Machtverhältnisse überall analysieren!

Lehren von Beißreflexe für kritische Forschung

Jenny Künkel

Die Genderstudies und vor allem das intersektionale Zusammendenken verschiedener Machtverhältnisse sind in den letzten Jahren seitens eines imponierend breiten Spektrums an politischen und wissenschaftlichen Stimmen in die Kritik geraten. In der wissenschaftlichen Debatte machen vor allem marxistische Analysen eine Tendenz zur Materialitäts- und Klassenvergessenheit auch im Intersektionalitätsansatz aus (Zander 2017). Neu-materialistische Ansätze kritisieren – zum Teil etwas überspitzt (Ahmed 2008) –, dass poststrukturalistische Perspektiven das Biologische übersehen. In der politischen Debatte dominierten lange Zeit externe Kritiken: Ein bürgerlicher bis neurechter „Anti-Genderismus“ (vgl. Hark/Villa 2015) zielt mit der Diskreditierung der Genderstudies als unwissenschaftlich auf den Erhalt tradierter Geschlechterordnungen. Seit kurzem verstärkten sich, angestoßen vom Sammelband Beißreflexe, herausgegeben von Patsy L‘Amour laLove (2017), interne Kritiken: Dabei stehen Tabus und soziale Ausschlüsse in der queeren Bewegung im Fokus. Im Gender-Dossier der Zeitschrift EMMA (Ausgabe Juli/August 2017) kritisieren einige Buchautor*innen zudem die Geschlechterforschung: Angeblich unisono an Judith Butler orientiert, interessierten sich die Genderstudies nur noch für das „Reden über“ die materielle Welt, nicht mehr für reelle Unterdrückung. Ein Schlagabtausch in der Wochenzeitung Die Zeit machte die Debatte einer breiten Öffentlichkeit bekannt: Butler und Hark (2017) nannten darin die Thesen von EMMA-Herausgeberin Alice Schwarzer zu sexuellen Übergriffen seitens Migranten in der Kölner Silvesternacht 2015 „rassistisch“. Schwarzer (2017a) konterte mit dem Vorwurf übertriebener Toleranz gegenüber dem muslimischen ‚Anderen‘.

Dieser Beitrag sortiert die Debatten, die vieles in einen Topf werfen. Er verweist einerseits auf gefährliche Nähen zum Diskurs der Rechten, die sich die Beißreflexe-Autor*innen insbesondere durch ihren Schulterschluss mit der EMMA einhandelten. Andererseits greift er den Impetus von Beißreflexe auf, Machtverhältnisse auch unter linken Aktivist*innen und gesellschaftlich Marginalisierten systematisch, mithin auch aus materialistischer Perspektive, zu analysieren. Anhand des Buches Schwule Sichtbarkeiten (Çetin/Voß 2016) zeigt er, wie Wissenschaftler*innen diese ohnehin oft in der öffentlichen Kritik stehenden Gruppen zum Teil vor weiterer Kritik ‚verschonen‘ und Machtverhältnisse einseitig im Feld der Privilegierten beschreiben. Er problematisiert, dass dies die hegemonialen, in diesem Fall rassistischen Kritiken ‚wahrer‘ erscheinen lässt, da alternative Erklärungsangebote ausbleiben.

Der Beißreflexe-Diskurs – zwischen Machtkritik und Rassismus

Worum geht es nun in den Diskussionen um die Beißreflexe? Im Vordergrund der heterogenen Problemdiagnosen stehen Sprechverbote. Die Debatte ist geprägt von Antideutschen, die sich mit Israel solidarisch erklären, und Radikalfeministinnen, die nicht zuletzt auf Abschaffung jeglicher Prostitution zielen. Diese beiden Gruppen meinen, vor allem Islam- und Prostitutionskritik nicht mehr äußern zu dürfen. Als Ursache dafür gelten ihnen neue Theoriekonzepte. Das Problem sei ein vermeintlich verbreitetes „Gender-Paradigma“ (Vukadinović 2017: ohne Seiten) sozialer Konstruiertheit der Welt, das auch Queer und Postcolonial Studies teilten. Als besonders problematisch gelten zudem die Konzepte der Homonormativität und des Homonationalismus sowie die Perspektiven der Intersektionalität und Critical Whiteness.[1] Diese mündeten in unemanzipatorischen Praktiken einer queeren Bewegung und darin aktiver Genderstudies-Jungakademiker*innen: Mittlerweile dominierten ein „(Ver-)Urteilen um der Rüge, nicht der Erkenntnis wegen“ (ebd.) sowie „Sprechverbote, Ablehnung von ‚zu bürgerlichen‘ Homosexuellen, Liebe zum Islam“ (laLove 2017: 9).

Beißreflexe stellt also die Bewegungspraxis queerer Szenen, die ja nicht notwendig aus den Theoriekonzepten folgt, polemisch überspitzt dar. Dies wurde bereits verschiedentlich moniert (z.B. Klauda 2017). Interessant ist dennoch, dass theoretische Verschiebungen im Zentrum der Debatte stehen, in die widersprüchliche soziale Kämpfe eingeschrieben sind: So rekurriert etwa der Intersektionalitätsansatz nicht nur auf einen deutlich marxistisch geprägten Black Feminism, sondern auch auf den liberalen US-amerikanischen Antidiskriminierungsdiskurs. Letzteres führt laut Zander (2017) – trotz gegenläufiger Bestrebungen vor allem im Rahmen der „Mehrebenenanalyse“ (Degele/Winker 2007) – bis heute zu einer Tendenz der einseitigen Macht- statt auch Herrschaftsanalyse: Intersektionale Perspektiven thematisierten häufiger Diskriminierungspraxen als Strukturen (also z.B. nur Klassismus statt allgemeiner den Kapitalismus); sie zielten eher auf den Abbau von Privilegien als auf die Ausweitung von Rechten; und gerade in der praktischen Anwendung würden Privilegien bisweilen als Personenmerkmale statt als Struktureffekte verhandelt. Entsprechend den heterogenen Kämpfen, die in die Theorieperspektiven eingeschrieben sind, hat der Sammelband Beißreflexe, der sich an den bewegungspraktischen Umsetzungen der Theorien abarbeitet, selbst ambivalente Machteffekte: Die Diskursintervention changiert zwischen Zurückweisen von Anti-Rassismus und Aufzeigen von Machtverhältnissen in der queer-/feministischen beziehungsweise anti-rassistischen Bewegung.

Einerseits fasst der Sammelband unter der Klammer der Vulnerabilitäts-/Schulddiskursanalyse pointiert Probleme der linken Szene zusammen. Diese waren nicht gänzlich unbekannt, sind aber themenbezogen verhandelt worden. So hatten bereits Stimmen in der Debatte eine ‚Definitionsmacht‘ für Vergewaltigungsopfer gefordert: Das Spannungsfeld zwischen Ermöglichung sexueller Lust, Verhinderung von Belästigung und Schutz vor Sanktionen sei nicht einseitig durch das Polizieren von individuellem Verhalten aufzulösen. Vielmehr gelte es auch gewaltfördernde Strukturen zu adressieren (e*space 2014). Auch mit Blick auf die ‚kulturelle Aneignung‘ von Symbolen der Subalternen wurden schon vor dem Erscheinen von Beißreflexe Machteffekte der Privilegienkritik diskutiert: Wenn vorrangig Marginalisierte über ihre Anliegen sprechen sollen, wird der Marginalisiertenstatus zur Ressource, den es identitär zu verstetigen, statt abzuschaffen, lohnt (Hertz 2016). Indem Beißreflexe diese Kritiken zusammenbringt, setzt der Sammelband das Thema der Macht innerhalb der linken Szene auf die Agenda.

Andererseits ist die Diskursintervention partiell anschlussfähig an rechte Argumentationsmuster. Im Gegensatz zum Anti-Genderismus zielen die Autor*innen zwar nicht auf eine Rückkehr zu tradierten Geschlechterrollen. Jedoch verschwimmen die Grenzen, welche Kritik am Anti-Rassismus Beißreflexe sprechfähig machen soll. Geht es darum, nicht nur hegemoniale Politiken zu problematisieren, sondern auch anti-rassistische Politiken oder die Praktiken rassistisch Marginalisierter als vermachtet zu analysieren? Oder werden Feminismus und Schwulenrechte über Rassismusbekämpfung gestellt und ein Schulterschluss mit Stimmen, die das ‚Andere‘ per se ablehnen, in Kauf genommen? Eine solche Anschlussfähigkeit zeigt sich vor allem beim Thema Islam im Gender-Dossier der Zeitschrift EMMA, das die Diskussionen um Beißreflexe gemeinsam mit einigen seiner Autor*innen aufarbeitet: Hier unterscheidet Schwarzer im Gegensatz zu laLove (2017) zunächst Islam als Glauben und Islamismus als Ideologie. Sie führt dann aber Sexismus von „Arabern“ ausnahmslos auf eine vermeintlich homogene, ausländische „Kultur“ und einen nicht näher erklärten Islamismus zurück:

„Neu ist, dass die Männergewalt gegen Frauen und Kinder sich nicht länger hinter verschlossenen Türen verbirgt, sondern öffentlich demonstriert wird. Von Männern, die aus Kulturen kommen, in denen Frauen juristisch wie faktisch total rechtlos sind. Grund: eine völlig ungebrochene patriarchale Tradition, die seit einigen Jahrzehnten zusätzlich angefeuert wird durch den frauenverachtenden Islamismus.“ (Schwarzer 2017b: ohne Seiten)

Damit blendet Schwarzer sozioökonomische und politische Strukturen, auch in Deutschland, gänzlich aus. Kritik im universitären Kontext an ihren unbelegten Thesen deutet sie als „Gesinnungsterror” und „Einschüchterung einer schweigenden Mehrheit” (ebd.). Damit knüpft sie an eine Argumentation an, die nicht zuletzt der Rechtspopulist Thilo Sarrazin (2010) etablierte: Anti-Rassismus gilt danach als Angriff auf die demokratische Redefreiheit.

Alternative Erklärungen für Machtverhältnisse bieten, statt über Macht zu schweigen

Es bleibt eine wichtige Aufgabe, solche Rechtsruck-Diskurse zu analysieren und hinterfragen. In diesem Beitrag will ich jedoch einen Schritt zurückgehen: Ich frage, wie kritische Wissenschaft selbst dazu beiträgt, derart fehlinterpretierbar zu sein. Was genau an den Argumentationen von kritischen Wissenschaftler*innen macht es möglich, dass rassistische Deutungen so gut in Abgrenzung dazu vorgetragen werden können? Meine These ist, dass wir die Diskurse und materiellen Praktiken von Marginalisierten nicht immer derselben schonungslosen Macht- und Herrschaftsanalyse unterziehen wie die mächtiger Akteur*innen. Gerade in der Bewegungsforschung spiegelt dies Versuche, Macht im Feld zu reduzieren, wider: Wissenschaftler*innen wollen den Beforschten eine Stimme geben, statt sie politisch zu schwächen (Smith et al. 2010). Diese Versuche sind aus der Perspektive einer kritischen Wissenschaft, die dazu beitragen will Macht- und Herrschaftsverhältnisse abzubauen, durchaus wichtig. Allerdings begrenzt ein solches Vorgehen – also ein strategischer Verzicht auf Machtkritik – zugleich die Möglichkeiten der Beforschten aus wissenschaftlicher Kritik zu lernen und somit im Idealfall gestärkt aus der Reflexion hervorzugehen. Zudem fehlen dann alternative Erklärungen für Machtverhältnisse, die im hegemonialen Diskurs den Marginalisierten oft zum Vorwurf gemacht werden, obgleich sie sich nur am Rand der Gesellschaft manifestieren, aber dort nicht vorrangig entspringen. Um es am Beispiel zu erläutern: Abolitionist*innen diskutieren Machtverhältnisse im Sexgewerbe als Grund, um Prostitution abzuschaffen. Beißreflexe- und EMMA-Autorin Koschka Linkerhand meint, Queerfeminismus bedeute demgegenüber, „Ausbeutung z. B. von Hausfrauen, Putzfrauen und Prostituierten im Sinne der Entscheidungsfreiheit schönzureden“ (Linkerhand 2016: ohne Seiten). Die falsche Polarisierung erscheint deshalb so plausibel, weil Teile der Sexarbeitsbewegungen den abolitionistischen Diskurs mit einem liberalen spiegeln und sich kaum mehr trauen, über schlechte Arbeitsbedingungen zu reden. Die Argumente von Prostitutionsgegner*innen, die zwar Machtverhältnisse thematisieren, aber kaum nach ihren Ursachen fragen, weil Prostitution immer schon als Gewalt gilt, lassen sich aber nicht mit einem Entnennen von Macht entkräften. Daher müssen dazu systematisch veränderbare Ursachen wie Migrationsregime oder sozialstaatliche Ausschlüsse aufgezeigt werden (Künkel 2016).

Ähnliches gilt – Schwarzer ist nicht zufällig auch hier Protagonistin – für die Flüchtlingsdebatte. Hier verweben rechte Stimmen ebenfalls spätestens seit ‚Köln‘ die umkämpften Felder Migration und Sexualität zu Argumenten für ein Ende der Flüchtlingsaufnahme oder zumindest der ‚Toleranz‘. Statt die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen zum Beispiel sexualisierte Gewalt entsteht, zu benennen und zu adressieren, rekurrieren sie auf eine vermeintlich alles erklärende ‚Kultur‘ (kritisch: Sanyal 2016). Um alternative Erklärungen, die alternative Politiken nahelegen, zu bieten, muss kritische Wissenschaft daher die zugrundeliegenden komplexen Macht- und Herrschaftsverhältnisse systematisch aufzeigen – inklusive der vermachteten Praktiken von Marginalisierten. Dafür gilt es auch die materiellen Strukturen zu analysieren und Rassismusanalyse nicht nur als sprachbezogene Zurückweisung rassistischer Zuschreibungen zu betreiben. Warum dies so wichtig ist, möchte ich nun anhand des Buches Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität von Zülfukar Çetin und Heinz Voß (2016) diskutieren. Das Buch geriet – parallel zu einer ersten Fassung dieses Beitrags – ins Fahrwasser der Polemik von Beißreflexe. LaLove (2016: ohne Seiten) (miss-)versteht es als „herablassende Missgunst gegenüber Schwulen“. Ich möchte mich an einer stellenweise ähnlichen, aber solidarischen Kritik versuchen, die auf die Frage abzielt, wie intersektionale Macht- und Herrschaftsanalysen in Theorie und Praxis geschärft werden können.

Das Buch Schwule Sichtbarkeiten – schonungslos gegenüber Schwulen, gnadenvoll gegenüber Migrant*innen

Çetin und Voß zeigen, dass Homosexualität kein statisches Persönlichkeitsmerkmal ist, an das eine Identität geknüpft werden muss. Sie kritisieren, dass identitätsbezogene Homosexualität, die sich oft mittels Sichtbarkeitspolitiken Gehör verschaffte, in Deutschland immer wieder gegen ein orientalisches ‚Anderes‘ abgegrenzt wurde. Empirisch stützt sich das Buch zunächst auf eine historische Analyse von Voß: Er zeigt auf, wie sich das Konzept der Homosexualität erst Mitte des 19. Jahrhunderts durchsetzte. Am Beispiel Deutschlands arbeitet er heraus, dass neben Biologen und Medizinern auch erklärte Homosexuelle wie Magnus Hirschfeld an seiner Erfindung beteiligt waren. Diese Akteure unterschieden eine vermeintlich natürliche, identitätsbezogene, stabile Homosexualität von sporadischen gleichgeschlechtlichen Praktiken im „entsittlichten Arabien“ (vgl. Çetin/Voß 2016: 75). Aufbauend auf der historischen Analyse stellt das Buch – anhand einer Berliner Fallstudie von Çetin – Parallelen zum gegenwärtigen Migrationsdiskurs her: Auch die heutige Schwulenbewegung grenze sich vom muslimischen ‚Anderen‘ ab – diesmal in umgekehrter Logik, indem sie „eine besondere Repressivität in Ländern des arabischen Raums gegenüber ‚Homosexualität‘ postuliert“ (ebd.).

Die historischen Kontinuitäten zu benennen, ist erkenntnisreich. Eindrücklich zeigen die Autoren, wie schwul-/lesbische Emanzipation in Deutschland oft auf ethnischer Ausgrenzung beruhte. Allerdings spitzen sie die Analyse zum Beispiel mit pauschalen Gleichsetzungen von Sichtbarkeitspolitiken und Rassismus – „Die schwulen Küsse sind deutsche Leitkultur“ (ebd.: 105) – bisweilen zu stark zu. Zudem vollzieht sich der Übergang von Historie zur Gegenwart in einem Satz – und das Folgekapitel von Çetin behandelt nur noch rassistische Deutungen bezüglich Muslimen und nicht mehr deren heterogene Praktiken oder Politiken. In der Kürze der Darstellung entsteht das Bild eines vergessenen, die mann-männlichen Sexualitäten akzeptierenden arabischen Raums, in dem bis heute ‚Repressivität‘ gegenüber Homosexualität nur als Zuschreibung existiert (und nicht z.B. ganz real im Strafrecht). Die Autoren versuchen damit, rassistischen Vorstellungen von Muslim*innen, die oftmals qua Kultur als homophob gelten, entgegenzutreten. Sie wählen dabei jedoch den Weg, Macht zu dethematisieren. Wirksamer wäre es, alternative Erklärungen für konkrete Veränderungen von Sexualnormen und -politiken und Analysen der komplexen Rolle von Religionen darin anzubieten. Eine solche Analyse könnte das Nachwirken des Kolonialismus, der das Konzept der Homosexualität/-sfeindlichkeit exportierte (Klauda 2008), ebenso berücksichtigen wie die globale soziale Ungleichheit und neoliberale Prekarisierung. Denn letztere beförderte – befeuert von einem „autoritären Populismus“, mit dem gesellschaftliche Eliten den Unmut der unteren Klassen instrumentalisieren (Demirović 2018) – in Deutschland nicht nur Migrationsfeindlichkeit, sondern zum Beispiel unter „verunsicherten Leistungsindividualisten“ mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft auch Homophobie (Müller-Hilmer/Gagné 2018: 30). Die Rolle von Religion ließe sich über konkrete politische Strategien bis in die Alltagspraxen verfolgen (zeigte sich doch z.B. im ‚arabischen Frühling‘ eine größere Protestbereitschaft unter Koranlesenden, nicht aber unter Moscheebesuchenden oder Anhänger*innen des politischen Islam, vgl. Hoffman/Jamal 2014).

Die Zerrbilder der Marginalität oder die Prozesse der Marginalisierung (weg-)dekonstruieren?

Voß und Çetin wählen demgegenüber den Weg einer Diskursanalyse, die sie vorrangig als Textanalyse betreiben. Dadurch kommt Marginalisierung oft nur als Fremddeutung in den Blick und der Anspruch der Intersektionalität lässt sich nicht durchgängig einlösen. So findet Klasse im Beitrag von Çetin, der weiß-schwule Dominanz kritisiert, vergleichsweise selten Erwähnung. Stellenweise erscheint sie in entmaterialisierter Form nur noch als kulturelles Konstrukt (statt auch als materialistische Analysekategorie). Dies gilt etwa, wenn es heißt, dass „Arbeitsmigrant_innen“ qua Zuschreibung, nicht aber qua kapitalistischer Produktionsweise, „orientalisiert […und] zu einer ‚Klasse‘ gemacht werden“ (Çetin/Voß 2016: 120). Zudem dekonstruieren Çetin und Voß die Kategorie der Migrant*innen in einer Radikalität, die das Erfassen der Auswirkungen von Migrationsprozessen gänzlich in Frage stellt – auch, soweit damit Marginalisierung sichtbar gemacht werden soll. Die postmigrantische Migrationsforschung fordert demgegenüber eine „Entmigrantisierung“ der Migrationsforschung und die „Migrantisierung“ der Gesellschaftsforschung (Labor Migration 2014). Ihr Ziel ist es, transnationale Mobilitäten als Prozesse zu verstehen, die nicht nur an den Rändern der Gesellschaft wirksam werden. Indem Voß und Çetin die Kategorie des ‚Migrationshintergrundes‘ hinterfragen, folgen sie zwar dem Imperativ der Entmigrantisierung. Mit ihrer rein sprachbezogenen Diskursanalyse werden sie allerdings dem weiteren postmigrantischen Anspruch nicht gerecht: „nicht mehr Migration, sondern die Institutionen und Techniken ihrer Beherrschung zum Thema zu machen“ (Labor Migration 2010: ohne Seiten, zitiert nach: Kiepenheuer-Drechsler 2013: 87). Im Gegenteil: Indem sie Analysen der Effekte von Migration vorrangig als rassistische Zuschreibungen deuten, entnennen sie gesellschaftliche Prozesse, die Migration(-sformen) auf historisch-spezifische Weise als vermachtete Institution hervorbringen. Dies wird im Rahmen ihrer Kritik von drei quantitativen Studien deutlich, die daher im Folgenden ausführlicher dargestellt werden soll.

Das Buch problematisiert zunächst eine Umfrage des Anti-Gewalt-Projekts „Maneo“ (2009) zu Gewalt gegenüber Schwulen, weil diese die Ethnie von Täter*innen erhebt. Die Studie ist methodisch unsauber: Sie schließt von subjektiven Einschätzungen der Opfer auf den – knapp 40-prozentigen – Migrationshintergrund der Täter*innen. Zudem enthält sie, wie Çetin zu Recht anmerkt, auch rassistische Annahmen. Die Studie skandalisiert zum Beispiel einen „hohe[n] Anteil nicht-deutscher Täter“ (ebd.: 27), ohne zu fragen, ob die 17.477 Befragten nicht generell ihr Umfeld als zu mindestens 40 Prozent „eher/gar nicht deutsch“ wahrnehmen. Çetin jedoch überspringt eine solche Methodenkritik. Stattdessen nennt er nicht nur das Erfassen des „Migrationshintergrunds“ qua Fremdzuschreibung „per se problematisch“ (Çetin/Voß 2016: 101). Vielmehr erklärt er die Kategorie „Migrationshintergrund“ ohne Erläuterung gleich gänzlich für „erfunden“ (ebd.: 104).

In der weiteren Darstellung deutet Çetin verschiedentlich empirische Erkenntnisse in bloße Zuschreibungen der Wissenschaftler*innen um. So problematisiert er bezüglich einer Auftragsstudie des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) von Simon (2008), welche Einstellungen von 922 Schüler*innen zu Homosexualität analysierte:

„Den [migrantischen] Jugendlichen, die nach bestimmten imaginierten Abstammungen nach dem Blut- und Boden-Prinzip konstruiert werden, werden andere Jugendliche ohne ‚Migrationshintergrund‘ gegenübergestellt, die angeblich ein europäisches Wertesystem vertreten und deutlich weniger homofeindlich seien. Die Polarisierung aller befragten Gymnasiast_innen vollzog sich während der Studie auf der Ebene von diskursivem kulturalistischem Rassismus: Als türkisch konstruierte Jugendliche werden als Muslime definiert und der Islam als Ursache für Homosexuellenfeindlichkeit erklärt.“ (Çetin/Voß 2016: 102)

Da Çetin nicht benennt, dass es sich um eine quantitative Studie handelt und wie diese vorgeht, ist dies missverständlich: Die „imaginierten Abstammungen“ sind Angaben der Schüler*innen zum Geburtsland bis in die Großelterngeneration (Deutschland, Türkei oder ehemalige UdSSR). Die „angeblich“ geringere Homophobie ist ein statistisches Ergebnis, das nur durch Methodenkritik in Frage zu stellen wäre. Die Muslim*innen wurden keinesfalls qua Herkunft „definiert“, sondern definierten beziehungsweise identifizierten sich selbst: indem sie, sofern sie einen türkischen Migrationshintergrund aufwiesen, zu 91,7 Prozent angaben, dem Islam anzugehören. In der Tat ließe sich problematisieren, dass die Herkunftsdaten zur hochaggregierten Kategorie „Migrationshintergrund“ zusammengefasst werden. Dies gilt insbesondere, da Simon – ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Migrationshistorien – allein auf der Basis besonders starker statistischer Zusammenhänge zwischen Religiosität und Homophobie bei Migrant*innen mit türkischem Migrationshintergrund mutmaßt: Der Islam enthalte wohl „ein besonders homosexuellenfeindliches Element“ (Simon 2008: 24). Indem sie die Erfassung einer familiären Migrationsgeschichte per se als Ausdruck von Blut- und Boden-Ideologie deuten, dethematisieren Voß und Çetin allerdings ebenso ein mögliches Nachwirken historisch-spezifischer Migrationsprozesse. Selbstverständlich sind Kategorien wie Migrant oder Frau gesellschaftlich produziert. Sie verweisen letztlich auf hierarchische Geschlechterverhältnisse und eine rassistisch-nationale Segmentierung der Gesellschaft. Die kritische Forschung zielt auf Abschaffung dieser Segmentierungen. Dennoch bringt sie die Kategorien immer wieder (performativ) hervor: indem Forscher*innen Subjekte labeln oder sie mittels Fragen zum Selbstlabeln anhalten. Diesen Widerspruch diskutiert zum Beispiel die feministische Forschung seit der Infragestellung eines biologischen Geschlechts als natürlicher Basis von Geschlechterrollen (Butler 1990). Kategorisierungen bleiben jedoch notwendig, um vermachtete Prozesse (wie z.B. Migrationsregime oder rassistische Markierungen), die Menschen – zum Beispiel identitär, habituell oder rechtlich – als ‚Frauen‘ oder ‚Migrant*innen‘ hervorbringen, zu benennen und zu adressieren. Eine Analyse, die Kategorien wie ‚Migrationshintergrund‘ oder ‚Muslime‘ ausschließlich als Zuschreibung skandalisiert, greift daher zu kurz. Mehr noch: Sie ist geeignet, an die Kategorien anknüpfende Diskriminierungen zu entnennen. Dies geschieht, entgegen der Intention, zum Beispiel bei Çetins Definition rassistischer Diskriminierung:

„Dabei werden den russisch und türkisch konstruierten Jugendlichen Gefühle und Wahrnehmungen rassistischer Diskriminierung zugeschrieben, als wäre diese Art der Diskriminierung kein gesellschaftliches Phänomen, sondern Resultat individueller Befindlichkeiten. So konstatiert Simon: Je mehr sich die Befragten wegen ihrer Herkunft diskriminiert fühlten, desto homosexuellenfeindlicher seien sie.“ (Çetin/Voß 2016: 103)

Erneut sind die „Zuschreibungen“ Einschätzungen der Jugendlichen selbst zu Items wie „Deutschland kümmert sich lieber um die ‚eigenen Leute‘ als um Ausländer oder Migranten (eingewanderte Menschen) und deren Kinder.“ (Simon 2008: 14). Diese Einschätzungen als Wahrnehmungen zu labeln, ist formal korrekt. Das Problem ist vielmehr, dass Simon in seinen Schlussfolgerungen nicht systematisch gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse adressiert, weil er diese in einer Logik der Integration konzipiert. Er findet positive Korrelationen von Diskriminierungswahrnehmung und ‚Integration‘ (eine Kategorie, die indirekt auf Exklusion verweist) mit Homosexuellenfeindlichkeit. Dennoch skandalisiert Simon nicht materielle und symbolische Ausgrenzung, sondern fordert „Integrationsbemühungen“ (ebd.: 23), die auch von Migrant*innen ausgehen müssten, und mehr Kontakte von Migrant*innen und Homosexuellen. Voß und Çetin wischen mit ihrem Verständnis von Diskriminierungswahrnehmungen als „Zuschreibung“ selbige allerdings auch vom Tisch und suggerieren, dass es keinerlei Zusammenhänge zwischen Migration, Islam und Homophobie geben könnte. Demgegenüber ließe sich die Studie aus meiner Sicht durchaus dahingehend interpretieren, dass rassistische Ausgrenzung, mithin exkludierende Institutionen und Praktiken der deutschen Mehrheitsgesellschaft, für Homophobie maßgeblich sind.

Zu guter Letzt wird eine weitere Auftragsstudie des LSVD vorgestellt: Die Studie von Steffens (2010) gilt als „letztes Beispiel für weiße und schwule Studien mit Rassifizierungspotential“ (Çetin/Voß 2016: 103). Steffens befragte 252 Schwule und Lesben mit und ohne Migrationshintergrund zu Gesundheit, Coming-out sowie rassistischer und homophober Diskriminierung. Die Befragten gaben an, häufiger homophob als rassistisch diskriminiert worden zu sein – mit bemerkenswerter Ausnahme der Angaben zum Arbeitsplatzverlust. Zudem erlebten sie die Homophobie auch als belastender als Rassismus. Çetin stellt die nicht verifizierbare Behauptung auf, die Betroffenen würden daher „in dieser Studie ermutigt, mehr über Homophobie zu sprechen als über Rassismus“ (ebd.: 105). Vorwurfsvoll nennt er die Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse ein „höchst problematisch[es] Fazit“, weil die „imaginierten Herkunftsländer […] als grundlegend homofeindlich deklariert werden“ (ebd.). Tatsächlich destilliert die Studie aus der Wahrnehmung der Befragten, wie homosexuellenfreundlich das elterliche Herkunftsland im Vergleich zu Deutschland sei, die vermeintlich objektiven Kategorien „homophobe“ versus „neutrale bis liberale Länder“ (Steffens 2010: 54). Allerdings weist Çetin nicht nur diese, sondern fast alle Kategorien der Studie als Zuschreibung zurück. Dabei dekonstruiert er zugleich die in der Studie problematisierte gesellschaftliche Marginalisierung der befragten Migrant*innen. So moniert er etwa, dass der „erfundene“ (Çetin/Voß 2016: 104) Migrationshintergrund als Gesundheitsrisiko gelte. Dabei findet die Studie unter den Schwulen und Lesben, die (mit einer Ausnahme) selbst migrierten oder deren Eltern migrierten, schlichtweg stärkere gesundheitliche Beeinträchtigungen und eine geringere Lebenszufriedenheit. Çetin skandalisiert jedoch nicht dahinterstehende Marginalisierungsprozesse, sondern dass Migration mit Marginalität in Verbindung gebracht wird. Analog beanstandet er auch bezüglich des Coming-out nur die „Annahmen“ der Studie:

„Im Gegensatz zu Lesben und Schwulen ohne ‚Migrationshintergrund‘ gebe es [laut Steffens] mehr (migrantische) Lesben und Schwule ohne Coming-out. Das Coming-out wird damit als ein Phänomen ohne ‚Migrationshintergrund‘ angenommen. Diese Situation wird mit den Reaktionen der Familien der Befragten argumentiert. Während die Familien der ‚deutschen‘ Befragten positiv auf ein Coming-out ihrer lesbischen oder schwulen Kinder reagieren würden, seien Familien mit ‚Migrationshintergrund‘ negativ zu Homosexualität eingestellt. Die Homosexualität würde die religiösen und moralischen Werte dieser Eltern verletzen.“ (ebd.: 104)

Bereits die Rede davon, dass das Coming-out nur mit Menschen ‚ohne‘ Migrationshintergrund assoziiert sei, ist stark übertrieben – berichtet die Studie doch von 79 Prozent Lesben und 75 Prozent Schwulen mit Coming-out (zumindest gegenüber Freund*innen, vgl. Steffens 2011: 39). Vor allem aber deutet Çetin auch hier empirische Ergebnisse ausschließlich als Zuschreibungen (Stichwort: „angenommen“, „argumentiert“). Damit dethematisiert er die Anstrengungen, die für einige schwul-/lesbische Migrant*innen aus den – von historisch-spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen geprägten – Religionen und Migrationsgeschichten entstehen. So stimmte etwa knapp ein Drittel (29 Prozent) der Aussage zu: „Ich finde es schwierig, meine Sexualität mit meiner Religion zu vereinbaren.“ (ebd.: 34). 51 Prozent meinten, die migrantische Community, in der sie sich unterschiedlich stark verorten, sei gegenüber homosexuellen Mitgliedern „ablehnend“ (ebd.: 37). 68 Prozent der Schwulen mit Migrationshintergrund (ohne Migrationshintergrund: 30 Prozent) hielten eine „Verletzung von moralischen/religiösen Werten“ für den Grund erfahrener oder befürchteter negativer familiärer Reaktionen auf ihre Homosexualität (ebd.: 49). Sicherlich fehlen in der Studie Fragen nach dem Stellenwert dieser Strukturen im Leben der Befragten oder zum Coping damit (z.B. durch relativ fluide inkohärente Identitäten, vgl. Rahman/Valliani 2017). Die artikulierten Probleme jedoch als bloße Zuschreibung zu entnennen, ist nicht nur wissenschaftlich unsauber, sondern auch wenig überzeugend.

Polarisierung in gute Marginalisierte und schlechte Privilegierte

Das Dethematisieren von Marginalität ist Ausdruck eines Perspektivwechsels der Migrationsforschung, der, dort wo er überschießt, reine Opfernarrative durch einen einseitigen Fokus auf Handlungsfähigkeit (agency) ersetzt. Hoffmann (2017: 29-39) schlägt demgegenüber einen erneuten Wechsel der Perspektive vor: von Migrant*innen als Opfern oder Held*innen hin zu Migrant*innen als ganz ‚normalen‘ Menschen, mithin bisweilen auch als Neoliberalen oder Konservativen. Konsequente Entmigrantisierung der Migrationsforschung bedeutet demnach, aufzuhören Migrant*innen eine Sonderrolle zuzuweisen. Dazu müssen nicht nur Struktur und agency gleichermaßen analysiert, sondern auch Machtverhältnisse nicht nur auf der Seite dominanter Akteur*innen gesucht werden. Çetin und Voß setzen Letzteres um, soweit sie den Gegendiskurs der Schwulenbewegung als Teil des Homosexualitätsdiskurses herausstellen und vermachtete Bewegungspraktiken hinterfragen. Mit Blick auf Rassismus zeichnen sie hingegen das Bild guter versus schlechter Akteur*innen. Vor allem ihre Analyse schwuler Sichtbarkeitsstrategien in der gentrifizierten Berliner Innenstadt polarisiert stark. So erfahren etwa die migrantisch geprägten Institutionen „Gayhane“, „Südblock“ und „Kotti&Co.“ keinerlei Kritik, obwohl nach Voß und Çetins rigiden Kriterien zur Bestimmung von kulturalisierenden Kategorien beispielsweise auch die Rede von „morgen- und abendländischen Klängen und Temperamenten“ (Gayhane 2016, ohne Seiten; zitiert in Çetin/Voß 2016: 117) problematisch erscheinen müsste. Demgegenüber wird zum Beispiel eine Spontandemonstration nach einem Überfall von mutmaßlichen Mitgliedern der türkisch-faschistischen „Grauen Wölfe“ auf Drag Kings in Kreuzberg 2008 unter dem Motto „Smash Homophobia“ pauschal abgewertet: als „Ausdruck einer homonationalistischen Dominanzgesellschaft“ und „vermeintliche ‚Anti-Homophobie-Demonstration‘ […die] ein deutliches Signal gegen die ‚migrantischen‘ Anwohner_innen“ (ebd.: 116) gesetzt habe. Dies unterschlägt einen Teil der Geschichte, die andernorts nuancierter aufgearbeitet wurde:

„The event was supported by many racialized queer activists with migrant backgrounds, and organizers tried to distance themselves from any attempt to turn homophobia into a ‚migrant issue‘.“ (Kosnick 2015: 697)

Dass Voß und Çetin die Akteur*innen entlang der Hautfarbe als nur dominant versus nur dominiert überzeichnen, stützt sich auf eine Konzeption von Privilegien als Eigenschaft der Personen. Diese drückt sich darin aus, dass Voß und Çetin Weiß- und Schwulsein als Täterschaft konzipieren:

„Weiße Schwule sind diskriminiert aufgrund der sexuellen Orientierung, gleichzeitig stehen sie in Bezug auf das Geschlechterverhältnisse (sic) und Rassismus auf der Täterseite.“ (Çetin/Voß 2016: 132)

Damit übernehmen und stärken Çetin und Voß individualisierende Denkweisen der anti-rassistischen, queeren Bewegung, anstatt die Bewegung kritisch zu begleiten. Indem sie den Kulturdiskurs von Akteur*innen wie Alice Schwarzer durch einen Privilegiendiskurs ersetzen, spiegelt der Gegendiskurs den hegemonialen: Während letzterer Migrant*innen als Ausdruck einer nicht weiter erklärungsbedürftigen ‚Kultur‘ essentialisiert, verhandeln Voß und Çetin Weiß-Deutsche als Essenz ihrer Privilegien. Parallel dekonstruieren sie die hegemonialen Darstellungen von Migrant*innen als problembehaftet soweit, bis diese als ‚rein‘ erscheinen und selbst ihre Marginalisierung unsichtbar wird.

Widersprechen statt den hegemonialen Diskurs zu spiegeln

Letztlich entnennen damit beide Seiten des Diskurses veränderbare gesellschaftliche Strukturen, die Macht- und Herrschaft entlang von Ethnie und Nationalität temporär stabilisieren. Der gegenwärtige Diskurskontext, in dem Politiker*innen ungeniert fragen, ob der Islam zu Deutschland gehört (Seehofer 2018), macht es anti-rassistischen Stimmen nicht leicht. Dennoch möchte ich dafür plädieren, in der kritischen Marginalitätsforschung die ‚schmutzige‘ Realität unserer vermachteten Gesellschaft auch in den Sphären der an-den-Rand-Gedrängten systematisch aufzuzeigen. Dabei muss natürlich immer deutlich werden, wie diese vermachtete Realität auch und gerade in der Mitte der Gesellschaft entsteht. Mit solchen Analysen hinterfragen wir die hegemonialen Problemdiskurse, die Problemursachen bei den Marginalisierten selbst verorten, eher, als wenn wir zu Problemen schweigen.

Endnoten

Autor_innen

Jenny Künkel betreibt kritische Sozialforschung zwischen Politikwissenschaften, Geografie, Kriminologie und Queer Studies.

jenny.lena.kuenkel@geo.hu-berlin.de

 

Die Publikation dieses Beitrags wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und den Open-Access-Fonds der Humboldt-Universität zu Berlin ermöglicht.

Literatur

Ahmed, Sara (2008): Some preliminary remarks on the founding gestures of the “New Materialism”. In: European Journal of Women’s Studies 15/1, 23–39.

Butler, Judith (1990): Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. New York: Routledge.

Butler, Judith und Sabine Hark (2017): Die Verleumdung. In: Die Zeit vom 2.8.2017.

Çetin, Zülfukar / Voß, Heinz-Jürgen (2016): Schwule Sichtbarkeit – schwule Identität. Kritische Perspektiven. Gießen: Psychosozial-Verlag.

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