Gemeinschaftsgärten als räumlicher Ausdruck von Organisationsstrukturen. Erkundungen am Beispiel Wien

Andreas Exner, Isabelle Schützenberger

1. Einleitung: Die Bedeutung von Gemeinschaftsgärten als sozialer Zusammenhang im Raum

Gemeinschaftsgärten sind schon vielfach zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden. Diese haben oftmals positive Zuschreibungen im Hinblick auf soziale, politische, gesundheitliche, ökologische und kulturelle Effekte generiert (zusammenfassend: Draper/Freedman 2010). Insbesondere in wissenschaftlichen und medialen Diskursen wird mit Gemeinschaftsgärten regelmäßig weitgehend emanzipatorisches Potenzial verbunden (z. B. Müller 2011, Rasper 2012, Baier et al. 2013). Solche Projekte gelten als Ansatzpunkte für gesamtgesellschaftliche Veränderungen in Richtung auf kooperative Produktionsbeziehungen, eine ökologische Lebensweise und eine Neudefinition von öffentlichem Raum, der mehr Inklusion ermöglichen soll. So betrachtet werden Gemeinschaftsgärten auch als mögliche Brücken auf dem Weg einer Transformation zu einer post-kapitalistischen Urbanität betrachtet, für die unter anderem das Konzept der Commons steht (Exner/Kratzwald 2012, Eizenberg 2012, Meretz 2014). Darüber hinaus werden sie verbunden mit der Forderung nach einem „Recht auf Stadt“ (Schmid 2011). Demgegenüber werden in zunehmendem Maße kritische Arbeiten zur sozialen Organisation und politischen Bedeutung dieser Gärten publiziert. Diese Arbeiten behandeln unter anderem die Formierung neoliberaler Subjektivitäten in Gemeinschaftsgärten (Pudup 2008, Ogawa 2009, Hobson/Hill 2010, Gordon 2012, Drake 2014), die Funktionalisierung des Gartenaktivismus für die neoliberale Regierung von Stadt (Rosol 2010; 2012), die Reproduktion von Whiteness in Gemeinschaftsgärten in den USA (Guthman 2008) oder klassenbasierte Ausschlüsse (Macias 2008).

Wenig beleuchtet wurde bislang dagegen das Zusammenspiel von räumlichen und sozialen Strukturen in Gemeinschaftsgärten im Verhältnis zu den Einflüssen staatlicher oder nicht-staatlicher Akteur_innen, die dieses Zusammenspiel regulieren oder beeinflussen[1]. Dies ist unter anderem für die Frage der Aneignung öffentlichen Raums durch emanzipatorische soziale Bewegungen relevant. Eine maßgebliche Ausnahme diesbezüglich ist die Studie von Michael Jamison zu Gemeinschaftsgärten in den USA in den 1970er Jahren (Jamison 1985), die unserer Kenntnis nach in dieser Hinsicht bislang einzigartig geblieben ist (vgl. allerdings die Thematisierung räumlicher Aspekte in Eizenberg 2012). Jamison vergleicht die räumliche Struktur und bestimmte Aspekte von sozialen Strukturen verschiedener Typen von Gemeinschaftsgärten – letztere diskutiert der Autor mit Hilfe des Begriffs der Organisationskultur (mit Verweis auf Smirchich 1983) –, die von staatlichen Körperschaften oder aber von Social Movement Organizations etabliert und begleitet worden sind.

Unser Artikel fokussiert auf diese Forschungslücke, wobei er sich mit jener Zuschreibung auseinandersetzt, die Gemeinschaftsgärten als Element einer neuen Art der Stadtentwicklung oder -gestaltung thematisiert und diese Gärten als Teil einer kollektiven Aneignung von öffentlichem Raum betrachtet, die in der Diktion emanzipatorischer Veränderung als positiv eingeschätzt wird. Damit wird zumindest implizit der Zusammenhang von räumlichen und sozialen Strukturen in diesen Projekten adressiert, den wir analysieren wollen. Die Aufmerksamkeit gilt dabei den folgenden Fragen: Welches Verhältnis besteht zwischen den Raumstrukturen und den Organisationsstrukturen, die in Gemeinschaftsgärten in Wien beobachtet werden können? Inwieweit und in welcher Weise schlägt sich der Einfluss von externen, insbesondere staatlichen Akteur_innen in deren Raum- und Organisationsstrukturen nieder? Weicht die Raumstruktur von Gemeinschaftsgärten von der vorherrschenden Raumstruktur der untersuchten Stadt ab? Und in welcher Weise?

Für die Analyse von Raumstrukturen ziehen wir im Folgenden das Konzept der Lesbarkeit von James Scott heran. Dieses verbinden wir mit den Überlegungen von Henri Lefebvre zur Formbestimmtheit und zu den Dimensionen von Raum. Unter der Kategorie der Raumstruktur verstehen wir empirische Qualitäten von Raum. Lefebvre unterscheidet heuristisch drei Dimensionen, die Raum konfigurieren, worin Raum sich strukturiert und die überhistorisch (unabhängig von der spezifischen Produktionsweise) eine Analyse des Raums anleiten können (siehe dazu Kapitel 2). Raumstruktur im Sinn von Lesbarkeit beziehen wir hier vorrangig auf die funktionale Gliederung eines Raums, insbesondere die Art der Anordnung seiner Funktionselemente. Kapitel 4 erläutert die Gesichtspunkte, unter denen die Raumstruktur von Gemeinschaftsgärten in diesem Aufsatz untersucht wird. Die Formbestimmtheit von Raum verstehen wir dagegen analog zur Formbestimmtheit des Produkts durch die kapitalistische Produktionsweise im Sinn von Marx. Es handelt sich demgemäß nicht um eine empirische Kategorie, obgleich die soziale Formbestimmtheit sich (wie auch im Fall des Produkts) in empirischen Qualitäten niederschlägt, das heißt in der Raumstruktur.

Gemeinschaftsgärten können wie jeder andere Raum unter dem Blickwinkel der Lesbarkeit analysiert werden, und gleichermaßen im Hinblick auf ihre grundlegende Formbestimmtheit. Henri Lefebvre (1991: 49, 51, 306 ff.; vgl. für neuere Arbeiten zu seinem Ansatz Schmid 2005; 2011) bezeichnet als abstrakten Raum die grundlegende Formbestimmtheit des kapitalistisch-bürokratischen Raums. Diesen analysiert er als das Produkt von Gewalt und als vom Staat instituiert, wobei dessen Zielsetzung und ‚Linse‘ die Homogenität (im Sinn von Isotopie) sei: In ihm dominiere der Blick, der visuelle Eindruck, die Transparenz. Die Bedeutung aller anderen Sinne werde dagegen reduziert. Der abstrakte Raum werde vorrangig als zweidimensionaler Raum (als Landkarte beispielsweise) dargestellt. Er symbolisiere männlich konnotierte Gewalt, die der Abstraktion selbst inhärent sei (Lefebvre 1991: 285 ff.). „Formal and quantitative, it erases distinctions. (…) Differences, for their part, are forced into the symbolic forms of an art that is itself abstract.“ (ebd.: 49) Der abstrakte Raum drücke sich städtebaulich in spezifischer Weise aus: „(M)onuments have a phallic aspect, towers exude arrogance, and the bureaucratic and political authoritarianism immanent in a repressive space is everywhere.“ (ebd.) Generell spiele der Raum der Repräsentationen, das heißt die symbolische Dimension von Raum, im abstrakten Raum nur eine geringe Rolle (ebd.: 50)[2].

Gegen den abstrakten Raum der kapitalistischen Stadt setzt Lefebvre den differenziellen Raum. Diesen beschreibt er als eine urbane Alternative:

„Thus, despite – or rather because of – its negativity, abstract space carries within itself the seeds of a new kind of space. I shall call that new space ‚differential space‘, because, inasmuch as abstract space tends towards homogeneity, towards the elimination of existing differences or peculiarities, a new space cannot be born (produced) unless it accentuates differences.“ (Lefebvre 1991: 52)

Ein solcher Raum würde aus Lefebvres Sicht andere, nicht-bürokratische soziale Strukturen verkörpern, voraussetzen und befördern, als sie in der kapitalistischen Stadt dominieren, „new social relationships call for a new space, and vice versa“ (ebd.: 59), denn: „The space of a (social) order is hidden in the order of space.“ (ebd.: 289)

Vor diese Hintergrund fragen wir: Sind Gemeinschaftsgärten experimentelle Ansatzpunkte oder Beispiele für einen solchen differentiellen Raum? Diese Kontextualisierung heißt nicht, dass der Aufsatz Gemeinschaftsgärten (unmittelbar) daraufhin untersucht oder bewertet, ob sie als Vorbilder einer anderen, wünschenswerten Form der Stadtentwicklung und -gestaltung gelten können. Das Beispiel der Gemeinschaftsgärten in Wien soll vielmehr analytische Einsichten in den Zusammenhang von Raum- und Organisationsstrukturen ermöglichen. Darüber hinaus verbindet der Aufsatz anhand von Fallstudien aus Wien eine an Lefebvre orientierte Perspektive auf den Raum der Gemeinschaftsgärten mit der Theorie des Verhältnisses von Staat, Raum und sozialer Organisation, die James Scott (1994) entwickelt hat. Damit möchten wir einen Ansatzpunkt für Antworten auf die Frage vorlegen, welche politischen Bedeutungen unterschiedliche Gemeinschaftsgärten transportieren und in welchen größeren räumlichen Kontext sie zu stellen sind.

2. Raumtheoretische Konzepte zur Analyse von Gemeinschaftsgärten: Henri Lefebvre und James Scott

Drei von Lefebvre (1991) allgemein für die Raumanalyse vorgeschlagene Ebenen erhellen auch die räumliche Konfiguration der Gemeinschaftsgärten: Auf der Ebene der von Lefebvre so genannten räumlichen Praxis ist ein Gemeinschaftsgarten ein konkreter Ort mit identifizierbaren physischen Strukturen, durch die er sinnlich wahrgenommen werden kann. Er inkludiert bestimmte Personen und schließt andere von einer Nutzung aus. Auf einer zweiten Ebene, die Lefebvre als den repräsentierten Raum bestimmt, ist die Frage anzusiedeln, was den Gemeinschaftsgarten als ein bestimmtes Konzept von Raum ausmacht. Was als Gemeinschaftsgarten gilt und was nicht, ist nicht allein oder gar nicht wesentlich an den physischen Merkmalen festzumachen, sondern das Produkt eines Diskurses. Dieser ist vielschichtig, die Einflüsse verschiedener Akteur_innen und ihrer Zuschreibungen sind darin wirkmächtig. Die dritte Ebene ist jene des Raums der Repräsentationen oder des gelebten im Unterschied zum konzipierten Raum, wie Lefebvre es formuliert. Dabei handelt es sich um den symbolischen Raum, der bestimmte Bedeutungen transportiert, aber nur teilweise rational erschlossen werden kann.

Grundlegend für eine raumanalytische Betrachtung der Gemeinschaftsgärten ist die von Lefebvre formulierte These, dass sich soziale und räumliche Verhältnisse erst in wechselseitiger Betrachtung und als ineinander verschränkt adäquat analysieren lassen – und darauf wollen wir uns im Folgenden beschränken. Denn einerseits sind die sozialen Verhältnisse inhärent räumlich strukturiert, andererseits determiniert die Struktur des Raums bis zu einem gewissem Grad den Spiel-Raum der sozialen Prozesse und die Gestalt sozialer Verhältnisse.[3] Die These der inneren Beziehung zwischen räumlichen und sozialen Verhältnissen hat in einem erweiterten Sinn und von Lefebvre unabhängig (aber beeinflusst durch Foucault) auch der Anthropologe James Scott in Seeing Like a State ausgeführt (Scott 1994). Scott zog dafür unter anderem Beispiele aus der Stadtentwicklung sowie aus der Forst- und Landwirtschaft heran. Sein Ansatz erlaubt es, Lefebvres Konzeptualisierung um eine staatstheoretische Perspektive zu erweitern und Aspekte des sozialen Prozesses der Herstellung des abstrakten Raums zu konzeptualisieren.

Scotts Kernthese zufolge steht der Staat vor dem Grundproblem, die sozialen Verhältnisse, die er zu disziplinieren beziehungsweise für seine Zwecke zu funktionalisieren trachtet, für sich lesbar zu machen. Dies geschieht in einem – teilweise gewaltförmigen – Prozess der Simplifizierung durch den Staat. Selbstorganisierte oder stark lokalistische, komplexe Formen von Strukturen des Raums werden in einfachen, standardisierten und damit homogen aufgebauten Mustern kodiert und erst dadurch für den Staat erfassbar. Damit gibt Scott einen zentralen Mechanismus an, der den Prozess der Herstellung des von Lefebvre so genannten abstrakten Raums charakterisiert. So kann er den bürokratischen Praktiken, auf die Lefebvre in diesem Zusammenhang verweist, eine konkretere inhaltliche Bestimmung geben. Scotts Analysen zeichnen sich durch einen hohen Grad der Anschaulichkeit, durch empirische Detailgenauigkeit und theoretische Systematik aus. Auf der anderen Seite erlaubt es das konzeptionelle Gerüst der drei Dimensionen des Raums im Zusammenhang mit Lefebvres Insistieren auf der grundlegenden Formbestimmtheit von Raum als abstraktem Raum, den Gegenstand und die Ebenen der Scott’schen Analyse präzise zu differenzieren.

Gerade aus der buchstäblichen Vogelperspektive ist der Unterschied zwischen einer von einem zentralen Ort aus lesbaren und damit auch verwalt- und disziplinierbaren Struktur von Raum und sozialer Organisation einerseits und einer unlesbaren Struktur andererseits auffällig, wie James Scott an einer Reihe von Kartendarstellungen städtischer und landwirtschaftlicher räumlicher Muster illustriert hat. Aus einer solchen Perspektive wird der Modus der Anordnung von Funktionselementen lesbarer und unlesbarer Räume besonders deutlich. Diese Vogelperspektive ist nicht nur eine Metapher für den „Blick des Staates“ (Scott 1994), sondern in der Tat eine wichtige Technologie zur ‚Lesbarmachung‘ von Räumen durch Simplifizierung. Dies geschah historisch durch die Einführung von Katasterplänen, wie James Scott ausführlich dargestellt hat, und wird heute durch den expandierenden Einsatz von Methoden der Fernerkundung und Geographischer Informationssysteme weiter vorangetrieben (Exner et al. 2014). Wir nehmen diese Vogelperspektive anhand von Google-Earth-Orthofotos gegen Ende dieses Artikels bewusst ein, um mit ihrer Hilfe unterschiedlich lesbare Muster sozial-räumlicher Organisation von Gemeinschaftsgärten zu illustrieren.

Strategisch interpretiert sind dies Technologien, die historisch gesehen zunächst nicht der bloßen Erfassung dienen, sondern vielmehr zur Umgestaltung von Räumen und der darin verkörperten sozialen Verhältnisse nach Maßgabe der damit verbundenen Standards der Lesbarkeit. Die Lesbarmachung sozial-räumlicher Verhältnisse, das heißt ihre Sichtbarmachung für die Verwaltungsroutinen und Regulierungen des Staates, bedeutet im Sinn von James Scott eine Simplifizierung dieser Verhältnisse. Sie werden damit für solche Eingriffe zugänglich und handhabbar, die eine homogene und aus gleichförmigen, klar gegeneinander abgegrenzten Elementen aufgebaute Menge von Menschen oder Naturbestandteilen mit eindeutigen und einfachen Bezügen zueinander (z. B. in der Landnutzung) voraussetzen.

Während zum Beispiel die ersten Katasterpläne dem oberflächlichen Augenschein nach als der Versuch erscheinen könnten, die tatsächliche Raumnutzung zu dokumentieren, schufen sie tatsächlich erst jene Strukturen der Raumnutzung, die privateigentümliche Form annehmen konnten und dem Staat als solche verwalterisch zugänglich wurden. Die bis zum modernen Katasterplan dominierenden Nutzungsformen dagegen waren von vielfältigen, einander überlappenden Ansprüchen mit nur lokal gültigen und grob standardisierten Maßeinheiten geprägt. Sie konnten für den „Blick des Staates“ nicht adäquat erfasst werden. Damit lässt sich Scotts Arbeit unter anderem als eine Explikation der knappen Bemerkungen bei Lefebvre zur eigentümlichen Transparenz des abstrakten Raums verstehen, wenn es heißt:

„Thus to look upon abstract space as homogeneous is to embrace a representation [z. B. den Katasterplan, Anmerkung der Autor_innen] that takes the effect for the cause, and the goal for the reason why that goal is pursued. […] And what does such a specular representation reflect? It reflects the result sought [also die reale Lesbarmachung des Raums, Anmerkung der Autor_innen].“ (Lefebvre 1991: 287)

Ähnlich analysiert Scott den Übergang zur modernen Stadtplanung. Während die mittelalterliche Stadt ein verwinkeltes und nur für die Bewohner_innen dezentral lesbares Geflecht räumlicher Strukturen darstellte, bildet die moderne Stadt ein nicht zuletzt für polizeiliche und verwaltungstechnische Zugriffe zentral lesbares und kontrollierbares Muster sozial-räumlicher Beziehungen. Als ein weiteres Beispiel für die Lesbarmachung sozial-räumlicher Verhältnisse durch den Staat dient Scott die moderne Forst- und Landwirtschaft. Im Unterschied zu multifunktionalen und komplex strukturierten Feldern, die beispielsweise – wie in den Tropen häufig der Fall – Mischkulturen aufweisen, ist der Acker moderner Landwirtschaft das Ergebnis einer radikalen Simplifizierung. Auf gleiche Weise interpretiert Scott den Übergang von der vormodernen, für den staatlichen Blick ‚ungeordneten‘ und ‚ineffizienten‘ Waldbewirtschaftung zur modernen Reinertragskultur, die monodominante, gleichaltrige und durchforstete Baumbestände voraussetzt. In normativer Hinsicht stellt Scott das soziale und ökologische Scheitern von Projekten gesellschaftlicher Veränderung und Organisation in den genannten Bereichen heraus, die den Kriterien der Lesbarkeit gefolgt sind, insofern als Maßstab der Erfolgsbewertung das Wohlergehen der betroffenen Menschen zugrunde gelegt wird. Dabei verweist Scott auf so heterogene, in Termini der Lesbarmachung jedoch strukturell ähnliche Beispiele wie auf die von Le Corbusier geprägte Stadtplanung, die industrielle Land- und Forstwirtschaft, die Zwangsumsiedlungen in Ländern des globalen Südens sowie das leninistische Revolutionsmodell und die negativen sozialen Auswirkungen solcher gesellschaftlicher Projekte und Strategien. Denn diese unterminieren oder negieren systematisch lokales, praktisches Wissen und lokale Dynamiken der Selbstorganisation, die Scott zufolge besser dazu geeignet sind, sich auf ökologische Anforderungen und soziale Bedürfnisse und deren Wandel einzustellen.

In der Begrifflichkeit von Henri Lefebvre formuliert, behandelt Scott folglich die Frage, wie bestimmte Repräsentationen des Raums (etwa in Gestalt des Katasterplans oder der rasterförmig angelegten Stadt) sich mit der räumlichen Praxis vermitteln, und welche räumlichen Repräsentationen auf diese Weise transportiert werden. Diese Praxis und ihre Repräsentationen bezeichnet Scott als ‚high-modernist schemes‘.

Die für unsere Analyse grundlegenden Konzeptionen des urbanen Raums von Lefebvre und Scott sind freilich um neuere gesellschaftliche Entwicklungen zu ergänzen und zu modifizieren. So erhält die Dimension des Symbolischen in der „kreativen Stadt“ im Prozess ihrer „Kulturalisierung“ (Reckwitz 2014) einen weit größeren Stellenwert als Lefebvre ihr für den abstrakten Raum der 1970er Jahre zuschreibt. Auch haben sich die Formen der Lesbarmachung sozial-räumlicher Verhältnisse im Zuge neoliberaler Governance und des Paradigmas der Partizipation in einer Weise verändert (siehe dazu unten), die oberflächlich betrachtet den abstrakten, bürokratisierten Raum zu überwinden scheinen. Gleichwohl handelt es sich bei der modernen kapitalistischen Stadt immer noch um eine Matrix des abstrakten Raums, der letztlich der bürokratischen Kontrolle und den ihr eigenen Erfordernissen der Lesbarkeit unterliegt. Unser Fragehorizont bezieht sich daher vorrangig auf die grundlegende kapitalistisch-bürokratische Form von Stadt, während wir auf deren historisch spezifische Modifikationen im Sinn einer Kulturalisierung und Governance-Orientierung nur am Rande eingehen.

Des Weiteren sei darauf hingewiesen, dass die partizipative, Bürgerbeteiligung integrierende Form urbaner Governance, wie sie (nicht nur) für Wien charakteristisch ist, lediglich eine Modifikation des Regimes der Lesbarkeit darstellt, nicht aber den ‚Blick des Staates‘, wie ihn James Scott analysiert, verhüllt. Im Gegenteil: Bürgerbeteiligung kann unter anderem als ein Medium der Informationsvermittlung an den Staat (und umgekehrt) verstanden werden, welche unter zunehmend komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen für die bürokratischen Apparate und die kapitalistische Form von Stadtentwicklung ein funktionales Komplement der (lokal-)staatlichen Metasteuerung bildet. Die ‚kreative Stadt‘ ist durch eine spezifisch kulturorientierte Gouvernementalität ausgezeichnet, durch eine Regierung der Selbstregierung, die Differenzen und Atmosphären herstellt: „Hier liegt das Modell einer urbanen Steuerung zweiter Ordnung vor – eine Zweitsteuerung von Prozessen, die sich bereits vor der politischen Intervention selbst organisieren.“ (Reckwitz 2014: 309, Hervorh. im Orig.)

3. Der Garten als symbolischer Raum

Nachdem sich der abstrakte Raum Lefebvre folgend unter anderem durch eine Armut des symbolischen Raums (der Repräsentationen) auszeichnet, und da wir uns für das Verhältnis von Gemeinschaftsgärten und abstraktem Raum interessieren, wollen wir zunächst den Garten als räumliche Konfiguration charakterisieren. Dabei gehen wir wohlgemerkt von der heute vorfindlichen diskursiven Konstruktion des Gartens aus, das heißt wir nehmen nicht an, dass es ‚den Garten’ als ein historisch gleichbleibendes Phänomen gibt, dessen wechselnde Konstitution uns hier jedoch nicht weiter befassen soll. Von diesem Standpunkt aus gesehen zeichnet den Garten in Geschichte und Gegenwart (wie er heute als Phänomen konstituiert wird) nicht so sehr die räumliche Praxis oder eine spezifische Repräsentation von Raum aus. Vielmehr war der Garten immer schon (zumindest seit der Darstellung in der Genesis der Bibel und mit Bezug auf die abendländische Kultur) ein vorrangig symbolischer Raum, wie Gartenhistorien herausstellen. Im Unterschied zum Acker sind Gärten und Parks – die der Diskurs der Gartentheorie und -geschichte nicht voneinander trennt – primär Orte der Produktion von Bedeutungen, die in historisch veränderlicher Form ästhetisch kodiert sind. Dort, wo die Ertragsfunktion über die Bedeutungsproduktion zu dominieren beginnt, enden Begriff und Raum des Gartens. In einem unserer Fallstudienbeispiele zeigt sich diese auch dem Alltagsverstand naheliegende Unterscheidung im Diskurs der Gestalter_innen des Projekts. Während sie dieses zu Anfang als Gemeinschaftsgarten bezeichneten, ist inzwischen die Benennung als Community Made Agriculture in den Vordergrund gerückt, die auch von anderen ertragsorientierten Projekten kollektiven Pflanzenbaus in Wien aufgegriffen worden ist. Gleichwohl spielt in solchen Projekten der Raum der Repräsentationen insofern noch eine Rolle, als sie Vorbildwirkung entfalten und eine aus ihrer Sicht wünschenswerte gesamtgesellschaftliche Entwicklung vorwegnehmen wollen. Der Raum eines kollektiven Landwirtschaftsprojekts steht pars pro toto für eine wünschenswerte Form von Lebensmittelproduktion und sozialer Organisation (ohne dass diese notwendig verallgemeinerbar wären). Er verweist auf etwas Anderes, produziert also ebenfalls eine symbolische Bedeutung. Ein Acker oder eine Fläche des landwirtschaftlichen Gartenbaus im eigentlichen Sinn kann zwar als Symbol gelten, wie jeder andere Gegenstand auch. Diese Raumtypen lassen sich jedoch nicht über den Raum der Repräsentationen, ihre symbolische Funktion definieren. Sie dienen vorrangig der Produktion und ihre Qualität wird folglich auch nicht nach ästhetischen Kriterien, sondern anhand solcher des Ertrags und ökologischer Normen beurteilt.

Foucault, der den Garten als Beispiel einer Heterotopie beschreibt, als einen Ort, der einen idealen gesellschaftlichen Zustand symbolisch darstellt, hat darauf hingewiesen, dass Heterotopien, anders als die Utopie, in die vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen eingebunden bleiben und sich darauf beziehen (Foucault 2014). In der Tat ist der Garten spätestens seit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft eng mit politischen Ordnungsvorstellungen verknüpft sowie mit einer korrespondierenden Ordnung gesellschaftlicher Natur- und subjektiver Selbstverhältnisse, die sich aus den jeweils vorherrschenden Diskursen speist. Beispielhaft sei auf den Kontrast zwischen dem französischen Barock- und dem englischen Landschaftsgarten verwiesen. Der französische Barockgarten zelebrierte eine extreme Kontrolle der Natur, die sich unter anderem in dem regelmäßigen Zuschnitt von Bäumen und Sträuchern äußerte, und wurde um einen zentralen Blickpunkt herum organisiert, von dem der Garten aus betrachtet werden konnte und dem er diente (Bürger 2003, Mader 2006). Dieser Blickpunkt war das ‚Auge des Staates‘, verkörpert im absolutistischen Herrscher.

In Termini von James Scott, der selbst keine Analyse historischer Gartenanlagen vorgelegt hat, handelt es sich dabei um eine radikale Form der Lesbarkeit von Natur durch den Staat, das heißt einer zentralisierten Herrschaftsapparatur, der qua ihres zentralen, von der Gesellschaft relativ getrennten Charakters andere, ‚wildwüchsigere‘ Formen von Natur und damit verbundener sozialer Praxis nicht zugänglich sind und die sich folglich der Beherrschung entziehen (Scott 1994). Diese Lesbarkeit beinhaltet auf der Ebene des Raums der Repräsentationen im Sinn von Lefebvre also vor allem den Verweis auf die politische Ordnung der Gesellschaft, den Anspruch des Absolutismus, die Subjekte direkt mit Hilfe von Disziplinartechnologien (Foucault 1978) zu formen und sie einem rigiden, zentralistischen Sichtbarkeits- und damit Überwachungsregime zu unterwerfen.

Diesem Anspruch setzte sich der englische Landschaftsgarten entgegen, der vielmehr die demokratischen Ideale des Bürgertums symbolisieren sollte und sich daher den wesentlichen Gestaltungsprinzipien des Barockgartens bewusst verweigerte. Anstelle kulturell geformter Pflanzengestalten wurde die Naturform glorifiziert, die Anlage des Parks sollte sich an einer idealisierten Natur orientieren. Der englische Landschaftspark kennt keinen zentralen Blickpunkt, sondern verkörpert wechselnde Perspektiven, die sich nur im Rundgang erschließen. In diesen Aspekten wird folglich die absolutistische Form der Lesbarkeit durch den Staat zurückgenommen. Der Anspruch auf Lesbarkeit der Gesellschaft äußert sich freilich symbolisch in der minutiös geplanten und nur scheinbar natürlichen Ordnung des Landschaftsgartens[4]. Zusammenfassend lässt sich sagen: Ästhetik erweist sich nicht zuletzt in der Form des Gartens, worunter die Gartenhistorien auch die Parks subsumieren, als eine inhärent politische Angelegenheit. Praktisch führte dies in England zu einer radikalen Umgestaltung der bis dahin bestehenden Barockgärten (Bürger 2003, Mader 2006).

Dieser allgemeine interpretative Zugang, der hier an historischen Beispielen nur kursorisch plausibilisiert worden ist, erlaubt es schließlich auch, eine implizite ästhetische Politik der Gemeinschaftsgärten in Wien zu erhellen. Der Gemeinschaftsgarten unterscheidet sich freilich von den genannten historischen Beispielen durch den ausgeprägt kollektiven Charakter der entsprechenden sozialen Praxis. Das Element der Gemeinschaft erweitert die Symbolisierungsfunktion des Gartens noch über die historisch vorgängigen Gartenformen hinaus. Ebenso wie die Raumstruktur erhält nun auch die Gemeinschaft eine symbolisierende und subjektivierende Funktion (v. a. im Hinblick auf den Gemeinschaftsaspekt siehe Lawson 2005).[5]

4. Fallstudien: Organisationsstrukturen und Raum

Unser Artikel stützt sich auf die beispielhafte Untersuchung von acht Gemeinschaftsgärten, die wir hinsichtlich ihrer organisationalen und räumlichen Strukturen und deren Wechselwirkungen analysieren. Wir behandeln das Material als Illustration und Anwendungsfall der oben skizzierten theoretischen Zugänge und zielen in diesem Sinne darauf, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Raum- und Organisationsstrukturen zu analysieren sowie mit dem Einfluss staatlicher Akteur_innen in Beziehung zu setzen. Zwei Gärten wurden von Isabelle Schützenberger (2014) in der Vegetationsperiode 2013 untersucht, sechs Gärten von Andreas Exner in der Vegetationsperiode 2014. Dabei sollte eine möglichst große Bandbreite an Gartenstrukturen der Größe und Lokalisierung im Verhältnis zu öffentlichem Raum und der Sichtbarkeit nach abgedeckt sowie der Einfluss lokalstaatlicher Akteur_innen erfasst werden. Demgemäß sind vier Gärten von lokalstaatlichen Akteur_innen beeinflusst, darunter Organisationen des erweiterten Staates im Sinne vermittelnder Institutionen zwischen Zivilgesellschaft und Staat (Gartenpolylog[6], Lokale Agenda 21[7]). Die andere Hälfte des Fallstudiensamples zeigt keinen direkten lokalstaatlichen Einfluss.

Es wurde eine große Zahl an Beobachtungen und teilnehmenden Beobachtungen durchgeführt und extensiv protokolliert. Isabelle Schützenberger hat je fünf Personen pro Garten entlang von Leitfragen interviewt, die sich an den Gestaltungsprinzipien von Commons nach Elinor Ostrom (1990) orientierten. Andreas Exner hat die jeweilige den Garten initiierende Person interviewt, zehn Gärtner_innen pro Projekt zufällig ausgewählt und in einem offenen Gespräch mit anderen Leitfragen interviewt. Neun Gartenfotos dienten in diesem Kontext dazu, die ästhetischen Wahrnehmungen durch die Interviewten festzustellen.

Die Beschreibung der Gärten und ihrer organisationsstrukturellen Merkmale fokussiert auf die charakteristischen Eigenschaften, die im Hinblick auf die Kategorie der Lesbarkeit von räumlichen und sozialen Strukturen im Laufe der Beobachtungszeiträume festgestellt werden konnten. Dabei sind in raumstruktureller Hinsicht folgende Aspekte wesentlich:

  1. Regelmäßigkeit der Beetstruktur (Größe, Rechtwinkligkeit, Geradlinigkeit) und des Verhältnisses der verschiedenen Raumelemente des Gartens zueinander,
  2. Regelmäßigkeit/Homogenität der Abstände zwischen den Beeten (Größe, Art der Wege nach Führung und Substrat),
  3. Regelmäßigkeit/Homogenität der Beetgestaltungen (dabei spielt der Anteil von Unkraut eine große Rolle, nicht zuletzt in der Wahrnehmung der Gärtner_innen und der Körperschaften des lokalen Staates, wobei dieser von diesen Akteur_innen selbst mitunter in Kategorien der Lesbarkeit kommentiert wird[8]),
  4. Regelmäßigkeit/Homogenität der Nutzungsmuster (überlappende oder komplex ineinandergreifende Nutzungen oder eindeutig zugewiesene und einfach strukturierte Nutzungen, Verhältnis von kollektiv zu individuell genutzten Flächen),
  5. zeitliche Stabilität der oben genannten raumstrukturellen Aspekte.

Die mehrheitliche Qualifizierung des Eindrucks der Flächen als ‚ordentlich‘, ‚unordentlich‘ und so weiter wurde den Informationen aus der Einschätzung der Fotoserien durch die Interviewpartner_innen entnommen.

In organisationsstruktureller Hinsicht sind die folgenden Aspekte relevant:

  1. Regelmäßigkeit und Eindeutigkeit der Zuteilung von Verantwortlichkeiten (darunter, falls relevant, das Kontrollniveau des Vorstands gegenüber den anderen Mitgliedern) und des Ablaufs von Entscheidungsprozeduren,
  2. Regelmäßigkeit und Eindeutigkeit der Mitgliederstruktur,
  3. interne und externe Transparenz dieser beiden Aspekte.

Weiters wird der Einfluss externer Akteur_innen beschrieben. Die abgebildete Tabelle (siehe Tab. 1) stellt Eckdaten der betrachteten Gärten dar. Die Gärten ‚Blau‘, ‚Gelb‘ und ‚Grün‘ sind im Vergleich relativ einheitlich. Sie wirken angenehm sauber geordnet oder – je nach Werteschema der Befragten – steril. Die Beete sind überwiegend gleich gestaltet. Der Unkrautanteil der Beete ist sehr niedrig. Die Raumstrukturen sind weitgehend stabil und wurden zum überwiegenden Teil von externen Akteur_innen (Gartenpolylog, MA42) geplant, in Garten ‚Gelb‘ ohne jegliche Mitsprache der Gärtner_innen. Die Gartengruppen haben Vereinsform, die Mitgliederstruktur ist transparent und für alle eindeutig geregelt. In allen drei Gärten dürfen Mitglieder nur maximal drei Jahre ihre Parzellen nutzen, im Garten ‚Gelb‘ konnte die Initialgruppe Dauerbeete für sich durchsetzen, während Neuzugänge der Dreijahresregel unterliegen. Im Garten ‚Blau‘ konnte die Initialgruppe den Behalt des Schlüssels zum Gartentor als Zugeständnis erwirken, die Mitglieder müssen vereinbarungsgemäß aber nach maximal drei Jahren ihr Beet aufgeben.

Tab 1 Eckdaten der Fallstudiengärten. Rotation bezieht sich auf den vom lokalen Staat (v. a. MA 42 [9] und Bezirkspolitik) zumeist vorgegebenen Wechsel von Mitgliedern im 3-Jahres-Rhythmus [10].

Code

Fläche (m2)

Beete

Seit

Rotation

Passant_innen-Frequenz

Eigentum

Formelle Garten-besprechungen

Rechtsform

Staatlich direkt beeinflusste Gärten

Blau

377

ca. 20

2012

Ja

moderat

öffentlich

alle 2 Monate

Verein

Gelb

1.400

ca. 25

2011

Ja (zum Teil)

hoch

öffentlich

alle 2 Monate

Verein

Rot

4.500

ca. 75

2011

Nein

sehr hoch

öffentlich

ca. einmal pro Jahr

Verein

Grün

1000

ca. 29

2012

Ja

sehr hoch

öffentlich

jeden Monat

Verein

Staatlich nicht direkt beeinflusste Gärten

Hoch

4.500

2012

Nein

moderat

öffentlich

jeden Monat

Verein

Tief

1.500

ca. 20

2001

Nein

keine

öffentlich

jeden Monat

de facto Besetzung

Lang

300

ca. 30

2013

Nein

sehr hoch

öffentlich

Wöchentlich

Verein

Breit

2.000

ca. 30

2006

Nein

keine

Kirche

ca. einmal pro Jahr

individuelle_r Pächter_in

Der Garten ‚Rot‘ wirkt bunt und vielfältig oder – je nach Werteschema der Befragten – intransparent. Im letzteren Fall wird häufig bemängelt, dass keine Grenzen der individuellen Beete erkennbar seien. Die Beete sind rasterförmig angelegt, zeichnen sich jedoch durch wechselnden Unkrautanteil und eine stark individuelle Gestaltung aus, was auch für die Wege zwischen den Beeten gilt. Die vergleichsweise großzügigen Gemeinschaftsflächen sind komplex strukturiert und werden von verschiedenen selbstorganisierten Kleingruppen gestaltet und betreut. Die rasterförmige Anlage des Gartens geschah seitens des Vorstands, der den Mitgliedern Wahlmöglichkeiten gab. Die Rasterung erfolgte unter dem Gesichtspunkt möglichst großer Beete für eine vorgegebene Anzahl von Gärtner_innen. Die Planungsrationalität hebt sich damit markant von den Planungsprinzipien der Gärten ‚Blau‘, ‚Gelb‘ und ‚Grün‘ ab. Der Garten ist als Verein organisiert, weist jedoch eine weitgehend selbstorganisierte Arbeitsgruppenstruktur auf. Es gibt eine Liste der Mitglieder (die der Vorstand führt); aber aufgrund der großen Zahl an Gärtner_innen ist die Gruppe für die meisten Mitglieder praktisch jedoch nicht transparent. Die Gartengruppe übte erfolgreich Widerstand gegenüber der Forderung der Bezirkspolitik nach einem Rotationsprinzip und erreichte einen untypisch langen Pachtvertrag (über zehn Jahre). Der Garten wurde auf Initiative einer um eine Politikerin herum selbstorganisierten Kleingruppe gegründet und stand im weiteren Verlauf unter dem Einfluss der Bezirkspolitik. Der Garten nimmt sowohl organisations- als auch raumstrukturell eine Hybridposition zwischen den Gärten ‚Blau‘, ‚Gelb‘ und ‚Grün‘ und den nachfolgend beschriebenen Projekten ein. Dies ist auf den gleichzeitigen Einfluss von stark selbstorganisierten Dynamiken und staatlichen Akteur_innen zurückzuführen.

Die Gärten ‚Hoch‘, ‚Tief‘, ‚Lang‘ und ‚Breit‘ sind sowohl von den zuvor beschriebenen Gärten als auch im Vergleich untereinander deutlich verschieden, weshalb sie im Folgenden nicht summarisch beschrieben werden können. Die Besonderheiten der einzelnen Gartenprojekte geben vielmehr wichtige Aufschlüsse über die Konsequenzen eines fehlenden Einflusses von staatlichen Akteur_innen. Allgemein gilt lediglich, dass das Ausmaß von Lesbarkeit in organisations- und raumstruktureller Hinsicht geringer ist als in der zuvor beschriebenen Gruppe mit staatlichem Einfluss.

Der Garten ‚Hoch‘ ist ein Hybrid zwischen einem Garten- und Landwirtschaftsprojekt, wie sich unter anderem auch in der Selbstbezeichnung der Gartengruppe zeigt. In der Art der Bewirtschaftung unterscheidet sich der Garten von allen anderen beschriebenen Projekten insofern, als zum Zeitpunkt der Erhebung die gesamte Fläche kollektiv genutzt wird. Der Unkrautanteil ist phasenweise sehr groß, die Beetstruktur unregelmäßig. Die Zuteilung von Verantwortlichkeiten sorgt zum Zeitpunkt der Erhebungen laufend für Diskussionen. Dem Initiator des Gartens kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Entscheidungen sollen in Plenarsitzungen oder in Arbeitskreisen getroffen werden, was allerdings nicht immer hinreichend umgesetzt werden kann. Die Zahl der Mitglieder variiert stark; die Transparenz der Mitgliederstruktur ist nach innen und außen gering.

Garten ‚Tief‘ wirkt sehr unordentlich, unternutzt oder intransparent oder – je nach Bewertung – vielfältig, bunt und dschungelartig-wildromantisch oder märchenhaft. Es gibt einen hohen Anteil an Wild- beziehungsweise Unkräutern. Die individuell genutzten Beete sind ungleich groß, nicht strikt geradlinig bis unregelmäßig angelegt und nicht klar abgegrenzt. Dies gilt auch für die weniger ausgedehnten kollektiv genutzten Flächen. Die Nutzungsmuster sind komplex und nicht für alle Gärtner_innen transparent, sondern im Gesamten nur für die Initiatorin und Gestalterin des Gartens. Die räumliche Gartenstruktur ist insgesamt stabil, unterliegt aber saisonalen Veränderungen. Die Verantwortlichkeiten sind in der Wahrnehmung vieler Gärtner_innen nicht klar zugeteilt, die Initiatorin gilt als ‚Kopf‘ und ‚Seele‘ des Gartens und übt informelle Letztentscheidungsmacht aus, auch gegen den Willen der Mehrheit. Die Mitgliederstruktur wechselt rasch, ist nur der Initiatorin vollständig bekannt und wird von ihr in letzter Instanz kontrolliert und aktiv gesteuert. Der Garten weist eine geringe öffentliche Sichtbarkeit auf.

Garten ‚Lang‘ wirkt bunt und vielfältig, wird aber mitunter auch als etwas unordentlich wahrgenommen. Der Garten wird vom Raumelement des Hochbeetes bestimmt sowie von selbst gebauten Sitzmöbeln. Daneben gibt es gemeinschaftlich genutzte Beetflächen. Die Hochbeete sind sehr verschieden gestaltet. Die Abstände sind uneinheitlich, die Struktur des Gartens wurde nicht zentral geplant. Die Nutzungsmuster sind im Erhebungszeitraum nicht in jeder Hinsicht eindeutig, die Nutzung der gemeinschaftlichen Beete ist formell nicht geregelt und deren konkreter Ablauf ist den Mitgliedern im Ganzen nicht bekannt. Der Garten weist eine starke Veränderlichkeit der Raumstruktur auf. Verantwortlichkeiten sind durch die Organisationsform eines Vereins teilweise klar zugewiesen, andere Verantwortlichkeiten beruhen auf Eigeninitiative, sozialen Kompetenzen und individueller Reputation in der Gruppe. Die Mitgliederstruktur ist grundsätzlich transparent, aufgrund der lockeren Organisationsform jedoch nicht allen im Detail bekannt. Die Gruppe ist stark politisch orientiert und einige wollen, der Zielsetzung der Initiatorin entsprechend, die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums mit dem Projekt problematisieren. Der Garten unterliegt einer starken Sichtbarkeit und fügt sich ästhetisch nahtlos an das benachbarte Lokal an (‚Do-it-yourself‘-Ästhetik und ‚hippe, urbane Ruralität‘). Wichtige Entscheidungen werden häufig kontrovers und produktiv diskutiert, die Gruppe erlebt sich als basisdemokratisch. Der Garten entstand auf Initiative einer Künstlerin, die Wahl der Vereinsform ging auf ihre Einschätzung zurück, dass der Garten in näherer Zukunft mit der Stadt Wien einen Vertrag abschließen muss.

Garten ‚Breit‘ wirkt je nach Bewertung unordentlich und unternutzt oder wildromantisch und vielfältig, natürlich und bunt. Beetstruktur und -abstände sind unregelmäßig und folgen nur teilweise geraden Linien. Der Weg durch den Garten entstand spontan und ist unregelmäßig. Der Garten wurde nicht zentral geplant. Beete werden individuell genutzt, Obstbäume und Fruchtsträucher werden von allen beerntet. Der Garten weist einen sehr hohen Unkraut- und extensiven Wiesenanteil auf. Es existiert eine große Vielfalt verschiedener Raumelemente und Nutzungen. Die Mitgliederstruktur ist den Gärtner_innen nicht bekannt, es gibt kein Verzeichnis der Gärtner_innen, als Pächter fungiert im Erhebungszeitraum der Initiator. Formelle Sitzungen finden meist nur einmal im Jahr statt, es gibt eine technisch-problembezogene und lose-selbstorganisierte Kooperation der Mitglieder. Die Verantwortlichkeiten sind bis auf den Pächter (als Ansprechpartner des Eigentümers der Fläche) lediglich informell und auf Basis von Eigeninitiative und Reputation in der Gruppe verteilt. Die Weitergabe von Beeten erfolgt informell und durch Mundpropaganda oder im Bekannten- und Freundeskreis.

Zur Veranschaulichung der beschriebenen Raumstrukturen werden Orthofotoaufnahmen der untersuchten Gartenprojekte kurz charakterisiert, und zwar aus einer Vogelperspektive, die nicht nur metaphorisch ein wesentliches Moment im ‚Blick des Staates‘ darstellt, wie oben erläutert wurde. Fotos ergänzen die Orthoaufnahmen der Gärten ‚Grün‘ und ‚Hoch‘.

Projekt ‚Gelb‘ ist ein Gemeinschaftsgarten, dessen Struktur sich bruchlos in die Matrix des Parks und der anschließenden Gebäude einfügt. Ein Teil der Gartenfläche ist in Ovalform betoniert. Die einzelnen Beete sind klar und durch gleichförmige Abstände voneinander abgegrenzt, die Zahl der nutzenden Parteien ist pro Beet konstant. Das Rastersystem der Beetanordnung verstärkt die Lesbarkeit noch. Die gemeinschaftlich genutzte Infrastruktur ist eindeutig erkennbar und durch die Betonfläche (die auch drei Hochbeete trägt) vom Rest des Gartens abgesetzt.

Abb. 1 Projekt ‚Blau‘, ein staatlich beeinflusster Gemeinschaftsgarten: Blick in den Garten vom Gehsteig aus. Der in den staatlich beeinflussten Gärten vorgeschriebene Stahlgitterzaun ist auf dem Foto nicht sichtbar. Die Gartenstruktur folgt einem Muster von Lesbarkeit, die Regelmäßigkeit wurde auf Vorschlag einer Gärtnerin durch Krümmung der Beetachse aufgeweicht. (Quelle: Andreas Exner, 2014) Abb. 2 Projekt ‚Gelb‘, ein von der Lokalen Agenda 21 initiierter und begleiteter, staatlich beeinflusster Gemeinschaftsgarten (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015) Abb. 3 Projekt ‚Rot‘, ein staatlich beeinflusster Garten mit zugleich deutlich autonom gestalteten Strukturen (Quelle: Stadt Wien, Vienna-GIS, 2015) Abb. 4 Projekt ‚Grün‘, ein von der Bezirkspolitik initiierter Gemeinschaftsgarten, im Orthofoto zum Zeitpunkt des Aufbaus der Hochbeete: Die rasterförmige Matrix ist klar zu erkennen. Sie unterscheidet sich nicht vom benachbarten Flakturm, der links oben ins Bild hineinragt. (Quelle: Isabelle Schützenberger, Sommer 2013) Abb. 5 Projekt ‚Grün‘ (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015) Abb. 6 Projekt ‚Hoch‘ (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015)
Abb. 1 Projekt ‚Blau‘, ein staatlich beeinflusster Gemeinschaftsgarten: Blick in den Garten vom Gehsteig aus. Der in den staatlich beeinflussten Gärten vorgeschriebene Stahlgitterzaun ist auf dem Foto nicht sichtbar. Die Gartenstruktur folgt einem Muster von Lesbarkeit, die Regelmäßigkeit wurde auf Vorschlag einer Gärtnerin durch Krümmung der Beetachse aufgeweicht. (Quelle: Andreas Exner, 2014)
Abb. 2 Projekt ‚Gelb‘, ein von der Lokalen Agenda 21 initiierter und begleiteter, staatlich beeinflusster Gemeinschaftsgarten (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015)
Abb. 3 Projekt ‚Rot‘, ein staatlich beeinflusster Garten mit zugleich deutlich autonom gestalteten Strukturen (Quelle: Stadt Wien, Vienna-GIS, 2015)
Abb. 4 Projekt ‚Grün‘, ein von der Bezirkspolitik initiierter Gemeinschaftsgarten, im Orthofoto zum Zeitpunkt des Aufbaus der Hochbeete: Die rasterförmige Matrix ist klar zu erkennen. Sie unterscheidet sich nicht vom benachbarten Flakturm, der links oben ins Bild hineinragt. (Quelle: Isabelle Schützenberger, Sommer 2013)
Abb. 5 Projekt ‚Grün‘ (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015)
Abb. 6 Projekt ‚Hoch‘ (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015)

Die Grundstruktur dieses Gartens ist rasterförmig, allerdings, wie auch am Foto erkennbar, unregelmäßig und durch ungewöhnlich enge Abstände zwischen den Beeten charakterisiert. Dies erklärt sich durch den pragmatischen und ertragsorientierten Fokus der Gartenplanung, die durch die Gruppe selbst realisiert wurde. Dies ist ein planerischer Gesichtspunkt, der dem stärker staatlich beeinflussten Garten ‚Gelb‘ fehlt.

Die Anlage der Beete ist unregelmäßig und für einen externen Akteur oder eine externe Akteurin in ihrem Zusammenhang mit der Gruppenstruktur intransparent, wenngleich die funktionellen Erfordernisse der Ertragsorientierung eine näherungsweise Rechteckform nahegelegt haben, wie am Orthofoto sichtbar.

Die Ordnung der sozialen Nutzung (Beetgrenzen, Zuordnung zu Individual- und Gemeinschaftsnutzung) des permakulturell gestalteten Gartens ‚Tief‘ erschließt sich für eine_n externe Akteur_in nicht.

Das wenig detailscharfe Orthofoto veranschaulicht näherungsweise die unregelmäßige Positionierung der Hochbeete. Die materiellen Eigenschaften der Artefakte (Hochbeete) determinieren nicht schon die Raumstruktur. Eine rasterförmig-gleichmäßige Anordnung wird in mehrfacher Hinsicht durchbrochen (am Foto nur teil- und näherungsweise sichtbar).

In Abbildung 10 ist der Garten ‚Breit‘ als ein schräg von links unten nach rechts oben verlaufender Streifen mit unregelmäßigen anthropogenen Formen zu erkennen (Wege sind näherungsweise sichtbar). Dieser Garten hebt sich schon ästhetisch aus der Vogelperspektive deutlich von der umgebenden räumlichen Matrix ab. Seine Struktur ist weder intern noch von außen gut lesbar.

4. Lesbarkeit und Korridorisierung

Das Muster von Lesbarkeit versus Unlesbarkeit von außen lässt sich im Rahmen unserer Fallstudien zu den Gemeinschaftsgärten in Wien, allerdings auch darüber hinaus, verallgemeinern. Es entspricht der Tendenz nach dem Kontrast zwischen den staatlich beeinflussten und den vom lokalen Staat nicht direkt beeinflussten Projekten – jenen also, bei denen weder eine öffentliche oder halböffentliche Körperschaft (MA42, MA49[11], LA21, Gebietsbetreuung, Wohnpartner) noch die Bezirkspolitik direkt intervenieren, zum Beispiel über Verträge oder anderweitige, mehr oder weniger zwingende Vorgaben und Planungsmaßnahmen. Mit dem höheren Grad an Lesbarkeit der direkt staatlich beeinflussten Gärten geht nicht nur eine größere Homogenität des Binnenraums eines solchen Gartens einher, sondern auch eine größere Ähnlichkeit zwischen den einzelnen Projekten dieses Typs Gemeinschaftsgarten. Sie stechen nicht nur durch den von der Stadtverwaltung (MA 42) vorgeschriebenen Stahlgitterzaun heraus, sondern auch durch die uniforme Gestaltung der Hochbeete und die zumeist vorhandene Fertigteil-Gartenhütte.

Abb. 7
Blick auf die Anbaufläche von Projekt ‚Hoch‘, ein staatlich nicht beeinflusster Ort zwischen Gemeinschaftsgarten und Landwirtschaftsprojekt (Quelle: 
Andreas Exner, Oktober 2013)
Abb. 7 Blick auf die Anbaufläche von Projekt ‚Hoch‘, ein staatlich nicht beeinflusster Ort zwischen Gemeinschaftsgarten und Landwirtschaftsprojekt (Quelle: Andreas Exner, Oktober 2013)

Die nicht vom lokalen Staat initiierten, begleiteten oder geförderten Projekte dagegen sind in unserer Fallstudie räumlich-ästhetisch untereinander viel stärker differenziert und heben sich insgesamt durch ihren höheren Grad von ‚Unordnung‘ beziehungsweise nicht extern lesbarer Ordnung in räumlicher Hinsicht von den staatlich beeinflussten Gärten ab. Auch bezüglich der sozialen Organisationsform weisen sie erhebliche Unterschiede im wechselseitigen Vergleich sowie im Hinblick auf die lokalstaatlich geprägten Projekte auf. Einige sind als Verein organisiert, wobei der Grad der Selbstorganisation innerhalb des Vereins variiert. Diese Gärten zeigen einen hohen Grad an räumlicher und sozialer Lesbarkeit. Andere sind nicht als Verein organisiert, womit ein geringerer Grad an Lesbarkeit einhergeht, sowohl von außen als auch für die Mitglieder. In einem Fall ist der Garten zentral durch die Initiatorin lesbar, aber nicht für die Mitglieder. Dies geht mit einer von den Mitgliedern als problematisch wahrgenommenen Organisationsstruktur einher.

Hinsichtlich der empirischen Befunde und unter Berücksichtigung der limitierten Aussagekraft von Fallbeispielen ist also festzustellen: Die institutionellen Praktiken staatlicher Akteur_innen (unter Einbezug der Akteur_innen des erweiterten Staates, wie Gartenpolylog, Lokale Agenda 21 oder Gebietsbetreuung) prägen den Prozessen der Selbstorganisation der Gartengruppen bestimmte Entwicklungskorridore auf. Das heißt, die möglichen Entwicklungen sind in einem hohen Ausmaß bereits durch die Rahmenbedingungen festgelegt, die vom lokalen Staat gesetzt werden, und zugleich sind die Bandbreite und Dynamik möglicher Entwicklungen vergleichsweise stark eingeschränkt. Diese Entwicklungskorridore werden zum einen durch die vorgegebene Rechtsform (des Vereins) eingeschrieben, zum anderen auch durch die raumstrukturellen Vorgaben der initiierenden Institutionen des lokalen Staates. Die Korridorisierung wird von den Gärtner_innen teilweise aktiv mitgetragen, teilweise wird auch Widerstand geübt. Wie ein Fall zeigt, können sich staatlicher Einfluss und Autonomie der Gartengruppe zu einem balancierten Kräfteverhältnis überlagern. Dieser Garten nimmt daher eine Hybridposition zwischen stark und nicht staatlich beeinflussten Projekten ein.

Abb. 8 Projekt ‚Tief‘, ein nicht staatlich beeinflusster Gemeinschaftsgarten (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015) Abb. 9 Projekt ‚Lang‘, ein nicht direkt staatlich beeinflusster Garten (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015) Abb. 10  Projekt ‚Breit‘, ein dezentral-kollektiver, nicht staatlich beeinflusster Gemeinschaftsgarten (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015)
Abb. 8 Projekt ‚Tief‘, ein nicht staatlich beeinflusster Gemeinschaftsgarten (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015)
Abb. 9 Projekt ‚Lang‘, ein nicht direkt staatlich beeinflusster Garten (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015)
Abb. 10 Projekt ‚Breit‘, ein dezentral-kollektiver, nicht staatlich beeinflusster Gemeinschaftsgarten (Quelle: Stadt Wien, ViennaGIS, 2015)

Die Korridorisierung von Entwicklungen erfolgt auf andere Art in den Projekten ohne direkten staatlichen Einfluss. Hier ist die Rolle der Initiator_innen viel stärker oder sogar ausschlaggebend für die Entwicklung des Gartens. Diese kann von einem pragmatischen Zugang eines weitgehenden Laissez-faire bis zu einer pädagogisch legitimierten und mehrheitlich akzeptierten Führungsrolle mit starken Durchgriffs- und Entscheidungsrechten gehen oder die Form einer strategischen Kontextsteuerung und initialen Pfadfestlegung für eine dann eigendynamische Entwicklung annehmen.

Die Raum- und Organisationsstrukturen fügen sich im Fall der stark vom lokalen Staat beeinflussten Projekte bruchlos in die sozial-räumliche Matrix der bürokratisch-kapitalistischen Stadt ein. Soziale Selbstorganisation als solche, die dort die Form des Vereins annimmt, ist für die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft im Rahmen der so genannten Zivilgesellschaft konstitutiv und markiert als solche noch keine Abweichung von deren sozialen Formen.

Im Fall der nicht direkt vom Staat beeinflussten Projekte besteht ein gewisser oder starker Kontrast dazu. Der Garten ‚Lang‘ nimmt in dieser Hinsicht eine Hybridposition ein. Er ordnet sich ästhetisch in sein ‚hippes‘ soziales und räumliches Umfeld – das er zugleich performativ zu kritisieren beansprucht – bruchlos ein. Die ‚hippe‘ Ästhetik entspringt nicht einer unbedachten Unordnung, sondern einer normalisierten Kombination von (scheinbar) ‚spontanen‘ Elementen (nicht standardisierte Möbel, Unkraut) und des Recyclings von Materialien. Diese Ästhetik findet sich ebenso im angrenzenden kommerziellen Lokalbetrieb (des Pächters der Fläche, die der Garten nutzt) sowie in der Graffiti-Bemalung, welche die Umgebung prägt. Seine Organisations- und Raumstruktur weist Elemente von externer oder interner Unlesbarkeit auf, die ihn von den direkt staatlich beeinflussten Gärten markant unterscheiden. Am weitesten von der dominanten sozial-räumlichen Matrix der Stadt Wien weicht Garten ‚Breit‘ ab. Er verfolgt kein Interesse an Sichtbarkeit oder einer Vorbildwirkung und hat keine Zielsetzungen externer Akteur_innen im Sinne von öffentlichen Körperschaften, NGOs, Medien, der Bezirkspolitik oder Nachbar_innen zu bedienen (aufgrund seiner räumlichen Lage und der relativen sozialen Isolation bei Abwesenheit kollektiver politischer Zielsetzungen). Daher folgt er weder den impliziten Normen einer „Kreativästhetik“[12], deren de facto standardisierte Gestaltung ‚Kreativität‘ und ‚Lebendigkeit‘ symbolisieren soll (etwa über bestimmte Raumelemente wie bemalte Paletten und andere Praktiken des Upcycling sowie wiederkehrende Stilkombinationen), noch entspricht er den Ansprüchen der Ästhetik der hegemonialen politischen Ordnung, die sich insbesondere in jenen Gärten ausdrückt, die als Imageprojekte der Stadtpolitik gelten.

Unsere Fallstudien zeigen, dass sich einerseits die Lesbarkeit sozialer Strukturen der Gartenorganisationen im Grad der Lesbarkeit von Raum spiegelt. Andererseits korridorisieren die räumlichen Strukturen auch die Gartenorganisation und die Subjektivitäten der Gärtner_innen. Die Gemeinschaftsbeetflächen in allen untersuchten Gärten symbolisieren – wie auch mehrere Gärtner_innen in Interviews mitteilen – die Gemeinschaftlichkeit des Gartens. Immer wieder grenzen sich Gärtner_innen entsprechend vom häufig abschätzig beurteilten Kleingarten mit seiner ‚Schrebergartenmentalität‘[13] des Privaten und auf sich Zurückgezogenen ab. Zugleich wird in der Regel die individuelle Nutzung von Beeten, die in allen untersuchten Gärten flächen- und arbeitsmäßig überwiegt, als selbstverständlich betrachtet. In Wien gibt es in der Tat nach unserer Kenntnis gegenwärtig nur drei weitgehend oder gänzlich kollektive pflanzenbauliche Projekte, die sich aber diskursiv vom Garten abgrenzen. Die individuelle Nutzung wird in Interviews teilweise mit dem für selbstverständlich oder wünschenswert betrachteten individuellen Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag begründet, oder aber die Individualbeete werden als Flächen für den individuellen Selbstausdruck und die individuelle Kreativität und Neugier im pflanzenbaulichen Experiment interpretiert.

Die Symbolisierungsfunktion der Gemeinschaftsgärten in Hinblick auf die Vorstellung einer idealen politischen Ordnung zeigt sich auch in der Trias aus Vereinsvorstand, dem privateigentümlich konzipierten Raum der individuellen Beete und den Gemeinschaftsflächen. Sie lässt sich symbolisch als Ausdruck der konstitutiven Eckpunkte bürgerlicher Gesellschaft interpretieren: Regierung, Privatsphäre und öffentlicher Raum. Garten ‚Breit‘ dagegen wird in Interviews mehrfach in die Nähe eines Anarchismus gerückt. Die Raumstruktur in Garten ‚Breit‘ symbolisiert hinsichtlich der Fläche und ihrer Gestaltung eine Kombination „freier“[14] Entfaltung der Gärtner_innen, die je nach individueller Entscheidung kooperieren. Garten ‚Tief‘ ist räumlich widersprüchlich strukturiert. Die Gartenanlage wurde von der Leiterin konzipiert und kontinuierlich nach permakultureller Philosophie entwickelt. Zugleich sollen die Gärtner_innen nach dem Wunsch der Leiterin mit Verweis auf eben diese Philosophie Eigensinn entfalten können und eine selbstorganisierte Gemeinschaft bilden – was auch mehrere Gärtner_innen wünschen. Dieser Eigensinn ist jedoch im Rahmen der gegebenen Raumstruktur nicht sehr weitgehend möglich, ohne diese grundlegend umzugestalten. Das widersprüchliche Raumkonzept zeigt sich parallel auf der Ebene der Gartenorganisation als ein Widerspruch, der immer wieder zu Konflikten führt. Garten ‚Lang‘ erweist sich als außergewöhnlich dynamisch in raumstruktureller Hinsicht. Anders als die übrigen uns bekannten Wiener Gemeinschaftsgärten in stark frequentierten öffentlichen Räumen fehlt ein Zaun. Diese Entscheidung ist der politischen Motivation der Initiatorin geschuldet, wird jedoch von den allermeisten, möglicherweise allen Gärtner_innen aktiv mitgetragen – allerdings bei manchen erst nach einer Zeit der Gewöhnung an dieses ungewöhnliche Arrangement. Der Effekt der räumlichen Offenheit des Gartens in unmittelbarer Nähe eines flanierenden Besucher_innenstroms zwischen Lokalen und Freiflächen in der Umgebung ist eine direkte Konfrontation der Gartengruppe mit vielen anderen Nutzer_innen. Dies führt zu einer Reihe von Austausch- und Adaptionsprozessen zwischen der Gruppe selbst und den Passant_innen und benachbarten Nutzer_innen, die den Gartenraum gebrauchen oder – je nach Bewertung durch die Gruppe oder einzelne Gärtner_innen – missbrauchen. Die räumliche Offenheit signalisiert und ermöglicht nicht nur eine relative soziale Offenheit. Umgekehrt erfordert die Offenheit des Gartenraums auch eine soziale Offenheit, erzwingt sie mitunter sogar oder legt eine solche nahe.

5. Fazit: Momente eines differentiellen Raums in Gemeinschaftsgärten?

Rückgebunden auf die eingangs gestellte Frage nach Momenten des differentiellen Raums sind im Abschluss zwei Präzisierungen zu treffen. Erstens erfordert die Überwindung des abstrakten Raums, so wie Lefebvre diesen fasst, eine grundlegende Dekommodifizierung und Entbürokratisierung des Raums, die nur mit einer Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise und staatlicher Herrschaft einhergehen kann. Eine solche Entwicklung ist momentan nicht absehbar. Gemeinschaftsgärten wie die in Wien stellen kaum einen auch nur kleinen Ansatzpunkt dafür dar (für eine grundsätzlich ähnliche Einschätzung siehe Reitterer 2014). Dort, wo sie auf öffentlichen Flächen lokalisiert sind, handelt es sich aktuell um dekommodifizierte Räume, die allerdings der bürokratischen Kontrolle unterstehen und vom Bodenmarkt nicht grundsätzlich entkoppelt sind. Das in Wien maßgebliche Rotationsprinzip in den meisten staatlich beeinflussten Gärten individualisiert zudem die Gärtner_innen der Tendenz nach und schreibt – neben der Pacht – auch ein dem Privateigentum ähnliches Verhältnis in die entsprechende Organisation der Beetnutzung ein.

Zweitens ginge es in einer Perspektive der Produktion eines differentiellen Raums darum, eine Heterogenität von Qualitäten herzustellen, die sich der auf Transparenz zielenden Homogenisierung des abstrakten Raums – der Lesbarkeit im Sinn von Scott – entzieht. Dieser Aspekt der Überwindung des abstrakten Raums dürfte sich jedoch nicht allein auf eine Betonung des symbolischen Raums beziehen, welcher der Garten als solcher bereits ist. Denn der abstrakte Raum ist unter heutigen Bedingungen wesentlich auch ein Raum vielfältiger, viele Sinne ansprechender, atmosphärisch-anregender Repräsentationen geworden, die eine ‚Do-it-yourself‘-Ästhetik inkludieren. Gemeinschaftsgärten sind als ein Teil der „Kulturalisierung der Stadt“ (Reckwitz 2014) zu verstehen (Gruppe Roter Mangold 2014[15]). Inwiefern Gemeinschaftsgärten alternative Versionen ästhetischer Praktiken darstellen, nämlich profane Kreativität und eine Ästhetik der Wiederholung, und sich damit dem von der Steigerungslogik, der Orientierung am Neuen und der Publikumsorientierung des Marktes geprägten Kreativitätsdispositiv tendenziell und teilweise entziehen (Reckwitz 2014: 355), bliebe zu untersuchen und wäre abzuwarten. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, so würde doch der lokale Staat diese Praktiken in seine Selbstrepräsentation symbolisch integrieren. Er fördert sie in Wien deshalb aktiv, um das eigene Image einer kreativen, sozialen und ökologischen Stadt zu produzieren und aufrechtzuerhalten. Dies erfolgt jedoch unter Maßgabe der Lesbarkeit, der Reproduktion des abstrakten Raums. Die in den Fallstudien untersuchten Gemeinschaftsgärten lassen folglich am ehesten Momente eines differentiellen Raums erkennen, je weniger sich staatlicher Einfluss auswirkt.

Endnoten

Autor_innen

Andreas Exner hat Ökologie studiert und arbeitet an einer politikwissenschaftlichen Dissertation zu Gemeinschaftsgärten in Wien.

andreas.exner@aon.at

 

Isabelle Schützenberger hat Internationale Entwicklung sowie Umwelt- und Ressourcenmanagement studiert und forscht zu Gemeinschaftsgärten in Wien.

isabelle.schuetzenberger@reflex.at

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