Schwindel-Gefühle. Die Ökonomisierung von Emotionen und Stadtraum. Ausblicke auf Hamburg und Warschau

Jonas König

Wer den Turm des Kulturpalasts in Warschau besteigt, findet dort neben der Aussicht folgende Inschrift: „Kochamy sie, i nienawidzimy Wrocławia!“ – Wir lieben uns und hassen Breslau. Da die verbindende Kraft gemeinsamer Feindbilder erfahrungsgemäß groß ist, muss man über den Inhalt der mit „E. + L.“ signierten Botschaft nicht unbedingt überrascht sein, und bang muss einem um das anhaltende Glück der beiden nicht werden. Bemerkenswert ist die Verknüpfung von Liebe und Hass eher aus einem anderen Grund: Sie zeigt, welch ein emotional aufgeladenes Terrain Städte sind. Allein ihr Vergleich war schon immer ein Feld leidenschaftlicher Fehden – und jede Stadt ist voll von Bauwerken und Orten, die für Bewohner_innen oder Besucher_innen mit unterschiedlichen Gemütsregungen verknüpft sind (Lehnert 2011).

Wie kommt es dazu? Wie kommt das Gefühl in die Stadt? Auf individueller Ebene wirkt die Verknüpfung von Räumen mit Gefühlen zunächst zufällig und ist geprägt von biografischen Einflüssen: Durch ein persönliches Ereignis wie die Begegnung mit einer großen Liebe kann selbst ein scheinbar profaner Ort wie ein Gewerbegebiet verändert werden; man sagt dann „verzaubert“. Und er bleibt es: Gefühle transformieren die Bedeutung von Räumen; sie laden diese mit einer zusätzlichen Bedeutung auf, einer „Aura“ (Böhme 2006: 26)[1], die weit über funktionale Zuweisungen hinausgeht.

Auf kollektiver Ebene sind es historische Einflüsse, die eine ähnliche Wirkung entfalten. Die Geschichtsforschung hat hier auf sogenannte „Erinnerungsorte“ verwiesen (Schlögel 2003), auf Schauplätze politischer und sozialer Ereignisse der Vergangenheit, die identitätsstiftend wirken. Der Pałac Kultury ist selbst so ein Ort. Einst als Geschenk der Sowjetunion propagiert, gilt er aufgrund seiner städtebaulichen Dominanz noch heute als Symbol stalinistischer Unterdrückung (Omilanowska 2010).

Das Verhältnis von Raum und Gefühl wird aber nicht nur durch singuläre biografische oder historische Geschehnisse bestimmt, sondern auch durch jene Institutionen, Praktiken und Prozesse, die das städtische Alltagsleben ausmachen. Auf diesem Wege ist es nicht zuletzt das Wirtschaftssystem, das die Gefühlsräume einer Stadt beeinflusst und immer wieder transformiert. Selbst wenn man annimmt, dass wirtschaftliches Handeln allein von Rationalität getrieben ist, bleibt es auf vielfältige Weise mit Affekten verknüpft (Illouz 2007). Zwischen Wirtschaft, Raum und Gefühlen besteht ein Dreiecksverhältnis.

Raum, Gefühle und Ökonomie

Steht man auf dem Kulturpalast in Warschau, sieht man im Norden und Westen zahlreiche in den letzten Jahren entstandene Investorenhochhäuser; im Osten die Einkaufsstraße Ulica Marszałkowska, Leuchtreklamen und großflächige Plakate, „Wizjaa jest najlepsza!“; den Rhythmus der Passantenströme, die Hektik des Berufsverkehrs am Rondo Dmowskiego.

Bereits ein kurzer Blick über Warschau lässt erahnen, wie stark das emotionale (Er-)Leben einer Stadt von ökonomischen Faktoren beeinflusst ist. Das Dreiecksverhältnis zwischen Wirtschaft, Raum und Gefühlen ist vielschichtig und in stetigem Wandel begriffen. Zunächst wird es dadurch aufgespannt, dass sich ökonomische Praktiken und Machtverhältnisse im (emotional erlebten) Raum widerspiegeln (Massey 2005). Nicht nur dessen baulich-materielle Gestaltung ist maßgeblich der Logik der Ökonomie unterworfen (Deamer 2014), sondern auch seine Strukturierung, Nutzung und Aneignung.

Zweitens gehen mit spezifischen Produktions- und Organisationsformen immer auch emotionale Arrangements einher – sei es hinsichtlich der Gestaltung von persönlichen Beziehungen oder der Grenzziehung zwischen Privatem und Öffentlichem (Illouz 2007). Das Aufkommen der Projektarbeit mit kurzfristigen Arbeitsverträgen beispielsweise hat dazu beigetragen, dass sich geschäftliche und freundschaftliche Beziehungen stärker überlappen (Grabher 2004). Mit dieser Entwicklung korreliert die Auflösung auch räumlicher Trennungen zwischen Freizeit und Arbeit.

Drittens prägt wirtschaftliches Handeln nicht nur die Art und Weise, wie (städtische) Räume mit Gefühlen verknüpft werden; auch die Verknüpfung selbst wird in wirtschaftliches Handeln inkorporiert und zum Bestandteil unternehmerischer Wertschöpfung. Dies geschieht einerseits, indem Gefühlsräume nach ökonomischen Kriterien inszeniert und Räume mit einer künstlichen „Aura“ geschaffen werden. Andererseits machen sich Unternehmen bereits etablierte Verknüpfungen von Raum und Gefühlen zu Eigen; die „Aura“ von Orten wird für das Marketing okkupiert.

Auch wenn die Inszenierung und Inwertsetzung von Gefühlsräumen – vor allem aus politischen oder religiösen Gründen – kein neues Phänomen in der Stadtentwicklung ist, scheint insbesondere beim dritten Punkt ein erheblicher Wandel eingesetzt zu haben, der als eine sich beschleunigende und wechselseitig bedingende Ökonomisierung und Emotionalisierung des Stadtraums begriffen werden kann. Während Emotionen früher stärker ein beiläufiges Resultat des Lebens in Städten waren, tragen neue privatwirtschaftliche Akteure dazu bei, dass ein größerer Teil der Produktion von Stadt heute bewusst darauf abzielt, bestimmte Emotionen hervorzurufen. Einen wichtigen Anstoß lieferte dabei die Kritik am Städtebau der 1950er und 60er Jahre.

Die Emotionalisierung der Stadt

Eine andere Stadt. Hamburg. Ein Blick zurück. Steht man auf dem Turm des Michels und blickt um sich, sieht man, wie stark die Stadtlandschaft bis heute von den Prinzipien der Moderne und der Nachkriegszeit geprägt ist: die Grindelhochhäuser, die breiten Straßen der autogerechten Stadt, die Gewerbe- und die Wohnviertel mit ihren Zeilenbauten, funktionalistische Zonen, Suburbia, Steilshoop. Zwei Bautypen am Horizont machen das Verhältnis von Gefühlen und Raum in der modernen Stadt besonders sichtbar.

Zunächst ist da die Großwohnsiedlung der 1960er und 70er Jahre. Auch wenn ihre theoretische Konzeption deutlich vielschichtiger war (Harlander 2011), galt ihre praktische Umsetzung im öffentlichen Diskurs schnell als Inbegriff eines rationalistischen Zugangs zur Stadtgestaltung. Dies lag nicht nur an ihrer Bauweise, die auf Standardisierung und Effizienz abzielt, sondern vor allem an der Praxis ihrer baulichen Umsetzung. Im Gegensatz zur städtebaulichen Theorie blieb Urbanität oft auf quantifizierbare Kennziffern, Geschossflächenzahl und Einwohnerdichte, reduziert; ausgeklammert wurden qualitative Komponenten, die auf Affekten und Erlebnissen beruhen. Das Wohlgefühl der Stadtbewohner_innen wurde so primär zu einer Frage der Einrichtung (in) der eigenen Wohneinheit, während öffentliche Räume ihre intendierte Funktion als Orte der Begegnung selten erfüllen konnten.

Im Einfamilienhausgebiet, der sich nach 1945 wohl am stärksten ausbreitenden Bautypologie, wurde die Trennung zwischen Öffentlichem und Privatem noch stärker vollzogen (Krisch 2014). Das Leben der Bewohner_innen bleibt hinter den eigenen vier Wänden und Koniferenhecken der „Schöner-Wohnen-Siedlungen“ (Setz 2012: 127) verborgen. Diese räumliche Grenze korreliert mit sozialen Setzungen: Gefühle sind Teil der Privatsphäre; außerhalb dieser zeigt man sich weitgehend rational. Großwohnsiedlung und Einfamilienhaus sind die Wohnformen des Fordismus, des „organization man“ (Whyte 1956).

Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels der 1970er Jahre (Schubert 2014) ist es kein Wunder, dass die Emotionslosigkeit der modernen Stadt schnell zu einem Hauptargument ihrer Kritiker_innen geworden ist. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich schreibt von der „Herzlosigkeit“ (1965: 19) des neuen Bauens; und die Situationistische Internationale träumt von einer Stadt, in der die Viertel „den verschiedenen Gefühlen[…] entsprechen, die man im gewöhnlichen Leben trifft“ (Ivain 1958). Ansätze der postmodernen Architekturtheorie stoßen in das gleiche Horn (Venturi 1966). Doch nicht nur Künstler_innen und Intellektuelle wenden sich gegen die „Entzauberung“ der Welt (Chiapello 2004). Die Sehnsucht nach Emotionalität wird auch ein zentrales Anliegen von vielen anderen Bewohner_innen der modernen Stadt.

Blickt man heute auf die Stadt, scheinen Stadtplaner_innen, Architekt_innen und Politiker_innen zumindest teilweise auf die Kritik reagiert zu haben. Immer mehr Stadtbausteine wurden explizit als Gegenmodell zu den Gefühlsräumen der Moderne entwickelt. Vor allem aber die Immobilienwirtschaft und der Einzelhandel treiben diese explizite (Re-)Emotionalisierung des (halb-)öffentlichen Raums voran.

Die Ökonomisierung der Emotionen

Zurück nach Warschau. Dort blieb der städtebauliche Geist der Moderne bis zum Umbruch 1989 dominant, um dann umso rasanter von neuen Geistern verdrängt zu werden. Fast direkt unter dem Kulturpalast spannt sich das Dach der Złote Tarasy, der Goldenen Terrassen auf – ein Einkaufszentrum, Polens bis heute teuerstes Gebäude. „Life is an emotion“, war sein Werbespruch kurz nach der Eröffnung 2007; auf seiner Website (http://zlotetarasy.pl) liest man noch heute: „Poczuj zew miasta!“ – Fühle die Stadt! Das Konzept der Złote Tarasy wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet. In der Laudatio zum ICSC Shopping Centre Award 2008 heißt es, das Projekt eröffne den Konsument_innen die Rückkehr zu einer „urbaneren Existenz“ (ICSC 2008: 2). Gemeint ist hier eine Urbanität der (selektiven) Erlebnisdichte und der Vielfalt (an Konsummöglichkeiten), die sich auch tatsächlich bei vielen Bevölkerungsgruppen einer großen Beliebtheit erfreut.

Es ist eine besondere Eigenschaft des Kapitalismus, dass es ihm immer wieder gelingt, sich neu zu rechtfertigen, Kritik aufzugreifen und sich zumindest oberflächlich so zu transformieren, dass die Kritik ins Leere läuft (Boltanski/Chiapello 2007). Auf Ebene der Unternehmenspolitik ist es vor allem das Marketing, das Mängeldiagnosen nicht nur als Vorwurf, sondern auch als Marktchance begreift. Widerspruch, so lautet die Logik, entspringt bestimmten Bedürfnissen, und hinter Bedürfnissen verbirgt sich immer auch Zahlungsbereitschaft. Um diese abzuschöpfen, wird dann ein Produkt auf den Markt gebracht, das den unerfüllten Sehnsüchten gerecht wird. „Vom Markt her denken“, ist das oberste Prinzip des Marketings – und das heißt auch, dass alles als Markt gedacht werden kann (Kotler 1972).[2] So verwundert es nicht, dass Gefühle in der Marketingliteratur ab den 1970er Jahren eine immer stärkere Rolle spielten (Tofler 1970, Holbrook/Hirschman 1982) und dies bis heute tun.

Jüngster Schritt in dieser Entwicklung ist das Konzept der experience economy, dem zufolge Menschen künftig weniger für ein Produkt als solches, sondern mehr für das Erlebnis des Konsumierens zahlen. Unternehmen sind aufgefordert, den Konsum entsprechend zu orchestrieren: „Companies have to stage experiences […] on an emotional level“ (Pine/Gilmore 1998: 99). Dieser Inszenierungsauftrag hat auch eine räumliche Implikation: In der experience economy werden (städtische) Räume zur Bühne (Lorentzen/Jeannerat 2013). Shoppingcenter und ihre Geschwister – Urban Entertainment Center und Outlet Center – sind idealtypische Beispiele für das inszenierte Raumkonzept der experience economy[3]; sie sind aber nur einer von vielen Stadtbausteinen, die heute nach den Prinzipien des Marketings konstruiert werden, um gezielt Emotionen anzusprechen.

Südwestlich der Złote Tarasy liegt die Marina Mokotów, die größte von über 400 gated communities in Warschau (Gadecki 2012). Ihr Erfolg erklärt sich nicht nur damit, dass sie das Sicherheitsgefühl ihrer Bewohner_innen erhöht. Das Wohnen in der Marina ist auch ein identitätsstiftendes Statussymbol für bestimmte Gruppen. Ihre Bauweise, eine Kombination mediterraner und luxuriöser Andeutungen, zielt darauf ab, eine bestimmte Zielgruppe über Emotionen als Käufer_innen zu gewinnen. Architektur hat dabei keine eigenständige Aussage mehr; sie wird zum „Symbol für irgendetwas“ (Ivan Kucina in Ernst 2014) – die künstlich geschaffene Aura des Ortes als Kaufanreiz.

Marketing und Gefühlsräume: Zuspitzungen

Gated communities und Shoppingcenter als strategisch inszenierte Gefühlsräume sind wichtige, fest etablierte Bausteine gegenwärtiger Stadtentwicklung, die sich der restlichen Stadt gegenüber bewusst verschließen und gerade dadurch räumlich verortbar bleiben. In jüngster Zeit scheint die Ökonomisierung von Gefühlsräumen jedoch zunehmend subtiler zu werden: Neue Techniken des Marketings dringen immer tiefer in immer komplexere Raumgefüge des menschlichen Lebens ein. Es wird immer schwieriger, Werbebotschaften räumlich zu entgehen oder sie überhaupt als solche zu bemerken (Borries 2013).[4]

Ein Hamburger Beispiel für diese Entwicklung ist die Ladengestaltung von Abercrombie & Fitch. Das Bekleidungsunternehmen versprüht rund um sein Geschäft in der Innenstadt Duftstoffe, die Passant_innen neugierig machen und in affektiv erzeugte Kauflaune versetzen sollen. Dieser Eingriff in die Atmosphäre, um Atmosphäre zu schaffen, hat eine neue Qualität: Er zielt nicht auf die Konsument_innen selbst, sondern auf deren Umwelt (siehe auch Sloterdijk 2002). Er korrespondiert dabei mit dem Bemühen, alle Sinne und den physischen Körper des Menschen durch das Marketing anzusprechen. Ähnlich arbeiten Instrumente des Neuromarketings, die den Absatz von Produkten mithilfe von Ergebnissen der Hirnforschung fördern wollen und die zunehmend auch in der Immobilienwirtschaft und Projektentwicklung eingesetzt werden, um Fragen der Raumgestaltung zu beantworten (Handelsblatt 2009).

Noch subtiler funktionieren Marketingkonzepte, die versuchen, bestehende Verknüpfungen von Gefühlen und Raum zu okkupieren. Sie reagieren damit vor allem auf Defizite inszenierter Gefühlsräume sowie auf die Ausbreitung virtueller Räume in den Alltag, die der alten Sehnsucht nach dem scheinbar Echten zu neuer Blüte verholfen haben. Der physisch-materielle Raum erlebt so eine ungeahnte Aufwertung (Rauterberg 2012). Er wird als Investitionsstandort neu entdeckt; das ‚spannende‘, ‚lebendige‘ Umfeld wird zur Staffage und damit Teil der Verkaufsstrategien und ohne Gegenleistung in die Wertschöpfung integriert. Auch sich ausbreitende Formen des Einzelhandels wie pop-up stores machen das städtische Umfeld entsprechend nutzbar – und folgen dabei dem eigentlich kapitalismuskritischen Konzept der räumlichen Intervention (Borries 2013). Gleiches gilt auch für Formen des Guerilla-Marketings, das vorhandene Räume zum Teil einer Produktbotschaft werden lässt. Die emotionale Bedeutungsebene von Räumen wird so immer stärker funktionalisiert.

Weitere Aussichten

Kann man sich, wenn man denn will, der systematischen und zunehmend subtilen Ökonomisierung von Gefühlsräumen entziehen? Schwierig ist es allein schon deshalb, weil sie auch Ergebnis der Kritik am Kapitalismus ist und damit bereits auf personeller Ebene die Grenzen zwischen Kritisierenden und Kritisierten verwischen. Auch von der Politik ist kaum Hilfe zu erwarten. Sie ist selbst der Sprache und Denklogik des Marketings verfallen, wie etwa die Bemühungen von Stadtverwaltungen zeigen, sich als Unternehmensstandort und Reisedestination zu positionieren. Eine in jüngerer Zeit häufig propagierte Möglichkeit, sich gegen die Vereinnahmung durch den ‚herzlichen Kapitalismus‘ zu wehren, besteht darin, Gegenräume zu schaffen. Urban Gardening ist ein häufig gewählter Ausdruck dieser Strategie (Müller 2012).

Hier manifestieren sich allerdings zwei weitere Schwierigkeiten der Kapitalismuskritik: Zum einen kann der Rückzug in die Nische dazu führen, dass die öffentliche Diskussion um die Zukunft der Städte entpolitisiert wird. Sie wird zu einer reinen Gefühlsschlacht, zu einem Austausch über unterschiedliche Vorstellungen vom ansprechenden Raum, der letztendlich ins Leere läuft und etablierte Machtstrukturen festigt (Bourdin et al. 2014). Zum anderen besteht die Gefahr, dass mit der Schaffung von Freiräumen nur eine weitere Runde der Verwertungslogik des Marketings, der Inkorporation von Kritik und der Adaption von scheinbar authentischen Räumen in Gang gesetzt wird.

Gibt es also keine Alternative? Heißt Realismus im Kapitalismus, sich daran zu gewöhnen, dass die Ökonomisierung des Gefühlslebens unaufhaltsam voranschreitet (Fisher 2009)? In der Tat spricht wenig für Optimismus. Bleibt nichts außer schwarzmalen?

Im Dezember 2014 wurden an der Berliner Cuvry-Brache über Nacht zwei große Graffiti übermalt, die für Bewohner_innen und Besucher_innen maßgeblich die Aura und die emotionale Qualität des Ortes geprägt hatten (Tagesspiegel 2012). Keine Sanierungsmaßnahme: Wie sich herausstellte, war es der Künstler Blu selbst, der zur schwarzen Farbe greifen ließ. Er wollte so die Aura des Ortes der Vereinnahmung durch Investoren entziehen, die mit seinem Wandgemälde Werbung für ein benachbartes Projekt gemacht hatten (Henke 2014).

Vielleicht ist diese Form des Rückzugs eine Antwort auf die Ökonomisierung von Gefühlsräumen. Ein merkwürdiger Doppelklang: Wer Gefühle preisgibt, gibt ihnen einen Preis. Egal ob im virtuellen oder städtischen Raum – nur wer seine Gefühle öffentlich macht, macht sie der Verwertung zugänglich. Und sei es nur, dass die Inschrift eines Liebespaares am Warschauer Kulturpalast plötzlich in dieser Zeitschrift auftaucht.

Endnoten

Autor_innen

Jonas König ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Stadtplanung / Stadt- und Regionalökonomie an der HCU Hamburg.

jonas.koenig@hcu-hamburg.de

Literatur

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