Interessenskonflikt im Basler Hafenareal. Wie Widerständige Lucius Burckhardts Planungskritik neu interpretieren

Reto Bürgin

Nach über 60 Jahren ist in Basel erneut die Parole „Wir selber bauen unsre Stadt“ zu vernehmen. Was im Jahr 1953 als provokativer Titel ein kleines Büchleins zweier junger Basler Studenten zierte (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]), bekräftigt heute die widerständige Ideologie und Haltung von empörten Quartiersbewohner_innen, die sich gegen die Planung eines neuen Stadtteils zu wehren versuchen. Im Zuge der geplanten Neustrukturierung der Schweizerischen Rheinhäfen wird die alte Hafenanlage zurückgebaut. Dadurch entstehen freie Flächen für die Stadtentwicklung. Deren Planung stieß auf heftigen Widerstand. Teile der ansässigen Bevölkerung fühlten sich brüskiert und von den planerischen Absichten ausgeschlossen. Es entstanden Interessenskonflikte, die bis heute auf breiter Ebene – auch medial – stark diskutiert werden.

Eine Gruppe von Forschenden des Seminars für Soziologie der Universität Basel ging diesem Konflikt aus unterschiedlichen Blickwinkeln nach und rekonstruierte die Entstehung und Wirkung des Widerstandes (vgl. Bürgin et al. 2015). In meinem Beitrag interessierten mich der Zeitpunkt und die Gründe, die zur Formierung des Widerstandes führten (vgl. Bürgin 2015). Die Forschung erfolgte anhand umfassender Literaturrecherchen, Dokumentenauswertungen, teilnehmender Beobachtungen von Quartiersveranstaltungen und Diskussionsrunden, Spaziergängen durch das Forschungsgebiet sowie zahlreichen vor Ort geführten qualitativen Interviews mit Personen aus dem Widerstand.

Im vorliegenden Beitrag werden die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt aufgegriffen. Dazu wird zunächst ein Überblick über das Planungsprojekt und den Widerstand gegeben. Darauf aufbauend interessiert, welche Rolle der Text Wir selber bauen unsre Stadt für den Widerstand spielt, dessen Inhalt adaptiert und auf die heutige Situation angewendet wird, um seine widerständige Haltung ideologisch zu bekräftigen. Themen wie das Vorgehen von Planenden, partizipative Instrumente und deren Implementierung spielen diesbezüglich eine zentrale Rolle. In einem Fazit werden die wichtigsten Punkte noch einmal aufgegriffen und die Aktualität der Schrift Wir selber bauen unsre Stadt in Bezug auf das Basler Hafenareal diskutiert.

Ein ‚Manhattan‘ für Basel?

Basel ist eine kleine Stadt. Mit ihren knapp 176.000 Einwohner_innen (Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt 2017a) ist sie nach Zürich und Genf die drittgrößte Stadt der Schweiz. Die Stadt am Rheinknie ist das urbane Zentrum des Trinationalen Eurodistricts Basel (vgl. Trinationaler Eurodistrict Basel 2017) und bildet das Herz einer länderübergreifenden Agglomeration. Wie die sonst so dicht besiedelte Schweiz scheint auch Basel an seine Grenzen zu stoßen. Freiflächen sind rar geworden und deren Entwicklungen ziehen meist größere Interessenskonflikte zwischen Bauherrschaften, Stadtverwaltung und Bevölkerung nach sich (vgl. zum Beispiel Laur 2015 für das nt/Areal). Auch im Basler Hafenareal führte die angedachte Entwicklung einer Rheininsel zu Meinungsverschiedenheiten und Konflikten zwischen der städtischen Verwaltung und Teilen der ansässigen Quartiersbevölkerung.

Wie kam es zum Konflikt? Im Zuge der Hafentransformation wurden alte Hafenanlagen zurückgebaut. Dadurch wurde Platz frei und mit der Verabschiedung des neuen Richtplans eröffneten sich neue Perspektiven für die zukünftige Entwicklung des nördlich gelegenen Hafengebiets: „Das Rheinufer zwischen Dreirosenbrücke und Dreiländereck soll zu einem urbanen Stadtteil werden“ (Hafen-Stadt 2017). Im Jahr 2009 führten der Kanton Basel-Stadt und die Schweizerischen Rheinhäfen ein Testplanungsverfahren durch. Ziel dieses Verfahrens war die Erarbeitung einer zukünftigen städtebaulichen Entwicklung für die grenznahen Entwicklungsgebiete. Das niederländische Architekturbüro MVRDV, der Soziologe Philippe Cabane und der Architekt und Stadtplaner Martin Josephy gewannen das Testplanungsverfahren mit dem Projekt „Entwicklungsvision 3Land“ (MVRDV/Cabane/Josephy 2011). Obwohl diese Entwicklungsvision den gesamten trinationalen Raum um das Dreiländereck ins Auge fasste, lag ein deutlicher Fokus auf dem besagten Hafengebiet im nördlichen Basel. Die ‚Vision’ sah vor, das an den Rhein angrenzende Gebiet durch einen neuen Seitenarm des Rheins von den beiden bestehenden Quartieren abzutrennen, um eine Insel zu schaffen. Damit sollten neue Uferlagen maximiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden (ebd.: 1). Die Rheininsel – im Projekt auch als ‚Herzstück’ beschrieben – „wird parzelliert und typologisch so differenziert, dass es möglich wird, eine Durchmischung an Investoren und damit die Ansiedlung von durchmischten Lebensstilen zu erreichen“ (ebd.: 28, 80). Es sollte „ein hochwertiger Arbeits-, Wohn- und Freizeitstandort am Wasser“ (ebd.: 26) entstehen. Zentrale Elemente waren unter anderem neue Brücken, Freiräume und Promenaden entlang der Ufer, Wohngebiete und Arbeitsorte in Zusammenhang mit der Ansiedelung repräsentativer Firmensitze. Es sollte somit ein „repräsentatives und lebendiges Geschäfts- und touristisches Viertel von internationalem Rang und Ausstrahlung“ (ebd.: 36) mit lokalen Bezügen entstehen. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb diesbezüglich von einem „Klein-Manhattan im Rhein“ (Gerny 2011). Kurz darauf sprach man in Basel von ‚Rheinhattan’ anstatt von ‚Entwicklungsvision 3Land’.

Im zweijährigen Takt präsentierten Stadtplanende – teils ausgehend von der „Entwicklungsvision 3Land“ – überarbeitete Projektentwürfe für die städtebauliche Entwicklung des etwa 18,7 Hektar großen Stadtgebiets. Das erste Folgeprojekt „Hafen-Stadt“ von 2013 schien den Fokus wieder auf die Hafenumgestaltung und weniger auf die Stadtteilentwicklung zu legen. In diesem Projekt sollten Stadt und Hafen näher zusammengeführt werden, um letzteren als Verkehrsdrehscheibe der Schweiz mit einem neuen Umschlagsterminal – direkter Umschlag vom Schiff auf die Bahn – „fit für die Zukunft“ (Hafen-Stadt 2017) zu machen. Im Frühjahr 2015 entstand schließlich das neue „Raumkonzept 3Land: drei Städte – eine Zukunft“. Das Architekturbüro LIN entwickelte ein Konzept für die trinationale Entwicklung mit den Schwerpunkten Natur, Mobilität, Nutzung und Städtebau. Das in der „Entwicklungsvision 3Land“ priorisierte Konzept der Erschaffung einer Rheininsel wird auch in heutigen Plänen beibehalten, auch wenn dieses Szenario lediglich eines von drei vorgeschlagenen darstellt. Neue Varianten sehen entweder einen grünen Gürtel zwischen den bestehenden Quartieren und dem neuen Stadtteil vor oder eine städtebauliche Weiterführung des bestehenden Klybeckquartiers bis an den heutigen Rheinverlauf heran inklusive der Erschaffung einer Halbinsel und neuer vereinzelter Uferlagen (3-Land 2017).

Während die Visualisierungen einer Rheininsel einerseits auf viel Zustimmung stoßen, gibt es dennoch zahlreiche Stimmen, die dieses Vorhaben mit aller Kraft zu verhindern versuchen. Doch was ist gegen eine Insel im Rhein einzuwenden? Und wer wehrt sich gegen die angedachte Rheininsel?

Widerstand gegen ‚Rheinhattan’

Die Visionen einer Rheininsel und vor allem deren Visualisierungen stießen bei zahlreichen Quartiersbewohner_innen auf heftigen Widerstand. Viele waren von den angedachten Zukunftsplänen überrascht und fühlten sich als Bürger_innen von der Planung der städtebaulichen Zukunft ihrer Stadt ausgeschlossen. Fragen der Gentrifizierung und Nichtbeteiligung rückten vermehrt ins Zentrum der Kritik und führten zur Formierung von diversen widerständigen Gruppierungen. Diese fühlten sich von der Stadtplanung hintergangen und fürchteten eine – vom neuen Stadtteil ausgehende und auf ihre Quartiere übergreifende – Gentrifizierung (vgl. Bürgin 2015). Sie kritisierten die Zukunftspläne, die ihrer Ansicht nach den Privatinverstor_innen sowie der Baulobby finanziellen Profit generieren würden, während diese „keinerlei Rücksichten auf die Bedürfnisse der Quartierbevölkerung“ (Klybeckinsel.ch 2017) nähmen.

Der Widerstand formierte sich in den Quartieren Klybeck und Kleinhüningen, die sich in unmittelbarer Nähe zum Entwicklungsgebiet befinden. Beide sind von der Hafenindustrie geprägte Arbeiterquartiere mit – verglichen mit der Stadt Basel – unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensniveaus. Die rund 11.000 Einwohner_innen zeichnen sich durch eine überdurchschnittlich hohe kulturelle Diversität aus (rund 50 Prozent Ausländer_innenanteil). Beide Quartiere weisen im gesamtstädtischen Vergleich einen noch hohen Anteil an günstigen Mietwohnungen auf (Statistisches Amt des Kantons Basel Stadt 2017b).

Der Widerstand besteht aus diversen Gruppierungen, die eigene Kritikpunkte hervorbringen und sich auf unterschiedliche Art und Weise gegen die angedachte Entwicklung zu wehren versuchen. So divers die widerständigen Gruppierungen in ihren Anliegen und Vorgehensweisen auch sind, präsentieren sie sich gemeinsam auf der Internetseite der sogenannten Interessensgruppe Klybeckinsel folgendermaßen:

„Unter dem gemeinsamen Dach klybeckinsel.ch versammeln sich Menschen mit unterschiedlichen Ideen und Kompetenzen. Sie wollen den Planungsprozess kritisch verfolgen, die Neubaupläne bekämpfen oder zu Alternativszenarien anregen. Gemeinsam ist uns die Ablehnung aller Modelle, die unter den Namen „Rheinhattan“ und „Vision 3Land“ dem Planungsamt als Grundlage dienen.“ (Klybeckinsel.ch 2017)

Insgesamt wehren sich sieben Gruppierungen und mehrere Einzelpersonen gegen „überdimensionierte, veraltete Mega-Planungen“ (Klybeckinsel.ch 2017). Damit nehmen sie Bezug auf die Planungsvisionen aus der „Entwicklungsvision 3Land“. Sie setzen sich für eine von der Bevölkerung ausgehende Planungsstrategie ein (bottom-up), fordern mehr Mitbestimmung und kritisieren allgemein das Vorgehen der Stadtplanenden. Sie sehen das Problem einerseits im schwindenden bezahlbaren Wohnraum – aufgrund von möglichen Aufwertungsmechanismen, die vom neuen hochwertigen Stadtteil ausgehend auf ihren derzeitigen Wohnraum übergreifen könnten – und andererseits im Planungsverfahren, bei dem die Bevölkerung zu wenig einbezogen worden wäre.

Durch den Widerstand fing die Bevölkerung an, sich für die bevorstehende Entwicklung im Hafenareal zu sensibilisieren und zu interessieren. Im Zuge des Widerstands wurden dafür diverse Mittel und Aktionen entwickelt: Die widerständigen Gruppierungen führten eigene Diskussionsveranstaltungen zum Thema durch, luden zu selbstorganisierten Quartiersversammlungen ein oder dokumentieren auf Websites die Entwicklungen und Geschehnisse im Hafenareal. Die Gruppierung „Rheinhattan versenken!“ machte vor allem durch Störaktionen wie Zwischenrufe und Lärmbelästigungen bei Podiumsdiskussionen auf sich aufmerksam (vgl. Tschudin 2012). Sie taten dies einerseits, um zu stören, und andererseits, um ihre Kritik an der Konzeption des künftigen urbanen Raumes anzubringen (Bürgin 2015: 106ff.). Mit ihrem Versuch, die Planungen eines ‚Rheinhattan‘ zu verhindern, möchte sich die Gruppierung „gegen die drohende Verdrängung“ (Rheinhattan versenken 2017) aus ihrem Lebensraum wehren. Die Ausdrucksformen der Widerständigen scheinen divers zu sein. Während die Einen zum Ziel haben, die Bevölkerung genauer zu informieren – und zu mobilisieren –, machen Andere mit Störaktionen bei Podiumsdiskussionen, mit Sprühereien und Flugblättern auf ihren Protest aufmerksam.

Als der Widerstand größer wurde, schienen die ersten euphorischen Stimmen aus dem Bau- und Verkehrsdepartement der Stadt Basel wieder abzuflachen. Aus den mit Exponent_innen der zuständigen Departemente und Ämter geführten Interviews wurde festgehalten, dass man mit den anfänglichen Visualisierungen lediglich provozieren und die Bevölkerung dazu anstoßen wolle, sich mit der zukünftigen Entwicklung im Hafenareal auseinanderzusetzen (vgl. Mäder et al. 2014). Eine Haltung, die in den Gesprächen mit den Widerständigen als Lüge, Rechtfertigung oder als „positive Umdeutung im Nachhinein“ (vgl. Bürgin 2015: 124) empfunden wurde.

Hier sollen deshalb die Kritiken innerhalb des Widerstandes noch einmal zusammengefasst werden (vgl. Klybeckinsel.ch 2017, Bürgin 2015). Die Sichtweisen selbst sind allerdings sehr unterschiedlich, weswegen die folgenden Punkte nicht für alle widerständigen Personen und auch nicht für die gesamte Quartiersbevölkerung sprechen. Erstens: Die ersten planerischen Grundüberlegungen für die Entwicklung im nördlichen Basel gingen in Form des Planungswettbewerbs ohne die Einsicht der Bevölkerung vonstatten. Zahlreiche Bewohner_innen fühlten sich ausgeschlossen, da sie ihre Wünsche nicht äußern konnten. Zweitens: Die Quartiersbewohner_innen wünschen sich mehr Beachtung ihrer Bedürfnisse, zu denen zum Beispiel günstiger Wohn-, mehr Grün- und Freiräume gehören. Der ohnehin schon knappe günstige Wohnraum in Basel soll gesichert oder sogar auf dem Hafenareal erweitert werden. Drittens: Die Widerständigen fordern mehr direkte Einflussnahme und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Viertens: Die Entwicklungen auf dem Hafenareal sollen nicht der Erwirtschaftung monetärer Mittel dienen, um den Hafenumbau zu finanzieren. Fünftens: Die Neunutzung des Hafenareals soll auch den Bewohner_innen der Quartiere Klybeck und Kleinhüningen zugutekommen. Dabei sollen die heutigen Bewohner_innen bestimmen dürfen, „was Qualität“ (Klybeckinsel.ch 2017) in ökologischer, sozialer und kultureller Hinsicht ist und ob „Verbesserungen überhaupt nötig sind“ (ebd.).

Mitwirken oder mitentscheiden?

Offenbar wurden die Widerständigen und ihre Forderung nach partizipativer Gestaltung erhört. So riefen das zuständige Stadtteilsekretariat und das Bau- und Verkehrsdepartement knapp ein Jahr nach der Veröffentlichung der „Entwicklungsvision 3Land“ eine sogenannte ‚Begleitgruppe’ ins Leben. Mit diesem partizipativen Planungsinstrument sollte für die Bevölkerung eine Plattform für Beteiligung geschaffen werden: „In der Begleitgruppe werden Fragen und Anliegen der Bevölkerung zum Entwicklungskonzept Rheininsel vertieft und bearbeitet“ (Bau- und Verkehrsdepartement des Kantons Basel-Stadt 2012, Hafen-Stadt 2017). Dazu dienten öffentlich durchgeführte Informationsveranstaltungen, die Beurteilung von Vorschlägen aus der Bevölkerung und regelmäßige Sitzungen mit der Begleitgruppe. Letztere hatte von diesem Zeitpunkt an offiziell die Möglichkeit, der Verwaltung Vorschläge für die Entwicklung zu unterbreiten und darauf begründete Antworten zu erhalten. Entscheidungskompetenzen sollten ihr jedoch nicht übertragen werden.

Rückblickend scheint dieses Mitwirkungsverfahren nicht den gewünschten Effekt erzielt zu haben, und zwar für beide Seiten nicht. Einige Mitglieder der Begleitgruppe distanzierten sich davon oder traten freiwillig wieder aus. Sie fühlten sich kaum ernst genommen und beschrieben das Mitwirkungsverfahren als ‚Feigenblattdemokratie‘ oder als Instrument, um dem Gesetzesartikel – der die Stadt Basel verpflichtet die Bevölkerung in die Meinungs- und Willensbildung in Entwicklungsfragen miteinzubeziehen – gerecht zu werden. Andere erkannten in ihr jedoch auch eine ‚Konstante‘ für den Austausch zwischen Bevölkerung und Verwaltung. Nach zwei Jahren endete dieses Mitwirkungsverfahren. Die Beziehung zwischen der Stadtplanung und den Widerständigen schien sich eher verschlechtert zu haben (vgl. Bürgin 2015: 128ff.).

Widerstand besteht bis heute in Form eines Netzwerkes zwischen den Bewohner_innen der beiden Quartiere, die, vor allem auf den diversen Internetportalen, über die aktuellen Geschehnisse und Aktionen im Hafenareal informieren. Die Widerständigen scheinen – auch wenn nicht immer sichtbar – nach wie vor eine aktive Rolle im Konflikt um die Zukunft des Basler Hafenareals einzunehmen. Aber was treibt sie an? Woher nehmen sie ihre ideologische Inspiration?

Wir selber bauen unsre Stadt

Im Jahr 1953 riefen in Basel zwei junge Studenten und ein aufstrebender Buchautor die Bevölkerung dazu auf, sich für Themen der Planung und Stadtentwicklung zu interessieren und sich selbst stärker einzubringen. Der Soziologe Lucius Burckhardt und der Medienfachmann Markus Kutter veröffentlichten ihre Anliegen in dem Buch Wir selber bauen unsre Stadt (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]). Der Architekt und Buchautor Max Frisch schrieb das Vorwort. Während in den 1950er-Jahren die Inhalte dieses Büchleins in manchen Fachkreisen der Schweiz auf Ablehnung stießen (vgl. Ritter 2016: 12), ist die Parole gut 60 Jahre später im Basler Hafenareal wieder zu hören und scheint in der gegenwärtigen Debatte im Basler Hafenareal wieder eine gewichtige Rolle zu spielen (vgl. Bossert/Bürgin 2014: 235, Klybeckinsel.ch 2017). Burckhardt und Kutter reagierten mit Wir selber bauen unsre Stadt auf von oben implementierte Planung und schrieben es aus ihrem Widerstand gegen Planungen für eine autogerechte Stadt Basel heraus (vgl. Sutter 2014: 33). In seinem Vorwort versuchte Frisch auf fehlende „schöpferische Ideen“ (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]: 7) und Entwürfe für die Zukunft aufmerksam zu machen. Eine Meinung, die die Widerständigen im Basler Hafenareal noch heute teilen:

„Auch wir, BewohnerInnen aus dem Klybeck und Kleinhüningen, finden keine schöpferische Idee, keinen Entwurf in unsere Zukunft und nur einen zutiefst befremdlichen Ausdruck einer rein ökonomischen Zielsetzung in den Modellen, welche zur Zeit unter dem Namen ‚Rheinhattan’ und ‚Vision 3Land’ beim Planungsamt als Grundlage dienen für den Bau eines neuen Stadtteils auf dem Areal des Klybeckhafens. Modelle, die eher an Planungsideen aus den 90ern erinnern als an zukunftsweisende Konzepte unter Berücksichtigung der heutigen Herausforderungen im ökologischen und sozialen Bereich.“ (Klybeckinsel.ch 2017)

Lucius Burckhardt und Markus Kutter setzten sich kritisch damit auseinander, ob Laien Probleme der Fachleute entscheiden können. Sie verneinten dies, betonten jedoch, dass der Laie imstande sei, Fragen – womit Planungsideen gemeint sind – zu formulieren, um diese zur Beantwortung den Fachleuten, den Planer_innen, vorlegen zu können (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]: 34ff.).

Was wollten die beiden damit ausdrücken? Sie kritisierten einerseits fundamental die Vorgehensweise bei Planungen und andererseits das „Problem des Verhältnisses von Laie und Fachmann, Stimmbürger und Techniker“ (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]: 34ff.). Im heutigen Fachjargon würde dies wohl eine Kritik an top-down-Planungsansätzen genannt werden und eine Verschiebung hin zu mehr bottom-up-Planungsstrategien einfordern. Festzulegen was überhaupt geplant werden soll sei nicht die Aufgabe der Planer_innen. Es sei die Bevölkerung, die Laien, welche Wünsche und Fragen für zukünftige Planungen hervorbrächten und über deren Relevanz und Verwirklichung entscheiden sollten, indem sie die Antworten der Planer_innen ‚bejahen oder verwerfen’ könne. Die Entscheidungskompetenzen über die Planungsvorschläge lägen somit beim Volk. Zusammengefasst forderten die beiden Autoren – nebst einer Kritik an einer „ausschliesslich profitorientierten Planungspraxis“ (Eisinger/Geiser 2016: 15) – mehr demokratische Mitbestimmung in Planungsfragen sowie mehr Beachtung für die Bedürfnisse der Bewohner_innen. Auch die Widerständigen beziehen sich auf die erwähnte Publikation und versuchen, die Entscheidungsmacht dem Volk zuzuordnen, wie Punkt fünf im Forderungskatalog zeigt.

Ein weiterer, bedeutender Aspekt von Burckhardt und Kutter, der jedoch oft überlesen wird, ist das Planen „hinter den Kulissen und ohne Kontrolle der Öffentlichkeit“ (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]: 31):

„Das wäre nicht sehr schwerwiegend, wenn gut geplant würde; und wären die Ergebnisse dieser Planung oder wenigstens ihre Absichten dem Bürger verständlich und mit seinen geistigen und leiblichen Bedürfnissen übereinstimmend, so sähe sich die Öffentlichkeit wohl gar nicht veranlasst, die Planung von sich aus so heftig zu diskutieren.“ (ebd.: 31)

Die Bevölkerung soll demzufolge nicht nur die Planungsfragen stellen, sondern auch Einblicke in die Arbeit von Planer_innen erhalten. Mit einem Blick auf das Basler Hafenareal, erkennen wir, dass gerade diese Themen, obwohl schon in den 1950er-Jahren diskutiert, noch heute von zentraler Bedeutung sind. So fanden die ersten Projektierungsphasen („Entwicklungsvision 3Land“) ebenfalls ohne den Einblick der Bevölkerung statt (vgl. Bürgin 2015: 118ff.). Das Einsetzen der Begleitgruppe und somit des partizipativen Instrumentes kam für viele Widerständige viel zu spät. Zu Vieles sei hinter den Kulissen vorprojektiert worden. Die von Burckhardt und Kutter vorgeschlagene „Hierarchie von Laie und Fachmann“ (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]: 27), bei dem Laien darüber entscheiden, ob eine Antwort der Fachspezialist_innen angenommen oder verworfen wird, scheint sich bis heute nicht durchgesetzt zu haben.

Fazit

Was lässt sich in der Dynamik des Widerstandes erkennen? Die Widerständigen versuchen, auf die Bedürfnisse und die Forderungen der ansässigen Bevölkerung aufmerksam zu machen. Zeitgleich kritisieren sie den laufenden Planungsprozess auf einer fundamentalen Ebene. Die Widerständigen kritisieren das planerische Vorgehen, das – noch zu oft – ohne die Einblicke der Öffentlichkeit vonstatten gehe. Sie werfen somit zugleich die Frage auf, wann die Möglichkeiten von Partizipation und somit die Teilhabe an zukünftigen Stadtentwicklungsfragen in die Wege geleitet werden sollen. Einen Vorschlag lieferten Burckhardt und Kutter: „Je frühzeitiger die Planung einsetzt, desto besser verträgt sie sich mit dem Vorhandenen.“ (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]: 35). Sie betonen zusätzlich: „Überall, wo die Stadtplanung eingreifen möchte, ist schon irgend etwas da, das gegenüber dem Willen des Planers auf das uralte Menschenrecht des Zuerstkommens pochen darf.“ (ebd.). Davon zeugen auch die kontrastierenden Betrachtungsweisen der Widerständigen und der Stadtplanung. Die Perspektive der ansässigen Bevölkerung scheint zudem im Widerspruch mit der gesamtstädtischen Perspektive der Stadtplanung zu stehen. Die Aushandlung gemeinsamer Strategien und Zukunftspläne erschwert sich dadurch (Bürgin 2015: 142f.).

Vor allem Burckhardt und Kutter schlugen einen radikalen Wandel vor, bei dem die Fragen für zukünftige Planungen von der Bevölkerung, von Laien, gestellt werden sollten und die Planenden lediglich die Aufgabe haben würden, mögliche Umsetzungsstrategien für die Antworten auf diese Fragen vorzuschlagen. Summa summarum fordern die beiden Autoren nichts anderes, als „eine soziologisch bewusste Planung, die dort, wo sie von den Behörden ausgeht, wahr und neutral ist und das Bestehende schützt, aber dort, wo sie aktiv ist, wirklich vom Volke ausgeht und dessen Willen entspricht“ (Burckhardt/Frisch/Kutter 2016 [1956]: 52). Eine Kritik, die sich im Widerstand gegen die Planungen im Basler Hafenareal wiedererkennen lässt und Fragen zur demokratischen Planung aufwirft.

In Burckhardts und Kutters Wir selber bauen unsre Stadt fanden viele Widerständige zwei prominente Figuren, die ihre planungskritischen Argumentationen bekräftigten. Ihre damaligen – kritischen – Positionen gegenüber Stadtplanungen sind heute anerkannte Lehrmeinungen (vgl. Ritter 2016: 12) und werden, wie vom Widerstand im Basler Hafenareal, wieder aufgenommen und fallspezifisch adaptiert.

In Bezug auf den Interessenskonflikt im Basler Hafenareal eröffnete Burckhardts, Kutters und Frischs Schrift einen kritischen Blick auf das heutige Planungsvorgehen. Schon in den 1950er-Jahren propagierten sie eine Demokratisierung der Planung, bei der die Bevölkerung bestimmt, was geplant wird. Diese Vorstellungen differenzierte vor allem Burckhardt später immer genauer aus. Es entstanden Aufsätze wie ‚Stadtplanung und Demokratie’ (2004 [1957]) oder ‚Wer plant die Planung?’ (2004 [1974]). Bis heute scheint noch unklar zu sein, wie sich die Schriften Burckhardts in den Kanon der Stadt- und Planungsforschung eingliedern könnten (vgl. Gribat 2017: 158). Und dennoch: Was im ersten Moment wie eine plakative Bezugnahme auf Burckhardt und Kutter aussieht, lässt sich deutlich zwischen den Zeilen der Kritik auch in den Argumentationen der Widerständigen wiederfinden.

Es ist schwierig zu antizipieren, was die Zukunft im Basler Hafenareal bringen wird. Gewiss werden neue Planungsideen veröffentlicht. Es scheint auch sicher zu sein, dass der Widerstand bei solchen Schritten nicht auf sich warten lässt und sich immer wieder in die Debatte einbringt. Es wird jedoch unumgänglich sein, dass sich beide Parteien wieder auf einen gemeinsamen, sachlichen Austausch einlassen können. Konflikte sind wohl kaum zu vermeiden, aber sie helfen einerseits unterschiedliche Sichtweisen zu generieren und andererseits diese konstruktiv in die zukünftigen Planungen miteinzubeziehen. Eine deliberative Zielformulierung könnte neue Perspektiven und für alle Konfliktparteien befriedigendere Zukunftschancen eröffnen.

Autor_innen

Reto Bürgin ist Sozialgeograf. Er forscht zu Stadtgeografie/-soziologie, insbesondere zu urbanen sozialen Bewegungen und zu Lucius Burckhardt.

buergin@arch.ethz.ch

Literatur

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