Eine feministische Perspektive für Berlin heute

Kommentar zu Dolores Haydens „Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen?” (1981)

Felicita Reuschling

Der Text von Dolores Hayden ist einer der Klassiker zur Thematik feministischer Städteplanung aus der letzten Phase der zweiten Welle der Frauenbewegung nach 1968. Anschaulich wird Haydens Text unter anderem durch die Verknüpfung von utopischen Motiven mit konkreten pragmatischen Beispielen, an denen eine gesellschaftliche Transformation exemplarisch deutlich gemacht werden soll. Diese Verknüpfung macht den Text von Hayden heute zu einem historischen Dokument aus einer Zeit, in der die Zukunft der feministischen Städteplanung noch im Kontext von allgemeiner gesellschaftlicher Befreiung gedacht werden konnte. Demgegenüber wurde in den 1990er Jahren auch auf städtepolitischer Ebene das vermeintliche neoliberale Ende der Geschichte eingeläutet und damit auch eine progressive soziale Bewegung lange Zeit stillgelegt. Im Gegensatz dazu werden in diesem Kommentar die Impulse von Haydens Text aktualisierend betrachtet und auf den aktuellen politischen Prozess des Dragonerareals in Berlin übertragen. Dort sind derzeit verschiedene politische Gruppen aktiv. Die Gruppe Stadt von Unten arbeitet seit 2014 an grundsätzlichen und konkreten Modellen, die bezahlbaren Wohnraum dauerhaft schaffen und sichern können.

Im Zentrum von Haydens Kritik der Geschlechterverhältnisse steht die problematische Trennung von öffentlichem und privatem Raum in der bürgerlichen Gesellschaft. Diese Sichtweise basiert vor allem auf dem Begriff der reproduktiven Arbeit, wie er von der zweiten Welle der Frauenbewegung in den 1970er Jahren international diskutiert wurde. So machte die internationale Lohn-für-Hausarbeit-Kampagne bei allen internen Differenzen deutlich, dass es um eine historisch spezifische Kritik von Geschlechterverhältnissen im Kapitalismus ging. Entsprechend müssten für ein Verständnis von Akkumulations- und Arbeitsregimen sowohl industrielle als auch private haushalterische und emotionale Bereiche einbezogen und als Kritik von Produktions- und Reproduktionsverhältnissen einbezogen werden. Bereits 1968 wurde jedoch in der Auseinandersetzung mit sozialistischen Gruppen – wie dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) –, die sich an die sogenannte Tomatenwurfrede von Helke Sander anschloss, deutlich, dass auch Gruppen, die zwar verbal die Befreiung der Frau forderten, gleichzeitig kaum die bürgerliche Arbeitsteilung ihrer eigenen privaten reproduktiven Beziehungen infrage stellen und politisieren wollten. Demgegenüber war es die Strategie der Frauenbewegung ab 1968, das Private als politisch sichtbar zu machen und auch die Struktur des privaten Raums, der häuslichen Arbeitsteilungen und Abhängigkeiten in Beziehungen wie Ehe und Familie zu bestreiken und zu verändern.

Auch wenn Texte wie Counterplanning from the Kitchen (2012 [1974]) von Silvia Federici und Nicole Cox den Abschied von der marxistischen Linken forderten, weil diese in weiten Teilen weiterhin auf der Haupt- und Nebenwiderspruchsthese[1] beharrte, so ist im Rückblick doch wichtig, daran zu erinnern, dass es – wie es auch Hayden benennt – um einen feministischen und zugleich sozialistischen Diskussionsrahmen ging. Damit formuliert Hayden gleichzeitig auch eine Kritik an einflussreichen feministischen Sozialistinnen der ersten Frauenbewegung, wie zum Beispiel Clara Zetkin. Diese Generation sozialistischer Feministinnen folgte zumindest in Deutschland weitgehend der Hauptwiderspruchsthese und beschimpfte andere Feministinnen als bürgerlich, die eine feministische soziale Wohnungspolitik propagierten. So befürwortete zum Beispiel Lily Braun 1901 nicht nur das Wahlrecht für Frauen, sondern auch Einküchenhäuser für erwerbstätige Frauen statt kleinfamiliäre Haushalte nach bürgerlichem Vorbild. Zetkin hielt mit dem fragwürdigen Argument dagegen, dass die Wohnungs- und Geschlechterfrage erst nach der Revolution lösbar wäre. Demgegenüber beharrt Hayden auf der Forderung, sozialistische und feministische Elemente miteinander zu vereinbaren:

„Ich bin überzeugt davon, daß die Aufhebung der Trennung von öffentlichem und privatem Raum die sozialistische und feministische Priorität der 1980er Jahre sein sollte. Frauen müssen die geschlechtsspezifische Aufteilung der Hausarbeit, die wirtschaftlich privatisierte Basis der Hausarbeit und die räumliche Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz bekämpfen, wenn sie gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft werden wollen. Die Vorschläge, die ich mache, sind ein Versuch, die besten Reformansätze in Vergangenheit und Gegenwart mit dem, was im heutigen Amerika sozial erreichbar ist, in Verbindung zu bringen.“ (1981: 51)

Ich möchte im Folgenden einige zentrale Forderungen von Hayden mit der heutigen Situation in der boomenden Großstadt Berlin, in der Mieten immer unbezahlbarer werden, konfrontieren. Damit soll auch deutlich werden, welche Forderungen für eine feministische städtebauliche Perspektive heute wichtig sind. Das Postulat der Herstellung einer sozialen Mischung als sozial-befriedende Wohnstruktur hat in Berlin eine ambivalente Tradition, die bis zum Bebauungsplan von James Hobrecht 1862 zurückreicht. Gleichwohl setzten sich in den 1970er und 1980er Jahren in Westdeutschland Sanierungsmethoden durch, die als ‚behutsam‘ galten. Mithilfe von partizipativen Planungsansätzen und öffentlichen Fördermitteln sollte der Erhalt der existierenden Nachbarschaftsstrukturen gesichert und so verhindert werden, dass ärmere Bewohner_innen verdrängt werden.

„Wenn von sozialer Mischung die Rede war, ging es um den Erhalt von gewachsenen sozialen Strukturen und nicht um die Verordnung eines sozialpolitischen oder städteplanerischen Ideals. Doch mit der Privatisierung und Ökonomisierung der Stadtentwicklungspolitik in den 1990er Jahren war diese kurze Phase der sozialorientierten Sanierungspolitik beendet – und auch der Mythos der Sozialen Mischung wurde zu neuem Leben erweckt.“ (Holm 2009: 37)

Es lohnt sich deshalb, die kurze experimentelle Phase progressiver Stadtentwicklung und die damit verknüpfte Internationale Bauausstellung (IBA) Berlin 1987 genauer zu betrachten. Die IBA ist als Inspirationsquelle zusätzlich spannend, weil sie rückblickend ein Moment einer städtebaulichen Epoche war, die sich einerseits stark auf soziale Kämpfe und Bewegungen wie die Hausbesetzer_innen beziehen musste und in der dadurch andererseits auch institutionell eine Umorientierung von der autozentrierten Flächensanierung zur kleinteiligen, demokratisch vermittelten Stadterneuerung erkämpft wurde. Daher ist es spannend, den Blick zurückzuwerfen, um aus den damals gewonnenen praktischen Erfahrungen unterschiedlicher Akteure – mit Kämpfen in Selbstorganisation wie Besetzungen und ihrer Umwandlung in kommunale Institutionalisierung wie zum Beispiel durch S.T.E.R.N. – vermittelt Schlüsse für heute zu ziehen.

Strukturell unterscheidet sich Berlin in vielen Elementen zumindest graduell von typischen autozentrierten US-amerikanischen Vor- und Innenstädten, die Hayden kritisch als räumliche und institutionelle ‚Trennung von Hauswirtschaft und Marktwirtschaft‘ sowie zwischen ‚Wohnung und Arbeitsplatz‘ analysiert hatte. Zwar hat es in Berlin nach 1900 und 1945 Bauordnungsplanungen gegeben, die eine stärkere Trennung von Großindustrie und Wohnvierteln verfolgte, doch ist bekanntlich in vielen Teilen der Stadt das kleinteilige Nebeneinander der sogenannten ‚Kreuzberger Mischung‘ lange erhalten geblieben, das eine Mischung von Wohnen und Arbeiten in handwerklichen und kleinindustriellen Betrieben sowie eine Mischung von sozialen Klassen, Schichten und Communities beschreibt. Der Ausdruck ‚Kreuzberger Mischung‘ wurde in den 1980er Jahren zum selbstbewussten Programm für eine Lebensform in der Innenstadt, die zwar lange in verschiedenen Kiezen Berlins gelebt worden war, aber im Gegensatz zur damals städtisch angestrebten funktionalen Trennung von industrieller Arbeit und Wohnen stand. Auch das etwa 1920 abgeschlossene radiale engmaschige öffentliche Nahverkehrssystem ermöglicht viel eher eine zeitsparende Mobilität zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, als es in US-amerikanischen autozentrierten Städten möglich wäre. Das öffentliche Nahverkehrssystem könnte private Autos heute eigentlich weitgehend überflüssig machen und eine nachhaltige Mobilität per Rad ermöglichen. Allerdings mangelt es in der Stadt sogar auf Hauptstraßen an Radwegen, was Straßen und Fußwege für alle Beteiligten inklusive Fußgänger_innen gefährlich macht. Auch die Versorgung mit städtischen Infrastruktureinrichtungen – wie Kitas – für die Bedürfnisse von erwerbstätigen Frauen, wie sie Hayden fordert, wird in Berlin bereits grundsätzlich realisiert. Allerdings besteht angesichts der wieder wachsenden Stadtbevölkerung weiterer Bedarf in nahezu allen Bezirken.

Das ist nicht gerade der ‚gebaute Sozialismus‘, wie die Hufeisensiedlung Bruno Tauts im Berliner Randbezirk Britz bezeichnet wurde, sondern eher eine infrastrukturell funktionierende kapitalistische Stadt. Zugleich hat Berlin auch ziemlich gute Grundlagen für ein ‚Wohnen in der Innenstadt‘ und damit für eine Aufhebung der Trennung von Arbeits- und Wohnbereichen im Sinne Haydens aufzuweisen. Dies hat die Berliner IBA 1987 aufgegriffen. Haydens Motive für eine nicht-sexistische Stadt können deshalb recht leicht maßstabsgetreu von der (sub-)urbanen Nachbarschaft auf den Kiez oder einen Wohnblock übertragen werden.

Dieser Blick zurück ist leider heute dringlich geworden, denn in den 2010er Jahren ist Berlin – wie andere Metropolen auch – zu einem Magnet für zunehmend spekulative Immobilienkäufe und rasante Mietsteigerungen geworden. Die staatliche Herrichtung für meistbietende Verkäufer_innen wurde 1990 durch die Abschaffung der Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau und den daran anschließenden massenhaften Abverkauf von Wohnungsbeständen aus landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin stark gefördert. Die Wohnungsfrage ist deshalb heute unter etwas anderen Vorzeichen als zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder zu einer sozialen Frage geworden. Sie entscheidet, ob und für wen Partizipation in der Stadt ermöglicht wird. Das ist, wie auch Hayden formuliert, keineswegs nur eine Frage problematischer Geschlechterverhältnisse, sondern berührt auch die Frage, inwiefern die soziale Segregation von Klassen, ethnischen Zuschreibungen und Altersgruppen aufgehoben werden kann. Anders als in den stadtpolitischen Gruppen und Diskussionen der 1990er Jahre, in denen viel von Nachttanzdemos, Politik in der ersten Person und Repräsentation die Rede war, ist deshalb zwischenzeitlich die Eigentumsfrage als zentrales Kriterium zurückgekehrt.

Im Folgenden soll am Beispiel des sogenannten Dragonerareals in Kreuzberg 61 versucht werden, einige praktische Vorschläge zu formulieren, wie Reproduktion heute für die Größe eines typischen Berliner Blocks (4,2 Hektar) in der Stadt räumlich und politisch organisiert werden könnte. Denn das Dragonerareal hat, nachdem durch politische Kämpfe dessen Verkauf zum Höchstpreis abgewendet werden konnte, das Potential, Modell (oder Feigenblatt) für die Neu-Ausrichtung einer progressiven städtepolitischen Stadtentwicklung zu werden. Dort ist gegenwärtig ein Beteiligungsprozess, angeleitet durch die S.T.E.R.N., gestartet worden.

1. Eigentumsformen

Die erste Forderung an eine Stadt der Reproduktion ist angesichts der aktuellen Verdrängungsprozesse – durch Mietsteigerungen, Umwandlung in Eigentumswohnungen et cetera – die dauerhafte rechtliche und sozial verträgliche Absicherung ihrer Bewohner_innenschaft. Diesem Ziel folgt auch die ‚100%-Forderung‘ der stadtpolitischen Gruppe Stadt von Unten, die seit 2014 auf dem Dragonerareal aktiv ist. Die Forderung beinhaltet 100% soziale Mieten und eine dauerhafte rechtliche Absicherung gegenüber Spekulation auf Wohnraum und Kleingewerbe. Nicht zuletzt deswegen wird bei Stadt von Unten auch über unterschiedliche Modelle für kollektive Eigentumsformen wie Mietshäusersyndikat und Genossenschaften nachgedacht. Diese ermöglichen im Unterschied zu Wohnungsbaugesellschaften nachhaltige Absicherung von Haus und Boden gegenüber Reprivatisierung und Spekulation. Angesichts der städtebaulichen Politik in Berlin finden zum Beispiel auch in Trägerschaften, die aus der IBA hervorgegangen sind, wie die Selbstbaugenossenschaft Berlin eG, vorwiegend die selbstorganisierten Gemeinschaftsbedürfnisse der Mittelschicht ihr Zuhause. Hier werden gegenwärtig mindestens zehn Euro Miete pro Quadratmeter plus Genossenschaftseinlagen aufgerufen.

2. Wohn- und Beziehungsformen

Interessant an Haydens Zugang zur nicht-sexistischen Stadt ist, dass keine pädagogischen, kollektiven Wohnmodelle nach dem Vorbild utopischer Wohnformen – wie Kibbuzzim oder Kommunehäuser – angestrebt werden. Stattdessen formuliert sie einen akzeptierenden Umgang mit den jeweiligen aktuellen Wohnbedürfnissen. So werden Großhaushalte oder WGs von Hayden nicht als erwünschte Wohnformen für berufstätige Personen in Betracht gezogen.

Heute werden auch hierzulande, weniger als im Verlauf des 20. Jahrhunderts, Alternativen zu reproduktiven Gemeinschaftsformen jenseits der Familie, zum Beispiel Wohngruppen, geplant. Oder vielleicht wird auch nur anders und in anderen Lebensphasen geplant: Eher ist zu beobachten, dass Familie nicht mehr ideologisch problematisiert wird als traditioneller Ort der Gewalt, Isolierung und Festlegung von Frauen auf die Rolle der Hausfrau. Stattdessen wird im familiären Zuhause wieder ein Rückzug von der Konkurrenz des Erwerbslebens und ein soziales Miteinander gesucht. Ein Grund dafür ist vielleicht auch, dass es an einer lokalen Öffentlichkeit oder an Gemeinschaftsformen mangelt, die als unterstützend und solidarisch erfahren werden. Im Kontrast zum Idealbild der Familie leben jedoch heute weitaus mehr Menschen alleine als in familiären oder sonstigen Wohnformen. Entsprechend sollte der starke Trend zur Individualisierung beim Wohnen in Bezug auf reproduktive Unterstützung quantitativ und qualitativ berücksichtigt werden.

Aus städtebaulicher beziehungsweise institutioneller Perspektive wäre es gegenüber dem Vorschlag von Hayden wichtig, typologisch eine Pluralität von Wohnformen nebeneinander zu ermöglichen, die vielleicht in Europa auf mehr gelebte Tradition zurückgreifen kann. Dafür könnte an die Impulse der Berliner IBA in den 1980er Jahren angeknüpft werden. Typologisch bedeutet dies vor allem einen Abschied vom Raumgefüge des sozialen Wohnungsbaus, das eine Staffelung und Funktionszuweisung der Wohnraumgrößen vorsah. Großer Wohnraum und kleine Arbeitsküche stehen kammerartigen Räumen für Kinder gegenüber, in denen andere Wohnformen mit mehreren Erwachsenen kaum langfristig vorstellbar sind.

Alternativen dazu haben unter anderem Christine Jachmann und Myra Warhaftig im Rahmen der IBA Berlin in den 1980er Jahren im sogenannten Wohnhof Block 2 in Kreuzberg geplant und gebaut. Dieser sollte emanzipatorische und feministische Wohnprinzipien verwirklichen und einen Wandel von Wohnformen durch Flexibilität der Grundrisse ermöglichen. Die Grundrisslösung von Myra Warhaftig verwirklicht als stärkstes Element die Idee einer ‚Wohn-Raum-Küche‘. Diese umfasst den Eingang, den Essplatz, den Kochplatz sowie die Zugänge zu den einzelnen Räumen. Dadurch ist ein zusätzlicher Raum in jeder der Zwei- bis Fünfzimmerwohnungen entstanden – trotz der strengen Richtlinien des sozialen Wohnungsbaus. Jachmann und Warhaftig verwirklichten gleich große Individualräume für jede Person im Haushalt, die zusätzlich je nach Bedarf Trennung und Zusammenlegung von Wohnfunktionen ermöglichen sollten. Hervorzuheben ist hier auch die Bedeutung des ‚grünen Zimmers‘.

„[Es] beinhaltet das Konzept der räumlichen Gleichstellung der privaten Freiflächen zu den anderen Räumen; zimmergroße Terrassen oder Loggien; ein oder zweigeschossige Wintergärten mit Galerie oder ein Atrium im Dachgeschoß werden in Varianten angeboten.“ (Jachmann 1992: 37)

Maisonnettewohnungen mit Mieter_innengarten bieten städtische Alternativen zum ‚Traum vom Haus im Grünen‘. Auch die Nutzung von Freiflächen als nutzbare Außenräume nach Vorbild des Urban Gardening kann eine Nivellierung der typischen Entgegensetzung von Stadt und Land beziehungsweise Vorstadt unterstützen. Andererseits wurden hier auch ‚Sonderwohnungen‘ für Wohngemeinschaften und Rollstuhlbenutzer_innen eingeplant. Große Wohneinheiten, an zwei Treppenhäuser angeschlossen, können nach Bedarf auch wieder unterteilt werden.[2]

Wer heute weder alleine noch als Paar oder in einer WG leben will, findet stattdessen mit dem aktuellen Trend des Clusterwohnens das Angebot, alles gleichzeitig zu haben. In der Größenordnung von maximal acht bis zehn abgeschlossenen Wohneinheiten mit kleinen Küchen und Bädern wird jeweils eine überschaubare Gruppe von Individuen gebildet, die das Verhältnis von Gemeinsamkeit und Rückzug für sich austarieren oder vage halten können.

3. Selbstverwaltung, Institution und das Modell der kooperativen Nachbarschaft

Wie können der Reproduktionsbedarf unterschiedlicher Altersgruppen, mit und ohne Kindern, und der Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen in solidarischer Form organisiert werden? Wie Hayden in ihrem Buch Redesigning the American Dream (1984) ausführt, lassen sich für das 20. Jahrhundert zugespitzt zwei gesellschaftliche Modelle von Haushalt und Heim unterscheiden. Das privatistische bürgerliche amerikanische Modell der Oase steht der sozialistischen Strategie von funktionalistischen Großhaushalten für Kollektive und auch dem Bedürfnis nach Individualismus diametral gegenüber. Hayden entwirft dort und im kommentierten Text mit einem Modell von Kooperation auf nachbarschaftlicher Ebene eine dritte lokale Kraft zwischen privater Gemeinschaft und öffentlich, staatlich vermittelter Gesellschaft als Bezugsrahmen.

Bezogen auf das Dragonerareal als neues Modellprojekt der ‚Kreuzberger Mischung‘ liegt es nahe, neben dem dringend benötigten Wohnungsbau auch existierende Kleingewerbe, Werkstätten, Ateliers und Gemeinschaftsbüros in die Planung einzubeziehen. Damit entsteht mehr Bedarf an einer gemeinsamen reproduktiven Struktur mit kurzen Wegen, die (halb-)öffentliche und öffentliche Ressourcen wie Kantine, Kita oder auch einer Badestube für unterschiedliche Nutzer_innen wie zum Beispiel Wohnungslose und Werkstätten anbieten würde.

Andererseits ist es für die Kombination von Trägerschaften weiterhin wichtig, das strukturelle Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und Institution nicht nur kommunikativ zu verbessern. So sind zum Beispiel traditionelle Genossenschaften wenig zugänglich für Generalmietverträge und eine Anpassung des Baustandards an Bedürfnisse und ökonomische Kapazitäten von Wohngruppen. Gleichzeitig sind kommunale Trägerschaften für soziales Bauen unabdingbar, um die neoliberale Wohnungspolitik zu beenden, die mit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit ab 1990 eingeleitet wurde. Das Struktur-Modell ‚selbstverwaltet und kommunal‘ von Stadt von Unten würde also auch die Forderung nach Räumen für gemeinschaftliche Reproduktionsaufgaben für lokale Akteure und Gruppen beinhalten, wie zum Beispiel Gemeinschaftsräume für eine Kantine, Kita, Tagespflegeeinrichtung und Versammlungen. Diese Räume müssten kostengünstig an gemeinnützige Projekte und Kollektive vergeben werden, statt von einer häufig durchgeführten Querfinanzierung mit hohen Gewerbemieten abzuhängen.

4. Fazit: Feministischer Städtebau für Berlin heute

Haydens Modell der kooperativen Nachbarschaft von 1981 scheint strukturell die Charakteristik von commons vorwegzunehmen, die eine pragmatische und zugleich utopische Kombination institutioneller, persönlicher und nachbarschaftlicher Unterstützungssysteme für reproduktive Arbeiten vorschlägt.

Im Gegensatz dazu wurde in der BRD ein drittes selbstorganisiertes gemeinschaftliches Element, das zwischen öffentlicher und privater Nutzung vermittelt, in der linken Diskussion lange Zeit entweder als regressive Sehnsucht mit faschistischen Anklängen verunglimpft oder als Kiez-Mythos gepflegt. Demgegenüber wurde und wird das eigene Leben in der (Klein-)Familie häufig im Einklang mit Thesen von Adorno als Humanismus romantisiert und die eigene vormalige Kritik der geschlechtlichen Arbeitsteilung verdrängt. Erst in der Diskussion der vergangenen Jahre um commons werden angesichts der Realität neoliberaler Stadtentwicklung Modelle für eine andere Vermittlung zwischen Öffentlichem und Privatem jenseits von Staat und Marktwirtschaft von unterschiedlichsten politischen Akteur_innen ernst genommen, auch wenn es bislang noch an überzeugenden materiellen Umsetzungen fehlt.

Wie notwendig vielfältige Antworten auf eine Stadt der Reproduktion sind, lässt sich daran ablesen, dass das Mietshäuser Syndikat zwischenzeitlich auch bei unpolitischen gesellschaftlichen Durchschnittsmietenden Anklang findet – die traditionell Selbstorganisation skeptisch gegenüber stehen –, weil es kaum institutionelle Alternativen zu massiver Verteuerung des Wohnens oder dem Auszug gibt.

Eine kooperative Nachbar_innenschaft, die nicht nur Wohnen, sondern auch Arbeiten mit verschiedenen Trägerschaften für reproduktive Angebote kombiniert, ermöglicht potenziell eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und einem Leben mit Kindern. Darüber hinaus ermöglicht sie unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen mit Assistenzbedarf, die in Alten-WGs oder im Betreuten Wohnen weder familiär noch stationär leben wollen oder können. Gleichzeitig schwingt in dem Konzept von Hayden eine starke Wertschätzung von Individualismus mit, der unterschiedliche Formen von institutioneller, nachbarschaftlicher und persönlicher Unterstützung und Lebensformen anbietet, ohne, wie im Realsozialismus häufig geschehen, nur einen kollektiven Weg verpflichtend festzuschreiben.

Ob sich in einer kooperativen Nachbar_innenschaft die radikalste Forderung Haydens nach geschlechter-gerechter Umverteilung von Hausarbeit lösen lässt, ist jedoch zu bezweifeln beziehungsweise könnte nur im Verhältnis zur Lohnarbeit und deren Bezahlung verändert werden, wie das insulär nur in großen Kommunen – wie der nach dem Ort benannten Kommune Niederkaufungen bei Kassel – der Fall ist. Allerdings wäre eine verbindliche Übernahme von unbezahlter reproduktiver Gemeinschaftsarbeit unter Berücksichtigung von zu leistender Reproduktionsarbeit und Rotation von Tätigkeiten sinnvoll für Teilhabe und Gestaltung des Lebensumfeldes.

Angesichts von 30 Jahren Erfahrung mit der Vermittlung zwischen unterschiedlichen Trägerschaften und Bewohner_innen müsste im einzelnen kritisch resümiert werden, ob und wie die im Rahmen der IBA entstandenen und teils zwischenzeitlich als Unternehmen privatisierten Akteure wie S.T.E.R.N., Stattbau Berlin und Selbstbaugenossenschaft Berlin eG sich heute für eine hundertprozentig soziale und gemeinschaftliche Reproduktion der Stadtbevölkerung nutzen lassen.

Im Vergleich beider Strategien fallen die Unterschiede zwischen institutionalisierten Akteur_innen und politischem Prozess, wie er von Stadt von Unten gefordert wird, deutlich ins Auge. Wo erstere einen pragmatischen, wenn auch ‚behutsamen‘ Umgang mit den politischen Gegebenheiten vermitteln wollen, versuchen Gruppen wie Stadt von Unten bisher recht erfolgreich, die politischen und ökonomischen Bedingungen für eine Stadt der Reproduktion durch den politischen Druck einer Bewegung zu verschieben.

Endnoten

Autor_innen

Felicita Reuschling ist als ‚freie‘ Kuratorin, Autorin und Herausgeberin tätig für thematische Kunstausstellungen, Film- und Veranstaltungsreihen. Schwerpunktmäßig beschäftigt sie sich mit feministischer Theorie und Kunst in Geschichte und Gegenwart.

felicitate@gmx.de

Literatur

Cox, Nicole / Federici, Silvia (2012 [1974]): Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. (Übers. Max Henninger) In: Kitchen Politics, Band 1. Münster: Edition Assemblage.

Hayden, Dolores (1984): Redesigning The American Dream: The Future of Housing, Work and Family Life. New York: W. W. Norton & Company.

Holm, Andrej (2009): Soziale Mischung. Zur Entstehung und Funktion eines Mythos. In: Forum Wissenschaft 1, 23-26. https://gentrificationblog.wordpress.com/2009/07/29/mythos-soziale-mischung (letzter Zugriff am 12.10.2017).

Jachmann, Christine (1992): IBA Block 2 in Kreuzberg, ein Architektinnenprojekt. In: FKW 13, 32-38.