Wer plant die Planung? (1974)

Lucius Burckhardt

Wer plant die Planung? – Diese Frage soll darauf hinweisen, daß Planung nicht isoliert geschieht, sondern daß sie bedingt ist durch die Politik, daß sie aufgehängt ist in einem sozialen System. Wie man plant, mag der Fachmann wissen, obwohl, wie wir sehen werden, auch sein Wie? nicht ohne gesellschaftliche Bedingtheit ist; aber was geplant wird und was nicht geplant wird, was man sich selbst zu überlassen plante, das wird durch politische und gesellschaftliche Kräfte bestimmt.

Die Stadt ist voller Übelstände, und nicht jeder ist Gegenstand unserer planerischen Fürsorge. Überdies sind nicht alle Folgen, welche die Planung mit sich bringt, mitgeplant: Um manche, so hat man beschlossen – beschlossen, indem man es nicht beschloß –, wird man sich nicht kümmern. Heute spricht man viel von Umweltschutz, und man plant die Verbesserung oder Sanierung der Umwelt. Aber die Umwelt-Verschlechterung war auch eine Folge von Planung: Sie ist eben jener Teil der Planung, den ungeplant zu lassen man sich stillschweigend einig war.

Die Formulierung von Problemen

Die Frage: Wer plant die Planung? – heißt also zunächst: Wer bestimmt, was geplant wird (und was nicht)? Die kommunale Politik bewegt sich vorwärts durch das Aufwerfen von Streitfragen, Issues. Unter den Übelständen der Stadt greift der Politiker einen heraus und hängt ihn an seine Fahne. Die Übelstände und damit die Planungen, die ihnen abhelfen sollen, sind untereinander unvergleichbar; die Frage, ob die Stadt ihre Finanzen in die Verbesserung des Verkehrs oder in die Erhöhung des gesundheitlichen Standards werfen soll, ist mit objektiven Kriterien nicht zu entscheiden. Der kommunale Politiker greift Sachfragen einzeln auf und verwendet sie im Wettlauf um Stimmen. Durch die Wahlen soll ein Konsensus darüber entstehen, welchen Übelständen das Gemeinwesen zu Leibe rücken soll. Dabei wird sogleich klar, daß dieses Instrument zur Erhaltung eines Konsensus recht plump ist: Weder kann sich der Wähler selber über die Wahl der Übelstände ausdrücken, denn was in Frage kommt, wird ja von den Politikern ausgesucht, noch kann er sich über die Mittel äußern, die zur Bekämpfung dieses Übelstandes eingesetzt werden sollen.

Die Frage, wer die Planung plane, gilt auch dem Verhältnis des Politikers zum Planungsfachmann. Die Geschichte der Art, wie die Menschheit ihre Entscheidungen formalisiert, ist auch die Geschichte der Versuche, den Fachmann freizustellen und ihn von den Verquickungen mit der Macht zu lösen – dieses sowohl, um ihn unbeeinflußbar und neutral zu halten, wie auch, um der Macht des Fachmannes vorzubeugen. Die Tradition der freigestellten Fachleute reicht von Israels Propheten bis zu den Professoren autonomer Universitäten, von den Stäben militärischer oder wirtschaftlicher Verbände bis zu den Instituten, von welchen sich staatliche und wirtschaftliche Stellen beraten lassen. Immer aber ergeben sich neue Formen der Kompetenzvermischung:

Der Ratgeber erstrebt Einfluß, und der Entscheidungsträger lernt selber, mit der Wissenschaft umzugehen oder umzuspringen.

Gemäß dem klassisch-dezisionistischen Modell ist die Planung von der Entscheidung getrennt. Die Regierung erteilt Aufträge, Forschungsaufträge oder Projektierungsaufträge, an den Fachmann; der Fachmann trägt die Resultate seiner Forschung oder seine alternativen Entwürfe der Regierung vor; die Regierung entscheidet, was ausgeführt werden soll – so lautet das Credo. Ein großer Teil der modernen Entscheidungsforschung befaßt sich mit der Kritik dieses formalistischen Demokratiebildes. Die Zweifel daran setzen an mehreren Stellen ein, auf die wir ausführlicher zurückkommen werden: Einmal ist der Entscheidungsakt in der Realität nicht so wohldefiniert festzustellen wie im obigen Modell, es sei denn, es handle sich um eine Zeremonie nach intern gefälltem Beschluß, etwa um eine Parlamentssitzung; und zum andern sind die beteiligten Personen nicht exakt in wissende und entscheidende einzuteilen.

Planung, Stadt- oder gar Regionalplanung, liefert noch nicht lange die Streitobjekte der Politik. Zwar ist, seit städtische Liegenschaften Handelsware sind, ein Interesse der Beteiligten an den Vorgängen der Stadtplanung, wohl auch eine Lobby vorhanden. Aber die Interferenzen zwischen der Stadtplanung und den Aktionen der Privatleute sind zunächst gering. In der ersten Phase der Industrialisierung strömten große Bevölkerungsmassen zu den neuen städtischen Arbeitsplätzen; sie wurden von privaten Unternehmern auf möglichst billigem, ehemals gemiedenem Land angesiedelt. Weit ab von diesem Geschehen, in der Stadtmitte, agierte die Regierung. In diese Zeit fallen die Schleifung der Mauergürtel, die Anlage zentraler Prunkstraßen, repräsentativer Wohnstraßen, weiter Plätze mit Regierungs- und Kulturbauten nach klassischer oder romantischer Planungsweise – all dieses geschah zuweilen nicht ohne die Mithilfe der Spekulation, in anderen Fällen aber sogar unter finanziellen Opfern auf dem Altar des Städtebaus.

Schon konfliktträchtiger wurde die Verzahnung von öffentlichem und privatem Interesse bei der Anlage der Straßenbahnen und der damit verbundenen Ausdehnung der Städte. Da wurden Terrains aufgewertet und bebaubar gemacht, während andere auf der Schattenseite der Entwicklung liegen blieben. Die elektrische Straßenbahn und später die private Motorisierung hatten zur Folge, daß der Bodenpreis in der Stadtmitte jahrzehntelang stagnierte; in der Folge ruhten sowohl die Stadtplanung wie die privaten Druckversuche weitgehend. Erst die Wiederaufwertung des Zentrums durch den expandierenden Dienstleistungssektor etablierte endgültig das heutige Spiel der Stadtplanung. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente die Verstopfung der Straßen als Vorwand, die Liegenschaften der Innenstadt in den Handel zu bringen, wobei auf diesen Parzellen neue Arbeitsplatzkonzentrationen entstanden, die erneut die Straßen verstopften. Als am Ende der sechziger Jahre die Vollmotorisierung zur Vollverstopfung führte und die Straßenverbreiterungen weitgehend obsolet wurden, wandte sich die Stadtplanung der Sanierung angeblich verslumter Gebiete zu und bildete auf diesem Sektor eine neue Koalition mit dem Baugewerbe und den Investoren. Die Frage, wer die Planung plant, führt uns also heute in das Kräfteparallelogramm zwischen der regierenden Beamtenschaft, der Bauspekulation, der Bürgerschaft und den durch die beschlossenen Maßnahmen betroffenen Leuten.

Ungenannt blieb in diesem Parallelogramm zunächst der Planer selbst. Es wäre lehrreich, hier die Geschichte der beruflichen Entwicklung des Planers zu verfolgen. In dieser Geschichte stoßen wir auf die Spaltung zwischen Ingenieurschule und Akademie, und damit – auf den Sachgebieten – zwischen Tiefbau und Hochbau, und – personell – zwischen Ingenieur und Architekt. Noch heute haben wir diese Spaltung nicht überwunden, ja, die Frage nach der modernen Stadtplanung scheint eine erneute Polarisation zu erzeugen. Zunächst aber, mindestens von den zwanziger bis in die späten sechziger Jahre ist der Planer ein Architekt. Das ist insofern folgenschwer, als das Training des Architekten auf intuitive Entscheidungen ausgeht. Hochschule und Beruf stellen ihm Aufgaben, die mehr Unbekannte als Aussagen haben: Die Intuition ist das Mittel, mit dem man solche Gleichungen löst. Der Architekt ist darauf trainiert, das vorgelegte Problem auf das Wesentliche zu reduzieren.

Unter allen Entscheidungsverhalten weist die Intuition die größte Verschiedenheit zum planenden Verhalten auf (siehe Otto Walter Haseloff). Als Planer aber hat sich unsere Gesellschaft den Vertreter gerade jenes Berufes ausgesucht, den sie vorher auf die intuitive Entscheidung hin trainiert hat. Dabei erwies sich die Technik der Reduktion komplizierter Problemzusammenhänge auf das Wesentliche als trügerisch. Die Verschlechterung unserer Umwelt ist nichts anderes als die Summe dessen, was bei der Planung als unwesentlich unter den Tisch fiel. Dieses erkannt zu haben ist vor allem das Verdienst der Architekturstudenten in den Jahren 1967-70. Ihr Kampf um eine Studienreform galt der Einführung des planerischen Kontextes, der Beschäftigung mit jenen Informationen, die der richtige Architekt eigentlich zu vernachlässigen hat. Leider scheint die Hochschularchitektur auf diesen Angriff negativ zu reagieren: Sie schweigt im Kult des Handwerklichen, des Irrationalen, des Architekten als eines Bringers von überirdischem Heil. Damit überläßt sie das Feld der sachlichen Planung anderen Berufszweigen, die ein besseres Training im Umgang mit komplexer Information, dafür aber in anderen, ebenfalls wesentlichen Bereichen vielleicht Lücken haben.

Kollektive Entscheidungen

Wir müssen uns darüber klar sein, daß wir es bei der Planung mit entscheidungsfindenden Kollektiven zu tun haben. Die Entscheidung jedes Beteiligten ist aufgehängt in der Gesellschaft, sein persönlicher Entscheidungsstil – rational auf Grund von Kriterien oder intuitiv auf Grund sublimierter Erlebnisse – kommt nur noch leise zum Ausdruck. Wollen wir solche kollektiven Entscheidungen studieren, so müssen wir uns den Erkenntnissen der Organisationssoziologie zuwenden und versuchen, diesen meist an Firmen entwickelten Wissenszweig auf die öffentliche Bürokratie anzuwenden.

Die üblichen Planungsgutachten bestehen aus zwei ungleichen Teilen: Zuerst kommt die ausführliche Analyse des Status quo mit Statistiken, Befragungen, Bestandsaufnahmen. Ein solcher Analyseteil enthält leicht Zehntausende oder bei Extrapolationen sogar Millionen von Daten. Selbst bei analytischen Zusammenfassungen verbleibt eine Vielfalt von unter sich schwer vergleichbaren Informationen. Der zweite Teil des Gutachtens präsentiert einen Lösungsvorschlag, beispielsweise den Bau einer U-Bahn. Studiert man nun das Gelenk, das zwischen den beiden Teilen besteht, also die Technik der Schlußfolgerung, mit welcher der Gutachter von der Vielzahl aufgenommener Informationen zu einem Vorschlag gekommen ist, so erweist sich dieses als mager. Der Gutachter stützt sich auf zwei oder drei als wesentlich betrachtete Tatsachen und läßt die übrige Information unberücksichtigt. Seine Entscheidung beruht also bestenfalls auf Intuition, schlimmstenfalls auf einer Einflüsterung von außen, vermutlich aber auf einem Kompromiß, der das Resultat eines organisationsdynamischen Prozesses ist.

Dieser Prozeß besteht aus subjektiven, in der Einzelperson verlaufenden Entscheidungsvorgängen ebenso wie aus kollektiven. Schon beim einzelnen zeigt sich das Phänomen der Heuristik: Er weiß, welchen Weg er gehen soll und welche Varianten als unwesentlich zu vernachlässigen sind. Diese Haltung kann auf zwei Arten erklärt werden. Eine rationale Beschreibung liefert Walter Isard: Er zeigt, daß sich vor jedem Entscheidungsträger eine Bewertungstabelle aufbaut, nach der er die Wahrscheinlichkeit von Belohnung oder Ruhm im Falle des Rechtbehaltens, von Schande oder Schaden im Falle eines Mißlingens abschätzt. Wenn beispielsweise das Mißlingen zwar ebenso wahrscheinlich ist wie das Gelingen, jenes aber weniger Schande bringt als dieses Ruhm, so wird der Planer die fragliche Maßnahme befürworten. Ist die Wahrscheinlichkeit hoch, daß die Maßnahme irgendwo zwischen Gelingen und Mißlingen versandet, so wird die Aktivität mehr Ehre einbringen als die Inaktivität, und das Handeln wird ebenfalls befürwortet, usw. Andere Erklärungen gehen von der psychischen Situation des entscheidenden Subjekts innerhalb seines Amtes aus. Sie zeigen auf, wie für den Planer nicht das maximale Resultat das oberste Ziel ist, sondern ein angenehmes Sozialklima innerhalb seiner Organisationsstruktur. So sind die Entscheidungen immer Kompromisse zwischen dem, was eigentlich not täte, und dem, was den Mitgliedern der Organisation an Umdenken oder ungewohntem Handeln zugemutet werden kann.

Beobachtungen zeigen, daß der in ein Kollektiv eingespannte Entscheidungsträger nicht optimiert, sondern seinen Wahlvorgang bei der ersten Lösung anhält, die sowohl den oberflächlichsten Kriterien seiner Zielvorstellungen wie auch den Kriterien seiner persönlichen Lage entspricht.

Dabei spielt ihm die eigene Psychologie wohl manchen Streich: Die eigene Sicht der Realität und die Wertskala werden so adjustiert, daß sie dem heimlich schon in Aussicht genommenen Entschluß entsprechen. Zudem manövriert sich der Entscheidungsträger unbewußt in eine Einbahnstraße: Er sorgt dafür, daß schon die äußeren Umstände die Zahl der Varianten bis auf eine einzige verringern.

Aber alle diese vom entscheidenden Subjekt ausgehenden Erklärungen, selbst wenn sie die Lage des einzelnen im Kollektiv beachten, überwerten noch den Entscheidungsakt. Die Entscheidung ist ausgelöst in der Zeit. Nur bei den ersten Entscheidungen herrscht Wahlfreiheit, aber diese Anfänge sind in der Realität nicht auffindbar, unbemerkt vorübergegangen oder bewußt verschleiert. Diesen unmerklich verlaufenden Entscheidungsprozessen möchten wir nun nachgehen.

Eine erste determinierende Kraft liegt in der Benennung des Übelstandes. Derjenige, der das Vorhandensein des Übelstandes zum ersten Male formuliert, legt schon die Art seiner Bekämpfung fest. Durch sprachliche Fixierung leitet das Issue direkt zur abhelfenden Maßnahme. So führt die Feststellung, es gebe zu viele Verkehrsunfälle, zur Verbesserung der Sanitätstransporte; so führt die Beschreibung der Situation alter Leute zum Bau von Altersheimen und nicht zu einer Neubesinnung im Wohnungswesen; so führt die Benachteiligung minderbegabter Kinder zur Errichtung von Sonderklassen, deren Besuch jeglichem späteren Aufstieg entgegensteht.

Das von der Politik gewählte Issue, der Übelstand, hat zunächst eine unscharfe Grenze. Die Verkehrsmisere am Bahnhofsplatz mag eklatant sein; ihre Bekämpfung würde aber wohl besser am Stadtrand erfolgen oder noch weiter draußen. Der Politiker, der sich des Bahnhofsplatzes annimmt, muß aber sein Issue begrenzen. Damit determiniert er die Abhilfe. Indem er beschreibt, wie sich die Fußgängerströme zwischen den hupenden Fahrzeugen hindurchdrängen, steigt die Vision einer Bahnhofsplatzunterführung auf. Vergessen sind alle guten Vorsätze, den Verkehr am Stadtrand umzuleiten, den öffentlichen Verkehr zu bevorzugen: Man baut eine Bahnhofsunterführung und beläßt das übrige beim alten.

Das Stolpern von Maßnahme zu Maßnahme bringt zeitweise die planende Organisation bei Presse und Volk in Mißkredit. Dann wird die Organisation, um ihren Ruf wiederherzustellen, einen Gesamtplan in Angriff nehmen. Ein auswärtiger Fachmann stellt ein Maßnahmenbündel zusammen, dessen Durchführung die Situation der Stadt verbessern würde. Die Reihenfolge der Durchführung aber liegt, nach Abreise des fremden Gastes, bei der Organisation: Sie bestimmt, welche Maßnahmen sogleich verwirklicht und welche auf die lange Bank geschoben werden. Damit ist der Plan vorhanden, auf den man nach außen hin verweisen kann, aber gleichzeitig ist er zerstört, da nur die Kombination seiner Maßnahmen, seine Strategie, zu den gewünschten Zielen führen würde.

Die Organisation hat einen formalen sowie einen effektiven Aufbau, die dem einzelnen Mitglied eigene Rollen und damit unterschiedliche Handlungsweisen zuteilen. Vor allem aber bestimmen die Hierarchien den Zugang zur Information. Die bessere Information erzeugt die wirkungsvollere Argumentation und damit die höhere Durchsetzungskraft. So erklärt sich die Überlegenheit der Regierungen über Parlamente und der untergeordneten Stellen über die Regierung. Die so entstandene Entscheidung wird gemäß den Bräuchen der formalen Ordnung zeremonialisiert, sei es durch eine Abstimmung, sei es, indem man die Verantwortung einer möglichst hochgestellten Persönlichkeit zuschiebt, die die Konsequenzen ihrer Unterschrift nicht durchschaut.

Die argumentierende Arbeitsweise innerhalb von Organisationen gibt den beweisbaren, also meßbaren Faktoren ein Übergewicht über die anderen. Quantitativen Charakter haben deshalb die gängigen Ziele der Stadtplanung (Verflüssigung des Verkehrs), an denen festgehalten wird, obwohl sie die Verfolgung anderer, wichtigerer Ziele, etwa der Wohnlichkeit, in Frage stellen. Trotz dieses Übergewichts der meßbaren Ziele hütet sich der Planer, die Annäherung an die gesetzten Ziele jemals zu messen oder gar die Syndrome zu beschreiben, die von seinen Maßnahmen ausgelöst wurden.

Bisher haben wir gewissermaßen technische Schwierigkeiten der Beschlußfassung aufgezählt. Überdies haben aber die entscheidungsfassenden Organisationen manifeste Interessen und Selbsterhaltungstriebe. Die Organisation ist interessiert an der Erhaltung des Status quo und an ihrer eigenen Sicherheit. Die Organisation weiß aber, daß diese Sicherheit nur gewährleistet ist, wenn sie etwas leistet. Deshalb sind die Erfolge der Vergangenheit ihr Muster für künftige Aktionen. Die Organisation ist durch ihr eigenes Sicherheitsstreben also nicht in der Aktion blockiert, sondern im Zugzwang. Weiterhin zerreißen ihre Verkehrsbauten unsere Städte, zerstören angebliche Slumsanierungen die Sozialstruktur ärmerer Quartiere und führen den Boden dem Liegenschaftshandel zu, verstopfen die durch übermäßige Straßenverbreiterungen und Parkinganlagen angelockten Wagen die Innenstadt und verpesten die Luft. Es werden Beschlüsse gefaßt, es wird gearbeitet, nur liegen die Maßnahmen in der Linie überkommener Scheinerfolge. In ihrer mangelnden Anpassungsfähigkeit muß die Organisation ihre einmal eingeschlagene Politik fortsetzen, obwohl sie für die Stadt zerstörerisch sein kann.

Nach dem bisher Gesagten könnte es so aussehen, als spiele sich die Planung zwischen den staatlichen Organen und einigen direkt interessierten Personen oder Firmen ab, wie dem Tiefbau und den Investoren. Niemals aber könnten diese Vorgänge von Dauer sein, wenn sie sich nicht auf einen wichtigen Bevölkerungsteil abstützten. In der wachstumsorientierten und inflationären Atmosphäre der beiden letzten Jahrzehnte haben weite Teile des Mittelstandes gelernt, daß der bloße Aktivismus auch dann für sie profitabel ist, wenn sie nicht direkt daran beteiligt sind. Diese Klasse ist in relativ kurzer Zeit von einem trägen Konservativismus zu einem wirtschaftlichen Fortschrittsglauben übergegangen, der allerdings nichts mit politischer Fortschrittlichkeit zu tun hat. Die Neinsager sind zu Jasagern geworden, die grämlichen Kritiker zu applaudierenden Bewunderern alles materiellen Neuen.

Das bürgerliche Credo, daß man durch harte Jahre der Investition zum Wohlstand gelangen müsse, überträgt sich auf die hektische Bauerei und Saniererei in den Städten. Unsere Städte sind Bauplätze geworden, die man nur über Schutthaufen, Planken, notdürftig zugeschüttete Gruben und unter Umgehung ausgedehnter Absperrungen betreten kann. Dabei gelingt es den Initianten, einen Teil der Bevölkerung glauben zu machen, es handle sich dabei um die Investitionsphase, nach deren Beendigung die Städte wieder um so bequemer zu begehen und zu befahren seien – als ob sich das Verkehrsproblem jemals lösen lasse. Daß mit der Tieflegung des öffentlichen Verkehrs unter die Erde, der damit bewirkten Freilegung der Straßen für den Privatverkehr, mit den Cityringen, Einfallstraßen und zentralen unterirdischen Parkgaragen nur ein Übel erzeugt wird, das sich konsequent von der Innenstadt nach außen fressen muß und allmählich die von den Ärmeren bewohnten Quartiere der ehemaligen Vorstädte unwohnlich macht und zerstört, kümmert freilich diese applaudierende Schicht nicht: Sie hat sich und ihre Familien längst weit außerhalb in Sicherheit gebracht und benutzt die Stadt nur als Jagdgebiet des Geschäfts und des Vergnügens.

Die Stimme der Verplanten

Bei der Planung und ihrer Durchsetzung ist auch die Zustimmung wenigstens eines Teils der Betroffenen für die Planer zum mindesten angenehm. Häufen sich die Ablehnungen, so kann die Durchsetzung eines Plans sogar gefährdet sein. Diese Zustimmung der Betroffenen muß also entweder aufgespürt oder hergestellt werden: Das Aufspüren führt zur Forderung, die Soziologie in die Planung einzubeziehen, die Herstellung der Zustimmung erfolgt durch die Methoden des Human Relation, also der Propaganda für ein besseres Sozialklima, und durch schärfere Mittel.

Die Methoden des Human Relation bedienen sich des Anscheins der Aufklärung. Es wird so getan, als gebe es neben den demokratischen Aufklärungsmitteln wie Presse und politischer Tätigkeit noch so etwas wie eine wertfreie Information. Gerade solche vermeintlich wertfreie Information ist aber parteiisch bis hinein in die so harmlos aussehenden Baumodelle aus Plexiglas und Pappkarton mit ihren grünen Modellbäumen. Zu den schärferen Mitteln rechnen wir die Beratung der Betroffenen in Form von Besuchen durch Beamte. In welcher Weise hier Zuckerbrot und Peitsche appliziert werden, entzieht sich jedem legalen Protokoll und kann im nachhinein nur geahnt werden. Deshalb nützen auch Gesetze und Vorschriften wenig, welche die Zustimmung der Betroffenen fordern (wie das Städtebauförderungsgesetz, das die Ermittlung der Einstellung und Mitwirkungsbereitschaft der Eigentümer, Mieter, Pächter und anderen Nutzungsberechtigten im Untersuchungsbereich der beabsichtigten Sanierung fordert): Die Verwaltung kennt seit dem Ancien Regime die Methoden, mit denen man Zustimmung schafft.

In den letzten Jahren wurde mit dem Mittel der soziologischen Befragung ein arger Mißbrauch getrieben. Über die Aussagekraft von Befragungen besteht eine ausgedehnte Fachliteratur. Unberührt von diesen Untersuchungen aber experimentieren die Planer und planenden Soziologen mit primitiven Befragungsmethoden, die nach dem Muster gehen: Sind Sie mit Ihrer Wohnung zufrieden? – Ja! Nein! Weiß nicht. Die Ergebnisse, meist Zufriedenheitsquoten von über 90 Prozent, sind natürlich aussagelos. Hierauf weist schon die Tatsache, daß die ermittelte Zufriedenheit um so höher ist, je schlechter die Wohnverhältnisse sind, in denen man befragt. Das ist sowohl psychologisch wie politisch erklärbar. Psychologisch handelt es sich um eine Dissonanzreduktion: Da der Mensch eine Dissonanz zwischen Soll-Zustand und Wirklichkeit in einem so nahen Bereich wie der Wohnung nicht aushält, füllt er den Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit mit Argumentationen zugunsten seiner Behausung aus. Mit den gleichen Argumenten, mit denen er sich selbst überzeugt, überschüttet er auch den Interviewer. Auf der politischen Ebene führt der Mangel einer Alternative zur Zustimmung. Sanierung bedeutet für den Betroffenen meist den Verlust der Wohnung, die Unterkunft an einem neuen Ort und höhere Mietzinsen. Wie sollte er da nicht seine Zufriedenheit mit den alten, verlotterten Zuständen bekunden?

Einen Schritt weiter in die Probleme der Betroffenen geht die Advocacy Planning, die Anwaltsplanung, die im deutschen Sprachbereich vor allem die Zeitschrift ARCH+ in ihren Nummern 8-10 (1969/70) diskutiert hat. Sie räumt wenigstens auf mit der Vorstellung, daß der Planende über den Parteien ein objektives Urteil zu fällen vermöge. Vielmehr wird die Entscheidung durch die Anwälte der betroffenen Gruppen ausgehandelt, also zwischen bewußt subjektiven Auffassungen. Auch gegen das Funktionieren der Anwaltsplanung können gewichtige Bedenken ins Feld geführt werden. Einmal ist es fraglich, ob der Anwaltsplaner als Angehöriger des akademischen oberen Mittelstandes in die Probleme der Betroffenen aus anderen Schichten einzudringen vermag. Sodann werden die Betroffenen vor eine Auswahl gestellt, mit deren Rahmen sie nicht einverstanden sein können. Und zum dritten kann auch der Anwaltsplaner die mittelbaren Folgen der Eingriffe, wie sie im Laufe der Zeit auftreten werden, nicht voll transparent machen.

In einigen Städten haben sich nach dem Vorbild Münchens sogenannte Bürgerforen gebildet, auf denen die Maßnahmen der Planer offen diskutiert werden. Obwohl deutlich ist, daß solche Einrichtungen nur von einem Teil der Bevölkerung benutzt werden, könnten sie einen Beitrag zur Aufklärung der Stadtbewohner über die Folgen der Planung beisteuern. Aber hier hat die Verwaltung rasch ihre Lernfähigkeit bewiesen. Die Förderung, die sie den Foren angedeihen läßt, ist identisch mit der Zerstörung des emanzipatorischen Wertes dieser Veranstaltungen.

Schließlich muß noch gefragt werden, wer eigentlich die Betroffenen einer Planung sind. In einigen Fällen kann die Grenze klar gezogen werden, beispielsweise bei den Bewohnern eines Slums, der saniert, also abgebrochen wird. Weniger klar erfaßbar ist die Zusammensetzung von Bevölkerungen, die erst angesiedelt werden sollen. Sind hierbei nur die schon im Gebiet anwesenden Personen Betroffene, oder sind es diejenigen, die einmal hierher kommen werden? Diese aber mögen zur Zeit noch in anderen Städten leben, unmündig oder gar noch nicht geboren sein. Hier erweist sich, daß demokratische Planung nicht im raschen Entscheiden besteht, sondern vielmehr im geplanten Aufschub derjenigen Entscheidungen, die sich aufschieben lassen zugunsten der Bewohner, die erst später auftreten oder dann neue Bedürfnisse haben. Dieses zielbewußte Aufschieben von Entscheidungen ist eine Kunst, die von jenen, welche die Planung planen, noch kaum beherrscht wird. Auch ist damit kein rascher Ruhm zu ernten.

Hinter der Forderung nach Anwaltsplanung steht die Meinung, unterprivilegierte Schichten könnten ihre eigenen Anliegen nicht artikulieren. Sofern es sich nicht um falsches Bewußtsein handelt – und Anwaltpartner sind die letzten, die dieses Bewußtsein berichtigen könnten –, ist die Fähigkeit zur Artikulation der eigenen Bedingungen überall vorhanden. Wo Schwierigkeiten auftreten, handelt es sich um Übersetzungsfragen: Die Beplanten leben in ihrer Realität, ebenso auch die Planungsberechtigten in der ihren. Die subjektive Realität oder die Art, wie der einzelne die Wirklichkeit zu sehen vermeint, ist eine Folge seiner Erziehung in der Gesellschaft, also eine soziale Konstruktion.

Planung ist nicht autonom

Wir haben uns hier mit den Planern zu beschäftigen und denken an die schichtspezifischen Umweltinterpretationen, die ihren Ursprung in Familie, Schicht und Schule haben, aber auch an berufseigene, im Studium und Praktikum gelernte oder verlernte Anschauungsweisen. Vielfach kommt als drittes noch die Erfahrung hinzu, die viele Entscheidungsberechtigte in der militärischen Ausbildung oder gar im Krieg erwarben und die nicht nur eine recht eigenartige Sicht auf den Mitmenschen vermittelt, sondern vor allem die Tat und den raschen, selbstverantworteten Entschluß als im vorhinein richtig erscheinen läßt. Die Übernahme von Verantwortung, die in Tat und Wahrheit gar nicht getragen werden kann, gehört fest in die Realitätsstruktur der Planer. Solche Verantwortung ist ein ungedeckter Scheck, da Fehlplanungen nicht rückgängig gemacht werden und die verdrängten Städter so wenig in ihre alten Quartiere zurückgebracht werden können wie Kriegsopfer ins Leben.

Die Lebenshaltung, die sich in der mittelständischen Spruchweisheit – jeder ist seines Glückes Schmied, wer wagt, gewinnt usw. – äußert, bekommt im öffentlichen Bereich einen besonders brisanten Charakter. Steht der Privatmann mit seiner Person und seinem Vermögen für Gewinn und Verlust ein, so bringen im öffentlichen Bereich Erfolge mehr Ruhm ein als Mißerfolge Schaden, da diese vertuscht, nach oben abgeschoben oder in Erfolge umgeprägt werden können. Deshalb bewegt sich die Stadtplanung, ohne Rücksicht auf strategisches Vorgehen, wie es dem Systemcharakter der Stadt angemessen wäre, von Maßnahme zu Maßnahme. Die sorgfältige Pflege eines Altstadtgebiets liegt außerhalb des Blickwinkels des Entscheidungsträgers; Abbruch und Neubau erscheinen dagegen als gute Lösungen. Typisch ist beispielsweise die Sanierung des Karlsruher Stadtteils Dörfle: Eine falsch konzipierte Entlastungsstraße isolierte das Quartier, die Ränder zur Straße hin wurden unwirtlich und verslumten; die Stadt glaubte eingreifen zu müssen, indem sie die Randbebauung erwarb und abbrach. Die Folge war, daß die nächste Bebauungsreihe verslumte, erworben und niedergelegt wurde gleich der ersten, was sich fortsetzte, bis ein großes Loch in der Innenstadt klaffte. Weder die Beamten noch die Politiker vermochten zu erkennen, daß sie es selbst waren, die den Übelstand schufen, den sie so eifrig bekämpften.

Die Wissenschaften und Hilfswissenschaften des Stadtplaners, Stadtgeografie, Stadtsoziologie, Planungstheorie, Planungsmethodik, Planungsstrategie, haben in den letzten Jahren Fortschritte gemacht. Immer aber hängt ihre Anwendung ab von der Person dessen, der plant. Daß wir dabei nicht trennen können zwischen dem Planer im engeren Sinne und dem ihm scheinbar übergeordneten Machtträger, haben wir dargelegt. Insofern ist die Planung nicht autonom, sondern einem sozialen System zugehörig und wirksam durch ein Personenkollektiv, eine Organisation.

Wir erleben gegenwärtig gleichzeitig ein Fortschreiten der Planungstheorie und ein Fortschreiten des Partizipationsgedankens. Die Planungstheorien spiegeln den Machtträgern eine Objektivität vor, die zur Unterdrückung der Partizipation mit ihrer wechselhaften Unberechenbarkeit verführt. Andererseits sind auch die Machtträger probabilistisch: Sie sind Menschen, also lernfähig, egozentrisch, kameradschaftlich oder sonst falsch programmiert, sie arbeiten in einer Organisation mit bestimmten gruppendynamischen Eigenheiten, und ihre Entscheidungen sind nicht feststellbar, sondern aufgelöst in einer Zeitspanne. Damit ist technische Planung von zwei Seiten her eingeengt: von der Seite der Demokratisierung und Partizipation her oder, technokratisch ausgedrückt, von der Durchsetzung her, und von der Seite der Entscheidungsträger.

Planung ist also nicht nur das, was die Techniker planen. Über Stadtplanung nachdenken heißt also nicht (nur), die neuesten Theorien über Wohndichte oder Verkehrsführung zu studieren; vielmehr geht es um die umfassende Betrachtung der Art und Weise, wie Kommunen ihre Umwelt planend verändern. Daß sich dieser Prozeß mit objektivem Wissen anreichert, ist zu hoffen; daß er zu einer Wissenschaft wird, ist eine Illusion.

Autor_innen

Lucius Burckhardt forschte zu Design, Architektur, Planung, Stadt und Landschaft. Er war ein früher Kritiker der autogerechten Stadt und der „Lösung“ gesellschaftlicher Probleme mit Bauwerken. Außerdem begründete er die Spaziergangswissenschaft.

www.lucius-burckhardt.org

* Der Text ist erstmals erschienen in: Fezer, Jesko/ Schmitz, Martin (Hg.) (2004): Lucius Burckhardt: Wer plant die Planung? Architektur, Politik und Mensch. Berlin: Martin Schmitz Verlag, 71-88. Wir bedanken uns bei Martin Schmitz für das Ein­ver­ständnis zum Wie­der­abdruck und bei der Lucius-und-Annemarie-Burckhardt-Stiftung für die finanzielle Unterstützung für das Lektorat und den Satz dieser Debatte. Die alten Regeln der Rechtsschreibung wurden beibehalten.