Im Aufstand vereint?

Rezension zu Margit Mayer, Catharina Thörn und Håkan Thörn (Hg.) (2016): Urban Uprisings. Challenging Neoliberal Urbanism in Europe. London: Palgrave.

Lisa Vollmer

Der Sammelband Urban Uprisings. Challenging Neoliberal Urbanism in Europe ermöglicht einen vergleichenden Blick auf städtische Proteste in zahlreichen europäischen Ländern. Dabei ist es eines der Hauptargumente des Buches, dass riots und soziale Bewegungen nicht als theoretisch oder empirisch distinkte Phänomene zu betrachten sind. Im Gegenteil werden gerade ihre Zusammenhänge und gemeinsamen Grundlagen herausgearbeitet: die zunehmende strukturelle und verräumlichte Ungleichheit. Dafür erweist sich der vergleichende Blick auf Länder Süd- und Nordeuropas sowie ein osteuropäisches Land – eine Region, die in solchen Zusammenschauen oft fehlt – als besonders fruchtbar. Denn dadurch wird deutlich: Entgegen der klassischen, nationalisierten Krisenerzählung, in der es nordeuropäische Länder und vor allem Deutschland besonders ‚gut durch die Krise geschafft haben‘ und südeuropäische Länder die ‚Krisenverlierer‘ sind, hat die Finanzkrise – oder vielmehr ihre Grundlage, die dauerhafte Krise der Neoliberalisierung – eine viel differenziertere Landschaft des uneven development geschaffen. Ungleichheiten entstehen nicht nur zwischen Nationalstaaten, sondern auch innerhalb der Staatsgrenzen auf regionaler bis hin zur lokalen Ebene. Auch in Deutschland entstehen so neue Trägerschichten für urbane Bewegungen; durch das nach sicheren Häfen suchende globale Kapital sind manche Regionen in Deutschland sogar besonders betroffen. Auch in der Türkei und in Polen lassen sich keine nationalstaatlichen Wirtschaftskrisen feststellen. Trotzdem gibt es in beiden Ländern, ähnlich wie in Deutschland, urbane soziale Bewegungen, die ökonomische Ungleichheiten anprangern. Es ist vielleicht das größte Verdienst dieses Buches, überzeugend darzustellen, dass durch neoliberalen Urbanismus induzierte Krisenerfahrungen eine bestimmte Schicht des gespaltenen Europas vereinen oder zumindest das Potential dazu haben – urbane Unterschichten und die prekarisierte Mittelschicht.

In ihrer Einleitung schaffen Thörn/Mayer/Thörn das, was vielen Sammelbänden fehlt: Sie entwerfen einen gemeinsamen theoretischen Rahmen und überprüfen die Fallbeispiele auf ihre Gemeinsamkeiten. Der theoretische Anspruch der Einleitung und aller Beiträge ist dreifach: Erstens soll durch den Fokus auf die bisher unterbeleuchteten städtischen sozialen Bewegungen das Potential der Wiedereinführung strukturalistischer Perspektiven auf soziale Bewegungen ausgelotet werden, indem Forschung zur städtischen Neoliberalisierung und Soziale Bewegungsforschung zusammen gebracht werden.

Zweitens setzen sie sich für das Aufbrechen der analytischen Unterscheidung zwischen riots und sozialen Bewegungen ein. In einer erhellenden Überblicksdarstellung führen Thörn/Mayer/Thörn (2016: 10 f.) diese Trennung auf die Geschichte der Disziplin der sozialen Bewegungsforschung zurück. Die Teilung hat ihren Ursprung in den sozialpsychologischen Theorien Le Bons, Tardes und Freuds zum irrationalen Massenverhalten. Im ‚Mob‘ verliere das aufgeklärte, moderne Subjekt seine Individualität und könne höchstens noch einem populistischen Demagogen folgen. In den behavioristischen Theorien Neil Smelsers (1962) fand diese Sichtweise Eingang in die strukturalistisch-funktionalistische Soziale Bewegungsforschung, die riots und organsiertere Formen des Protests strukturell über Deprivation erklärten. Viele der aktuellen Sozialen Bewegungstheorien kritisieren diese Verbindung von sozialen Bewegungen mit ‚irrationalem Massenverhalten‘. Anstatt sich aber zu fragen, ob es sich bei riots und (vermeintlich) spontanen Aufständen tatsächlich um irrationales Verhalten handelt, spaltete man riots vom eigenen Untersuchungsgegenstand ab, um diesen als legitim erscheinen zu lassen. Dadurch lässt sich auch der oft verzerrende Fokus der Sozialen Bewegungsforschung auf Rationalität und bewusster Strategie wohlorganisierter Netzwerke erklären. Zur konzeptuellen Reintegration der beiden Phänomene schlagen Thörn/Mayer/Thörn (2016: 23 f.) ein mehrstufiges Begriffsinstrumentarium vor. Der Oberbegriff „kollektives politisches Handeln“ umfasst nach Grad der Organisiertheit und Artikuliertheit von Forderungen gestaffelt die Formen des „urbanen Widerstands“, des „urbanen Aufstands“ und der „urbanen sozialen Bewegung“. Damit wird es zur empirischen Frage (nicht zur theoretischen), ob urbaner Widerstand und urbane Aufstände (riots) Teile einer sozialen Bewegung sind.

Daraus ergibt sich drittens die theoretische Abgrenzung von einer dominanten sozialen Bewegungsforschung, die durch ihre mikro-soziologische Perspektive strukturelle Begründungen für Proteste aus den Augen verloren hat. Besonders in der Forschung zu riots, aber ebenso in der zu sozialen Bewegungen, entwickelte sich die Mikro-Perspektive als Kritik an Deprivationstheorien und anderen strukturellen Erklärungskonzepten für Proteste. Die (relative) Deprivation könne nicht erklären, warum nicht in allen benachteiligten Gegenden riots ausbrächen und durch welche Mechanismen soziale Benachteiligung genau mit der Entstehung von riots zusammenhänge. Thörn/Mayer/Thörn (2016: 13 f.) sprechen solchen detaillierten Analysen nicht ihr Erklärungspotential ab, verweisen aber auf die Gefahr, darüber strukturelle Faktoren zu übersehen. Die von den Herausgeber_innen vorgeschlagene europäische Variante der Neuen Sozialen Bewegungsforschung, rund um Autor_innen wie Alain Touraine (1981) Manuel Castells (1983), Alberto Melucci (1989) und natürlich Margit Mayer selbst, grenzte sich zwar von klassisch marxistischer Klassenanalyse ab, stellte aber weiterhin die Suche nach den strukturellen Widersprüchen und Konflikten in den Mittelpunkt ihrer Analysen: „they considered new social movements to be defined by their conflictual dimension and challenge to the logic of social systems“ (ebd.: 21). Dieser (post)marxistischen Perspektive wurde die Einsicht zur Seite gestellt, dass kollektive Handlungskompetenz (agency) weder einfach aus den Strukturen abzuleiten ist, noch aus einfachem rationalem Abwägen entspringt. Daran knüpfen auch die Thörn/Mayer/Thörn mit ihrem Vorschlag einer Städtischen Sozialen Bewegungsforschung an. Mit Castells argumentieren sie, dass die Produziertheit von Städten sich besonders in sozialen Protesten zeige. Das wiederum impliziere: „as the production of cities and the forms of urban social movements are changing, they also need to be rethought“ (ebd.: 26). Eine allzeit gültige Theorie städtischer sozialer Bewegungen kann es also nicht geben. „Städtische Soziale Bewegungen“ ist in diesem Sinn als ein analytisches Konzept zu verstehen. Genau das ist es, was die versammelten Beiträge leisten: Sie reflektieren die Spezifika neoliberaler Urbanismen und der dazugehörigen Regierungstechniken in ihrem Wechselverhältnis mit sozialen Bewegungen. Dabei verbinden Thörn/Mayer/Thörn und die übrigen Autor_innen des Sammelbandes scheinbar mühelos marxistische und poststrukturalistische Perspektiven. Zum Beispiel wird eine Krise sowohl als eine materielle Krise betrachtet, als auch als ein Riss im hegemonialen Diskurs, der eine Möglichkeit für Protest eröffnet.

Diese theoretischen Implikationen – die Wiedereinführung einer strukturalistischen Perspektive in die (städtische) soziale Bewegungsforschung und das Zusammendenken von riots und sozialen Bewegungen – führen zur Beschreibung von riots und allgemeiner kollektivem politischen Handeln als politische und politisierende Ereignisse (Miller/Nicholls 2013). Politisch sind sie, da sie ihren Ausgang in territorialer Stigmatisierung, sozialer Deprivation, Ungleichheit und strukturellem Rassismus nehmen – auch wenn ihre Teilnehmer_innen in manchen Fällen keine direkten politischen Forderungen stellen; politisierend sind sie, weil sie soziale Ungleichheiten und Konflikte sichtbar machen, der Erfahrungsvergemeinschaftung dienen und strukturelle Ungleichheit so öffentlich besprechbar machen.

Das Anliegen des Sammelbandes ist es, Gemeinsamkeiten zwischen sozialen Bewegungen in Europa herauszuarbeiten und darüber vermittelt auch Aussagen über gemeinsame strukturelle Veränderungen machen zu können. Trotz aller lokal und national spezifischen Formen der Neoliberalisierung hat sie einen gemeinsamen Effekt: die zunehmende verräumlichte soziale Ungleichheit. Das zugrunde liegende Verständnis von neoliberalem Urbanismus arbeitet Mayer in ihrem ebenfalls einführenden Beitrag „Neoliberal Urbanism and Uprisings Across Europe“ heraus. Mayer erklärt für eine Betrachtung des Neoliberalismus sowohl neo-marxistische Perspektiven als auch poststrukturalistische wie die Gouvernementalitätsstudien für relevant. Beide betonen, dass im Neoliberalismus die Rolle des Staates nicht geringer werde, sondern sich vielmehr wandle: Hin zu einem Staat, der seine Institutionen und Regeln nutzt, um die Kommodifizierung immer weiterer Bereiche zu ermöglichen und sich so in den Dienst einer Marktlogik stellt; einem Staat, der durch seine Regierungstechniken die Ideologie des Neoliberalismus und die Selbstidentifikation der Subjekte mit dem System, etwa die zunehmende Responsibilisierung der ‚aktiven Bürger‘, erst hervorbringt; und nicht zuletzt als ein Staat, der zur Durchsetzung von Marktlogiken (wieder) verstärkt auf repressive Maßnahmen und direkte Gewaltanwendung setzt (Graham 2010).

In einer ersten Gruppe von Beiträgen werden urbane Aufstände beschrieben. Die Analysen von Mustafa Dikeç zu den Aufständen in französischen banlieues 2005, Tom Slater zu den britischen riots 2011 und Ove Sernhede, Catharina Thörn und Håkan Thörn zu dem Aufstand im Stockholmer Stadtteil Husby 2013 stellen alle ein räumliches Zusammenkommen ökonomischer Ungleichheit, der Effekte urbaner Umstrukturierungsprozesse, immer stärkerer Stigmatisierung von Gebieten und Menschen und einer Legitimationskrise staatlicher Politiken und ihrer Institutionen als Ursache für die „urban rage“, wie Dikeç es nennt, fest. Entgegen der öffentlich hergestellten Wahrnehmung, die riots 2011 in Großbritannien seien ein spontaner und unzusammenhängender Ausbruch der Kriminalität devianter Schichten, bettet Slater sie in einen breiteren Protestkontext ein, indem er sie mit den Studierendenprotesten 2010 und den massiven Streiks im öffentlichen Sektor 2011 in Verbindung setzt. Alle drei Massenmobilisierungen reagieren auf die „strukturelle Gewalt der Austerität“, die Slater überzeugend als einen geplanten Angriff auf die unteren Schichten beschreibt, wobei auch die dahinterstehenden Akteure – vom neoliberalen think tank bis zu einzelnen Politiker_innen – klar benannt werden. Slaters Aufsatz zeigt interessanterweise, dass nicht in jenen Vierteln riots ausbrachen, die ‚unsichtbar‘ waren, sondern in jenen, die kurz vorher eine hohe Aufmerksamkeit durch Politik und Öffentlichkeit erfahren hatten und sich von dieser missrepräsentiert fühlten. Die Aufständischen drücken also weniger eine Abkehr von der Gesellschaft aus, wie ihnen vorgeworfen wird, sondern vielmehr die Empörung darüber, nicht an ihr teilhaben zu dürfen. Auch der schwedische Fall zeigt diesen Zusammenhang. Sechs Monate vor den Aufständen 2013 in Husby wurde ein öffentlicher Diskurs über Rassismus in den Medien ausgetragen, in dem die Erfahrungen von Betroffenen immer wieder relativiert und lächerlich gemacht wurden.

Die folgenden beiden Beiträge stellen Konflikte um länger etablierte linke Strukturen in den Mittelpunkt ihrer Analyse: Anders Lund Hansen und René Karpantschof ein Jugendzentrum in Kopenhagen und Peter Birke die Rote Flora in Hamburg. Lund Hansen/Karpantschof fragen schon im Titel ihres Beitrags „Last Stand or Renewed Urban Activism?“, ob es sich dabei um das „letzte Aufbäumen“ einer überlebten politischen Strategie handelt. Teile der Mobilisierung rund um die drohende Räumung des Jugendzentrums wurden von klassischen linken, internationalen Aktivist_innen und ihren Ideen zu alternativen, selbstbestimmten Freiräumen getragen. Ebenso wie im Kampf um die Rote Flora gelang es aber, den Konflikt in der öffentlichen Debatte in den Widerstand gegen Gentrifizierung einzubetten und damit auch andere, breitere Bevölkerungsteile anzusprechen.

Wie in Deutschland und Dänemark gab es auch in Polen keine wirkliche Massenmobilisierung gegen neoliberale Austeritätspolitiken. Aber auch hier konstituiert sich ein stetiger Kampf gegen Gentrifizierung und urbane Umstrukturierungen. Dominika V. Polanska beschreibt die Mieter_innenbewegung und die Hausbesetzungsbewegung in polnischen Städten in ihrem Wandel seit 1989. Während die Mieter_innen und ihre Organisationen nach 1989 in Ablehnung des sozialistischen Staates eine neoliberale Organisation des Wohnraums mitetablierten und die Hausbesetzer_innen sich ebenfalls den Staat als Hauptfeind aussuchten, positionieren sich beide Bewegungen mit zunehmender Neoliberalisierung und der Spürbarkeit der Konsequenzen ab den 2000ern und besonders nach 2008 ganz anders: Nun sind sie es, die Verdrängung, Gentrifizierung und fehlende staatliche Leistungen im Bereich Wohnen kritisieren. Darüber – und über die gemeinsame Abgrenzung von dominanten rechtspopulistischen Bewegungen – entsteht eine zunehmende Konvergenz beider Bewegungen.

Anders als in Polen, Dänemark und Deutschland kam es in Griechenland, Spanien und der Türkei zu Massenmobilisierungen und einem (zeitweisen) Aufbrechen des hegemonialen, neoliberalen Konsens: Antonis Vradis beschreibt die Aufstände in Griechenland 2008 als Aufkündigung eines „räumlichen Vertrags“, der sozialen Konflikten im „post-diktatorischen Konsens“ der griechischen Gesellschaft einen bestimmten Raum zugewiesen hatte – und zwar das Athener Viertel Exarcheia, das 2008 zwar Ausgangspunkt der Kämpfe war, die sich aber schnell auf das ganze Land ausweiteten. Mit der Besetzung des Syntagma-Platzes von 2011 kommt der Protest im Zentrum der Macht an – oder gerade nicht, denn in dieser Zeit wird klar, wie Vradis schreibt, dass die griechische Regierung zunehmend irrelevant für die Entscheidungen im Land wird. Vradis zieht aus dem griechischen Fall den Rückschluss auf den allgemeinen Zustand des Neoliberalismus: man sei zwar noch weit davon entfernt, ihn zu überkommen, endlich werde er aber als Ideologie und als Herrschaftssystem seinen unterworfenen Subjekten sichtbar – und damit auch repolitisierbar. Eine massenhafte Repolitisierung naturalisierter neoliberaler Hegemonie ist auch in Spanien gelungen. Miguel A. Martínez López beschreibt die diversen spanischen Gruppen der 15M Bewegung und ihre hybrid-autonomen Strategien, mit denen sie sich sowohl auf autonome Praktiken beziehen, als diese auch hinter sich lassen, in dem sie einerseits in ihren Protesten auf existierende Institutionen Einfluss nehmen wollen, andererseits aber auch eigene, neue Institutionen gründen. Wie in Spanien, so existiert auch in der Türkei eine breite stadtpolitische Bewegung gegen Stadterneuerungsprojekte und staatlich veranlasste Gentrifizierung in zahlreichen Nachbarschaften, die zu den Gezi-Park-Protesten mit anderen sozialen Bewegungen zusammen kommen. Gülçin Erdi Lelandais analysiert, wie hier soziale, politische und kulturelle Konflikte mit der AKP-Regierung und dem länger etablierten neoliberalen Regime verhandelt werden.

Jeder einzelne dieser Beiträge ist eine Lektüre wert und empfiehlt sich allen Forscher_innen auch jenseits der Sozialen Bewegungsforschung, und Aktivist_innen, die sich mit den jeweiligen lokalen Kontexten beschäftigen. Aber erst in der Zusammenschau der Beiträge wird die Leistung des ‚Sammelbandes‘ deutlich: Er ist eben mehr als nur eine Sammlung von Aufsätzen, schafft vielmehr die Basis für ein gemeinsames Verständnis von einem als immer disparater wahrgenommenen Europa – ein wissenschaftlich wie politisch wichtiges Unterfangen.

Das Anliegen des Sammelbandes, Gemeinsamkeiten zwischen den europäischen städtischen Protesten herauszustellen, ist angesichts der mikro-soziologischen Forschungslandschaft, die dazu neigt, Unterschiede zu betonen, verständlich und sehr gelungen. Alle Beiträge betonen die strukturellen Ungleichheiten und ihre Ursachen, die den Protesten zugrunde liegen. Ausgehend davon wäre es über dieses Anliegen hinaus nun aber ebenso interessant, dennoch existierende Unterschiede zwischen den Bewegungen zu analysieren. Die Beiträge böten dafür eine gute Grundlage. So wird zum Beispiel deutlich, dass unterschiedliche Ausprägungen neoliberaler Regierungstechniken – etwa der repressive türkische Staat im Vergleich zum auf kommunikative Einhegung setzenden deutschen Staat – unterschiedliche Strategien der in beiden Ländern existierenden sozialen Bewegungen nach sich ziehen.

Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen den europäischen sozialen Bewegungen, sind die verschiedenen Trägerschichten, die in allen Beiträgen einzeln besprochen, aber nicht zusammenfassend analysiert werden. Im wissenschaftlichen Diskurs wird bisher betont, dass die wenigen nordeuropäischen Proteste gegen die europäische Austeritätspolitik größtenteils von den ‚üblichen Verdächtigen‘ gestemmt wurden und nicht wie in Südeuropa von den unmittelbar Leidtragenden neoliberaler Austeritätspolitiken, wie Mayer in ihrem Beitrag zitiert (2016: 63). Liest man allerdings die Beiträge dieses Sammelbandes zu den nordeuropäischen Städten auf die Frage der Trägerschicht hin, fällt auf, dass in diesen lokalen urbanen Protesten ebenfalls Koalitionen zwischen bereits politisierten linken Aktivisten, der urbanen Unterschicht und einer prekarisierten Mittelschicht entstehen. Die oben bereits angesprochenen unterschiedlich entwickelten Krisendiskurse hemmen aber ein Ausbreiten dieser lokalen Konflikte – umso wichtiger also, dass diesen Nicht-Krisen-Diskursen in Nordeuropa etwas entgegen gesetzt wird, wie es dieses Buch tut. Bei den Trägerschichten der städtischen Proteste quer durch Europa zeigt sich also doch wieder eine Gemeinsamkeit: die Diversität ihrer Teilnehmer_innen, die zu einer Diversifizierung – und Hybridisierung wie Martínez López beschreibt – der Praktiken der Bewegungen führt. Ihre politische Einschätzung – handelt es sich um affirmative oder transformative Bewegungen? – fällt in diesem Kontext zunehmend schwer, wie Mayer (ebd. 85) in Abgrenzung zu Harvey (2006) betont. Das Buch gibt einen vielseitigen Einblick in die Anfänge eines entstehenden politischen Kollektivs und schafft es dabei Begriffe, Kategorien und Konzepte für diese Entwicklung zu etablieren.

Autor_innen

Lisa Vollmer ist Stadt- und soziale Bewegungsforscherin. Sie arbeitet zur Zeit an einem internationalen Vergleich von Mieter_innenprotesten und beschäftigt sich in diesem Rahmen mit Sozial- und Planungstheorien.

lisa.vollmer@uni-weimar.de

Literatur

Castells, Manuel (1983): The City and the Grassroots. Berkeley und Los Angeles: University of California Press.

Graham, Stephen (2010): Cities Under Siege. The New Military Urbanism. Ottawa: Red Quill Books.

Harvey, David (2006): Spaces of Global Capitalism. Towards a Theory of Uneven Geographical Development. London und New York: Verso.

Mayer, Margit (2016): Neoliberal Urbanism and Uprisings Across Europe. In: Mayer, Margit/Thörn, Catharina/ Thörn, Håkan (Hg.), Urban Uprisings. Challenging Neoliberal Urbanism in Europe. London: Palgrave, 57-92.

Mayer, Margit/Thörn, Catharina/Thörn, Håkan (2016): Urban Uprisings. Challenging Neoliberal Urbanism in Europe. London: Palgrave.

Melucci, Alberto (1989): Nomads of the present. Social movements and individual needs in contemporary society. CITY 15/3-5, 473-481.

Miller, Byron / Nicholls, Walter (2013): Social movements in the urban society: The city as a space of politicization. In: Urban Geography 34/4, 452-473.

Smelser, Neil (1962): The Theory of Collective Behaviour. Glencoe (Illinois): Free Press.

Thörn, Håkan/Mayer, Margit/Thörn, Catharina (2016): Re-Thinking Urban Social Movements, ‘Riots’ and Uprisings: An Introduction. In: Mayer, Margit/Thörn, Catharina/Thörn, Håkan (Hg.), Urban Uprisings. Challenging Neoliberal Urbanism in Europe. London: Palgrave, 3-55.

Touraine, Alain (1981): The Voice and the Eye. An Analysis of Social Movements. Cambridge: Cambridge University Press.