Eine Utopie von gestern – Haydens nicht-sexistische Stadt

Kommentar zu Dolores Haydens „ Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen?” (1981)

Marianne Rodenstein

Warum soll man diesen 37 Jahre alten Text heute noch einmal lesen? Meine Antwort: Er erinnert daran, dass die Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Beziehungsarbeit, Kindererziehung, Elternpflege) Frauen an der gleichberechtigten Teilhabe an der Erwerbstätigkeit damals wie heute hinderte und hindert. Er wirft die Frage auf, welche Lösungen dafür in Deutschland gesucht wurden und welchen Erfolg sie hatten.

1. Die Idee

Ende der 1970er Jahre gab es in US-amerikanischen Städten eine große Zahl von Arbeitslosen und Wohnungsnot. Gleichzeitig hatte die Frauenbewegung in Architektur und Planung Fuß gefasst. In diesem Umfeld machte Dolores Hayden (1981 [1980]) ihren Vorschlag, wie man eine ‚nicht-sexistische Stadt‘ planen könne. Damit meinte sie eine Stadt, in der Frauen wegen ihres Geschlechts (im biologischen Sinn) nicht mehr bei der Erwerbsarbeit benachteiligt wären, weil Haus- und Erwerbsarbeit auf Männer und Frauen gleich verteilt wären. Bei der Benachteiligung der Frauen hätten auch männliche Architekten und Planer ihre Hände im Spiel, da sie durch ihre Unkenntnis und Unterbewertung der nicht bezahlten Hausarbeit mit dazu beitrügen, diese Arbeit zu erschweren und Frauen in der Rolle der Hausfrau und Mutter festzuhalten. Damit wurde Frauen die Chance auf gleichberechtigte Erwerbsarbeit hinsichtlich Lohn und Qualität der Arbeit genommen. Hayden hatte deshalb im Stil sozialistischer und feministischer utopischer Entwürfe des 19. und 20. Jahrhunderts, über die sie zuvor geforscht hatte (1976), ein bauliches und soziales Projekt entworfen, in dem Frauen, weitgehend von Hausarbeit entlastet – sowohl durch kollektive Organisation von Teilen der Hausarbeit als auch durch planerische und architektonische Veränderungen –, nun auch Erwerbsarbeit von der gleichen Qualität und dem gleichen Lohn wie Männer erhalten sollten. Sie nannte dieses Experiment einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft „Homemakers for a more egalitarian society“ (HOMES). 40 Haushalte sollten als einzelne zusammenwohnen, sodass das Privatleben nicht aufgegeben werden muss. Es sollten eine Kindertagesstätte, eine Wäscherei, ein Garten für die Selbstversorgung und eine Großküche vorhanden sein, von denen aus die Kinder in der Tagesstätte und die erwerbstätigen Erwachsenen abends nach Bedarf versorgt werden können. Mit diesen und weiteren Gemeinschaftseinrichtungen sollten immer auch Arbeitsplätze für Frauen und Männer geschaffen werden. Hayden hatte damit ein Experiment vorgeschlagen, das in einer kleinen Gemeinschaft drei Probleme der patriarchalen Gesellschaft auf einmal lösen wollte:

  1. die Erleichterung der Hausarbeit für Frauen und Männer durch kollektive Organisation einiger Aufgabenbereiche, damit Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen können;
  2. die Schaffung von Arbeitsplätzen für Männer und Frauen innerhalb des Projektes, so dass Mieten gezahlt werden können und das in den US-amerikanischen Städten so bedeutende Problem des zeitaufwändigen Pendels entfällt;
  3. die Verteilung von guten Arbeitsplätzen mit besserer Qualifikation und höheren Löhnen an Frauen, die normalerweise Männer erhielten.

Dieses Modell ging von der Annahme aus, dass es in dieser Gemeinschaft Solidarität zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der Idee der Geschlechtergerechtigkeit gäbe, weshalb ich es als Utopie bezeichne. Dieser Entwurf für eine geschlechtergerechte Gesellschaft würde als positives Beispiel Nachahmung finden, hoffte Hayden, weil es zumindest für die beteiligten Frauen eindeutige Verbesserungen bringen würde. Wie wir heute wissen, hat sich das Modell nicht verbreitet und auch nicht die Richtung der Veränderung gezeigt.

2. Haydens Siedlungsmodell und die gesellschaftliche Entwicklung in den USA

Die Grundfrage, die mit Haydens Modell angesprochen wird, ist, ob sich allein das Ziel, Frauen die gleichen Chancen in der Gemeinschaft zu geben wie Männern, als der feste ideologische Kitt erweisen kann, der manche ökologischen oder religiösen Projekte zusammenhält, deren Bewohner_innen unter selbstbestimmten Bedingungen zusammen wohnen und arbeiten. 1980 waren die gesellschaftlichen Bedingungen nicht für die Realisierung eines solchen Experiments geeignet. Dies zeigt ein Projekt von feministischen Planerinnen und Architektinnen in den USA um 1980, das wohl Haydens Vorschlag am nächsten kam (siehe Hayden 1984: 168), aber scheiterte. Die Architektin Katrin Adam wendete sich damals der Unterstützung von armen, alleinerziehenden und von Obdachlosigkeit bedrohten Frauen zu.[1] Sie gründete zusammen mit ihren Kolleginnen Joan Forrester Sprague und Susan Aitcheson die Women‘s Development Corporation, als sie im Stadtteil Elmwood in Providence, Rhode Island, zehn Mietshäuser fanden, die saniert werden konnten. Die Idee war, dass die bei Sanierung und Neubau anfallenden Jobs von den künftigen Bewohnerinnen nach einer Zeit des Lernens selbst übernommen würden. Katrin Adam entwickelte dazu Lernprogramme. Welche Wohnbedürfnisse hatten die häufig alleinerziehenden Frauen afroamerikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Herkunft? In den Diskussionen darüber wurde sie mit dem Wertesystem dieser armen Frauen konfrontiert, das erheblich von ihrem abwich. Sie wünschten sich viele große Küchen, ein großes Wohnzimmer und ein Haus, das Blockhäusern ähnelte. Ihre Arbeit als Architektin bestand nun darin, herauszufinden, welches die Symbole für Blockhütte, großes Wohnzimmer und große Küchen sein könnten, um mit bescheidenden finanziellen Mitteln den Frauen die gewünschte Wohnqualität zu verschaffen. Leider gab es abgesehen von den Bundesmitteln für die Planung keine weiteren finanziellen Mittel mehr für das Bauen. 1980 waren 225 bedürftige Frauen für das Projekt registriert. Da sich längere Zeit kein Geld für die Sanierungsmaßnahmen aufbringen ließ, verließen die Gründerinnen das Projekt – und damit gingen auch die feministischen Inhalte verloren. Die Gründerinnen gaben es in die Hände einer Frau, die es als normales Wohnprojekt für bedürftige Frauen weiterführte. Nur zwölf Frauen erhielten bei der Sanierung Jobs. Andere Frauen konnten die Mieten zahlen, weil sie in der revitalisierten Nachbarschaft neue Jobs gefunden hatten. Das Scheitern dieses feministischen Projekts, das nicht nur Wohnungen, sondern auch Arbeitsplätze schaffen wollte – ähnlich wie Haydens Modell der nicht-sexistischen Stadt – fiel in die Zeit eines gesellschaftlichen Umbruchs in den USA.

Haydens Modell von der Herstellung der Chancengleichheit von Frauen und Männern – privat wie im Beruf – gehörte der Vorstellungswelt einer planbaren Moderne an, für die die Gewissheit spätestens am Ende der Carter-Ära mit ihrer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik verloren ging. Die Wirtschaftspolitik folgte unter Reagan (seit 1981) einem angebotsorientierten Modell, das den Umbau der Städte zu Dienstleistungszentren anstrebte. Vor allem in New York und anderen großen Städten konnte man Leerstand und Verfall von Wohngebäuden und Obdachlosigkeit auf der einen Seite sowie schnell verdienten Reichtum und neue Luxusmilieus mit neuer Prunkarchitektur auf der anderen Seite beobachten. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich. Feministische Planerinnen und Architektinnen starteten nun reine Hilfsprojekte für Frauen, um die obdachlosen Frauen und ihre Kinder von der Straße zu bringen (siehe Birch (Hg.) 1985, Sprague 1991). Feministische Visionen von der baulichen und sozialen Gestaltbarkeit der Gesellschaft und damit einer weiter wachsenden Geschlechtergerechtigkeit verloren mit dem ökonomischen auch ihren ideologischen Nährboden. Der Feminismus in den USA erlebte in den 1980er Jahren eine Periode der Schwäche, deren Ursachen Susan Faludi in ihrem Buch Backlash. The Undeclared War Against Women (1991) analysierte. Dazu gehörten auch die Spaltungstendenzen im Feminismus, die mit bell hooks’ wegweisendem Buch Ain’t I a Woman: Black Women and Feminism (1981) erklärbar wurden. Die Idee der ‚global sisterhood‘, die dem amerikanischen Feminismus und auch Haydens Modell zugrunde lag, übersah die Geschichte der Unterdrückung der Schwarzen als Sklaven und die sexuelle Verfügbarkeit der schwarzen Frauen für weiße Männer. Dies erklärte, warum der Feminismus unter schwarzen Frauen so wenig Anklang fand. Er wurde nun als anglo-weißer Feminismus diskreditiert. Das Konzept der ‚global sisterhood‘ wurde aufgegeben und die gleichzeitig miteinander interagierenden gesellschaftliche Unterdrückungen durch Klasse, Rasse und Ethnie in die Analyse der Lage von Frauen miteinbezogen.

3. Einwände aus heutiger theoretischer Sicht

3.1. Die nicht-sexistische Stadt

Ohne Zweifel können das Siedlungsmodell HOMES und alle Darlegungen Haydens nicht alle Ansprüche von Frauen, ob damals oder heute, an eine nicht-sexistische Stadt erfüllen. Dazu würde als Beitrag von Architektur und Planung ein öffentlicher Raum gehören, in dem keine direkte und indirekte Barrieren des Zugangs vorhanden sind, sowie Gleichberechtigung zwischen Verkehrsteilnehmer_innen. Außerdem wäre das Problem der Sicherheit und der ‚Angsträume‘ wie auch die Beteiligungs- und Selbstgestaltungsmöglichkeiten beim Wohnen, bei der Stadtplanung und -gestaltung zu bedenken.[2]

3.2. Gleichheit oder Differenz?

Die Reproduktionsarbeit, die Frauen in der patriarchalen Gesellschaft als Aufgabe zugeschrieben wurde, war für Hayden der entscheidende Grund für die Benachteiligung der Frauen in der amerikanischen Gesellschaft. Reproduktionsarbeit wird von Hayden in erster Linie als Hindernis und Bürde für Frauen, nicht aber als eine positive identitätsstiftende Aufgabe gesehen, die Frauen möglicherweise nicht gern aufgeben möchten, wie dies später unter dem Einfluss der Theorie der Geschlechterdifferenz und der Diskussion um care thematisiert wurde. Heute geht es nicht mehr um die Alternative Gleichheit oder Differenz, sondern darum, sowohl die Geschlechterdifferenzen in ihren verschiedenen Ausprägungen anzuerkennen als auch deren Anerkennung und Gleichbehandlung in Beruf und Gesellschaft zu fördern.

4. Suche nach Lösungen in Deutschland

4.1. Architektur und Planung

Haydens Modell fand unter Feministinnen in Westdeutschland und Berlin wenig Anklang. Die Gründe lagen darin, dass die neue deutsche Frauenbewegung damals – anders als in den USA – Männer grundsätzlich nicht miteinbezog. Daher stand in der deutschen Diskussion von Planerinnen und Architektinnen die Hausarbeit als unbezahlte Reproduktionsarbeit im Vordergrund. Die Wohnung, das Wohnumfeld und das Quartier wurden als Arbeitsplatz der Frauen angesehen, für den planerische und architektonische Maßnahmen Erleichterung bringen sollten. Diese sollten Verbesserungen für alle Frauen, ob gar nicht, halbtags- oder vollzeitberufstätig bringen. In den 1980er und 1990er Jahren konnten sich feministische Aspekte in Planung und Architektur häufig Geltung verschaffen, wurden aber bald aufgesaugt vom Mainstream in diesen Fachgebieten. So wurde die feministische Forderung nach räumlicher Nähe von Wohnen und Arbeiten, in der sich Reproduktions- und Erwerbsarbeit besser verbinden lassen, durch das planerische Ziel der Nachverdichtung überlagert, durch das mehr Wohnungen geschaffen oder Ressourcen geschont werden sollten. Der Begriff des Angstraums kam durch technische Sicherungssysteme unter die Räder; zudem verlor die feministische Bewegung in diesem Bereich auch umso mehr an Boden, je mehr das Geschlecht als sozial Konstruiertes theoretisiert und die Differenzen zwischen Frauen betont wurde.

4.2. Krise der Reproduktionsarbeit

Die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen in den 1980er und 1990er Jahren in Deutschland ging mit Veränderungen im Reproduktionsbereich einher. Was gesellschaftlich als Vereinbarung von Beruf und Familie thematisiert wurde und privat als Doppel- oder Dreifachbelastung von Frauen zu Buche schlug, haben Bock, Heeg und Rodenstein in mehreren Publikationen (u. a. 1996 und 1997) soziologisch als Krise der Reproduktionsarbeit interpretiert. Damit war das strukturelle Problem gemeint, dass sich trotz zunehmender Erwerbstätigkeit von Frauen weder die Rolle der Männer im Haushalt noch die beruflichen Bedingungen von Männern und Frauen veränderten, sodass Frauen individuell durch mehr Belastungen in krisenhafte Situationen gerieten, die gesellschaftliche Folgen hatten. Partnerschaftskrisen, Scheidungen, weniger Ehen, mehr alleinerziehende Frauen, vor allem aber weniger Geburten und Kinderlosigkeit waren Zeichen dieser Krise. Die Zahl der Ehepaare mit minderjährigen Kindern war zwischen 1981 und 1989 in Westdeutschland um 1,5 Millionen zurückgegangen. Die Zahl der Ehepaare ohne Kinder hatte um 500.000 zugenommen. Während die Politik alle Reibungen zwischen weiblicher Erwerbstätigkeit und der unflexiblen Rolle des Mannes beziehungsweise den Berufsbedingungen als private Probleme deklarierte und kaum zur Kenntnis nahm, führte schließlich der Geburtenrückgang doch zu politischer Besorgnis. Im Lauf der Jahre entstanden mehr Krabbelgruppen- und Kindergartenplätzen und es gab mehr finanzielle Unterstützung für Eltern. Zusammen mit der stabilen Lage auf dem Arbeitsmarkt zeigten diese Maßnahmen erstmals 2016 die politisch gewünschte Wirkung. Der Mikrozensus 2016 bestätigte, dass der langjährige Trend zu höherer Kinderlosigkeit in Deutschland offenbar gestoppt war. Als Ursache wurde der Ausbau der Kinderbetreuung angesehen (siehe Statistisches Bundesamt: 2017).

4.3. Selbstorganisiertes gemeinschaftliches Wohnen

Angesichts der Reproduktionsarbeitskrise begannen einzelne wohlhabende Familien sich selbst zu helfen, indem sie sich zum gemeinsamen Wohnen zusammenschlossen. Dabei ging der Anstoß häufig von Frauen aus. Dies berichtete Ulrike Schneider 1992 in ihrer Untersuchung von 50 meist verheiraten Frauen, die im deutschsprachigen Raum neue gemeinsame Wohnmodelle mit anderen Familien praktizierten, und zwar sowohl in mehreren Häusern wie auch als Hausgemeinschaft. Das Ziel, die Kinderbetreuung wie auch den Alltag durch gemeinsame Räumlichkeiten und Organisation zu erleichtern, wurde zwar erreicht, aber eine intensivere Beteiligung der Ehepartner an der Reproduktionsarbeit ergab sich durch das Wohnen in Gemeinschaft kaum. Dieser Trend zum gemeinschaftlichen Wohnen hat sich fortgesetzt. Es gibt immer häufiger wohlhabende Baugruppen, die sich Architekt_innen suchen, um ihre privaten wie gemeinschaftlichen Wohnbedürfnisse zu realisieren. Aber auch immer mehr Kommunen sehen es als ihre Aufgabe an, Gruppen aus allen Schichten zu unterstützen, die sich mit dem Ziel gemeinschaftlichen Wohnens gegen die Tendenz zur Individualisierung zusammengefunden haben. Die meisten Wohngruppen planen Gemeinschaftsräume ein und es wird eine Erleichterung der Reproduktionsarbeit angestrebt, aber nicht deren grundsätzliche gemeinsame Bewältigung im Sinne einer gemeinsamen Hauswirtschaft. Birgit Kasper, Leiterin des Netzwerks Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e. V., die mit circa 60 Projekten zu tun hat, bemerkte in einem Interview mit mir am 13.6.2017, dass heute – anders als in den 1980er Jahren – die Vereinbarkeit von Reproduktions- und Erwerbsarbeit auch von jüngeren Frauen in den Wohnprojekten nicht thematisiert wird. Dem selbstbestimmten gemeinschaftlichen Wohnen in seinen verschiedenen Varianten scheint die Zukunft zu gehören. Anders als in Haydens Modell wird jedoch nirgends ein gemeinsames Arbeiten angestrebt.[3]

5. Frauen heute – zwischen Familienideologie in Gesellschaft und Politik und dem Bedürfnis der Wirtschaft nach Arbeitskräften

Obgleich sich das Rollenverständnis von Männern und Frauen flexibilisiert hat, gilt die partnerschaftliche Teilung der Reproduktionsarbeit häufig nur, bis das erste Kind kommt. Selten arbeiten beide Eltern danach weiter. Vielmehr stellt sich das alte Muster der Hauptzuständigkeit der Frau für die Reproduktionsarbeit ein. Nur 10 Prozent aller Mütter mit Kindern unter drei Jahren arbeiteten 2015 Vollzeit, hingegen 83 Prozent der Väter, meldete das Statistische Bundesamt dieses Jahr. Nur jede zweite erwerbstätige Frau (47 Prozent) arbeitete 2014 in Teilzeit (Statistisches Bundesamt 2016: 48). Wie ist das zu interpretieren?

Die Bedingungen in der heutigen Arbeitswelt sind von der Steigerungslogik kapitalistischen Wirtschaftens geprägt. Die Arbeitskräfte, ob männlich oder weiblich, sind einem besonderen Druck ausgeliefert, der auch das Familienleben beeinträchtigt. Kann die Familie ihre Funktion als „Resonanzhafen“ (Rosa 2016: 341), als kompensatorische Gegenwelt zur kapitalistischen Wirtschaft, in der sich jedoch die Reproduktion der Ware Arbeitskraft vollziehen muss, nur noch erfüllen, wenn Frauen wieder zurückstecken? Zeigt sich hier, wie schon so oft in der Geschichte des Kapitalismus, dass er die Ressourcen, auf denen er basiert, selbst zerstört? Die Durchkapitalisierung der Familie hatte Folgen, die man auch bei der Kindererziehung spürte, die heute schon weitgehend als Aufgabe der Kindertagesstätten und Schulen begriffen wird. Kann man also die Halbtagstätigkeit vieler Frauen und Mütter als eine bewusste Entscheidung für Kinder und als stummen, antikapitalistischen Widerstand begreifen?

Die deutsche Wirtschaft, die dringend Arbeitskräfte benötigt, bemüht sich derzeit noch wenig um die teilweise brachliegende Arbeitskraft von Frauen. Die Politik hingegen fährt zweigleisig. Einerseits unterstützt die CDU/CSU eine klassische Familienideologie, nach der vor allem Frauen Familien zusammenhalten sollen. Durch Erziehungs- und Elterngeld, Rentenregelungen und Steuergesetze sollen Frauen in der Familie gehalten und die Reproduktionsarbeit finanziell attraktiv gemacht werden, während die SPD sich gleichzeitig um den erleichterten Zugang zur Erwerbsarbeit von Frauen bemüht. Die Lösung des Problems der Reproduktionsarbeit liegt aber nicht darin, die Frauen weiter darauf zu verpflichten und sie von der Erwerbsarbeit fernzuhalten, sondern darin, die Bedingungen der Erwerbsarbeit für Frauen und Männer an die stressfreie Ermöglichung der Reproduktionsarbeit mit Kinderbetreuung und Elternpflege anzupassen. Die Probleme, die Dolores Hayden mit dem Siedlungsmodell von der nicht-sexistischen Stadt zunächst im Rahmen einer kleinen Gemeinschaft lösen wollte, sind also auch in Deutschland, wo uns die staatliche Politik zu Hilfe kommt, noch keineswegs befriedigend gelöst. Der Schlüssel dazu liegt jedoch bei der Wirtschaft.

Endnoten

Autor_innen

Marianne Rodenstein ist Soziologin und arbeitete zuletzt über Stadtgesellschaft, Hochhäuser, Bankiersvillen, historische Rekonstruktionen und Erinnerungspolitik.

rodenstein@soz.uni-frankfurt.de

Literatur

Becker, Ruth / Linke, Eveline (2015): Mehr als schöner Wohnen! Frauenprojekte zwischen Euphorie und Ernüchterung. Sulzbach/Taunus: Helmer.

Birch, Eugenie Ladner (Hg.) (1985): The Unsheltered Women: Women and Housing in the 80’s. New Brunswick: Rutgers.

Bock, Stephanie / Heeg, Susanne / Rodenstein, Marianne (1997): Reproduktionsarbeitskrise und Stadtstruktur. Zur Entwicklung von Agglomerationsräumen aus feministischer Sicht. In: Christine Bauhardt / Ruth Becker (Hg.), Durch die Wand! Feministische Konzepte zur Raumentwicklung. Pfaffenweiler: Centaurus, 33-52.

Eichler, Margrit (Hg.) (1995): Change of Plans. Towards a Non-Sexist Sustainable City. Toronto: Garamond.

Faludi, Susan (1991): Backlash. The Undeclared War against American Women. New York: Crown Publishers.

Hayden, Dolores (1976): Seven American Utopias (1780-1975). Cambridge, Massachusetts: MIT Press.

Hayden, Dolores (1981 [1980]): Wie könnte eine nicht-sexistische Stadt aussehen? Überlegungen zum Wohnen, zur städtischen Umwelt und zur menschlichen Arbeit. In: ARCH+, Kein Ort, nirgends – Auf der Suche nach Frauenräumen, 60, 47-51.

Hayden, Dolores (1984): Redesigning the American Dream. New York/London: Norton.

hooks, bell (1981): Ain’t I a Woman: Black Women and Feminism. Boston: South End Press.

Rodenstein, Marianne (1994): Wege zur nicht-sexistischen Stadt. Architektinnen und Planerinnen in den USA. Freiburg: Kore.

Rodenstein, Marianne / Bock, Stephanie / Heeg, Susanne (1996): Reproduktionsarbeitskrise und Stadtstruktur. Zur Entwicklung von Agglomerationsräumen aus feministischer Sicht. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hg.), Agglomerationsräume in Deutschland: Ansichten, Einsichten, Aussichten. Hannover: ARL, 26-50.

Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.

Schneider, Ulrike (1992): Neues Wohnen – alte Rollen? Pfaffenweiler: Centaurus.

Sprague, Joan Forrester (1991): More Than Housing. Lifeboats for Women and Children. Boston u. a.: Butterworth Architecture.

Statistisches Bundesamt (2016): Pressemitteilung vom 7.3.2017. http://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/03/PD17_077_122.html (letzter Zugriff am 17.6.2017).

Statistisches Bundesamt (2017): Pressemitteilung vom 26. Juli 2017-254/17, 1. http://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2017/GenTable_201707 html (letzter Zugriff am 11.9.2017).