Metapher des Voranschreitens, oder, wie Walter Fähnders richtig bemerkt, als „Vorhut-Metapher“ (2002: 76) bezeichnet Avantgarde eine vorwärtsgewandte Bewegung im Raum.
Um das Spannungsfeld von Gefühlsraum, Raumgefühl und affektiver Maskulinität auszuloten, werden hier expressionistische Gedichte als soziale Körper oder auch als Figurationen gelesen. Dabei sollen Gedicht/Dichter_innen/Leser_innen/Hörer_innen als interagierende Größen, als Ko-Produzent_innen verstanden werden. Im Folgenden werden zunächst Autor/Dichter, dann Leser_in/Publikum und zuletzt Artefakt/Gedicht betrachtet.[11]
Zunächst zur Autorposition und damit zum Gedicht „Der Dichter“ (1913) von Franz Werfel.
Ich bin nur wie Glas
Durch mich schleudert die Welt ihr schäumendes Übermaß
Die anderen sind wie Eisen und Holz
Auf ihren Charakter der Undurchschaubarkeit stolz
Manchmal schaun sie zu mir hin
Und sehn mich nur, wenn ich vom durchdringendem
Strom blind und qualmig bin
(Hiller 1989: 132)
Franz Werfel versteht sich hier nicht als souveräner Kreator, sondern als Gefäß (Raum), durch das die zu gestaltende Außenwelt hindurch schießt: Der Dichter/Autor ist damit kein Seher, sondern ein Sender, der einerseits auf seine Aufnahme-Umwandlungskapazität stolz ist, andererseits zwischen dem Sich-Durchströmen-Lassen und der ‚Banalität‘ seiner Dichter-Persona einen Widerspruch sieht. Der Dichter verfügt zwar über eine privilegierte Substanz (Glas statt Holz) und Sensitivität, aber das Lauschen auf den kreativen Tumult in seinem Inneren macht ihn unansehnlich und unkommunikativ. Der Gefühlsraum Schreibprozess ist damit ein prekäres Gelände, das dem Dichter/Produzenten zwar zu ‚ozeanischen‘ Gefühlen verhilft, ihn aber gleichzeitig zur Einsamkeit verurteilt.
Das affektiv widersprüchliche Erleben des Schaffensprozesses – als von störenden Äußerlichkeiten beeinträchtigtes Ringen – korrespondiert mit der Schilderung der Banalität des Ortes, in der Dichtung entsteht. Hanns Wilhelm Eppelsheimer ironisiert in „Ein Dichter steht auf“ (1913) sein Nachtlager:
Der Ansturm eines werdenden Gedichts
weht mich aus dem zerwühlten Pfühl
Ich hab das Gefühl,
als wär dies der Morgen des Gerichts
als fänd ich heut der Dinge Wesenheit […]
(Mistral 1913: 15)
Nach der Erhebung freilich legt er sich wieder nieder, damit er „einsam bleibe, blaß und groß“ (ebd.).
Interessant ist, dass viele thematisch ähnliche Gedichte einen Widerspruch konstruieren zwischen der Ärmlichkeit oder Banalität der Dicht-Orte, die bei den sehr jungen Dichtern häufig noch Kinderzimmer in Elternwohnungen waren oder möblierte Absteigen und dem viel größeren Gefühlsraum der Stadt und der Straße. Alfred Wolfenstein schrieb in „Knabenacht“ (1914):
Ich will aus diesen feindlichen Zimmern fort,
Darinnen auch die häßlichsten Bilder nicht
So alt, so roh, so leer mich ansehen
Wie meiner Eltern verzankte Augen.
Der Straße zu! Die streichelnde Laute sang.
(Wolfenstein 1917: 8)
Selbst die zeitgenössische Presse registrierte einen Widerspruch zwischen den hochfliegenden Gefühlsräumen der jungen Lyriker und ihren konkreten Raumgefühlen und Dichtorten. Die Berliner Zeitung am Mittag schrieb 1912:
„Manchmal mal’ ich mir aus, wie heute ein junger Dichter in Berlin leben muß. Morgens, wenn er in irgendeiner gleichgültigen Mietwohnung, die er nur mit Mühe vom Allergeschmacklosesten, als da wären chinesische Fächer, Sofadeckchen, Familienbilder, gesäubert hat, erwacht ist und seinen dünnen dubiosen Wirtskaffee verschluckt hat, steht der ganze ewige, neu zu füllende Tag vor ihm“ (zitiert nach Decker 2011: 15).
Der Journalist entwirft hier eine Prosa des Alltags, die das erwünschte lyrische Hochgefühl herunterzieht: Überdekorierte verplüschte Räume, visuell und geistig zugestellt mit fremden oder nicht als eigen anerkannten Familiengenealogien. Hier kann keine kreative ‚Atmosphäre‘ entstehen. Das Raumgefühl zerstört den Gefühlsraum.
Der Dichter muss ins Offene, oder in Öffentlichkeiten, wo er seinesgleichen trifft. Er will, dass sein Werk gesehen, wahrgenommen und gelesen wird. Eine zentrale Institution dieser Veräußerung ist die Dichterlesung.
Wohl in keinem anderen Modus der Existenz von Gedichten überschneiden sich physischer und mentaler Raum so radikal wie in der Situation der öffentlichen Gedichtlesung. Alles klingt zusammen: Die Vortragsräume – in der fraglichen Zeit handelte es sich meist um Cafés, untermalt von Kellnerschritten und Geschirrklappern –, die Inszenierung des Dichters am Pult, die Erwartungserregung des Publikums, das größtenteils selbst aus Bohemiens und für die Zeit ungewöhnlich vielen Damen bestand, und die Stimme des Dichters, die sein Kunstwerk zum Leben erweckt.
Damit das Gedicht das Publikum erreicht, muss, um im Vokabular der klassischen Rhetorik zu sprechen, eine Affektbrücke entstehen (Lausberg 1990:151).[12] Diese Affektübertragung wird noch intensiviert, wenn sie einen kollektiven und personal interaktiven Gefühlsraum erzeugt, das heißt wenn sie gleichzeitig ein gemeinschaftlich geteiltes Raumgefühl herstellt. Bei einer Gedichtlesung wird eine Übertragung zwischen Vortragendem und Publikum jenseits des semantischen Verstehens angestrebt, eine ‚Korrespondenz der Gefühle‘.[13] In der expressionistischen Stimmungslage wirkte Jacob van Hoddis’ viel zitiertes Gedicht „Weltende“ (1911) beispielhaft für solche Affektbrücken zum Leser:
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
(van Hoddis 1987: 19)
Johannes R. Becher schrieb nach der Lektüre von „Weltende“: „Meine poetische Kraft reicht nicht aus, um die Wirkung jenes Gedichtes wiederherzustellen […] Wir riefen sie uns gegenseitig über die Straße hinweg zu wie Losungen, wir saßen mit diesen acht Zeilen beieinander, frierend und hungernd, und sprachen sie gegenseitig vor uns hin, und Hunger und Kälte waren nicht mehr“ (1957: 101 f.). Der Text von Becher bestätigt die Hypothese, dass Gedichte selbst als Gefühlsräume und Raumgefühle erlebbar waren. Die vom Gedicht erfüllten Körper entäußerten sich im Raum und das Gedicht verselbständigte sich als Kommunikator. Das Gedicht setzte sogar die materielle Welt von Hunger und Kälte außer Kraft und stiftete affektive Gemeinschaften.
Im Gegensatz zum vormals privaten Werkvortrag, den der Autor vor ausgesuchten Freunden und dem Verleger häufig in Privatsalons abhielt, wurde die Lesung zu einer öffentlichen Institution. In gemieteten Cafés und Sälen wurden Gedichtvorträge (durch Autoren oder Schauspieler) mit philosophischen oder essayistischen Vorträgen kombiniert und damit zur Bühne des neuen Weltgefühls. Auf diese Weise entstand eine vollständig neue Aufführungskultur. Paul Raabe schreibt retrospektiv: „Georg Heym, Else Lasker-Schüler und Ernst Blass lasen ihre Dichtungen wie Provokationen einem erstaunten, zustimmenden oder ablehnenden Publikum. Das war ein neuer Anfang“ (1964: 2).
Stefan Zweig kommentiert 1909 die neu entstehende Lesungskultur als Evokation eines ‚neuen Pathos‘, das damit an die alte Tradition des antiken Theaters anknüpfe:
„Eben in unseren Tagen scheint sich wieder eine Rückkehr zu diesem ursprünglichen, innigen Kontakt zwischen Dichter und dem Hörer vorzubereiten, ein neues Pathos wieder zu entstehen. Das Theater war die erste Brücke zwischen Poesie und der Menge. Aber noch hier war der Schauspieler Mittler des gesprochenen Wortes […] Die Dichter lesen heute wieder selbst in Sälen ihre Verse vor […] Wieder wie einst scheint der lyrische Dichter wieder befähigt, wenn nicht der geistige Führer, so doch der Bändiger und Erreger ihrer Leidenschaften zu sein“ (1913: 113 f., Herv. d. A.).[14]
Zentral dabei ist der Akt des Vorlesens, also der Sprechakt. Mitbegründer des Neuen Clubs Erwin Loewenson, ein Verehrer von Spinoza und dessen Affektlehre[15], sieht in ihm die notwendige Voraussetzung für das Kunstereignis:
„Indem man nämlich die Verse s p r i c h t […] wird man in die physiologische Constellation gebracht […] zu dem sich das Affektgefühl n o t w e n d i g einstellt. […] Erst durch dieses Hinzukommmende […] wird der gewöhnliche Wortsinn […] zu dem Kunstinhalt umgeschaffen“ (1983: 333, Herv. i. O.).
Das Sprechen von Gedichten bringt also jene Affekte zur Entfaltung, derer das Artefakt bedarf, um ein Kunstwerk zu werden. Hier trifft sich der physische Aspekt von Expressivität mit der Wortsetzung. Damit ist ein besonderes affektives Element benannt, das für die Avantgarden der Zeit – Expressionismus, Dadaismus – typisch war. In diesem Falle würde der mündliche Gedichtvortrag durch den Autor – mit dem Gefühlshistoriker Reddy gesprochen – zu einem emotive, nämlich zu einer Tatsachen schaffenden Gefühlsäußerung. In Anlehnung an das Performativitätskonzept versteht Reddy darunter „instruments for directly building, hiding, intesifying emotions“ (2001: 105). Sara Ahmed drückt das noch radikaler aus und sagt: „[E]motions do things and work to align individuals with collectives“ (2004: 91).
Wie sich diese gewünschte Intensität in den Raum übersetzt, zeigt eine zeitgenössische Reportage einer Lesung an:
„‚Der Neue Club‘ (Dichter und Denker jüngster Generation) veranstaltet allmonatlich seinen ‚Cabaret‘-Abend. In dem dichtgedrängten Saal irgendeines Cafés, bald hell, bald verdunkelt lauschen 250 Personen, Studenten, Bohemiens, Schauspieler, Maler, Schriftsteller (darunter auch manch bekanntes Gesicht), Männlein und Weiblein, grotesk in Farben und zarten Seiden, lauschen, lachen, klatschen, zischen, werden hinausbefördert, freun sich und wollen etwas. Die Kerle haben Mut […] sie genieren sich nicht; es liegt etwas Freies, Freigewordenes in dieser Atmosphäre“ (Tuchmann 1910: 3).
In dieser kurzen Passage werden zentrale Elemente der zeitgenössischen mentalen Topologie im Zusammenhang mit dem expressionistischen ‚Aufbruch‘[16] deutlich. Obwohl das Publikum status- und geschlechtsmäßig unterschiedlich zusammengesetzt ist, bildet es eine ‚affektive Gemeinschaft‘, die – in einer gerichteten Intensität vereint – Besonderes von der Darbietung, sich selbst und dem Gruppenerlebnis erwartet. Die Intensität äußert sich in kollektiver aufgeregter Unruhe („klatschen, zischen, freun sich“). Die physische Nähe (sie sitzen „dichtgedrängt“) erzeugt ebenso wie die gelegentliche Verdunklung Intimität, was umso bemerkenswerter ist, als zu dieser Zeit ’kaum ‚Räume‘ für gemischtgeschlechtliche Zusammenkünfte unverheirateter junger Leute existierten. Der Schonraum Kunst mag vielen bürgerlichen Töchtern als Vorwand für den Ausgang gedient haben und für sie und die (Selbst-)Darsteller der Bohème die Gelegenheit gewesen sein, mit auffälliger (modischer oder exzentrischer) Kleidung auf sich aufmerksam zu machen. Prominenz mischt sich mit Möchtegerns, und der gemeinsame Resonanzraum[17] ist, sich modern, avantgardistisch und mutig zu fühlen („die traun sich was“).Unter diesen Umständen ist eine Affektbrücke zwischen Dichter und Publikum leicht herzustellen, wie es Erwin Loewenson 1958 über eine Lesung von Jacob van Hoddis berichtete:
„[B]eim Vortrag seiner Gedichte konnte ihn niemand ersetzen; seine Stimme dramatisierte sie so suggestiv, als entstünde sein Gedicht erst jetzt. Wort für Wort, Zeile um Zeile. Seine Stimme sonst samtartig dunkelweich, nahm beim Vortrag einen Glanz von Stahl an […] Am unverblümten Schluß mancher Gedichte durchbrach sein ganzes Gesicht ein Lachen, das man nicht anders als ‚diabolisch‘ nennen kann – und das dennoch nicht abstoßend, gemein brutal war, sondern die gutherzigste Sympathie mit der Zuhörerschaft zeigte. Auf dem Podium glühte er auf“ (zitiert nach Nürtemann 1987: 32).
Max Herrmann-Neiße beleuchtet mit dem ironischen Gedicht „Der Mann am Vortragspult denkt“ (1914) – das gleichwohl einen antisemitischen Beigeschmack hat – die Perspektive des Vortragenden aus einem anderen Blickwinkel. Sozusagen aus der Angst des Dichters vor dem Publikum:
Köpfe kugeln kahl und spitz wie Kerzen
Und runden rot wie Kinderluftballons,
Um die Brüstung meines Sprechbalkons,
Und viele Hände zielen schroff nach meinem Herzen
[…]
Einer tut, als ob er lächeln müßte,
Und ein Jude juckt sich überlegen.
Eine bringt mir ihren Mund entgegen,
Und ich beiß mein Gedicht in ihre Brüste.
(1914: 6 f.)
In diesem Gedicht wird die oben angesprochene Affektbrücke einerseits buchstäblich gemacht, und sie wird als eine two-way street beschrieben. Den Vortragenden ängstigt zunächst die Anonymität des Publikums und die Unwägbarkeit, dass er ihm missfallen könnte. Hier fürchtet er Verletzungsgefahr („Hände zielen schroff nach meinem Herzen“). Doch schließlich trifft der Blick des lyrischen Ichs auf eine, die sein Gedicht berührt hat. Diese Person geht ihm sozusagen auf der Affektbrücke entgegen. Darauf springt der Autor/Vortragende oder vielmehr sein Gedicht diese Person an und ‚beißt in ihre Brüste‘. Damit wird am Schluss eine komplexe soziale Interaktion in eine sexuelle Eroberung übersetzt, die der Autor/Vorleser sozusagen an sein Gedicht delegiert. Man kann auch sagen, dass die erotisierte Raumatmosphäre der modernen Dichterlesung hier buchstäblich wird.
Die Signatur dieser Dichtergeneration ist die Großstadt. Ernst Blass’ berühmte Gedichtzeilen „Die Straßen komme ich entlanggeweht / Mit weichem Glücke bin ich ganz belaubt“ (1912: 11) gestalten die Stadt als affektiv aufgeladenen Ort, als ‚Metropolenzauber‘ (Dietze/Dornhof 2014). Das generelle (Stadt-)Raumgefühl war um die Jahrhundertwende im Umbruch. Wie vielfach belegt (NGBK 1987, Matejovski 2000, Killen 2005), kam es innerhalb sehr kurzer Zeit zu perzeptiven Revolutionen: Es wurde voller – innerhalb von 50 Jahren wuchs die Bevölkerung Berlins von 500.000 im Jahr 1860 auf 2 Millionen (1905). Es wurde lauter – zum Pferdegetrappel gesellten sich die ersten Motorvehikel, die Straßenbahnen quietschten. Und es wurde heller aufgrund der Einführung von Gas- und ab 1882 elektrischer Straßenbeleuchtung (Schivelbusch 1992). Ein Werbeplakat der Lampenfirma Osram aus jener Zeit zeigt einen weinenden Mond, der als Hauptbeleuchter nächtlicher Straßen seine führende Stellung verloren hat.Um Licht geht es auch in einem Auszug des Gedichtes „Schräge Schale“ (1912) von E. A. Greven. Es zeigt den Übergang von der Naturmetaphorik, die noch die stadtabgewandten Gedichte der ästhetizistischen Tradition etwa von George, Rilke und Hofmannsthal geprägt hatte, zum Metaphernraum Stadt. Interessanterweise wird das Gedicht aus der Wir-Perspektive des Naturlyrikers erzählt und eine kritische Ihr-Perspektive auf die Stadtdichter aufgemacht:
Vor euch in den Städten schämt sich der Mond,
denn ihr habt Bogenlampen und knatternde Wagen,
an die ihr eure Süchte hängt … die eure Erregungen tragen.
Aber wir: unsere Breiten und Hügel hängen wie blaßrote Leiber
und der Mond an den Seilen des trunkenen Himmels […]
(E. A. Greven in Mistral 1913: 14)
Der zivilisationskritischen Variante von Greven setzt Wilhelm Lotz (1916) eine ekstatische Version entgegen:
Die Nächte explodieren in den Städten,
Wir sind zerfetzt vom wilden, heißen Licht,
Und unsre Nerven flattern, irre Fäden,
Im Pflasterwind, der aus den Rädern bricht.
(Vietta 1985: 36)
Wilhelm Lotz übersetzt das Stadt-Raumgefühl unmittelbar in viskerale Sensation. Der ‚Städter‘ sieht nicht nur die neue Helligkeit, sondern er ist „zerfetzt vom wilden, heißen Licht“. Die Nerven reagieren nicht auf Lärm, sondern sie flattern als physische Entitäten im Fahrtwind der Räder. Mit seinem Bezug auf die Nerven schließt Lotzens Gedicht direkt an den zeitgenössischen Neurasthenie-Diskurs an (Radkau 1998) und übrigens auch an Polemiken gegen moderne Kunst, die vielfach als ‚Nervenkunst‘ bezeichnet wurde (Worbs 1988).
Das Haus, das Häusermeer wird zu einem beherrschenden Topos der Stadterfahrung. 1918 schreibt Kasimir Edschmid:
„Das Haus ist nicht mehr Gegenstand, nicht mehr nur Stein, nur Anblick, nur ein Viereck mit Attributen des Schön- und Häßlichseins. Es steigt darüber hinaus. Es wird so lange gesucht in seinem eigentlichsten Wesen, bis eine tiefere Form sich ergibt, bis das Haus aufsteht, das befreit ist, vom dumpfen Zwang der falschen Wirklichkeit […] bis es schwebt oder einstürzt, sich reckt oder gefriert, bis endlich alles erfüllt ist, das an Möglichkeiten in ihm schläft“ (1982: 47).[18]
Die Stadt ist nicht nur draußen, sondern sie kriecht nach drinnen. Alfred Wolfenstein schreibt im Gedicht „Gewitter“ (1917):
[…] Und ich ganz blind
Im Augenblick des Blitz
Breite mich aus auf meinem Sofa
Wie ohne Haupt, auf meinem Herzen,
Nur auf dem warm durchflossenen Herzen!
So fühlend liegt
Mit mir, so unelektrischen Gefühls,
die ganze Stadt mit mir entspannt. […]
(1917: 18)
Innen und außen verschwimmen, so als seien die Wände nur Membranen, durch die die Stadt in die Zimmer hineindiffundiert. Das Vermischen von Innen und Außen mit dem Dichter als Membran (hier konkret als Blitzableiter und/oder Stromleitung) markiert einen spezifischen Modus expressionistischer (Gefühls-)Raumgestaltung. Das Gedicht wird hier Akteur und schafft affective spaces, die sowohl den Dichter als auch die Stadt durchfließen.
Wie schon an Edschmids Auflösung des Hauses zu sehen, werden physische Gegebenheiten in psychische Zustände übersetzt, oder anders ausgedrückt: Materielles wird animiert und Humanes materialisiert. Das psychische und gleichzeitig physische Ich dehnt in Ernst Wilhelm Lotzens Gedicht buchstäblich Hausmauern:
Ich flamme das Gaslicht an.
Aufrollendes Staunen umprallt die vier Zimmerwände
Ich fühlte mich dünn in der Mitte stehn
Verkrampfe in Taschen klein meine Hände:
Die Mauern bauchen aus, vom Dröhnen geschwellt […] [19]
Die in diesem Gedicht beobachtbare Raumauflösung durch eine Sprache der Gefühlstatsachen und die Abtrennung des Lyrischen Ichs vom Gedichtgeschehen verabschiedet „die Vorstellung von Autorschaft als Herrschaft über die dargestellte Welt“ (Wende 99: 27). In Wolfensteins Gedicht wird die Stadt zum handelnden Subjekt. In Lotzens Gedicht ‚bauchen‘ die Mauern aus, der Gedichtinhalt verurteilt das lyrische Ich zu erschreckenden Erfahrungen.
Diese verlangen nach neuen Ausdrucksformen. Damit stoßen einige der expressionistischen Dichter auf ein epistemologisches Problem, nämlich, die Angemessenheit der tradierten Sprache für neue Erfahrungsdimensionen zu reflektieren. So notiert der expressionistische Kunsthistoriker Carl Einstein: „Ich weiß schon sehr lange, dass nicht nur eine Umbildung des Sehens möglich ist, sondern auch eine Umbildung des sprachlichen Äquivalents der Empfindung“ (Einstein 1994: 8).[20] Als These kann hier formuliert werden, dass diese ‚Umbildung des sprachlichen Äquivalents der Empfindung‘ besonders gut im Gedicht möglich war. Es stellte wegen seiner Überstrukturiertheit und Verdichtung das adäquate Medium für eine neue sprachliche Fassung einer neuen Wirklichkeit dar. Das historische Ersterlebnis einer metropolitanen Reizüberflutung um die Jahrhundertwende findet im Gedicht eine zelebrierbare, gemeinschaftsstiftende und akklamationsfähige Form. Diese ihnen durch die Moderne zugefallene Aufgabe bewältigten die Dichter, indem sie sich in affektiven Gemeinschaften zusammentaten. Im Finden neuer emotives entstanden neue emotionale Regime, die man für das kurze ‚expressionistische Jahrzehnt‘ auch ‚affektive Maskulinität‘ nennen kann.
Die kritiklose Affirmation von Affekten barg Risiken für die jungen Dichter, weil damit Affekt als oppositioneller Wert an sich missverstanden werden konnte. Nicht realisiert wurde dabei die gleichzeitig stattfindende Ideologisierung von Affekten in kulturell codierte Gefühle. Das erwies sich als besonders problematisch im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg. Georg Heym (1960), der den Krieg zwar selbst nicht mehr erlebt hat, steht trotzdem beispielhaft für die Überbewertung des Affekts und die Unterbewertung der Form, in der er sich äußern sollte. Friedrich Schulze-Maizier, Dichterfreund aus dem Neuen Club, berichtet von einer Äußerung Heyms im Jahr 1910:
„Mitten im Getriebe der Bülowstraße blieb Heym plötzlich stehen, faßte mich am Arm und sagte mit grollender Leidenschaftlichkeit: ‚Nun schauen Sie sich einmal um. Wie gehetzt, wie hohl, wie gottverlassen! Dass kann nicht bleiben, das muß zugrundegehn. Irgendetwas Ungeheures muß kommen, ein großer Krieg, eine Revolution oder sonst was. Aber nur nicht so weiter“ (1962: 15).
Es kam weder die Revolution noch ‚sonstwas‘, sondern der Krieg. Vier Jahre später. Und hier begann die Anrufung von konventioneller Männlichkeit wieder wirksam zu werden. Zwar hatten sich die expressionistischen Dichter in ihrer ‚Protestmaskulinität‘ heroisch und mutig gefühlt. Auch war der Avantgarde-Habitus durchaus eine Strategie der ‚Ermannung‘. Aber ihre Selbstorganisation in homosozialen Gruppen, die nicht ohne homoerotische Dimension waren,[21] die Propagierung von Gefühlstiefe, schöpferischer Erregung und verstärktem Ausdruck (Expression) sowie die Teilnahme vieler jüdischer Männer, denen es nach gängigem Vorurteil an Virilität mangele (Boyarin 1997), ließ sie nun im Angesicht des Krieges verstärkt als unmännlich erscheinen.[22]
Die Zurückweisung dieser Anrufung spielte sicher eine nicht unwichtige Rolle bei der zunächst einmal unerwarteten Kriegsbegeisterung junger Expressionisten. Der Maler und Dichter Oskar Kokoschka notierte im September 1914, es wäre eine „ewige Schande“ gewesen, „zu Hause gesessen zu haben“ (zitiert nach (Dogramaci/Weimar 2014: 22).[23] Obwohl sich fast alle der hier diskutierten jungen Dichter gegen soldatische und studentische Mannbarkeitsriten gewandt und deutlichen Abstand von Vaterländischem genommen hatten, meldeten sich viele Expressionisten freiwillig an die Front. Die Hoffnung war, dass ein großer Affektsturm all das Erstickende hinwegfegen möge, was sie bislang eingeschnürt hatte. Anders als bei ‚normalen‘ Kriegsfreiwilligen äußerte sich ihre Kriegsbegeisterung nicht in chauvinistischen kaisertreuen Ausdrucksformen, sondern eher in der Sehnsucht nach Befreiung aus einer als anachronistisch und bedrückend empfundenen Alltagswirklichkeit. Erwin Loewenson rekonstruiert im Nachhinein zutreffend die Gefahren einer unpolitischen Affektzentriertheit:
„Die schlafbetäubten Affekte bedurften zum Aufwachen eines unüberhörbaren, schneidend scharfen Anrufs. Der Kaiser befahl den Krieg. Die Massen, gefügig, wie sie in Deutschland ohnehin waren, waren sofort von Seligkeiten berauscht, daß sie sich von der unmöglichen Revolution in den ‚aufgezwungenen Krieg‘ flüchten konnten“ (1987: 13 f.).
Einige sahen im Krieg sogar den zu seiner höchsten Blüte kommenden Expressionismus. Friedrich Markus Hübner schrieb 1914 im Aufsatz „Krieg und Expressionismus“:
„Der Krieg ist nicht der Verneiner der sogenannten Neuen Kunst, sondern sein ungeahnter, sieghafter Zu-Ende-Bildner. […] Dieser Krieg hat mit dem Expressionismus nicht nur nicht aufgeräumt, sondern seine Richtung schlechthin mit aller Kraft gezeigt“ (1914: 441 ff.).
Freiwillig oder ohne Widerstand als Reserveoffiziere den Gestellungsbefehlen folgend, zogen in den Krieg: Gottfried Benn, Richard Dehmel, Wilhelm Klemm, Paul Boldt, Erwin Loewenson, Ernst Toller, Carl Einstein und Klabund. Früh umgekommen sind die Kriegsteilnehmer Franz Marc, Ernst Wilhelm Lotz, Ernst Stadler, Alfred Lichtenstein, August Stramm und Georg Trakl. Angesichts der schmutzigen Realität der französischen und belgischen Schützengräben verflog die Euphorie bei den meisten schnell. An der Front zu aktiven Kriegsgegnern und Deserteuren wurden Ernst Toller, Carl Einstein, Erich Mühsam, Wilhelm Lotz und Klabund. Ein positiv besetzter unpolitischer Affektsturm hatte große Teile der Dichtergeneration mit sich fortgerissen. Die wenigen aktiven Kriegsgegner wie Albert Ehrenstein, Max Herrmann-Neiße, Franz Jung, Max Pfemfert, Ludwig Rubiner, René Schickele, George Grosz, Alfred Wolfenstein und Kurt Hiller konnten ihre großen Gefühle noch in die kurz aufflackernde Revolution tragen, bis spätestens 1920 das Rollenfach Revolutionär nicht mehr gefragt war.
Nicht zuletzt wegen der Zerrissenheit der expressionistischen Generation endete deren Wirksamkeit früh. Bis auf Gottfried Benn – sowie mit Einschränkungen Georg Heym und Carl Einstein – sind die meisten Namen heute nur noch Spezialist_innen bekannt. Obwohl die Literaturwissenschaft für die Jahre 1910 bis 1920 von einem ‚expressionistischen Jahrzehnt‘ spricht, wird aus dem oben gezeigten klar, dass von einer affektiven Gemeinschaft Expressionismus nur von 1910 bis 1914 die Rede sein kann. Die Jahre 1914 bis 1920 waren von Krieg und Revolution geprägt. Wegen der Kriegsteilnahme der meisten Protagonisten und der verschärften Zensur erschien von 1914 bis 1918 nur sehr wenig. Interessanterweise nahm aber auch hier das Gedicht eine besondere Funktion ein. Weitgehend unbehelligt veröffentlichte Kriegsgegner Franz Pfemfert die Zeitschrift Die Aktion mit kriegskritischen Gedichten, die unter dem Radar der literarisch ignoranten und nur auf politische Opposition geeichten Zensur blieben (Gluntz-Horstbrink/Schneider 2005).[24]
Das direkt darauf folgende emotionale Regime kritischer und künstlerischer Eliten der Weimarer Republik wählte mit Neue Sachlichkeit einen betont nüchternen Gefühlsmodus und bevorzugte Prosa als literarische Gattung (Kimmich 2009). Der von Helmuth Lethen (1994) als „Verhaltenslehre der Kälte“ bezeichnete neue intellektuelle Gefühlsraum setzte sich explizit von den „Oh Mensch“-Pathosformeln des Expressionismus ab. Was Maskulinitätskonzepte betraf, so war auch in den künstlerischen Avantgarden wieder nüchterne gefühlsbeherrschte Männlichkeit gefragt. Gegen Jünglingstum spricht sich Ex-Expressionist Kurt Pinthus im Aufsatz „Männliche Literatur“ aus:
„Der Mann oder Männer […] sind Helden der charakteristischen Bücher und Dramen der letzten Jahre. Nicht auf das Jünglingstum, – auf das Mannwerden oder Mannsein kommt es an. Der Stil dieser Bücher ist […] unpathetisch, unsentimental, Schmucklos und knapp; manche nennen die neue Technik ‚Neue Sachlichkeit‘. Sie ist sachlich, sie ist männlich, sie ist die Ausdrucksform des Mannes“ (zitiert nach Becker 2012: 38).
Max Brod schreibt: „Die neuste Literatur bekommt mehr und mehr einen harten männlichen Zug“ (ebd.: 385).
Gabriele Dietze arbeitet zu Gender Studies, Masculinity Studies, History of Emotion, Kulturwissenschaft, Geschichte der Psychiatrie und Germanistik.
gabriele.dietze@rz.hu-berlin.de
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