„Schulte et al. haben nicht nur den Finger in die Wunde gelegt, sie sind auch Ausdruck derselben.“ Ein Gespräch über den ‘Schäferhund-Hoax’ mit dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk

Ilko-Sascha Kowalczuk

In den Stellungnahmen zu ihrem „Schäferhund-Hoax“ erheben Christiane Schulte und Freund_innen schwere Vorwürfe gegen die Human-Animal Studies (HAS) sowie die Totalitarismusforschung. Wir haben mit dem Historiker und wissenschaftlichen Mitarbeiter beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Ilko-Sascha Kowalczuk, sowie Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies e. V. über die Intention und Kritik von Schulte et. al. sowie die Möglichkeiten kritisch-emanzipativer Wissenschaft gesprochen.

sub\urban (s\u): Mit ihrem Hoax haben Christiane Schulte und Freund_innen ja für einigen Wirbel gesorgt, nicht zuletzt in den Geschichtswissenschaften. Wie haben Sie die Reaktionen auf die Intervention erlebt? Wie wurde sie nach Ihrer Einschätzung im Kontext der DDR-Forschung rezipiert und diskutiert?

Ilko-Sascha Kowalczuk (ISK): Ich las zunächst via HSozKult von diesem Vortrag. Erst Anfang 2015 in der Konferenzankündigung, dann einige Wochen später im dazugehörigen Konferenzbericht. Beides war sofort Gesprächsstoff in meinem engsten Kolleg*innenkreis. Die Reaktionen waren eindeutig: wir schüttelten die Köpfe und lachten über so viel Unsinn. Ich arbeite in der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagenbehörde, gemeinhin also eine Einrichtung, die in der kritischen Öffentlichkeit als eine angebliche Vertreterin par excellence totalitarismus- und extremismustheoretischer Ansätze angesehen wird. Wir wunderten uns jedenfalls, dass auf dieser Tagung offenkundig ernsthaft über diesen Unsinn debattiert worden war. Als dann der Vortrag in der Zeitschrift „Totalitarismus und Demokratie“ publiziert worden ist, lasen wir ihn sofort und waren fassungslos, dass ein solcher Quatsch in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert worden war. Die später veröffentlichte Stellungnahme von der Redaktion machte die Sache wahrlich nicht besser. Wir lachten wieder und sahen uns in unseren Erfahrungen bestätigt. Diese hatten bis dahin jedoch einen anderen Hintergrund, der aber letztlich auf das gleiche Schema hinausläuft.

Denn ich selbst hatte nur wenige Monate zuvor, im Jahr 2013, hautnah erlebt, was kritische Wissenschaft erleben kann: ich hatte ein Buch veröffentlicht („Stasi konkret“), in dem ich neben viel Konventionellem, das ich brachte, einiges in Frage stellte. So bezweifle ich aufgrund langjähriger Forschungen, dass die bisherigen Angaben über die IM-Zahlen zutreffend sind, dass die Angaben über kontrollierte Briefe in der DDR stimmen et cetera. Insgesamt betone ich, dass die DDR- und Stasi-Geschichte bislang zu wenig historisiert und kontextualisiert worden sind und immer nur diejenigen „Recht“ bekommen, die die größten Zahlenangaben und die schlimmsten Verbrechen behaupten. Ich prognostizierte in diesem Buch, dass man für solche Thesen zum Verharmloser und DDR-Freund abgestempelt werden könne. Was dann allerdings passierte, dazu reichte auch meine Fantasie nicht aus: monatelang trommelten bestimmte Medien gegen das Buch und mich ganz persönlich. Zugleich stellte sich niemand offensiv auf meine Seite, obwohl es hinter den Kulissen viele gab, die ähnlicher Ansicht waren. Die schlimmsten Anfeindungen kamen zugleich aus meiner eigenen Institution, die mein Buch zur reinen Privatangelegenheit erklärte. Das wurde dann besonders grotesk, als ausgerechnet die Fraktion „Die Linke“ im Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung stellte und wissen wollte, wie diese zu meinen Thesen stehe und sogar implizit fragte, ob es arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen mich gebe! Initiiert hatte das ein Kollege von mir, der sich besonders durch mein Buch angegriffen empfand, weil er offenbar glaubte und glaubt, auf diese Forschungsthemen hätte nur er ein Anrecht (so etwas kommt übrigens in der Wissenschaft nicht selten vor, sehr skurril!). Aber es wurde noch grotesker: Wie es üblich ist, reichte die Bundesregierung die Kleine Anfrage an die zuständige Behörde zur Beantwortung weiter, also letztlich an die Stasi-Unterlagenbehörde und dort wiederum sollte ich selbst das Antwortschreiben, das sich gegen meine wissenschaftlichen Thesen richtete, aktiv zur Kenntnis nehmen. Als die Antwort öffentlich bekannt wurde, jubelten Medien wie Tagesspiegel oder Welt, die Bundesregierung habe „entschieden“, wie viele IM es in der DDR gab und ich hätte, wie ein Journalist der Berliner Zeitung in einem Buch des Ch. Links Verlages ernsthaft schrieb, „verloren“. Alles kein Witz!

Ich erzähle dies hier, weil ich vor dem Hintergrund einer solchen kafkaesken Erfahrung natürlich besonders sensibilisiert bin, wie mit kritischen wissenschaftlichen Ansätzen und Einlassungen umgegangen wird. Zugleich aber beobachte ich publicitymäßig motivierte Übertreibungen – und um eine solche schien es sich mir beim „deutschen Schäferhund“ so oder so in jedem Falle zu handeln. Das war erkennbar.Was nun die Geschichtswissenschaft anbelangt, da habe ich in Bezug auf den Schäferhund-Hoax kaum Reaktionen wahrgenommen. Aber betretenes, lautes Schweigen, gerade wenn es besonders laut ausfällt, ist ja auch ein Indikator. Die historische DDR-Forschung ist insgesamt nicht gerade dafür bekannt, selbstkritisch das eigene Tun zu reflektieren.

s\u: In ihren Stellungnahmen erheben Christiane Schulte und Freund_innen schwere Vorwürfe an die Extremismusforschung. Nicht nur parallelisiere sie Kommunismus und Faschismus, auch diene sie primär dazu, Antifaschist_innen und Neonazis gleichzusetzen. Damit hätte die Extremismusforschung dem aktuellen Aufschwung neofaschistischer Bewegungen Vorschub geleistet. Teilen Sie diese Einschätzung?

ISK: Nein. Ich gestehe durchaus zu, dass man dieser Ansicht sein kann. Aber ich vermute zugleich, dass die Aktivist*innen hier weniger als Wissenschaftler*innen sprechen. Jede*r, die oder der sich intensiv mit der Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert wissenschaftlich auseinandergesetzt hat, wird gar nicht umhinkommen, Faschismus/Nationalsozialismus und Kommunismus (und global betrachtet füge ich hinzu: Kolonialismus) und die von ihnen hervorgebrachten Diktaturen in historisch-organischen Zusammenhängen zu analysieren und zu vergleichen, weil natürlich nur ein Vergleich auch die Unterschiede hervortreten lassen kann.

Vergleichen gehört zum Kerngeschäft jeder wissenschaftlichen Arbeit. Wer dies unterdrücken will, egal was miteinander verglichen werden soll, erweist sich als wissenschafts- und intellektuellenfeindlich. Allerdings erfordert der wissenschaftliche Vergleich ein hohes Maß an methodischer und theoretischer Reflexion und nicht zuletzt empirischer Genauigkeit. Die häufig artikulierte Kritik an Diktaturvergleichen ist nie wissenschaftlich, sondern immer geschichtspolitisch motiviert, weil die Vergleichsergebnisse als exkulpierend antizipiert werden. Geschichtswissenschaften dürfen sich um solche Verbotsallüren nicht scheren, für Geschichtspolitiker*innen aller Couleur hingegen gehören sie zum Kerngeschäft ihres Tuns.

Was die Sinnhaftigkeit von Vergleichen wiederum anbelangt, da kann man sehr wohl zuweilen seine Zweifel haben. Aber die Sinnfrage zu stellen ist auch so ein Unterfangen, von dem es nicht sehr weit ist bis hin zu Zensur und Verboten. Ich bin in der Diktatur sozialisiert worden – ich bin da sehr sensibel und empfindlich.

Die hinter Ihrer Frage stehende Befürchtung seit 1989/90, dass nämlich durch die kritische Betrachtung der DDR die NS-Diktatur ihrer einzigartigen Grausamkeit in der deutschen Geschichte beraubt werden könnte, hat sich im Übrigen auch nicht ansatzweise bewahrheitet. Diese Perspektive ist allerdings eine deutsche beziehungsweise westeuropäische. In den „Bloodlands“ (Snyder) sieht man dies anders. Und auch dafür gibt es dort gute Gründe.
Mich verwundert übrigens sehr, dass im Zusammenhang mit der DDR- und der Kommunismusgeschichte oft ein Perspektivenwechsel der kritischen Geschichts- und Sozialwissenschaften zu beobachten ist. Meist stehen die kritischen Gesellschaftswissenschaftler*innen auf der Seite der Unterdrückten, den vermeintlichen Verlierer*innen der Geschichte. Im Fall der DDR beziehungsweise des europäischen Kommunismus schlagen sie sich aber oft auf die Seite des Staates und verunglimpfen die Kritiker desselben. Ich verstehe, warum sie das tun: Sie wollen die sozialistische Idee – durchaus mit guten Gründen – nicht preisgeben, aufgeben und glauben offenbar, dies würde ihnen eher gelingen, wenn sie sich mit allen Gegnern des Kapitalismus (des Westens - wie H.A. Winkler sagen würde) gemein machen. Von dort ist es zuweilen ein kurzer Weg zur Apologie des real existierenden Sozialismus/Kommunismus, zum Beispiel anschaulich nachlesbar bei Hardt und Negri.

Ich komme nochmals auf die Thesen von Schultes et al und einen anderen Aspekt zu sprechen: In ihren Thesen schwingt eine kräftige Überschätzung der Wissenschaften und ihrer Einflussmöglichkeiten mit. Ich erlebe vielmehr, dass es in weiten Teilen der Gesellschaft, nicht zuletzt in den wirkungsmächtigen Print-, Funk- und Netz-Medien, eine verbreitete Wissenschaftsskepsis bis hin zur harschen Ablehnung gibt. In Deutschland grassiert doch längst wieder eine Intellektuellenfeindschaft, die sich immer stärker von den radikalen Rändern kommend in die vermeintliche Mitte der Gesellschaft ausbreitet.

In der Aufarbeitungslandschaft wiederum, die sich mit der DDR und dem Kommunismus beschäftigt, beobachte ich seit vielen Jahren, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nur nach Nützlichkeitserwägungen rezipiert werden und vieles von dem, was nicht in die tradierten Bilder passt, schlichtweg ignoriert oder gar als abwegig denunziert wird. Insofern ist gerade für den Aufstieg von AfD oder Pegida, wenn überhaupt, stärker die Aufarbeitungslandschaft, die politische Bildung, mit verantwortlich, denn die Wissenschaft. Die eigentlichen Gründe sind freilich anderswo zu suchen. Aber da sich die Prozesse ja in einem internationalen Kontext vollziehen, wie die Blicke nach Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Dänemark, Niederlande, Frankreich oder England zeigen, verbieten sich ohnehin einfache Antworten. Doch mich als ‚89er‘ schmerzt es schon, mit ansehen zu müssen, dass ausgerechnet jene, die vom Fall der Mauern 1989/91 am stärksten profitierten, nun nach neuen Mauern rufen.

s\u: Ist die Tatsache, dass der Hoax von Schulte et al. auch in der Redaktion von Totalitarismus und Demokratie nicht auffiel, Ihrer Ansicht nach ein Zeichen für die Krise der Forschungen zur DDR-Geschichte beziehungsweise des Wissenschaftsbetriebs allgemein?

ISK: Ich glaube nicht, dass es sich um eine aktuelle oder neue Krise handelt. Das gesamte Wissenschaftssystem steht seit Jahren und Jahrzehnten in der Kritik. Das deutsche Begutachtungssystem führt in allen Wissenschaften dazu, dass vor allem reproduziert wird, was vor dem Forschungsbeginn erwartet wird. Über 80 Prozent der deutschen Professor*innen glauben nicht, dass die Gutachten für Artikel, Stipendien, Forschungsanträge et cetera nach fairen, ‚objektiven‘ Gesichtspunkten verfasst werden. Es handelt sich hier immerhin um jene Gruppe, die vor allem diese Gutachten schreibt. Aber es handelt sich zugleich um eine Gruppe, die von Gutachten ‚betroffen‘ ist. Was soll man also noch sagen, wenn diese große Gruppe sich selbst nicht traut?!

Schulte et al. haben nicht nur den Finger in die Wunde gelegt, sie sind auch Ausdruck derselben. Ich habe immer alles mit offenem Visier gemacht, weil ich Wissenschaft immer als eine öffentliche und per se kritische Angelegenheit angesehen habe, die keine Rücksicht auf eventuelle Folgen für einen selbst nehmen darf. Dafür habe ich bezahlt, wenn vielleicht auch aus Sicht von Schulte et al. weniger einschneidend als in meiner eigenen Wahrnehmung. Aber dass sie letztlich aus Rücksicht auf ihre eigenen Karriereambitionen (und noch mit einigen anderen nicht nachvollziehbaren Argumenten) in der Anonymität bleiben, passt dann eben spiegelbildlich zum Wissenschaftssystem: Hinter dem Rücken wird der Dolch gezogen und zugestoßen, offen wird sich ins Gesicht gelächelt und zugeprostet.

Dass der Artikel veröffentlicht worden ist, hängt nach meiner Ansicht mit der eingangs bereits vorgestellten Beobachtung zusammen: Die These, der blutrünstige Grenzschäferhund stamme direkt vom nicht minder blutrünstigen KZ-Wachschäferhund ab, passt manchen ins historische Welt- und Geschichtsbild. Umgekehrt könnte man vermuten, ein Aufsatz mit der These, der Wachhund von Buchenwald und Sachsenhausen sei ‚erwiesenermaßen‘ weitaus angriffslustiger und bissiger gewesen als der Grenzhund an der innerdeutschen Demarkationslinie, weil der KZ-Hund deutsches Eigengewächs war während der Grenzhund mit einem russischen Exemplar gekreuzt wurde – ich vermute, einen solchen Aufsatz hätte der zuständige Redakteur abgelehnt.

So interessant der gesamte Vorgang ist, durchaus exemplarisch, wie ich finde, so vorsichtig allerdings sollten wir auch sein, aus dem etwas unterkomplexen Verhalten eines Redakteurs und einer Tagungsleitung gleich globale Rückschlüsse zu ziehen und die gesamte DDR-Forschung haftbar machen.

s\u: Wie Sie eingangs sagten, hatte bereits die Ankündigung des Vortrags von Schulte bei Ihnen und Ihren Kolleg_innen für Erheiterung gesorgt. Warum eigentlich genau? War es die These der Abstammung der DDR-Grenzhunde von den ‚Nazi-Hunden‘, die sie als absurd erkannten oder ging es eher um die Perspektive der Human-Animal-Studies allgemein? Wie stehen Sie zum Vorwurf von Schulte et al., dass die Human-Animal-Studies „für die Totalitarismustheorien und andere konservative bis rechte Erklärungsmuster offen“ seien?

ISK: Für Erheiterung sorgte der offenkundige Abstammungsunsinn. Dass die Human-Animal-Studies „für die Totalitarismustheorien und andere konservative bis rechte Erklärungsmuster offen“ seien, ist eine Behauptung, die genauso wahr oder unwahr ist, wie die These, der Mensch ist gut. Es ist eine Nullaussage, die etwas zu verhindern sucht, statt die Auseinandersetzung zu betreiben. Im Übrigen ist die Totalitarismustheorie, vielleicht weiß dass nicht jede*r, ursprünglich eine genuin linke Theorie gewesen. Sie jetzt pauschal als ‚konservativ‘ oder ‚rechts‘ zu bezeichnen, halte ich für wenig sachgerecht. Aber natürlich wird sie von Konservativen und Rechten gern benutzt. So wie ich mir sozialistische oder linke Ideen nicht von kommunistischen Machthaber*innen oder jenen, die sich plakativ Linke nennen, nehmen ließ oder lasse, so halte ich auch nichts davon, irgendetwas Rechten zu überlassen, nur weil einige linke Torwächter*innen glauben, alle, die anders denken, als Was-weiß-ich denunzieren zu müssen.

Eine sich selbst als kritisch verstehende Forschung zur DDR findet aktuell weniger in etablierten Institutionen, sondern eher in Arbeitskreisen und selbstorganisierten Zusammenhängen statt. Warum ist für solche Ansätze kein Platz in den Universitäten und Forschungszentren?

s\u: Welche Rolle kann kritische Wissenschaft und Forschung an den Universitäten und Forschungszentren spielen?

ISK: Die queere Philosophin Jami Weinstein fragte unlängst, warum kritische Wissenschaften wie die Gender- und Queer-Studies auf der Stelle treten. Sind die falschen Fragen gestellt worden? Oder ist mit den falschen Ansätzen, Theorien, Methoden gearbeitet worden? Oder können wir gar nicht kritisch sein, solange wir mit den Methoden und Kategorien dessen arbeiten, was kritisch unterwandert werden soll? Antike und Humanismus brachten ein Mantra westlicher Epistemologien hervor, beziehungsweise vertieften es, das in nachfolgenden Jahrhunderten und vor allem durch die Aufklärung verstärkt wurde: Das Narrativ des Binären, das im Kern die Formel Kultur versus Natur trägt, oder genauer - Kultur ist der Natur überlegen. Auf diesem Binarismus basieren viele der Logiken der Bauart (überlegener) Mensch versus (unterlegenes) Tier, (überlegener) Mann versus (unterlegene) Frau, Weiß-Sein als Norm versus Schwarze als ‚Andere‘, heterosexuell versus LGBTIQ und so weiter. Kritische Wissenschaften fordern diese Binarismen heraus, bleiben aber in dessen Denkgerüst gefangen. Egal wie intensiv theoretisch hergeleitet wird, dass es nicht um ‚Rasse’ als biologische Kategorie, sondern als soziale Position geht, die Erblast des Rassismus klingt mit. Kritische Wissenschaft muss mehr tun, als Missstände aufzudecken; sie muss alternative Wege gehen und dabei eben auch neue Begriffe, Theorien und Ziele wagen. Dieser Weg ist noch zu beschreiten.

Wenn ich etwas zu sagen hätte, wenn ich Verteilungsmacht hätte, dann würde ich den Schultes et al. eine Chance geben – gerade weil ich ihre Angriffe auf die Human Animal Studies völlig überzogen und deplatziert empfinde –, mit offenem Visier für ihre Thesen, Theorien und Methoden in einem Forschungsinstitut oder an einer Universität zu reüssieren. Diese Institutionen sind eigentlich jene Orte in unserer Gesellschaft, an denen staatlich alimentiert das Gegenwartsüberwindende erdacht, diskutiert und ausprobiert werden kann, soll, muss und darf. Es sind eigentlich Orte, die mit einer besonderen Power Ideen verbreiten, materialisieren können. Eigentlich... Leider sind sie das nicht – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Schultes et al. sich maskieren in der Hoffnung, sich zu demaskieren, wenn sie selbst mal Verteilungs- und Deutungsmacht besäßen, um kritische Wissenschaft in gesellschaftspolitischer Absicht zu betreiben. Der Weg bis dahin ist so lang, dass die meisten, am Ziel angelangt, selbst vergessen haben, dass sie eigentlich nur Maskierte sind. Die Maske ist zur vergoldeten Norm geworden – und vielleicht sogar zum eigentlichen Gesicht.

 

Interview, Transkription und redaktionelle Überarbeitung: Stefan Höhne, Boris Michel und Lisa Vollmer