Aushöhlung der Mitbestimmung? Die Interessenvertretung an Hochschulen kämpft mit neuen Strukturen der Steuerung und Finanzierung sowie mit überholten Rollenbildern in der Wissenschaft

Sonja Staack

Demokratie in der Hochschule – das war eines der großen Themen der Studierendenbewegung der 1960er Jahre. Sie forderte eine paritätische Mitbestimmung der verschiedenen Statusgruppen ein und legte den Grundstein für die Gruppenhochschule, in der Professor_innen, wissenschaftliche Mitarbeiter_innen, wissenschaftsunterstützendes Personal und Studierende ihre jeweiligen Interessen eigenständig vertreten. Meilensteine auf diesem Weg waren unter anderem die Denkschrift „Hochschule in der Demokratie“ aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (Nitsch et al. 1965) sowie die Verabschiedung des Hochschulrahmengesetzes (HRG) 1976 (vgl. Staack 2008). Die Mitbestimmung sollte den Hochschulmitgliedern Teilhabe sichern, aber auch pluralistische Strukturen gewährleisten und Statusverfestigungen wie Monopolisierung vorbeugen (Hauck-Scholz/Lüthje 1970: 27). Insofern waren Fragen der Mitbestimmung stets auch eng mit Möglichkeiten und Unmöglichkeiten kritischer Wissensproduktion verknüpft.

Die Forderung nach einer Demokratisierung der Hochschulen zielte außerdem nie nur auf eine Demokratisierung der Wissenschaft selbst, sondern war immer mit dem Leitbild einer demokratischen Bildung beziehungsweise einer Bildung für die Demokratie verbunden. Die Verfasstheit der Hochschulen bestimmt gleichzeitig mit, mit welchen Erfahrungen Studienabsolvent_innen die Hochschulen verlassen, mithin auf welcher Grundlage sie fortan die Gesellschaft mitgestalten. Dieser Zusammenhang kommt beispielhaft bei Stephan Leibfried zum Ausdruck, der sein „Handbuch zur Demokratisierung der Hochschulen“ (1967) – wie die zitierte Denkschrift längst ein Klassiker – mit dem Titel „Wider die Untertanenfabrik“ überschrieb. Doch wo steht die Gruppenhochschule heute? Sind 40 Jahre nach der Verabschiedung des HRG eine wirksame Interessenvertretung aller Gruppen und Verhandlungen auf Augenhöhe selbstverständlich geworden – oder steckt die Akademische Selbstverwaltung längst in ihrer nächsten Krise?

Neue Steuerung

Hochschulen und Forschungseinrichtungen erleben derzeit den wohl umfassendsten wissenschaftspolitischen Wandel seit 1968. Die Debatte um Instrumente des New Public Management hat die Hochschulen zwar etwa zehn Jahre später erreicht als die Kommunalverwaltungen (Bogumil/Heinze 2009:7), dann aber umso heftiger erfasst. Neues Leitbild ist die unternehmerische Universität (vgl. Dörre/Neis 2010, Himpele et al. 2014). Zielvereinbarungen, leistungsorientierte Mittelvergabe und wettbewerbliche Steuerung sind zu zentralen Leitbegriffen der Wissenschaftspolitik geworden. Inzwischen haben alle Bundesländer entsprechende Steuerungsinstrumente in ihren Hochschulgesetzen verankert, wenngleich das Ausmaß der realisierten Hochschulautonomie und des Wettbewerbs zwischen den Hochschulen stark variiert (Lanzendorf/Pasternack 2009: 25 ff.; zu finanziellen Aspekten vgl. Quaißer 2014).

Durch Evaluationsverfahren, Exzellenzwettbewerbe, Rankings und Ratings wird statt einem Wettbewerb zwischen Wissenschaftler_innen – den es in der Wissenschaft schon immer gab – ein Wettbewerb zwischen Hochschulen als Organisationen initiiert. Damit geht auch eine Transformation der Wissenschaft vom Kulturgut zum vermarktbaren Produkt einher (Münch/Pechmann 2009: 92). Macht über Ressourcen gewinnt in diesem System, wer erfolgreich Drittmittel einwirbt oder weitere Kennzahlen bedient wie etwa Zitationshäufigkeiten oder Absolvent_innen-Zahlen. Er oder sie trägt so zur Wettbewerbsposition der Hochschule oder Forschungseinrichtung bei und generiert damit auch innerhalb der eigenen Institution eine besondere Anerkennung und Ausstrahlungskraft. Gewonnene Mittel bedeuten im Übrigen stets auch eine verbesserte Ausgangssituation für künftige Wettbewerbe: So steigt die Reputation bereits hoch angesehener Wissenschaftsbereiche immer weiter an (Matthäus-Effekt, vgl. Merton 1968) und im Zusammenhang mit einer wettbewerbsförmigen Mittelvergabe führt dies dazu, dass neue Forschungsmittel insbesondere dorthin fließen, wo bereits viele Forschungsmittel sind (Münch/Pechmann 2009: 79).

Die gemeinsame strategische Debatte über inhaltliche Entwicklungsoptionen in den Gremien oder Berufungskommissionen sowie die Beschlussfassung über Haushaltspläne der Hochschulen verlieren gegenüber den geschilderten Mechanismen an Bedeutung. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich die Qualität von Forschung und Lehre nur begrenzt in Kennzahlen und Rankings ausdrücken lässt (Iost 2014). Wissenschaftliche Freiräume bedürfen damit zunehmend der Verteidigung: Das grundlegende Infragestellen herrschender Thesen oder eigener Forschungskonzepte, Querdenken abseits des Mainstreams, wissenschaftliche Neuorientierungen sowie mitunter auch Sackgassen – all das sind ureigene Bestandteile von Wissenschaft und Forschung, die durch die zunehmende Orientierung an Kennzahlen und an Möglichkeiten der Mitteleinwerbung erheblich unter Druck geraten (vgl. Demirovic 2014).

Schlanke Leitungsstrukturen

Die neuen Steuerungsmechanismen sind mit einer erheblichen Stärkung der Leitungsorgane verbunden (Lanzendorf/Pasternack 2009: 18): Gremien der Akademischen Selbstverwaltung werden abgeschafft, wie etwa an vielen Hochschulen die Konzile. Entscheidungskompetenzen in den Bereichen Personal und Finanzen genauso wie in Studium und Lehre werden von Gremien und Kommissionen in Präsidien, Rektorate und Dekanate verschoben. Gleichzeitig wird die Nominierung und/oder Wahl der Hochschulleitungen teilweise an externe Akteure wie Hochschulräte übertragen. Die Leitungsorgane werden maßgeblich anhand des Erfolgs der jeweiligen Einheit in wettbewerblichen Verfahren gemessen und sind mithin gehalten, die Organisation auf eine Erfüllung von Wettbewerbsanforderungen hin auszurichten. Kontrollmöglichkeiten der Gremien gegenüber der Leitung schwinden.

Hierdurch werden die Mitwirkungsmöglichkeiten aller Statusgruppen geschwächt, was in den vergangenen Jahren auch in mehreren Klagen von Professorinnen und Professoren vor dem Bundesverfassungsgericht Ausdruck gefunden hat, in denen diese Einschränkungen ihrer Wissenschaftsfreiheit durch übermächtige Leitungsorgane geltend gemacht hatten. Tatsächlich definierte das Bundesverfassungsgericht in einem dieser Verfahren 2014 Grenzen für die Übertragung von Kompetenzen an die Leitungsorgane: Je mehr wissenschaftsrelevante Entscheidungen diesen zugewiesen würden, desto stärker müsse die Mitwirkung des entsprechenden Vertretungsorgans der Akademischen Selbstverwaltung an der Bestellung und Abberufung des Leitungsorgans sein, so die Verfassungsrichter_innen (BVerfG 1 BvR 3217/07).

Die mit der Einführung neuer Steuerungsmechanismen in allen Bundesländern einher gegangene neue Autonomie von Hochschulen gegenüber staatlichen Eingriffen (Lanzendorf/Pasternack 2009: 19 f.) erweist sich in diesem Zusammenhang aktuell in erster Linie als eine neue Autonomie der Hochschulleitungen. Die Gewerkschaften haben stets eingefordert, eine Stärkung der Hochschulautonomie müsse mit einer Stärkung der innerhochschulischen Demokratie einhergehen (vgl. etwa Keller/Staack 2009). Zum heutigen Stand ist demgegenüber festzustellen, dass den Hochschulmitgliedern in der Breite durch neue Strukturen der Steuerung und Finanzierung keine neuen Spielräume verschafft, sondern diese vielfach sogar weiter einschränkt worden sind.

Interessenvertretung durch Personal- und Betriebsräte

Eine Vertretung der Interessen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Rahmen der Personalvertretung ist gegenüber anderen Bereichen bereits traditionell erheblich erschwert. Auf Hochschullehrer_innen finden die meisten Personalvertretungsgesetze gar keine Anwendung (Ausnahmen bilden lediglich Hamburg und Bremen). Für die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter räumen zahlreiche Personalvertretungsgesetze eine Vertretungsmöglichkeit durch den Personalrat nur für den Fall ein, dass diese im Einzelfall ausdrücklich beantragt wird, außerdem tritt in einzelnen Ländern eine Mitwirkung an die Stelle der Mitbestimmung des Personalrats, sodass die Dienststelle betreffende Entscheidungen letztlich auch ohne Zustimmung des Personalrats treffen kann. Im Bereich der außeruniversitären Forschungseinrichtungen gilt teilweise statt der Personalvertretungsgesetze für den öffentlichen Dienst das Betriebsverfassungsgesetz, welches wissenschaftliche Einrichtungen als Tendenzbetriebe klassifiziert und den Betriebsräten damit gegenüber der Privatwirtschaft wiederum nur eingeschränkte Rechte zukommen lässt (§ 118 BetrVG).

Zu den althergebrachten kommen neue Probleme der Personalvertretung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinzu. Immer mehr Wissenschaftler_innen werden aus Drittmitteln finanziert. In Sachsen-Anhalt sind diese von der Personalvertretung gänzlich ausgeschlossen (§ 99 PersVG LSA). In anderen Ländern entstehen zunehmend Debatten über die Wählbarkeit von Drittmittelbeschäftigten. Es sollte unstreitig sein, dass ihnen als Beschäftigten der Hochschule beziehungsweise Forschungseinrichtung das Recht zusteht, nicht nur über die Zusammensetzung des Personalrats und damit über dessen Arbeit mitzubestimmen, sondern sich auch selbst zur Wahl zu stellen und gegebenenfalls Aufgaben der Personalvertretung zu übernehmen. In vielen Fällen scheint gleichwohl ungeklärt, inwieweit die Freistellung von Drittmittelbeschäftigten für Personalratstätigkeiten beziehungsweise die Finanzierung von entsprechendem Vertretungsbedarf eine Aufgabe des Drittmittelgebers oder der Hochschule ist. Die Unwägbarkeiten der Folgen einer Kandidatur für die Personalvertretung hält indes Drittmittelbeschäftigte davon ab, ihre Rechte der Mitbestimmung tatsächlich wahrzunehmen.

Mitbestimmung und Beschäftigungsbedingungen

Eine weitere Herausforderung für die Personalvertretung stellt die Zunahme von Kurz- und Kettenverträgen in der Wissenschaft dar. Während das allgemeine Arbeitsrecht das unbefristete Beschäftigungsverhältnis zur Norm erklärt, von der nur in klar definierten Ausnahmen abgewichen werden darf, hat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) die Verhältnisse in der Wissenschaft auf den Kopf gestellt: Mindestens zwölf, in der Medizin sogar 15 Jahre sachgrundlose Befristung sind möglich. Darüber hinaus wird die Befristung von Arbeitsverträgen pauschal legalisiert, wenn eine Drittmittelfinanzierung vorliegt. Von den wissenschaftlichen Arbeitgeber_innen wurden diese Möglichkeiten extensiv genutzt: Inzwischen haben neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen nur einen Zeitvertrag (Statistisches Bundesamt 2013, eigene Berechnungen). Die Mehrheit der nach dem WissZeitVG befristeten Verträge an Hochschulen hat außerdem nur eine Laufzeit von unter einem Jahr, wie die Evaluation des Gesetzes zeigte (Jongmanns 2011: 73). Die Personalräte hatten aufgrund des Sonderbefristungsrechts für die Wissenschaft sowie stark eingeschränkter Mitwirkungsmöglichkeiten bei Fragen der Befristung wenige Möglichkeiten, der geschilderten Entwicklung entgegenzuwirken. Gleichzeitig haben Kolleginnen und Kollegen mit Kurzverträgen kaum eine Möglichkeit, sich in die Personalvertretung wählen zu lassen, geschweige denn, eine kontinuierliche Arbeit des Gremiums zu stützen. Auch für Teilzeitbeschäftigte gestaltet sich die Mitwirkung an der Personalvertretung häufig schwierig. Hinzu kommt, dass die Sorge um eine Fortführung des eigenen Arbeitsverhältnisses einer offensiven kontroversen Debatte mit dem Arbeitgeber beziehungsweise der Arbeitgeberin durchaus im Weg stehen kann, was sowohl Potentiale der Mitbestimmung als auch Spielräume kritischer Wissenschaft einschränkt. Aus den dargestellten Gründen ist die zunehmende Befristung in der Wissenschaft unweigerlich mit einer Schwächung der innerhochschulischen Demokratie verknüpft.

Mit der Novelle des WissZeitVG, auf die nicht zuletzt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gedrungen hat, sind im März dieses Jahres Mindeststandards für befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft eingeführt worden (BGBl. I 2016: 442 ff.). So müssen etwa Vertragslaufzeiten künftig dem angestrebten Qualifizierungsziel angemessen sein oder im Drittmittelbereich der jeweiligen Projektlaufzeit entsprechen (vgl. hierzu ausführlich Keller/Staack 2016). Die Zunahme von Befristungen in der Wissenschaft ist allerdings nicht nur auf arbeitsrechtliche Deregulierung, sondern nicht zuletzt auch auf die starke Abhängigkeit der Hochschulen von Drittmitteln zurückzuführen. Während die Grundfinanzierung stagniert, fließen über die staatlich finanzierte Drittmittelforschung und immer neue Bund-Länder-Pakte, insbesondere die 2005 gestartete Exzellenzinitiative, Milliarden ins System, die in wettbewerblichen Verfahren befristet vergeben werden (vgl. Bultmann 2014). Selbst in der Lehre hat mit dem Hochschulpakt und dem Qualitätspakt Lehre die befristete Finanzierung Einzug gehalten. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen geben die Risiken einer unsicheren Finanzierung an ihre Beschäftigten weiter – in Form befristeter Arbeitsverträge. Eine Stabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse wird sich folglich nicht allein mit rechtlichen Standards, sondern nur im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Wissenschaftsfinanzierung erreichen lassen.

Mitbestimmung und Wissenschaftsfreiheit

Teilweise wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur die Auffassung vertreten, auch die eingeschränkten Vertretungsmöglichkeiten der Personalräte für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seien verfassungswidrig. Stattdessen sei das wissenschaftliche Personal aus dem Anwendungsbereich der Personalvertretungsgesetze gänzlich auszuschließen (so etwa Schubert/Tarantino 2015: 17). Dem liegt die Auffassung zugrunde, die Auswahl und Kündigung von wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen, gegebenenfalls aber auch Regelungen über deren Arbeitszeit, stellten eine Ausübung der grundgesetzlich geschützten Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer_innen dar, weswegen jedes Beteiligungsrecht der Personalvertretung, welches auf eine Beeinflussung entsprechender Entscheidungen abzielt, als nicht zu rechtfertigender Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer_innen zu werten sei (ebd.: 15 f.). Diese Sichtweise wird allerdings offenkundig weder vom Bundes- noch von den Landesgesetzgebern geteilt.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat in den 1970er Jahren gewisse – wenngleich erheblich weniger radikale – Beschränkungen der innerhochschulischen Mitbestimmung mit der Wissenschaftsfreiheit begründet (BVerfG 1 BvR 424/71 und 325/72). So haben die Richter zwar das Modell der Gruppenuniversität für vereinbar mit Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz erklärt, in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) müsse allerdings den Hochschullehrer_innen in wissenschaftsrelevanten Fragestellungen ein maßgebender (Lehre) beziehungsweise ausschlaggebender (Forschung) Einfluss gesichert werden. In der Konsequenz wurde das Prinzip der Drittel- beziehungsweise Viertelparität durch das Prinzip der doppelten Abstimmung in wissenschaftsrelevanten Fragen ergänzt.

Das Verhältnis von Wissenschaftsfreiheit und Mitbestimmung sorgt bis heute für kontroverse Debatten. So wendet etwa Peter Hauck-Scholz (2009: 31) ein, die Verfassungsrichter hätten „verkannt, dass die in der Hochschulselbstverwaltung zu treffenden Sachentscheidungen einen Sachverstand erfordern, über den die Hochschullehrer, die jeweils für ein bestimmtes Fach spezialisiert sind, von vornherein ebenso wenig verfügen wie die Angehörigen der anderen Gruppen“. In den Schriften der Bundesassistentenkonferenz findet sich der Hinweis, dass sich aus der Knappheit der Mittel und der Notwendigkeit der Koordination und Kooperation in der Wissenschaft notwendigerweise Grundrechtskonflikte ergäben, die einer Lösung bedürften – nämlich zwischen den verschiedenen Träger_innen des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit, zu denen auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen gehören. Deshalb sei die Mitbestimmung durch Art. 5 Abs. 3 nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar geboten; jedenfalls so lange es kein besseres, das heißt die Freiheit besser gewährleistendes Mittel zur Konfliktschlichtung gebe (Hauck-Scholz/Lüthje 1970: 27).

Wissenschaftler_innen und ihre Rollen

Die Debatte um das Verhältnis von Professor_innen und dem sogenannten Mittelbau in der Akademischen Selbstverwaltung verweist auf die Rollenbilder verschiedener Gruppen im deutschen Wissenschaftssystem. Im internationalen Vergleich fällt hier insbesondere ins Auge, dass die Rolle des ‚junior staff‘, das heißt eigenständig forschender und lehrender Wissenschaftler_innen unterhalb der Professur, in Deutschland fast vollständig fehlt. Der Anteil der Juniorprofessuren am hauptamtlichen wissenschaftlichen Personal der Universitäten liegt heute bei 0,7 Prozent und kann diesen Befund damit nicht ernsthaft in Frage stellen. Stattdessen sind rund 80 Prozent des wissenschaftlichen Personals auf unselbständigen Mittelbaupositionen beschäftigt, zumeist befristet (Kreckel 2016: 19 f.) – ein „ausgesprochener Sonderweg“ (ebd.: 12). Während es vor hundert Jahren „noch eingeleuchtet haben mochte, dass man die vergleichsweise kleine Zahl der nicht auf Professuren berufenen Wissenschaftler an Universitäten (größtenteils Privatdozenten) als ‚wissenschaftlichen Nachwuchs‘ in prekärer Warteposition behandelte, so ist das angesichts der riesigen Zahl von teils promovierenden, teils promovierten und gelegentlich auch habilitierten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern heute schon sehr erstaunlich, auf jeden Fall aber erklärungsbedürftig“ (ebd.: 16).

Die „erstaunliche Reform- und Kritikresistenz der universitären Karrierestruktur“ (ebd.: 24) erklärt sich Reinhard Kreckel damit, dass „[d]ie soziale Mystik des Berufungsvorgangs, der zufolge ‚Wissenschaft als Beruf‘ im vollen Sinne nur von den dazu ‚Berufenen‘ ausgeübt werden darf, […] weiterhin in Kraft [ist]. Eine Tätigkeit, die diesseits dieser Barriere ausgeübt wird, gilt dann per definitionem als vorübergehende, beruf(ung)svorbereitende Nachwuchstätigkeit“ (ebd.: 26). In diesem Sinne müssen über vier Fünftel der als hauptberuflich ausgewiesenen Stellen von Wissenschaftler_innen an deutschen Universitäten als Nachwuchsstellen begriffen werden – mit ausgeprägter Abhängigkeit von einer zugeordneten Professur sowie großer Unsicherheit über die eigene Berufsperspektive. Mit dieser Rollenzuschreibung allerdings gerät jede Interessenvertretung von Wissenschaftler_innen ohne Professur unvermeidlich in Konflikt – dies beginnt beim individuellen Widerspruch am Arbeitsplatz und setzt sich in der Personalvertretung wie in der Akademischen Selbstverwaltung fort.

Gleichzeitig gerät diese Rollenzuschreibung zunehmend in Konflikt mit der Selbstwahrnehmung zumindest eines Teils der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: „Diejenigen, die nach abgeschlossener Promotion in der Wissenschaft verbleiben und einige Jahre in Forschung und Lehre tätig gewesen sind, sehen sich nicht mehr als wissenschaftlichen Nachwuchs. Sie schätzen sich vielmehr als professionelle Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ein, die mit hoher Verantwortung Studierende betreuen und Forschungsprojekte durchführen. Insofern können sie nicht nachvollziehen, dass sie sich von Rechtswegen in einer 6-jährigen Qualifikationsphase befinden“ (Jongmanns 2011: 80). Dem lässt sich hinzufügen, dass die Wissenschaftler_innen ohne Professur an den Universitäten inzwischen sogar den größeren Teil der Lehre erbringen (Bloch et al. 2014: 45). Ihre faktische Rolle in der Aufgabenerfüllung der Hochschulen wollen sie zunehmend mit einer Veränderung ihrer Rollenzuschreibung und ihrer Beschäftigungsbedingungen verknüpft sehen, wie Ende des vergangenen Jahres beispielhaft in den bemerkenswerten Protesten gegen das Befristungsrecht zum Ausdruck kam (vgl. Keller/Staack 2016).

Damit werden letztlich nicht nur die Beschäftigungsbedingungen, sondern auch die Machtverhältnisse innerhalb der Wissenschaft insgesamt auf den Prüfstand gestellt. Gelingt es, überholte Rollenbilder von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufzubrechen, geraten damit auch Fragen der Mitbestimmung innerhalb des Hochschulsystems wieder auf die Tagesordnung. Ob der beschriebenen Phase der Aushöhlung der Mitbestimmung durch neue Strukturen der Steuerung und Finanzierung einerseits sowie durch eine Erosion von Beschäftigungsstabilität und Berufsperspektiven andererseits damit eine neue Phase der Demokratisierung folgen wird, bleibt abzuwarten.

Autor_innen

Sonja Staack ist Mitglied im Beirat des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi).

sonja.staack@hamburg.de

Literatur

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Demirovic, Alex (2014): Die standortgerechte Dienstleistungshochschule und die kritische Theorie. Zur politischen Epistemologie der Produktion des Wissens. In: Klemens Himpele / Steffen Käthner / Jana Schultheiss / Sonja Staack (Hg.), Die unternehmerische Hochschule. Marburg: BdWi-Verlag, 19-27.

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Himpele, Klemens / Käthner, Steffen / Schultheiss, Jana / Staack, Sonja (Hg.) (2014): Die unternehmerische Hochschule. Zwischen Bildungsanspruch und Standortsicherung. Marburg: BdWi-Verlag.

Iost, Oliver (2014): Hochschulrankings. Rolle, Bedeutung und Alternativen. In: Klemens Himpele / Steffen Käthner / Jana Schultheiss / Sonja Staack (Hg.), Die unternehmerische Hochschule. Marburg: BdWi-Verlag, 73-85.

Jongmanns, Georg (2011): Evaluationsbericht zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Gesetzesevaluation im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. In: HIS:Forum Hochschule 4/11. Hannover: Hochschul-Informations-System.

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Kreckel, Reinhard (2016): Zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten: Deutschland im Vergleich mit Frankreich, England, den USA und Österreich. In: Beiträge zur Hochschulforschung 1-2/16, 12-40.

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Leibfried, Stephan (1967): Wider die Untertanenfabrik. Handbuch zur Demokratisierung der Hochschulen. Köln: Pahl-Rugenstein.

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Staack, Sonja (2008): Verdammt lang her? Die SDS-Denkschrift – heute neu gelesen. In: Hochschule und Demokratie. Marburg: BdWi-Verlag, 10-13.

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