Partizipation als Konsens

Die ‚68er‘-Bewegung und der Paradigmenwechsel in der Stadtplanung

Sebastian Haumann

Die Ausweitung der Beteiligungsmöglichkeiten gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften der ‚68er‘-Bewegung im Bereich der Stadtplanung. Demnach haben die städtischen Protestbewegungen im Gefolge von ‚68‘ Partizipationsrechte hart erkämpft und legten den Grundstein für einen Paradigmenwechsel in der Stadtplanung. Unbestritten gaben autokratisch agierende Stadtverwaltungen, selbstbewusste Politikerinnen und Politiker sowie undurchsichtige Immobiliengeschäfte Anlass zu Kritik, ohne die die Forderung nach mehr Partizipation kaum zu verstehen ist. Aber die Konfrontation zwischen ‚68ern‘ und dem ‚Establishment‘ wird deutlich überbewertet. Vielmehr war Partizipation um 1968 ein Konsensthema und, so meine These, setzte sich als neues Paradigma durch, weil es einen breiten Konsens gab, der die Forderung nach mehr Partizipation in der Stadtplanung trug.

In der historischen Forschung zur ‚68er‘-Bewegung wird schon seit längerem die konsequente Kontextualisierung der Protestbewegungen und ihrer Kritik gefordert (Reichardt 2008, Siegfried 2018). Die Betonung der Konfrontation, die die Erinnerung an ‚68‘ prägt, ist auch das Resultat einer spezifischen historiographischen Aufarbeitung. Von Anfang an haben ehemalige Aktivistinnen und Aktivisten, die sich im Gegensatz zum damaligen ‚Establishment‘ sahen, die Deutungshoheit über die historischen Ereignisse beansprucht (Gassert 2010). Das gilt auch für das Feld der Stadtplanung (Forum Stadt 2018). Deren oft konfrontativ vorgebrachte Kritik hat zwar zum Paradigmenwechsel und zur Etablierung partizipativer Verfahren beigetragen. Allerdings wird ihr Beitrag – und letztlich auch ihr Erfolg – nur verständlich, wenn die Protestbewegungen in breitere gesellschaftliche Wandlungsprozesse eingeordnet werden (Lenger 2005: 113, Haumann 2011). In der Kontextualisierung werden die entscheidenden Verbindungen und Überschneidungen sichtbar: Akteure und Institutionen, die unterschiedliche Positionen miteinander verbanden; Forderungen, die in Protestaktionen besonders zugespitzt waren, aber breite Zustimmung fanden; Themen, deren Bedeutung über die Protestbewegungen hinaus anerkannt wurde und Wertvorstellungen, die große Teile der Gesellschaft mit den ‚68ern‘ teilten.

Für den Konsens in der Partizipationsdebatte war insbesondere der Wert der Selbstbestimmung wichtig, der getragen vom Wertewandel seit den 1960er Jahren in den westlichen Gesellschaften zunehmend Anerkennung fand und als erstrebenswert galt. Dieser Wandel zeichnete sich bereits vor 1968 deutlich ab und beschleunigte sich zum Ende des Jahrzehnts (Dietz/Neumaier/Rödder 2014). Der Wertewandel tangierte auch Fragen der Stadtplanung, in der Selbstbestimmung in den rund zehn Jahren zwischen 1962 und 1973 zu einem zwar umstrittenen, aber unumstritten wichtigen Leitwert wurde (Haumann 2015).

Die amerikanischen Wurzeln der Partizipationsdebatte

Zu den ersten, die den Partizipationsbegriff in dem Sinne verwendeten, wie er später Eingang in die Stadtplanung fand, gehörte der US-Amerikanische SDS (Students for a Democratic Society), eine wichtige Vorläuferorganisation der ‚68er‘-Bewegung. 1962 erarbeiteten SDS-Mitglieder im wegweisenden Port Huron Statement das Konzept der participatory democracy, in dem es um die Ausweitung von Beteiligungsmöglichkeiten ging (Students for a Democratic Society 1962). In einer wirklich demokratischen Gesellschaft sollten Bürgerinnen und Bürger demnach ihren Willen nicht mehr nur in repräsentativen Wahlen kundtun, sondern in allen Lebensbereichen direkt mitbestimmen können. Als eigentliches Problem galt aber, dass große Teile der Bevölkerung überhaupt nicht in der Lage schienen, diese Rechte wahrzunehmen. Dabei knüpfte der amerikanische SDS an die Argumente der kritischen Theorie an, wonach der Konformitätsdruck in der kapitalistischen Gesellschaft Menschen politisch entmündigte (Gilcher-Holtey 1998). Die Diagnose spiegelte auch die Situation in den USA wider, wo insbesondere Afro-Amerikaner politisch diskriminiert wurden und kaum Anteil am wachsenden Wohlstand hatten. Gerade diese Gruppe musste zunächst in die Lage versetzt werden, sich politisch zu artikulieren, bevor das Ziel breiter politischer Teilhabe erreicht werden konnte. Partizipation setzte ‚empowerment‘ voraus und war auf diese Weise mit dem Recht auf Selbstbestimmung verschränkt.

Die soziale Ungleichheit und ethnische Diskriminierung in den Städten wurde in den 1960er Jahren zu einem dominanten gesellschaftspolitischem Thema in den USA, und es war ein Problem das auch die Stadtplanung zunehmend beschäftigte (Pritchett 2008). Die Frage war, wie durch planerische Maßnahmen einerseits der Zugang zu Bildung und Arbeitsplätzen verbessert werden konnte und andererseits die ‚Abwärtsspirale‘ der Verelendung aufgehalten werden konnte. In diesem Zusammenhang identifizierten Stadtsoziologen die politische Entmündigung ganzer Bevölkerungsgruppen als wesentliche Ursache des Problems. Die bisherige Stadtplanung habe das soziale Ungleichgewicht verschärft, weil die Stimmen von unterprivilegierten Gruppen keinerlei Gehör fanden (Gans 1962). Partizipation erschien im Umkehrschluss als geeignetes Instrument einer Stadtplanung, die soziale Ungleichheiten abbauen konnte wenn sie an die Bedürfnisse der Benachteiligten anknüpfte. Um die Betroffenen in die Lage zu versetzen, ihre Bedürfnisse so zu artikulieren, dass sie für die Stadtplanung nutzbar waren, entstanden Mitte der 1960er Jahre zahlreiche Konzepte, wie beispielsweise Paul Davidoffs ‚advocacy planning‘ (Davidoff 1965).

Auch wenn Davidoff und andere die Grundüberzeugungen des SDS geteilt haben, verstanden sie ihre Kritik als konstruktiven Beitrag zu einer neuen Planungspolitik, die Rückhalt im Weißen Haus hatte. Mit dem ‚War on Poverty‘, den Präsident Lyndon Johnson 1964 ausrief, schuf der US-Kongress gesetzliche Maßnahmen, die auf die politische Aktivierung der benachteiligten Bevölkerung abhoben. So genannte Community Action Councils sollten die Kommunalverwaltungen in Planungsfragen beraten und einen möglichst breiten Querschnitt der urbanen Unterschichten repräsentieren (von Hoffman 2000). Partizipation bedeutete hier, Menschen gezielt in die Lage zu versetzen, das Recht auf Selbstbestimmung wahrzunehmen, um zu einer Stadtplanung zu gelangen, die Armut und soziale Ungleichheit lindern sollte.

In der US-Amerikanischen Debatte der 1960er Jahre galt Partizipation also einerseits als erstrebenswertes Ziel und andererseits als Mittel, um soziale Ungleichheit zu überwinden – Partizipation war polyvalent. Dass verschiedene Akteure, vom SDS über engagierte Stadtforscher bis hin zur Bundesregierung, die Bedeutung partizipativer Verfahren betonten, zeugt – gerade wegen der unterschiedlichen Erwartungen, die damit verbunden waren – von der gesellschaftlichen Aufwertung der Selbstbestimmung. Selbstbestimmung reüssierte zugleich als Wert an sich und als Instrument, das für die Stadtplanung nutzbar gemacht werden konnte.

Bürgerbeteiligung als bundesrepublikanisches Konsensthema

Wie wichtig die USA für die Entwicklung der Bürgerbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland waren, wird oft übersehen (Klemek 2011). Die Kritik der bundesdeutschen ‚68er‘, die sich zuerst im Umfeld der TU Berlin an den Planungen für das Märkische Viertel und Kreuzberg festmachte, scheint vordergründig keine Verbindung in die USA aufzuweisen. Zu sehr war sie von einer neo-marxistischen Theoriebildung inspiriert, wonach der Stadtteil anstelle der Fabrik zum Ort des Klassenkampfes wurde. Die ‚proletarischen‘ Bewohnerinnen und Bewohner sollten dazu angeregt werden, ein Bewusstsein für die eigene Lage auszubilden und gegen die ‚herrschenden Klassen‘ mobilisiert werden (Reinecke 2014). Nach diesem Muster bildeten sich bald auch in anderen Städten Gruppen von ‚68ern‘ mit planungsbezogener Vorbildung, die die Lebensbedingungen in Sanierungsgebieten und Neubauvierteln zum Gegenstand der Auseinandersetzung machen wollten. Die Vorstellung von Selbstbestimmung, die diesem Konzept zugrunde lag, ging von einem Klassenantagonismus aus und war – auch wenn nicht alle dies strikt marxistisch verstanden – mit dem Ziel verknüpft, das kapitalistische System zu überwinden.

Für die weitere Entwicklung war jedoch der Einfluss derjenigen wichtig, die in den 1960er Jahren Erfahrungen mit der Stadtplanung in den USA gemacht hatten (Durth 2001). In Köln etwa betrieben Stephan Goerner, der bis 1969 in Aachen Architektur studiert hatte, und der Architekt Erich Schneider-Wessling, der nach Berufsstationen in den USA Mitte der 1960er Jahre zu einem der profiliertesten Kritiker der lokalen Stadtplanungspolitik geworden war, gemeinsam den Aufbau des Kölner Stadtforums. Das Kölner Stadtforum sollte zu einer Organisation werden, die Bürgerinnen und Bürger mobilisierte, um ein Gegengewicht gegen „undemokratische Verfahrensweisen der Verwaltung sowie gesellschafts- und umweltschädigende Beschlüsse des Stadtrats“ zu bilden (Kölner Stadtforum o. D.). Der Verwaltung und dem Stadtrat wurde insbesondere eine einseitige Orientierung an Kapitalinteressen unterstellt, die durch die Undurchsichtigkeit der Verfahren verschleiert werden sollte. Nur eine breite Beteiligung aufgeklärter und aktivierter Stadtbewohnerinnen und -bewohner konnte dem entgegenwirken.

In der Initiative zum Kölner Stadtforum verbanden sich die Erwartungen neo-marxistischer Provenienz, die vor allem auf den Widerstand aus Arbeitervierteln setzten, mit jenen, die Partizipation wie in den USA als Schlüssel zu sozialem Ausgleich und generell als Voraussetzung für eine emanzipierte demokratische Gesellschaft sahen. Sie einte die Überzeugung, dass der Übermacht von Kapitalinteressen in der Stadtplanung nur durch eine Erweiterung der Bürgerbeteiligung beizukommen sei. Auch wenn die Kritik an den Kapitalinteressen sehr unterschiedlich akzentuiert war, wurde sie um 1970 bis weit in das linksliberale Milieu geteilt (Haumann 2013).

Es war aber keineswegs nur ein gemeinsames Feindbild, das ansonsten recht unterschiedliche politische Lager in Fragen der partizipativen Stadtplanung zusammenbrachte. Auch die Betonung des Werts der Selbstbestimmung einte sie. Goerner erklärte „das Recht der Nutzer auf bestimmende […] Einflussnahme bei der Gestaltung ihrer Umwelt und damit ihrer wesentlichen Lebensbedingungen“ zu einem Wert an sich, dem die Verfahren der Stadtplanung angepasst werden müssten (Goerner/Schaller 1973: 2). So wie Goerner die Forderung – gemeinsam mit seinem Kollegen Christian Schaller für eine Ausstellung des Bund Deutscher Architekten – formuliert hatte, war sie in der politischen Landschaft der frühen 1970er Jahre kaum anstößig. Sie spiegelte ein breites gesellschaftliches Bedürfnis, den Wert der Selbstbestimmung in politischen Verfahren anzuerkennen. Goerner und Schaller meinten gar: „Demokratie, die als reine Wahldemokratie fungiert […] ist nicht überlebensfähig“ (Goerner/Schaller 1973: 2). In solchen Aussagen verbanden sich Erwartungen, die von der Stärkung der ‚Arbeiterklasse‘ bis zum Ideal des ‚mündigen Bürgers‘ reichten (Knoch 2007). Partizipationsforderungen konnten sowohl als Auftakt zum Klassenkampf als auch als Beitrag zur Stärkung der demokratischen Gesellschaft interpretiert werden.

Das Städtebauförderungsgesetz als Chance?

Als Willy Brandt im Bundestagswahlkampf von 1969 den Slogan ‚mehr Demokratie wagen‘ prägte, spiegelte er damit die gesellschaftliche Erwartung, Selbstbestimmungsrechte aufzuwerten und die Beteiligung an politischen Entscheidungen auszuweiten. Im Bereich der Stadtplanung mündete Brandts Ankündigung 1971 im Städtebauförderungsgesetz (StBauFG). In gewisser Hinsicht handelte es sich um ein hochgradig experimentelles Reformgesetz. Es knüpfte an jahrzehntelange Debatten über die Reform des Bodenrechts an und ließ nun in klar abgegrenzten Gebieten eine Planung zu, die keine Rücksicht auf Kapitalinteressen nehmen musste – zumindest in der Theorie des Gesetzes. Stattdessen wurde die Rolle von Bewohnerinnen und Bewohnern in den Planungsverfahren gestärkt, deren Beteiligung explizit vorgeschrieben wurde (StBauFG 1971). Gedacht war an Beteiligungsverfahren, die die Arbeit der repräsentativ gewählten Gremien ergänzen und zum Teil auch ersetzen sollten – ein Ansatz, der Ähnlichkeiten zur Rolle der US-Amerikanischen Community Action Councils aufwies.

In seinen Grundzügen übernahm das StBauFG damit die Polyvalenz des Partizipationsbegriffs, der auch die Debatte in den USA gekennzeichnet hatte, indem es Selbstbestimmung als Wert an sich und als Instrument einer emanzipatorischen Stadtplanung einführte. Dabei blieb das deutsche Gesetz in seinen konkreten Bestimmungen allerdings äußerst vage. Während die Unbestimmtheit des Gesetzes später zu einer Herausforderung für den Konsens wurde, schien sie zunächst große Chancen zu eröffnen.

In den Jahren 1971 bis 1973 versuchten Aktivistinnen und Aktivisten, die Bestimmungen des StBauFG ihrem Verständnis von Selbstbestimmung entsprechend auszugestalten. Goerner etwa plädierte dafür, die lokale Organisation der Bürgerbeteiligung dem Kölner Stadtforum zu übertragen. Tatsächlich musste der Eindruck entstehen, dass die Entwicklung von Beteiligungskonzepten durch Initiativgruppen von der Bundesregierung beabsichtigt war. Das Bundesbauministerium förderte Forschungsprojekte, in denen Bürgerinitiativen eine aktive Rolle spielten, und Aktivistinnen und Aktivisten veröffentlichten Beiträge zu Fragen der Bürgerbeteiligung in Publikationen des Ministeriums (Haumann 2015). Goerner selber lieferte einen Beitrag für das amtliche Bundesbaublatt, den Bundesbauminister Lauritz Lauritzen im Jahr darauf sogar in seinem programmatischen Sammelband Mehr Demokratie im Städtebau wiederveröffentlichte (Goerner 1972).

Freilich machte sich bald vielerorts Ernüchterung breit. Die Chancen, die das StBauFG bot, wurden in der Praxis kaum je so genutzt, wie es den Vorstellungen der ‚68er‘ entsprach. Vielmehr drohte der Konsens nach 1973 entlang der Konfliktlinien aufzubrechen, die in der Polyvalenz des Partizipationsbegriffs vorgezeichnet waren. Der Jurist Ulrich Battis brachte dies in einem kritischen Kommentar zum StBauFG auf den Punkt:

„Einerseits soll die Partizipation ein Mittel zur besseren Information planender Verwaltung und zur reibungsloseren Durchsetzung der Planung sein – Herrschaftsinstrument –, andererseits soll sie der Selbstbestimmung der Beplanten und damit dem Abbau von Herrschaft dienen“ (Battis 1976: 56).

Wenn die ‚68er‘ Hoffnungen in das StBauFG setzten, war das allerdings keineswegs so naiv, wie es sich im Rückblick vielleicht darstellt. In der historischen Situation um 1970 war es sinnvoll, radikale Grundüberzeugungen, seien sie explizit neo-marxistisch oder allgemein kapitalismuskritisch, in den breiteren Konsens über den Wert der Selbstbestimmung einzubetten. Gerade in den Jahren vor 1973 war es möglich, entsprechende Forderungen in politischer Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen und sozialliberalen Akteuren zu verfolgen, die ihrerseits die Debatte um die Ausweitung der Beteiligungsmöglichkeiten vorantrieben (Faulenbach 2004).

Erst als sich Mitte der 1970er Jahre das politische Klima in der Bundesrepublik wandelte, veränderten sich auch die Chancen, Partizipationsforderungen umzusetzen. Die großen gesellschaftspolitischen Reformpläne wichen einem neuen Pragmatismus, der wenig Raum für grundlegend neue Beteiligungskonzepte ließ, und die Planungspraxis orientierte sich meist an den Minimalanforderungen des StBauFG. Dennoch ergaben sich in dem von Pragmatismus geprägten politischen Klima der späten 1970er Jahre auch neue Möglichkeiten. In kleinteiligen Schritten und am jeweiligen Einzelfall orientiert wurden weiterhin Partizipationsverfahren ausprobiert und schließlich in eng umgrenzten Bereichen auch erfolgreich umgesetzt. In mitunter zähen Auseinandersetzungen über einzelne Planungsverfahren bildeten sich neue Instrumente der partizipativen Stadtplanung heraus. So konnten schließlich auch die zunehmend heftigen Konflikte, die 1981/82 in einer bundesweiten Welle von Hausbesetzungen gipfelten, erstaunlich konstruktiv bewältigt werden (Haumann 2011: 277-299). Der zu Beginn der 1970er Jahre erreichte Konsens trug, auch wenn er sich als Minimalkonsens entpuppte, noch bis in die 1990er Jahre stadtplanerische Strategien, die auf Partizipation setzten.

Fazit

Ziel des Beitrags war es, die Partizipationsforderungen, die aus den Reihen der ‚68er‘-Bewegung erhoben wurden, historisch zu kontextualisieren. Der Fokus lag auf den Verbindungen mit anderen Akteursgruppen bis hin zur Regierungsebene und den Überschneidungen zwischen den unterschiedlichen Erwartungen an eine breite Bürgerbeteiligung, die bis zum Beginn der Partizipationsdebatte in den USA zurückreichten. Vor allem für die formative Phase des neuen Paradigmas partizipativer Stadtplanung bis etwa 1973 waren diese Verbindungen und Überschneidungen entscheidend, um einen Konsens zu etablieren, der bis in die 1990er Jahre wirkmächtig blieb.

Der Beitrag der ‚68er‘-Bewegung zu dem stadtplanerischen Paradigmenwechsel wird durch die Kontextualisierung nicht geschmälert, wohl aber in Perspektive gesetzt. Der Wert der Selbstbestimmung, der der Partizipationsdebatte zu Grunde lag, fand zwar zunehmend breite gesellschaftliche Akzeptanz. Aber für die Aktivistinnen und Aktivisten war er von besonderer Bedeutung und wurde mit entsprechender Vehemenz vertreten. Dadurch trugen sie entscheidend dazu bei, die Debatte weiter voranzutreiben und Bürgerbeteiligung auch in der Planungspraxis einzufordern. Die ‚68er‘-Bewegung lässt sich demnach am besten als „Katalysator“ (Sedlmaier/Malinowski 2006) gesellschaftlicher Veränderungsprozesse im Bereich der Stadtplanung verstehen.

 

Wir danken für die Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und den Open-Access-Publikationsfonds der TU Darmstadt.

Autor_innen

Sebastian Haumann arbeitet im Bereich Stadt- und Umweltgeschichte

haumann@pg.tu-darmstadt.de

Literatur

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