Stadt- und Elitesoziologie – Desinteresse oder Kooperation?

Kommentar zu Ray Forrest, Sin Yee Koh und Bart Wissinks „Hyper-Spaltung in Städten und die ‚unmoralischen‘ Superreichen“

Michael Hartmann

Wenn man fragt, in welchem Verhältnis Elitesoziologie und Stadtsoziologie zueinander stehen, fällt die Antwort ganz eindeutig aus. Die Debatten und Erkenntnisse der einen Disziplin spielen für die jeweils andere so gut wie keine Rolle. Typisch dafür ist der jüngste, auf einer großen Tagung an der London School of Economics and Political Science (LSE) basierende, Sammelband zur Elitesoziologie (Korsnes et al. 2018). Das Thema Stadt findet gerade einmal in einem der 15 Beiträge überhaupt Erwähnung, und das auch nur mit einem einzigen Satz (Hartmann 2018a: 39). Im kurz zuvor erschienenen Handbook of Political Elites mit seinen sogar 40 Beiträgen (Best/Higley 2017) sieht es nicht anders aus. Auch früher war es nicht besser. So kommen Städte beispielweise in Bourdieus umfassender Analyse der französischen Eliten nur an ganzen zwei Stellen vor: in einem Diagramm, in dem neben vielen anderen Merkmalen der Wirtschaftselite auch die Größe der Geburtsorte und die Lage der besuchten Schulen (Paris oder Provinz) aufgeführt wird, sowie bei der Differenzierung zwischen den stark in den Regionen ‚verwurzelten‘ Privatunternehmern und den in Paris angesiedelten Staatsunternehmern (Bourdieu 2004: 364f., 370). Für die Analyse des ‚Staatsadels‘ sind diese kurzen Bemerkungen aber ohne jede Bedeutung. Soweit ich es beurteilen kann, gilt diese Nichtbeachtung auch umgekehrt. So ist beispielsweise im sehr umfangreichen Literaturverzeichnis des Aufsatzes von Forrest, Koh und Wissink (2017) mit dem Buch von Mike Savage (2015) auch nur eine einzige Publikation verzeichnet, die wenigstens teilweise auch Fragen aus der Elitesoziologie behandelt. Man zeigt beiderseits Desinteresse an den Forschungsresultaten des jeweils anderen.

Selbst dort, wo man es am ehesten vermuten würde, bei den Soziologen, die die These von einer globalen herrschenden Klasse oder Elite vertreten (Carroll 2010; Robinson 2004; Sklair 2001), bleiben Städte in der Analyse außen vor. Das ist deshalb erstaunlich, weil eine solche globale Elite zu großen Teilen identisch wäre mit den ‚Superreichen‘, die bei Forrest, Koh und Wissink im Zentrum des Interesses stehen. In beiden Fällen geht es um eine Personengruppe, die ihre Wohnorte unabhängig von ihrer eigenen Nationalität nach Belieben wählen kann, da sie über die dazu erforderlichen immensen Geldmittel verfügt. In der medialen Debatte und teilweise auch in der wissenschaftlichen Diskussion über die dramatisch wachsende Ungleichheit in den Großstädten und Metropolen werden sie als die Hauptverantwortlichen für diese Entwicklung identifiziert, wie Forrest, Koh und Wissink (2017) ausgangs ihrer Ausführungen zu Recht anmerken. Wenn die drei Autor_innen fordern, an die Stelle vorwiegend moralisch argumentierender Kritik an den ‚Superreichen‘ sorgfältige empirische Analysen über ihre Aktivitäten und ihre Wirksamkeit zu setzen, ist ihnen ohne jede Einschränkung zuzustimmen.

Forrest und seine Kolleg_innen weisen in ihrem Aufsatz auf entscheidende Schwachpunkte in der bislang vorherrschenden Argumentation hin und zeigen damit zugleich, an welchen Punkten eine Verknüpfung von Stadt- und Elitesoziologie fruchtbar sein könnte. Das betrifft vor allem die Rolle des Nationalstaats in diesem Prozess, die Bedeutung von Immobilien als Anlageform (‚buy to leave or buy to rent‘) und die Unterschiede zwischen den jeweiligen lokalen Eliten.

Was die Rolle des Nationalstaates angeht, so liegt ein entscheidender Grund für die Konzentration von Superreichen in Städten wie London, Monaco, Singapur oder Zürich in den von den jeweiligen Nationalstaaten beschlossenen, sehr attraktiven steuerlichen Konditionen, die den Ausländer_innen unter ihnen dort geboten werden. Das schlägt sich dann folgerichtig in einem hohen Anteil ausländischer Superreicher in diesen Städten nieder. Dennoch kann man die Explosion der Immobilienpreise an diesen Orten nicht einfach kausal mit diesem Sachverhalt erklären. Das demonstriert das Beispiel New York, das in puncto Immobilienpreise dieselbe Entwicklung durchgemacht hat. New York weist von allen Metropolen die höchste Zahl an Milliardär_innen auf. Das galt auch schon vor der jüngsten Steuersenkung durch die Regierung Trump. Bis zu diesem Beschluss hatte New York einen Spitzensatz in der Einkommensteuer wie Deutschland und keinerlei steuerliche Vergünstigungen für ausländische Superreiche. Dies deutet auf zwei Aspekte hin: Erstens existieren für sehr reiche Ausländer_innen neben steuerlichen Anreizen auch noch andere Motive für den Erwerb von Immobilieneigentum in Städten wie New York oder London, etwa die im Vergleich zum eigenen Herkunftsland deutlich größere Sicherheit für das dort angelegte Kapital. Diese veranlasst schon seit Jahrzehnten südamerikanische Milliardär_innen, sich in New York niederzulassen oder Wohneigentum zu erwerben. Heute trifft dasselbe besonders auf die sehr reichen Chines_innen und Russ_innen zu, die Immobilien beispielsweise in London oder der Schweiz erwerben. Zweitens sind in den meisten Fällen nicht die ausländischen Superreichen der wesentliche Grund für die Preisentwicklung bei Luxusimmobilien, sondern die einheimischen Milliardäre und Multimillionäre. Einzig in relativ kleinen Regionen wie am Zürichsee oder in Monaco können Ausländer_innen eine entscheidende Rolle in diesem Prozess spielen. Aber selbst in London, wo ausländische Superreiche zahlreicher vertreten sind als in irgendeiner anderen Metropole dieser Welt, dürften die einheimischen Superreichen immer noch mindestens genauso bedeutsam sein. In diesem Punkt kann die Eliteforschung etwas mehr Klarheit schaffen. Wenn ihren Forschungsergebnissen zufolge neun von zehn Milliardär_innen in ihrem Heimatland wohnen (Hartmann 2016: 117ff.), macht das die realen Verhältnisse erheblich deutlicher. Zwar besitzt ein Teil dieser Milliardär_innen auch Immobilien im Ausland. Der Hauptanteil ihres Vermögens, auch ihres Immobilienvermögens, ist aber im Heimatland zu finden. Das Argument mit den reichen Russ_innen oder Chines_innen ist also weit weniger aussagekräftig als zumeist vermutet.

Forrest und seine Kolleg_innen haben deshalb mit ihrer Kritik, die Aufmerksamkeit sei zu sehr auf das ‚buy to leave‘ gerichtet worden statt auf das ‚buy to rent‘, einen wichtigen Punkt getroffen. Ausschlaggebend für die rasante Steigerung der Immobilienpreise in Großstädten ist nicht der Häuserkauf durch ausländische Superreiche, sondern vielmehr die Verwandlung von Immobilien in Anlage- und Spekulationsobjekte. Wenn unter den 30 DAX-Konzernen heute ein Konzern wie Vonovia zu finden ist, zeigt das, wie stark Wohneigentum nach dem weitgehenden Rückzug der nicht auf Profit ausgerichteten gemeinnützigen und öffentlichen Wohnungsgesellschaften aus dem Wohnungsmarkt zum Objekt der Kapitalverwertung geworden ist. Die Superreichen beeinflussen die Preisentwicklung durch Investitionen in solche Unternehmen wie Vonovia vermutlich weit stärker als durch den direkten Erwerb von Immobilien. Die Preisexplosion in Städten wie Frankfurt am Main lässt sich nämlich nicht mit letzterem erklären. Die wirklich reichen Frankfurter_innen wohnen traditionell überwiegend im Hochtaunus. Angesichts der zahlreichen sehr gut verdienenden Beschäftigten in Frankfurt ist der Immobilienmarkt dort aber von Anlage- und Spekulationsstrategien geprägt, die auf die Kauf- und Mietinteressen dieser sehr gut verdienenden Klientel und auf einen zunehmenden Bedarf an Gewerbeimmobilien setzen.

Auch hierbei spielen staatliche Entscheidungen eine wesentliche Rolle. Wie sehr der Staat Investoren wie Vonovia entgegenkommt, zeigen die sogenannten ‚Share-Deals‘ Bei diesen Geschäften können Investoren teure Immobilien erwerben, ohne dabei wie jeder normale ‚Häuslebauer‘ eine Grunderwerbsteuer in Höhe von – je nach Bundesland – 4,5 bis 6,5 Prozent der Kaufsumme entrichten zu müssen. Voraussetzung dafür ist nur, dass sie die Immobilie nicht direkt von einem Dritten kaufen, sondern Anteile an einer Gesellschaft übernehmen, in die die Immobilie zuvor eingebracht worden ist. Wenn diese Anteile nicht mehr als 94,9 Prozent ausmachen, bleibt der Verkauf ohne jegliche Belastung durch die Grunderwerbsteuer. Fünf Jahre nach dem Deal können die restlichen 5,1 Prozent dann auch grundsteuerfrei übernommen werden. Ein spektakulärer Fall war der Verkauf des Eurotowers der EZB in Frankfurt am Main im Jahr 2015, bei dem diese steuerliche Regelung genutzt wurde, um bei einem Kaufpreis von 480 Millionen Euro keinen einzigen Cent Grunderwerbsteuer zahlen zu müssen. Eigentlich wären in Hessen bei dieser Summe sonst knapp 29 Millionen Euro fällig geworden. Obwohl Fälle wie dieser immer wieder große öffentliche Empörung auslösen – gerade dort, wo die Menschen wie in Berlin, Frankfurt oder München unter Wohnungsmangel und den hohen Mieten leiden – und die Politik auch jedes Mal versichert, dieses Schlupfloch schnell schließen zu wollen, ist bis heute nichts passiert. Diese Regelung, die ausschließlich großen Investoren zugutekommt, ist weiter in Kraft. Die Einnahmeausfälle für die öffentlichen Kassen werden 2015 auf mindestens eine halbe Milliarde Euro pro Jahr geschätzt. Das dürfte noch sehr vorsichtig angesetzt sein. Allein für Berlin wird mittlerweile schon von 200 Millionen Euro jährlich ausgegangen.

Städte wie Frankfurt am Main weisen auf einen weiteren zentralen Punkt hin, den auch Forrest und Kolleg_innen ansprechen. Sie zeigen, dass es unterhalb der Superreichen und der sonstigen Reichen eine Schicht von sehr gut verdienenden Menschen gibt, die bereit und in der Lage sind, die geforderten Preise für Mietwohnungen oder Wohnungseigentum zu zahlen. Diese Bevölkerungsgruppe zählt ebenso wie die Reichen, wenn auch in deutlich geringerem Maße, zu den Gewinnern jener neoliberalen Politik, die, je nach Land, seit zwei bis vier Jahrzehnten zu enormen Einkommensunterschieden geführt hat.

Hier kommt nun wieder die Elitesoziologie ins Spiel. Sie bietet eine zentrale Erklärung für diesen Prozess. Der Erfolg des Neoliberalismus hängt nämlich auf das Engste zusammen mit der sozialen Rekrutierung der Eliten insgesamt und der politischen Eliten im Besonderen. Als Thatcher und Reagan ihre Ämter übernahmen, kam es nicht nur zu einer grundsätzlichen Wende in der Politik, sondern auch zu einer ebenso grundsätzlichen in der personellen Zusammensetzung der Regierungen. Während unter ihren Vorgängern Callaghan und Carter die Kabinettsmitglieder zu fast drei Vierteln aus der Arbeiterschaft und den Mittelschichten und nur zu gut einem Viertel aus der upper class und upper middle class stammten, drehte sich das Verhältnis mit dem Regierungswechsel um. Nun kamen drei Viertel bis sogar vier Fünftel der Kabinettsmitglieder aus der upper class oder upper middle class. Sie favorisierten qua Herkunft und den damit einhergehenden Einstellungen eine vollkommen andere Steuer-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik als die Vorgängerregierungen. Eine ähnliche Entwicklung, allerdings in jeder Beziehung weit weniger stark ausgeprägt, spielte sich dann knapp zwei Jahrzehnte später auch in Deutschland ab. Die von den politischen Eliten und den sozial genauso exklusiv zusammengesetzten Eliten der anderen wichtigen Sektoren forcierte neoliberale Politik führte zu jener Einkommens- und Vermögenskonzentration, die, je nach Land, seit zwei bis drei Jahrzehnten den Immobilienmarkt in den Großstädten prägt und den wesentlichen Grund für die soziale Spaltung dieser Städte bildet (Hartmann 2018b). Was auf nationaler Ebene gilt, trifft auch auf die lokale Ebene zu. Will man die Politik dort und die Unterschiede zwischen verschiedenen Städten konkret analysieren, muss die soziale Rekrutierung der lokalen Eliten, vor allem der politischen, ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen.

Wie wichtig es ist, zwischen verschiedenen nationalen und lokalen Eliten zu differenzieren – die dritte wichtige Anregung von Forrest und Kollegen –, zeigen auch zwei andere zentrale Aspekte. Erstens ist die Bindung der Eliten an staatliche Institutionen in Ländern wie China oder Russland viel stärker als in Nordamerika oder den westeuropäischen Staaten. Zweitens fällt ihre örtliche Konzentration in Ländern wie Frankreich und Großbritannien mit einer eindeutig dominierenden Hauptstadt völlig anders aus als in den USA oder Deutschland. Während die französischen und britischen Eliten und Superreichen weitgehend in den Großräumen von Paris und London residieren, ist die regionale und lokale Streuung in den USA und in Deutschland relativ groß. Eine Möglichkeit, solchen Differenzierungen genauer nachzugehen, bieten einmal internationale Vergleiche zwischen den Eliten (Hartmann 2016). Eine andere Möglichkeit sind lokale Elitenstudien an einem Ort, wie sie der – nicht aus der Eliteforschung kommende – schwedische Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Mikael Holmqvist in Djursholm, dem reichsten Stadtteil Stockholms und der reichsten Gemeinde Schwedens, durchgeführt hat. Holmqvist schildert in seinem 2017 erschienenen Buch sehr detailliert, welche Rolle einzelne exklusive Kommunen bei der Formierung nationaler Eliten spielen können, indem sie gemeinsame Lebensstile für die Angehörigen der verschiedenen Eliten prägen und bestimmte habituelle Anforderungen an sie stellen (Holmqvist 2017). Elite- und Stadtsoziologie könnten sich also durchaus befruchten, wenn man denn die Ergebnisse der jeweiligen Forschung wechselseitig zur Kenntnis nehmen würde.

Autor_innen

Michael Hartmann ist Soziologe mit dem Schwerpunkt Eliteforschung.

hartmann@ifs.tu-darmstadt.de

Literatur

Best, Heinrich / Higley, John (Hg.) (2017): The Palgrave Handbook of Political Elites. London: Palgrave Macmillan.

Bourdieu, Pierre (2004): Der Staatsadel. Konstanz: UVK.

Carroll, William K. (2010): The Making of a Transnational Capitalist Class. Corporate Power in the twenty-first Century. London/New York: Zed Books.

Forrest, Ray / Koh, Sin Yee / Wissink, Bart (2017): In search of the super-rich: Who are they? Where are they? In: Ray Forrest / Sin Yee Koh / Bart Wissink (Hg.), Cities and the Super-Rich. Real Estate, Elite Practices and Urban Political Economies. New York: Palgrave Macmillan, 1-18.

Hartmann, Michael (2016): Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende. Frankfurt/New York: Campus.

Hartmann, Michael (2018a): The international business elite: fact or fiction? In: Olaf Korsnes, / Johan Heilbron / Johannes Hjellbrekke / Felix Bühlmann / Mike Savage (Hg.), New Directions in Elite Studies. Abingdon/New York: Routledge, 31-45.

Hartmann, Michael (2018b): Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden. Frankfurt/New York: Campus (erscheint im September 2018).

Holmqvist, Mikael (2017): Leader Communities. The Consecration of Elites in Djursholm. New York: Columbia Press.

Korsnes, Olav / Heilbron, Johan / Hjellbrekke, Johannes / Bühlmann, Felix / Savage, Mike (Hg.) (2018): New Directions in Elite Studies. Abingdon/New York: Routledge.

Robinson, William I. (2004): A Theory of Global Capitalism. Production, Class, and State in a Transnational World. Baltimore/London: Johns Hopkins University Press.

Savage, Mike (2015): Social Class in the 21st Century. London: Pelican Books.

Sklair, Leslie (2001): The Transnational Capitalist Class. Oxford: Wiley-Blackwell.