Editorial

Redaktion sub\urban

Liebe Leser_innen,

vor einigen Wochen hat die neue Bundesregierung das Ressort „Bauen und Wohnen“ in ein Ministerium verschoben, das den Begriff der Heimat in Großbuchstaben auf seine Fahnen geschrieben hat. Das aktuelle – so lautet nun der offizielle Name – „Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat“ gibt sich damit national-konservativ und traditionell. Das hohe Haus steht mit seiner neuen Bezeichnung für die Sehnsucht nach einer weniger komplexen, weniger komplizierten und weniger modernen Welt, es verkörpert den Wunsch nach vaterländischem Stolz, nach geordneten, übersichtlichen, homogenen und patriarchalischen Strukturen. Für die, die sich mit der Geschichte der Raumplanung in Deutschland etwas auskennen, erinnert die Namensgebung vielleicht sogar an die „Dienststelle des Reichskommissars zur Festigung des deutschen Volkstums“, die in den 1940er Jahren nicht nur ebenso mit Heimatlichem punkten wollte, sondern auch ähnliche Bereiche (Stadtplanung, Stadtforschung und Raumordnung) unter einem institutionellen Dach vereinte. In einer Zeit, in der sich die Neue Rechte in vielen Bereichen (etwa Regionen, Regierungen, Buchmessen und Hochschulen) zunehmend neu(e) Räume aneignet, ist die Verankerung von Horst Seehofers Ministerium im Heimatbegriff ein Symbol, das es in diesem Kontext einzuordnen gilt und das unseres Erachtens auch für die Stadtforschung von Belang ist. Mit dem kürzlich veröffentlichten Call für den Themenschwerpunkt „Stadt von rechts?“ werden wir in einem der kommenden Hefte das Verhältnis von Urbanität und Rechtspopulismus ausleuchten und uns dabei genauer solchen und anderen Neucodierungen und Aneignungsformen widmen.

Die vorliegende Nummer von s u b \ u r b a n, mit der unsere Zeitschrift im sechsten Jahrgang erscheint, hat dagegen keinen dezidierten Themenschwerpunkt. Allerdings lassen sich auch hier bestimmte inhaltliche wie geographische Schwerpunktsetzungen nachzeichnen. Wir versammeln in der neuen Ausgabe vier Aufsätze, drei Debattenbeiträge, zwei Texte aus der Rubrik Magazin und drei Rezensionen, die sich mit jeweils aktuellen Ereignissen und Debatten in der kritischen Stadtforschung beschäftigen. In einigen Fällen werden Diskussionen aus vorherigen s u b \ u r b a n-Ausgaben aufgenommen und weitergeführt. Das freut uns besonders, da wir unser Projekt immer mit dem Ziel verfolgen, einen Raum für (auch kontroverse) Debatten bereitzustellen. Verhandelt wird dabei – explizit oder implizit – stets die Frage, was kritische Stadtforschung ist oder was sie sein sollte.

Welche Beiträge erwarten unsere geschätzten Leser_innen im Einzelnen? Die Stadt Hamburg steht im Mittelpunkt des Textes von Moritz Rinn, der die aktuelle Wohnungspolitik in der Hansestadt mit ihren tatsächlichen (oder eben vermeintlichen) Ausbrüchen aus dem hegemonialen neoliberalen Regime untersucht. Darin diskutiert der Autor die umfangreichen und teils durchaus widersprüchlichen Analysen, die in jüngerer Zeit innerhalb der Stadtforschung zu diesem Themenfeld angeboten worden sind. Mithilfe einer „genealogisch orientierten Rekonstruktion“ der stadtpolitischen Aktivitäten seit den 1970er Jahren kommt Rinn zu einer Einschätzung der aktuellen Stadtpolitiken als einen „Urbanismus der Ungleichheit“.

Ebenfalls um Hamburg geht es im Aufsatz von Daniel Mullis. Er fokussiert mit dem G20-Gipfel ein großes und kontrovers diskutiertes aktuelles stadtpolitisches Ereignis und macht es sich zur Aufgabe, die Geschehnisse vor Ort in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Er fragt, ob erstens die Proteste gegen den G20-Gipfel eine „Repolitisierung der Gesellschaft“ bezeugen können und ob zweitens die staatliche Antwort auf die Proteste als autoritär zu bezeichnen ist. Für die Diskussion der letzteren Frage mobilisiert er die Kategorie des Ausnahmezustands und diskutiert, wie sie für eine Erklärung nutzbar gemacht werden kann. Seine aus einer „postfundamentalistischen Perspektive“ entwickelte These ist die, dass die Hamburger Ereignisse letztlich das „Ende der Postdemokratie“ belegen.

Sebastian Schipper und Tabea Latocha stellen die so naheliegende wie aktuelle Frage, wie sich Verdrängung verhindern lässt. Ausgehend von der Rent-Gap-Theorie untersuchen die Autor_innen die Rahmenbedingungen für Mieterhöhungen beziehungsweise die Instrumente, die gegen solche Erhöhungen zum Einsatz gebracht werden. Ziel des Aufsatzes ist es, am Beispiel des Frankfurter Gallus-Viertels zu erkunden, welche Möglichkeiten bestehen, einkommensschwache Bewohner_innen vor einer zunehmenden Gentrifizierung zu schützen.

Mike Laufenberg knüpft mit seinem Aufsatz an den s u b \ u r b a n-Themenschwerpunkt „Stadt der Reproduktion“ (Band 5, Heft 3) an. Er diskutiert das Konstrukt der ‚demenzfreundlichen‘ Kommune und deren Stellung im Spannungsfeld von sozialstaatlichem Sparmodell und emanzipatorischer Errungenschaft. Der Autor beschäftigt sich im Kontext von disability studies und feministischen Diskursen eingehend mit der Komplexität und den immanenten Widersprüchen, die diesem Thema innewohnen. Laufenberg entfaltet seine Analyse, indem er mögliche Perspektiven für eine Bewertung ausleuchtet, nämlich einerseits mit Blick auf Autonomiegewinne für die Betroffenen und andererseits auf die Verwertungs- und Sparlogiken der Institutionen.

Der Debattenbeitrag von Tim König ist eine Erwiderung auf den in der vorangehenden Ausgabe von s u b \ u r b a n (Band 5, Heft 3) erschienenen Text von Frank Eckardt zur documenta 14 in Kassel und Athen. König kommt zu einer gänzlich anderen Bewertung der Kunstausstellung. Er kritisiert die Kritik von Eckardt als ungenau, vereinfachend und einem politisch konservativen Lager in die Karten spielend. Ebenfalls in der Debattenrubrik diskutiert Jenny Künkel in ihrem Text „Machtverhältnisse überall analysieren!“ über die heftigen Auseinandersetzungen, die in Reaktion auf das Erscheinen des Sammelbands Beißreflexe (2017) geführt werden. In ihrer Auseinandersetzung mit dem Band Schwule Sichtbarkeiten (2016) diskutiert sie, inwiefern wissenschaftliche Darstellungen in politisch wohlmeinender Absicht dazu beitragen, einseitig Marginalisierte als Opfer und Privilegierte als Verursachende zu konzipieren und dadurch bestehende gesellschaftliche Verhältnisse weiter zu verfestigen. Als dritten Debattenbeitrag veröffentlichen wir ein Interview, das Lisa Vollmer für die Redaktion von s u b \ u r b a n mit Violetta Bock und Thomas Goes über einen möglichen Linkspopulismus geführt hat. Im Gespräch geht es um Elitenkritik, populare Bündnisse und inklusive Solidarität.

Die Beiträge in der Rubrik Magazin stammen in diesem Heft zum einen von Julia Dück, die die Auseinandersetzungen an der Berliner Charité für mehr Personal und die sich dort manifestierenden feministischen Klassenpolitiken untersucht – auch dieser Beitrag ist eine Fortführung der Inhalte des s u b \ u r b a n-Themenschwerpunkts „Stadt der Reproduktion“. In einem weiteren Beitrag zu Hamburg geht es bei Friederike Häuser um stadtpolitische Auseinandersetzungen um den Business Improvement District auf der Reeperbahn, speziell die Kampagne „St. Pauli pinkelt zurück“.

Abgerundet wird die neue Ausgabe durch drei Rezensionen. Erstens bespricht Sofrony Riedmann das Buch Verwaltung der unternehmerischen Stadt von Felix Silomon-Pflug (2018). Zweitens schreibt Maxi Schreiber über Morningside Park: A Civil Rights Battleground von Christiane Crasemann Collins (2015). Drittens rezensiert Fabian Namberger The Deadly Life of Logistics von Deborah Cowen (2014).

Insgesamt eignen sich die hier versammelten Texte vermutlich nur wenig dafür, so etwas wie heimatliche Stimmungslagen in der Stadtforschung zu bedienen. Was wir unseren Leser_innen dagegen wünschen, ist eine spannende, Widerspenstigkeit erzeugende und zum Weiterdenken motivierende Lektüre.

 

Die s u b \ u r b a n -Redaktion:

 

Kristine Beurskens, Laura Calbet i Elias, Antonio Carbone, Nina Gribat, Johanna Hoerning, Stefan Höhne, Jan Hutta, Justin Kadi, Yuca Meubrink, Boris Michel, Carsten Praum, Nikolai Roskamm, Nina Schuster und Lisa Vollmer