Reflexionen zu räumlicher Nähe und sozialer Distanz

Kommentar zu Loïc Wacquants „Mit Bourdieu in die Stadt“

Katharina Manderscheid

Pierre Bourdieus Werk spielt in der deutschsprachigen Soziologie zweifellos eine große Rolle. Einer Befragung von Soziologie-Studierenden zufolge gehört er zu den am meisten gelesenen Vertreter_innen des Faches (vgl. Lenger/Rieder/Schneickert 2014). Auch in der Stadtsoziologie werden seine Konzepte – vor allem ‚Habitus‘ und ‚Kapital‘ (vgl. zum Beispiel Richter 1994, Bockrath 2008, Dirksmeier 2015) – regelmäßig verwendet. In der Diskussion um Raum als soziologische Kategorie, die vor fast zwanzig Jahren einen ersten Höhepunkt hatte (vgl. Läpple 1991, Löw 2001, Dünne/Günzel 2006), beschränken sich die Referenzen jedoch überwiegend auf seinen Text „Ortseffekte“ (2005), der sich auf die Materialisierung des sozialen Raums im physisch-städtischen Raum konzentriert. Dabei wird ihm verschiedentlich vorgehalten, bezüglich des physischen Raums ein absolutistisches Verständnis zu vertreten (vgl. Löw 2001: 179ff., Manderscheid 2008), da er diesen als gegebenen ansähe. In ihm bringe sich „der Sozialraum […] zur Geltung, jedoch immer auf mehr oder weniger verwischte Art und Weise“ (2005: 118). Dadurch, dass er das Soziale dem Räumlichen einseitig strukturierend entgegen stelle, vergäbe er sich weiterhin die Möglichkeit, Wechselwirkungen zwischen der Konstitution des sozialen und des physischen Raumes zu untersuchen (vgl. Löw 2001: 183).

Dass diese Rezeption des Bourdieu’schen Raumbegriffs jedoch einseitig verkürzt ist, darauf macht nicht zuletzt Loïc Wacquants Text aufmerksam. Denn auch wenn Stadt, Raum und Ort bei Bourdieu außer in den „Ortseffekten“ nur an wenigen Stellen explizit im Vordergrund der Analysen stehen, tauchen sie doch immer wieder als Schauplätze, umkämpfte soziale Strukturen und Deutungsmuster auf. Dies zeigen die von Wacquant vorgestellten Studien zweier Gesellschaftsformationen im Umbruch: der Krise der ländlichen Gesellschaft im Béarn (vgl. Bourdieu 1962) und der Konfrontation zwischen traditioneller kabylischer Gesellschaft und französischer Kolonialmacht in Algerien (vgl. Bourdieu/Sayad 1964). Darüber hinaus finden sich in dem, was Wacquant als ‚transversal principles‘ herausstellt, vielfältige Ansatzpunkte und Gedankengänge, die gerade für die aktuelle deutschsprachige Diskussion in der Stadtsoziologie um ihren Gegenstand – insbesondere in der Diskussion der ‚Eigenlogik der Städte‘ (vgl. Berking/Löw 2008, Gestring 2011, Kemper/Vogelpohl 2013, Siebel, 2013) –, aber auch angesichts der aktuellen nationalistisch-populistischen Wende in der Politik vieler europäischer Länder und der USA erhellende Einsichten und Analyseperspektiven zur Konstitution von Raum und Sozialem ermöglichen.

An dieser Stelle möchte ich der Frage nach dem (Stadt-)Raum und seiner Konstitution nachgehen und sie vor dem Hintergrund des Bourdieu’schen Denkens in Wechselverhältnissen und Relationen betrachten: In Die feinen Unterschiede (Bourdieu 1996), dem im deutschsprachigen Raum wahrscheinlich bekanntesten Buch Bourdieus, zeigt sich deutlich eine Analyseform, die Makroebene (gesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse), Mesoebene (Lebensstile) und Mikroebene (Praktiken) zusammenbringt und in ein wechselseitiges Beziehungsgeflecht stellt. Dieses Mehrebenendenken stellt auch Wacquant (2017: 175) in seinem vorliegenden Text heraus:

„Einer der zentralen Vorzüge des Bourdieuschen Theorierahmens ist, dass er sich auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen und problemlos auch über unterschiedliche analytische Maßstäblichkeiten hinweg anwenden lässt. Dies ermöglicht, größere Machtstrukturen (ein Land, einen Staat oder eine Metropole) mit der Mesoebene der Institutionen (Felder der Kulturproduktion, Wissenschaft, Publizistik und Politik) und der im Begriff der Praxis zusammengefassten kleinteiligen Ebene alltäglicher Interaktion und der phänomenologischen Beschaffenheit von Subjektivität zu verknüpfen. “

Damit verknüpft ist das ‚relationale Denken‘ Bourdieus, eine eigentlich genuin soziologische, zumindest jedoch strukturalistische Art und Weise des Denkens: Anstelle von Dichotomien – zwischen Gesellschaft und Individuum, Kultur und Natur, Stadt und Land, sozialem und physischen Raum, Mann und Frau –, rückt Bourdieu deren Beziehungen ins Zentrum und bricht damit „mit dem substantialistischen Denken (…), [was] dazu führt, jedes Element durch die Beziehungen zu charakterisieren, die es zu anderen Elementen innerhalb eines Systems unterhält und aus denen sich sein Sinn und seine Funktion ergeben“ (1987: 12). Entsprechend versteht Bourdieu weder materielle noch symbolische Elemente an sich als Ursachen, sondern als

„miteinander verwobene Momente in einer Analyse, die sich immer gleichzeitig auf diese zwei konstitutiven Bestandteile des sozialen Lebens bezieht, und die zugleich Ressourcen sind, die sich mobilisieren und in soziale Strategien ummünzen lassen“ (Bourdieu nach Wacquant 2017: 175).

Die von Wacquant vorgestellten, bislang jedoch in der Stadtsoziologie nicht rezipierten Arbeiten Bourdieus aus Algerien und aus dem Béarn illustrieren diese Form des soziologischen Denkens anschaulich. So werden die jeweils beobachteten Praktiken in den Kontext der historischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen gestellt und räumlich situiert. Die Bedeutung eines physischen Ortes beziehungsweise Raumes erschließt sich Bourdieu aus dem Kontext verschiedener sozialer Prozesse: Die Konflikthaftigkeit der sozialen Situationen für Individuen und Kollektive entstehe in beiden Beispielen gerade aus der physisch-räumlichen Nähe des sozial-räumlich Fernen, was nichts anderes meint als die wechselseitige Sichtbarkeit und unausweichliche Konfrontation. Dieses Spannungsfeld entsteht im Béarn durch – als modern wahrgenommene – städtische Lebensstile, an deren Maßstäben die ländlichen Traditionen scheiteren (vgl. Wacquant 2017: 176), während es in Algerien die Konfrontation der kabylischen Gesellschaft mit der französischen Kolonialmacht ist (vgl. ebd.: 177). Mit anderen Worten: Es geht in beiden Beispielen um die konkrete Erfahrung von sozialen Differenzen, die eine gesellschaftliche Hierarchie implizieren und entsprechend zu Ein- und Ausschlüssen führen. Diese sozialen Differenzen werden in beiden Untersuchungsbeispielen in kulturräumliche Differenzen übersetzt: im ländlichen Ort, wobei Bourdieu den Samstags-Tanz als Brennglas der Situation beschreibt, und im Lager beziehungsweise Camp als Zwischenstation der algerischen Berber_innen zwischen traditionellem und modernem Lebensgefüge. Die Differenz manifestiert sich als Gegensatz zwischen ‚peasant‘ oder ländlich einerseits und städtisch-rational (vgl. ebd.: 176f.) andererseits. Die wechselseitige Wahrnehmung verdeutlicht die Nicht-Kompatibilitäten von Praktiken und führt infolge zu Anpassungen, Abwertungen und Ausschlüssen sozialer Gruppen. Zudem setzen sich Differenzierungs- und Ausgrenzungsprozesse auch innerhalb der jeweiligen Gruppe fort, wie Bourdieu durch einen Verweis auf die räumliche und soziale Einschränkung und Verschleierung von Frauen im Camp deutlich macht.[1]

Das kritische Potential der relationalen Sichtweise besteht unter anderem in dem Bruch mit alltäglichen Begriffen und Konzepten. Der Kern „des vor Ort zu Erlebenden“ (Bourdieu 2005: 117) wird mithin weder in den Eigenschaften der beteiligten Akteur_innen – einzelner Bauern und Bäuerinnen oder Berber_innen – noch in denen des Ortes – des Tanzortes oder des Camps – selbst gesucht, sondern in den dahinter liegenden gesellschaftlichen Prozessen. Anstatt also Stadt oder physischen Raum positiv zu fassen, fragt Bourdieu in beiden Fällen danach, wie und warum diese in gesellschaftlichen Prozessen hergestellt werden, wie also soziale Differenzen in räumliche Differenzen[2] transformiert und damit objektiviert und stabilisiert werden (vgl. Kemper/Vogelpohl 2013: 18).

Ich möchte dieses relationale Denken in mehreren Ebenen auf die Diskussion aktueller städtischer Entwicklungen übertragen, die nicht nur in Deutschland durch zunehmende Segregation und Polarisierungen entlang sozio-ökonomischer und kultureller Differenzierungslinien gekennzeichnet sind. Diese haben vor allem in den prosperierenden Städten nochmals an Dynamik zugelegt (vgl. Holm 2015). Das Soziale im städtischen Raum verortet sich jedoch nicht nur im Wohnen selbst und damit im quantitativ und qualitativ ungleichen Wohnraum, der unmittelbaren physischen Nachbarschaft mit – erwünschten und unerwünschten– Gütern und Dienstleistungen sowie in Umweltbelastungen oder Lärmemissionen im Quartier. Die klassisch politische Frage, wem die Stadt gehöre, bezieht sich auf Vieles mehr: auf die Gestaltung, Aneignungschance und Besetzung verschiedener Orte im Stadtgefüge durch verschiedene soziale Gruppen und Akteur_innen, womit sowohl Rückzugsorte als auch öffentliche Plätze für Selbstdarstellungen und Fremdwahrnehmungen gemeint sein können.[3] Entsprechend stellt Doreen Massey – in durchaus politischer Absicht – den Beschreibungen von Raum und Ort als objektive Gegebenheiten oder gleichmässigen Fläche die Konzeption als ‚throwntogetherness‘ als ‚coming together of trajectories‘ gegenüber. Damit trägt sie den Vielschichtigkeiten und der Perspektivität von Räumen und Orten Rechnung und verweist gleichzeitig auf die daraus hervorgehende und prinzipiell notwendigen sozialen Aushandlungsprozesse (vgl. 2005: 141).[4]

In vielen aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen lassen sich hingegen Versuche ausmachen, diese ‚trajectories‘ von Orten und Räumen – zugunsten von entdifferenzierenden, objektivierenden und (re)territorialisierenden Raumkonstitutionen – auszublenden. Dies findet zum einen ganz manifest und seit mehreren Jahrzehnten im physischen Stadtraum statt, wo offenbar ein Bedürfnis nach Distanz zu „unerwünschten Personen und Sachen“ (Bourdieu 2005: 121) zunimmt, was vor allem heisst, diese im eigenen Alltag unsichtbar zu machen. Beispiele hierfür sind Platzverweise randständiger Personen von innerstädtischen öffentlichen Orten oder die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften an der urbanen Perpherie. Die marktvermittelten und damit kapitalbasierten Zugänge zu Wohnstandorten in privilegierten Lagen sind dabei nur eine Strategie, der räumlichen Nähe und damit der Sichtbarkeit der Anderen auszuweichen. Neben dieser physischen und sozialen Distanznahme (Bourdieu 2005: 118f.) spielt die Zugänglichkeit von Orten und damit deren städtische Relationalität, also die Beziehung zwischen Wohnort und anderen städtischen Orten, eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Verkehrs- und Mobilitätsstrukturen zentral: Fehlende öffentliche Verkehrsanbindungen begrenzen Zugänge auf diejenigen, die entweder in räumlicher Nähe sind oder über private automobile Ressourcen verfügen. Auf die grundsätzliche Bewegung des Sozialen verweisen beispielsweise John Urry und andere Vertreter_innen des ‚mobilities paradigm‘ (vgl. Sheller/Urry 2006, Urry 2007, Elliot/Urry 2010,). Die Fähigkeit, mobil zu sein, sich also im Stadtraum zu bewegen können, erweist sich dabei als höchst voraussetzungsvoll und basiert auf Verkehrswegen und -mitteln, verschiedenen persönlichen Kompetenzen und Ressourcen (vgl. Urry 2007: 196ff.). Die physische Komponente der relationalen Einbettung von Orten, das heißt das schiere Vorhandensein von Verkehrsmitteln und -wegen, ist ebenfalls grundsätzlicher Gegenstand sozialpolitischer Aushandlungen und hat sich – so zeigt beispielsweise die materialreiche Studie von Stephen Graham und Simon Marvin (2001) – in den letzten Jahrzehnten tendenziell zuungunsten von schwächeren sozialen Gruppen verschoben. Das infrastructural ideal der verkehrstechnischen und infrastrukturellen Erschließung und Anbindung peripherer Räume kann als Ausdruck eines sozial-räumlichen Ausgleichsideals der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts interpretiert werden. In Deutschland findet sich dieses Ideal im raumplanerischen Leitbild der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ (Barlösius 2006, Gatzweiler/Strubelt 2006), das weitgehend der Logik des Ideals der Chancengleichheit in der Bildungspolitik folgt. In der Zwischenzeit haben jedoch neoliberale Privatisierungen und Sparpolitiken sowie die Konzentration auf prosperierende Orte das relationale Stadtgefüge in physisch-infrastruktureller Hinsicht weiter polarisiert (vgl. u. a. Siebel 2013: 247). Gerade im Zusammenspiel mit steigenden Mietpreisen in zentralen, gut angebundenen Lagen verschärfen diese Politiken die gesellschaftliche Ungleichheitsrelevanz von Raum und Mobilität (vgl. Manderscheid 2009; 2016, Lucas 2011, Rokem/Vaughan 2017).

Darüber hinaus – und dies ist ein weiteres Element dessen, was Urry „network capital“ (2007: 194ff.) nennt – setzt Mobilität als Möglichkeit voraus, dass es überhaupt Orte gibt, die man aufsuchen kann und will. Diese Orte außerhalb der Wohnung beziehungsweise des unmittelbaren Umfeldes können als Elemente differenter und ungleicher Raumkonstitutionen angesehen werden, die sich in der Stadt typischerweise überlagern und überschneiden. Wie beispielsweise eine immer noch aktuelle Arbeit von Detlef Baum (1998) zu den Effekten residentieller Segregation auf die Sozialisation von sozio-ökonomisch benachteiligten Jugendlichen zeigt, geht es nicht nur um physische, sondern auch um symbolische Zugänglichkeiten. Baum zeigt, dass die beobachteten Jugendlichen zentrale städtische Orte häufig soziokulturell beziehungsweise symbolisch als ‚unzugänglich‘ erlebten. Diese Unzugänglichkeiten lassen sich aber auch für andere gesellschaftliche Gruppen beobachten, wie beispielsweise eine Untersuchung zweier sozialstrukturell verschiedenen Quartiere in Süddeutschland zeigt (vgl. Manderscheid 2006). Orte im Raum werden also nicht nur physisch von Bewohner_innen und deren Wohnungen besetzt, vielmehr können sie über verfügbares Kapital auch symbolisch besetzt werden und Anderen ein „Gefühl des Fremd- und Ausgeschlossenseins“ (Bourdieu 2005:122) vermitteln, und zwar über das Zusammenspiel von räumlichen Strukturen und Habitus. Diese symbolische Ausgrenzung wird gerade an zentralen städtischen Orten durch die seit den 1990er-Jahren in der Stadtsoziologie viel diskutierten innerstädtischen sicherheits- und ordnungspolitischen Maßnahmen oder die Überwachung öffentlicher Räume noch weiter unterstützt, die unter anderem mit Platzverweisen von randständigen Personen das urbane Erleben störungsfrei machen wollen (vgl. Ronneberger/Lanz/Jahn 1999, Ronneberger 2000, Wehrheim 2002).

Die Beispiele zeigen, dass die Betonung der mehrschichtigen Relationalität von Orten im physischen und im sozialen Raum den Blick auf sich verstärkende und ausgleichende Zusammenspiele schärft. Während das Wechselverhältnis zwischen sozialen und physischen Strukturen für die eher kapitalschwachen Akteur_innen zu Ausschlüssen führen kann, kann beispielsweise eine Wohnung in einem ‚Problemstadtteil‘ für einen Studenten oder eine Doktorandin primär die Chance auf günstiges Wohnen bedeuten. Möglichen Zumutungen des Quartiers können sich diese entziehen, da zentrale städtische Orte ihnen sozial und räumlich zugänglich bleiben. Während im ersten Fall Raum und Ort eher in Form von Territorien erfahrbar sein dürften, handelt es sich im zweiten Fall um netzwerkartige Raumtopologien. Sinn, Funktion und Entwicklungsdynamik der Polarisierung des städtischen Wohnungsmarktes ergeben sich dabei nicht aus sich selbst. Ihre sozial strukturierende Relevanz kann, so habe ich zu zeigen versucht, erst im Zusammenspiel mit Wohnungs- und Verkehrspolitik, städtischer Sozial- und Kulturpolitik sowie individuellen Ressourcen einerseits und vor dem Hintergrund übergeordneter wirtschaftspolitischer Entwicklungen andererseits erschlossen werden.[5] Diese mehrschichtigen dynamischen Wechselverhältnisse werden jedoch gerade dann verdeckt, wenn Städte auf territoriale Entitäten, in denen Individuen mittels ihrer Wohnung verortet sind, reduziert werden. Das Gleiche gilt für die These, Städte als Entitäten strukturierten den Habitus ‚ihrer‘ Bewohner_innen – eine These, die von sozial differenten relationalen Raumkonstitutionen abstrahiert.

Ein weiteres Feld, für das eine solche Perspektive fruchtbar wäre, sehe ich im aktuellen Trend der Re-Nationalisierung und Re-Territorialisierung von Politik, die sich in der Beschwörung nationaler Gemeinwesen, der Wiedererrichtung beziehungsweise Befestigung territorialer Grenzen sowie der Weigerung, Migrant_innen als konstitutiven und prinzipiell gleichberechtigten Teil von städtischen Orten und gesellschaftlichen Räumen zu sehen. Mehrfache, sich überlagernde Zugehörigkeiten und transnationale Identitäten werden zunehmend als Bedrohung verstanden und diskursiv in scheinbar eindeutige Kategorien von ‚Gastland‘ und ‚Heimat‘ aufgelöst. Die Zumutung der räumlichen Nähe des sozial Fernen erscheint dann als vorübergehende Ausnahme. In diesem Umgang könnte also – so meine weiter zu prüfende Annahme – eine, worin auch immer begründete, Weigerung gesehen werden, diese Menschen als Teil der städtischen throwntogetherness zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren. Stattdessen werden Menschen, Praktiken und Dinge differenziert, hierarchisiert und entlang der Dichotomie zwischen Eigenem und Fremdem sortiert. Das Bourdieu’sche Denken in Relationen verweigert sich jedoch dieser substantialistischen Sicht und arbeitet stattdessen die wechselseitige Konstitutionen und Bezugnahmen sowie die darin enthaltenen dynamischen Machtverhältnisse heraus.

Endnoten

Autor_innen

Katharina Manderscheid ist Soziologin mit den Forschungsschwerpunkten sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung, Stadtsoziologie, soziale Ungleichheit sowie Methoden der empirischen Sozialforschung.

katharina.manderscheid@unilu.ch

Literatur

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