Macht und Herrschaft, aber auch Werte und institutionelle Settings – sie bestimmen die Raumplanung

Kommentar zu Lucius Burckhardts „Wer plant die Planung?“

Jens Dangschat

Historischer Kontext

Lucius Burckhardt hat vor mittlerweile 43 Jahren die Frage gestellt und – aus damaliger Sicht – kritisch beantwortet, wer die Planung plane. Das war knapp zehn Jahre nach dem Pamphlet zur Unwirtlichkeit der Städte von Mitscherlich (1965) und kurz nachdem die ersten Planungsstudiengänge im deutschsprachigen Raum gegründet worden waren (u. a. TU Dortmund 1969, TU Wien 1970, TU Berlin 1972). Der Gründungskontext der Studiengänge war zum einen immer die Architektur; er unterschied sich jedoch von Ort zu Ort erheblich: Während in Berlin und Dortmund eine ‚Bottom-up‘-Bewegung des Mittelbaus für die Etablierung bedeutsam war, waren die Entwicklungen in Aachen (Fehl) und Wien (Wurzer) von charismatischen Professoren getragen. Durch die unterschiedliche institutionelle Einbettung variierten die Zugänge zudem in ihrer schwerpunktmäßigen Orientierung an der Systemtheorie (Stuttgart und Aachen, vgl. Brunn/Fehl 1976), der politischen Ökonomie (Berlin, vgl. hierzu insbesondere die drei Hefte der Planerflugschriften, Naschold 1972, Scharpf 1973) und den Ingenieurwissenschaften (Wien).

Nahezu zeitgleich wurden in der Stadtsoziologie in Hamburg die ökonomischen Stadtentwicklungsmodelle von Lowry (1964) und die systemischen von Forrester (1969) diskutiert. An der TU Wien war der Gedanke, die wissenschaftlich-wertfreie Analyse mittels statistischer Verfahren und Modellierungen von der normativ getriebenen politisch-planerischen Entscheidung trennen zu müssen (und zu können), besonders verbreitet. Der Aachener Professor Gerhard Fehl (1976: 13) sah die umsetzungszentrierte Raumplanung in einem Wechselverhältnis aus Planungstheorie, politischem Kontext und dem Systemansatz. Burckhardts Position entsprach einem neo-marxistischen kritischen Trend innerhalb der Sozialwissenschaften in Folge der 1968er-Bewegung, doch dieser Ansatz bildete keinesfalls die Grundlage für alle neuen Studiengänge der Raumplanung.

Zentrale Thesen Burckhardts

Lucius Burckhardt konzentriert sich in seinem Text vor allem auf das Verhältnis von praktischer Raumplanung und dem politisch-administrativen Kontext. Das (formale) ‚wer‘ ersetzt er rasch durch das ‚wie‘ (als Ergebnis gesellschaftlicher Bedingtheit) und das ‚was‘ (bestimmt durch politische und gesellschaftliche Kräfte). Planung geschehe nicht isoliert, sondern sei „durch die Politik“ bedingt und „in einem sozialen System“ aufgehängt (S. 105).

Das, was geplant wird, werde bereits über die Formulierung der (Planungs-)Probleme definiert. Und die – etwas unscharf benannte – „gesellschaftliche Bedingtheit“ sieht er in der Einbettung der Raumplanung in das „Kräfteparallelogramm zwischen der regierenden Beamtenschaft, der Bauspekulation, der Bürgerschaft und den durch die beschlossenen Maßnahmen betroffenen Leuten“ (S. 107).

Weiter kritisiert Burckhardt, dass sich planerische und kommunalpolitische Entscheidungen schon immer eher an der Erscheinungsform stadtentwicklerischer Probleme als an den Ursachen dieser Phänomene orientieren.

Drei weitere Aspekte der Kritik Burckhardts an den damaligen Innovationen der Raumplanung sind trotz veränderter Kontexte noch heute gültig:

Was ist heute noch gültig?

Vieles an der grundsätzlichen Kritik Burckhardts an der Planung ist also auch heute noch gültig. Vor dem Hintergrund der Opportunität gegenüber parlamentarischen Mehrheiten werden häufig nur die vermeintlich durchsetzbaren Alternativen erwogen. Die burckhardtschen Überlegungen zu den kollektiven Entscheidungen würde man heute mit dem Konzept des akteurzentrierten Institutionalismus (Mayntz/Scharpf 1995) beschreiben, nach dem Akteur_innen (Planer_innen, Politiker_innen) im Rahmen institutioneller Settings (der lokalen Planungskultur, Partei-Raison) handeln. Das Ausmaß und das Erkennen von Spielräumen sind danach von Machtpositionen und den jeweiligen Sozialisationserfahrungen abhängig.

Zweitens ist die planerische Verwaltung nach wie vor lediglich an ‚Hebeln‘ interessiert, die sie selbst beeinflussen kann, nicht aber an den ursächlichen Zusammenhängen und Treibern der Prozesse. Diesem Denken der Reduktion auf das Wesentliche kommen auch heute noch die meisten Modellierungen von ‚Zukünften‘ entgegen, die deutlich unterkomplex hinsichtlich der Akteur_innen und der jeweiligen Orte sind.

Im Gegensatz zu früher ist die Forderung, nicht alles von Beginn an ‚fertig‘ zu planen, zwar lauter geworden, doch ist die Zahl der entsprechenden Projekte noch sehr gering. Ein Grund hierfür besteht im mangelnden Interesse von Investor_innen. Hier steht die Forderung der ‚Planung der Nicht-Planung‘ im Raum, die aus meiner Sicht vorerst sinnfrei bleibt. Es geht nicht um ‚planungsfreie Räume‘, sondern um eine neue Rolle der Planung und der Planenden im Zuge von Prozessgestaltung und -begleitung. Letztlich unterliegt die Planung dem Druck von Investor_innen der Politik, den Medien und letztlich den Wachstumsdynamiken.

In der deutschsprachigen Akademia gibt es nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen den die Raumplanung konstituierenden Fächern (ingenieur- und technikwissenschaftliche vs. sozialwissenschaftliche Fächer), zwischen quantitativen und qualitativen Methoden und zwischen evidenzbasierten Theoretiker_innen und umsetzenden Macher_innen. Die Unterschiede werden zudem häufig durch eine geringe Kooperationsbereitschaft und durch geringe wechselseitige Wertschätzung zementiert.

Was hat sich verändert?

Es ist eine große Verunsicherung in die Planung eingekehrt – was teilweise dazu geführt hat, sich vom Begriff der ‚Raumplanung‘ zugunsten der ‚Raumentwicklung‘ zu verabschieden. Die Verunsicherung besteht vor allem darin, dass sich die Erkenntnis verbreitet hat, dass die Grundlagen für Prognosen und Determinismus fragwürdig geworden sind, weil die Unsicherheiten größer geworden sind. Dazu haben zwei Aspekte beigetragen: der gesellschaftliche Wandel und der zunehmende Einfluss der Sozialwissenschaften.

Der soziale Wandel wird innerhalb der Raumplanung nur unzureichend und eher plakativ erfasst. Man vertraut weitgehend den soziodemografischen Kategorien aus der amtlichen Statistik, die jedoch eher für die Kontinuität von Zeitreihenanalysen gedacht sind, als Gegenwartsgesellschaften ausreichend differenziert zu betrachten. So schnappt man Begriffe aus dem allgemeinen Diskurs wie Patchwork-Familien, greying society, Flexibilisierung, sharing auf, ohne dieses empirisch fassen zu können. Vor allem ist das Sensorium für Einstellungs- und Verhaltensunterschiede relativ gering.

Die Rolle der Sozialwissenschaften hat sich seit den 1970er Jahren erweitert. Nach wie vor spielen Erhebungen mittels Fragebogen eine große Rolle (auch wenn ich nicht – wie Burckhardt – der Meinung bin, dass damit per se Missbrauch betrieben wird) – es gibt aber zunehmend auch qualitative und gruppendynamische Erhebungen. Zusätzlich hat die Bedeutung des Subjektiven zugenommen, das heißt die Sicht – bei Burckhardt schon angedeutet – auf die Planung wird nicht von objektiven, sondern subjektiven, sozialisationsabhängigen Fakten bestimmt.

In diesem Zusammenhang wurde der (ausschließliche) Blick auf den administrativ definierten ‚objektiven‘ Raum zugunsten des ‚subjektiv‘ geprägten relationalen Raums erweitert. Diese Verunsicherung wurde noch zu wenig im Sinne der Bewältigung einer neuen Herausforderung gesehen. Aus meiner Sicht ist der von Löw (2001) stark betriebene ‚Turn‘ zu Gunsten des Konstruktivistisch-Relationalen zu einseitig. Wenn aus ihrer Sicht die sozialpsychologisch begründete Konstruktionsleistung sozial-räumlicher Einheiten (die ich im Gegensatz zu ihr ‚spacing‘ nennen würde[1]) relevant ist, welchen Wert hat demgegenüber eine jahrzehntelang geübte Konvention unter den raumbildenden Fächern, räumliche Kategorien in der Logik des Container-Raumes zur Grundlage der Entscheidungen zu machen? Aus meiner Sicht ist der relationale Raum nicht das bessere Konzept, sondern die Spannungsverhältnisse aus beiden Sichtweisen sowie die institutionellen Rahmensetzungen sind interessant. Aus dem Nicht-Beachten des gaps zwischen ‚objektivem‘ und ‚subjektivem‘ Raum lassen sich – so meine These – eine Reihe von Planungsfehlern verstehen.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von subjektiven Daten hat sich auch die Rolle von (wissenschaftlichen) Berater_innen verändert. Da es häufig nicht mehr um ‚Wertfreiheit‘ geht (wenn es die jemals gegeben hat), werden Berater_innen zunehmend nach den ‚vermuteten Ergebnissen‘ ausgesucht und entsprechend instrumentalisiert.

Die Raumplanung wird sich sehr kurzfristig mit der veränderten Kommunikation aufgrund des Webs 2.0 auseinandersetzen müssen (Dangschat 2016). Noch ist völlig offen, wie On- und Offline-Kommunikation, wie E-Participation und traditionelle Beteiligungsformen im Sinne einer ‚blended participation‘ (Klammer 2015) so aufeinander bezogen werden können, dass die Wirkung der jeweiligen hohen sozialen Selektivität kompensiert werden können. Bei der Online-Beteiligung sind mit Sicherheit zwei Aspekte problematisch: Die Identität des Schreibenden ist ebenso unklar wie der Ort, an dem er gemeldet ist.[2]

Eine weitere aktuelle Herausforderung für die Raumplanung ergibt sich aufgrund veränderter Forschungspolitiken durch die Etablierung von ‚urban living labs‘ und der Forderung nach ‚citizen science‘. In beiden Fällen könnte die Raumplanung sagen: Machen wir doch eh‘ seit den 1970er Jahren in Zuge der Stadterneuerung (und sich darüber ärgern, nicht selbst die Marken gebrandet zu haben).

Man kann das Quartiersmanagement sicherlich als ein ‚urban living lab‘ verstehen und von der Modewelle versuchen zu profitieren. Die aus der Medizin und den Naturwissenschaften stammenden Zugänge zu ‚citizen science‘ sind hingegen scharf zurückzuweisen, weil sie die Bewohner_innen als billige und inkompetente Datensammelnde instrumentalisiert und als Versuchskaninchen degradiert. Hier müssten – aus der eigenen Erfahrung der Vor- und Nachteile von Beteiligungsverfahren profitierend – ein Ethikkodex und Methoden-Set seitens der Raumplanung angeboten und standardisiert werden, will man wirklich Bürger_innen in einen Planungs- und Entwicklungsprozess gleichwertig integrieren. Dazu müsste die Raumplanung aber selbstbewusst mit der größeren Erfahrung gegenüber den Quereinsteigern ins Web 2.0 reagieren.

Endnoten

Autor_innen

Jens S. Dangschat forscht in den Bereichen Stadtsoziologie, Mobilität und Energiekonsum mit den Schwerpunkten Segregation/Gentrification, Migration & Integration, Raum- und Planungssoziologie, Wohnsoziologie, sowie raumbezogene Handlungstheorie.

jens.dangschat@tuwien.ac.at

Literatur

Brunn, Ekkehard / Fehl, Gerhard (Hg.) (1976): Systemtheorie und Systemtechnik in der Raumplanung. Ansätze und Erfolge. Basel: Springer.

Burckhardt, Lucius (2017 [1974]): Wer plant die Planung?. In: sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung, 5, 1-2, 105-114.

Dangschat, Jens S. (2015): Die geteilte Welt der Kommunikation. Wie das Web 2.0 die Stadt(teil)entwicklung verändert. In: vhw – Forum Wohnen und Stadtentwicklung 5/2015, 245-250.

Davidoff, Paul (1965): Advocacy and Pluralism in Planning. In: Journal of the American Institute of Planning (JAIP) 31/4, 331-338.

Fehl, Gerhard (1976): Zwischen Systemmüdigkeit und Systemoptimismus. In: Eckehard Brunn / Gerhard Fehl (Hg.): 1-22.

Forrester, Jay W. (1969): Urban Dynamics. Cambridge: M.I.T. Press.

Klammer, Julia (2015): Blended Participation: Combining Online and Offline Forms of User Participation in the Design of ICT-based Services. Dissertation. Hamburg: Universität Hamburg, Fachbereich Psychologie.

Löw, Martina (2001): Raumsoziologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Lowry, Ira S. (1964): A Model of Metropolis. RAND Memorandum 4035-RC. https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_memoranda/2006/RM4035.pdf (letzter Zugriff am 12.3.2017).

Mayntz, Renate / Scharpf, Fritz W. (1995): Der Ansatz des akteurzentrierten Institutionalismus. In: Renate Mayntz / Fritz W. Scharpf (Hg.): Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung. Frankfurt am Main: Campus, 39-72.

Mitscherlich, Alexander (1965): Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Naschold, Frieder (1972): Zur Politik und Ökonomie im Planungssystem. In: Gerhard Fehl / Marc Fester / Nikolaus Kuhnert (Hg.): Planung und Information – Materialien zur Planungsforschung. In: Bauwelt Fundamente 34: 69-119.

Scharpf, Fritz W. (1973): Planung als politischer Prozess. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Sheller, Mimi / Urry, John (2006): The new mobilities paradigm. In: Environment and Planning A 38: 207-226.