Smart City: Zwischen Utopie und Dystopie

Rezension zu Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.) (2018): Smart City - Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Digitale Technologien, Raumproduktion, Intervention. Bielefeld: Transcript.

Ariane Sept

Die Beschäftigung mit Smart-City-Ansätzen bewegt sich häufig zwischen zwei Polen: Die einen sehen darin „eine erstrebenswerte Utopie von hoher Lebensqualität im Alltag, die anderen eine Dystopie der fremdgesteuerten Überwachung und Kontrolle“ (Bauriedl/Strüver 2018: 12). Sybille Bauriedl und Anke Strüver wollen zwischen diesen beiden Extremen vermitteln. Die Notwendigkeit dafür haben sie schon 2017 in der s u b \ u r b a n geschildert, wo sie eine Vertiefung der „Aufmerksamkeit für soziale Dimensionen digitaler Technologien in Städten“ ebenso forderten wie „ermächtigende Nutzungsformen in den Blick zu nehmen, die urbane Praxis jenseits von Stadt- und Selbstoptimierung ermöglichen“ (Bauriedl/Strüver 2017: 100). Diesem Anspruch kommen sie nun mit dem vorliegenden Sammelband selbst nach und fragen nach „Raumwahrnehmungen und Raumnutzungen durch smarte Infrastrukturen in Städten“ sowie „alternativen und emanzipativen Nutzungen digitaler Infrastrukturen jenseits ökonomischer Datenverwertungsinteressen“ (Bauriedl/Strüver 2018: 11). Zudem fordern sie eine gesellschaftliche Debatte, in der Zukunft nicht nur als durch Technologie bestimmt wahrgenommen, sondern durch politische Entscheidungen und gesellschaftliche wie individuelle Aushandlungen gestaltet wird. Kritik ist für Bauriedl und Strüver ein Weg, in gesellschaftliche Entwicklungen einzugreifen und „affirmativen Beiträgen, die sich an den Kontrollinteressen von globalen IT-Unternehmen und unternehmerischer Stadtpolitik orientieren, etwas entgegenzusetzen“ (ebd.: 14.), ohne grundsätzlich technologiefeindlich zu sein. So zieht sich durch fast alle Beiträge der Anspruch, Digitalisierung für alternative Vorstellungen im Sinne einer gerechten Stadt zu nutzen, dabei die Dominanz von IT-Konzernen kritisch in den Blick zu nehmen und auch Stadtverwaltungen davor zu warnen, sich in eine Abhängigkeit von diesen Unternehmen zu begeben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang zunächst ein kurzer Rückblick der Herausgeberinnen auf Veröffentlichungen aus den 1980er und 1990er Jahren zu den damals erwarteten Auswirkungen der Telematik auf räumliche Entwicklungen (ebd.: 16 f.). Bauriedl und Strüver fällt insbesondere auf, dass der Einfluss von IT-Unternehmen darin systematisch unterschätzt wurde. Für die Rezensentin mindestens genauso spannend ist jedoch die Frage, ob einige der in jenen Jahren erwarteten Auswirkungen zeitverzögert eintreten werden. So ist noch nicht entschieden, welche Bedeutung dem ländlichen Raum in den nächsten Jahren tatsächlich zukommen wird und ob Digitalisierung nicht doch noch zu verstärkter „Suburbanisierung von Dienstleistungsunternehmen und einem Bedeutungsgewinn ländlicher Wohnquartiere durch Teleheimarbeit“ (ebd.: 17) führen wird. Erste Initiativen zu Co-Working auf dem Land und das Ausloten neuer Möglichkeiten durch digitale Technologien vor dem Hintergrund der „aktuelle[n] Lust am Ländlichen“ (Baumann 2018: 17) deuten eine neue Attraktivität des ländlichen Raums an. Hier zeigt sich aber vor allem, dass allein die Einleitung schon lesenswert ist, um nicht nur einen Einstieg in das Thema zu bekommen, sondern sofort mit neuen Fragen anzuschließen.

Auf die Einleitung folgen 25 Beiträge, die in vier Teile geordnet sind: „Politiken der Raum- und Wissensproduktion in Smart Cities“, „Neue Verbindungen digitaler und anderer Technologien“, „Digitale Governance und Interventionen“ und „Digitale Urbanisierung und Transformation“. Die thematische und räumliche Bandbreite der oft eher kurzen Beiträge reicht von der Beschäftigung mit digitalen Assistenzen im smart home (Marquardt 2018: 285 ff.) über Gesundheitsmonitoring (Füller 2018: 211 ff.), Sicherheitsversprechen von smarten Technologien (Runkel 2018: 127 ff.), intelligente Stromnetze (Baasch 2018: 299 ff.) und Selbst- sowie Stadtoptimierung als smart bodies und smart cities (Lindner 2018: 161 ff.) bis hin zu Auseinandersetzungen mit der Selektivität von Algorithmen (Kropp 2018: 33 ff.) oder smartem Urbanismus im Spiegel von Urbanität und städtischer Vergesellschaftung (Frank/Krajewsky 2018: 63 ff.). Dazu kommen Beiträge, die theoretische Konzepte für Smart-City-Kritik nutzbar machen. So entwickeln Marit Rosol, Gwendolyn Blue und Victoria Fast eine kritische Sicht auf Smart-City-Konzepte anhand der Gerechtigkeitstheorie von Nancy Fraser (Rosol/Blue/Fast 2018: 87 ff.) und Joe Shaw und Mark Graham fragen nach einem informationellem Recht auf Stadt im Sinne Lefebvres (Shaw/Graham 2018: 177 ff.).

Immer wieder kommen unterschiedliche Autor_innen kritisch darauf zu sprechen, dass Smart-City-Konzepte an Rationalität (z. B. Frank/Krajewsky 2018: 67) und Effizienz (z. B. Füller 2018: 212) orientierte Lösungen für städtische Probleme präsentieren, die insbesondere aus steigenden Bevölkerungszahlen und einer damit einhergehenden größeren Dichte resultieren. Diese Lösungsstrategien werden vor allem – und berechtigterweise – aufgrund der damit einhergehenden Abhängigkeit von globalen IT-Konzernen, Kontrollverlust über eigene Daten, die Reduktion von Stadt auf Planbarkeit und Technik sowie den vermeintlich naiven Umgang damit kritisiert. Die vorgestellten Alternativen hingegen beziehen sich kaum auf dieselben städtischen Probleme, sondern auf die Kritik der technischen Lösungen. So wird beispielsweise auf die Macht von Commoning-Strategien (Frank/Krajewsky 2018: 72; Shaw/Graham 2018: 196) und mikropolitischen Aktionen wie jene von Anonymus (ebd.: 194) als kleinräumige, lokale Maßnahmen verwiesen, die sich eben nicht von globalen Playern abhängig machen. Die präsentierten Alternativen sind zweifelsohne bedeutsam, wenn es darum geht, Bürger_innen als aktive Stimmen der Stadtentwicklung zu ermächtigen und sollten dringend ernst genommen werden. Sie helfen jedoch noch nicht dabei, die Probleme des Stadtmanagements heutiger Großstädte zu lösen. Um Mobilitäts-, Ver- oder Entsorgungsfragen zu lösen, setzen aktuelle Smart-City-Ansätze oft auf die Erhebung von Quasi-Echtzeit-Informationen durch Sensorik, mit dem Ziel einer Effizienzsteigerung durch technische Selbststeuerung städtischer Prozesse. Henning Füller bringt diese Ambivalenz auf den Punkt, wenn er schreibt:

„Das Effizienzargument ist angesichts steigender Bevölkerungszahlen in Städten und abnehmender Ressourcen fraglos überzeugend. Problematisch ist jedoch die mit dieser Perspektive eingehandelte ‚Wahrheit‘ des Städtischen, d. h. die zugrunde liegende Konzeption von Stadt als ein komplexes sozio-technisches System“ (Füller 2018: 212).

Weitere vorgestellte Beispiele betreffen unter anderem das seit 2001 in Deutschland existierende Freifunknetz oder eine Anti-Evicting-Mapping-Gruppe in San Francisco, anhand derer Thomas Böker und Ulf Treger Möglichkeiten von Digital Citizenship zeigen und „eine fundamental neue Idee einer vernetzten Stadt“ (Böker/Treger 2018: 273) fordern. Sören Becker stellt das Open Knowledge Lab Berlin als Beispiel vor, das helfen kann, „an einer Digitalisierung der Stadt jenseits wirtschaftlicher Interessen und Datenkontrolle mitzuwirken“ (Becker 2018: 259).

Insgesamt fällt über große Strecken des Buches auf, dass zwar immer wieder die Abhängigkeit von globalen Unternehmen und wirtschaftlichen Interessen ganz allgemein kritisiert wird, empirische Untersuchungen lokaler Smart-City-Ansätze, die dies belegen, jedoch fehlen. Erst die beiden letzten Beiträge widmen sich konkreten Smart-City-Ansätzen in europäischen Großstädten (Exner/Cepoiu/Weinzierl zu Wien, Berlin und Barcelona, Späth/Knieling zu Hamburg). Anhand einer Diskursanalyse zeigen Andreas Exner, Livia Cepoiu und Carla Weinzierl dann auf, „dass Städte keineswegs so genannten globalen Entwicklungen wie z. B. technologischen Trends oder der Macht von Konzernen ausgeliefert sind, wenngleich solche Faktoren die Stadtentwicklung beeinflussen“ (Exner/Cepoiu/Weinzierl 2018: 342). Dies deckt sich mit Einschätzungen anderer Experten, wonach zumindest in Deutschland „derzeit nicht erkennbar [ist], dass die Kommunen einem Verständnis smarter Urbanität naiv aufsitzen würden“ (Libbe 2019). Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen hebt gar hoffnungsvoll hervor: „Eine wachsende Zahl von Städten investiert aktiv in dezentrale digitale urbane Plattformen, offene Architekturen und Gemeinwohlorientierung“ (WBGU 2019: 16).

Auf der anderen Seite betrachten Philipp Späth und Jörg Knieling anhand des EU-geförderten Projektes mySMARTLife in Hamburg den Einfluss der ‚EU Smart City-Agenda‘ einschließlich der dahinter stehenden Governance-Form des Städtewettbewerbs auf lokale Planungsprozesse. Sie diagnostizieren eine problematische Verschiebung der Beteiligten zugunsten „Public-private Partnerships, individuelle User und Stakeholder anstelle zivilgesellschaftlicher Organisationen“ (Späth/Knieling 2018: 354) und sehen in diesen „Partizipationsmöglichkeiten von nur beschränkter Tiefe“ (ebd.) ein Risiko für die repräsentative Demokratie. So kann man festhalten, dass im Rahmen von Smart-City-Ansätzen Governanceprozesse ganz besonders genau zu beobachten und aktiv kritisch zu begleiten sind, wobei vor allem die Zivilgesellschaft nicht aus dem Blick geraten darf.

Im Sinne dieser Forderung ist das vorliegende Buch ein wertvoller Beitrag. Leider erschließen sich der Zusammenhang zwischen den Kapiteltiteln und dem Inhalt der Beiträge sowie die gewählte Reihenfolge nicht durchgängig. Hier wäre ein stärkerer Zusammenhang zwischen den in der Einleitung aufgemachten Perspektiven und der Gliederung wünschenswert. Vor dem Hintergrund oben genannter Forderung der Herausgeberinnen nach dem Eingreifen in politische Debatten ist beispielsweise schwer nachzuvollziehen, warum ausgerechnet Aufsätze zu digitaler Governance und die genannten Beiträge zu konkreten Smart-City-Ansätzen (Exner/Cepoiu/Weinzierl und Späth/Knieling) so weit hinten im Buch angesiedelt sind. Diese Kritikpunkte schmälern jedoch nicht den Wert des Bandes an sich. Das anfangs gemachte Versprechen einer kritischen Auseinandersetzung mit Digitalisierung und Stadt wird durchgehend erfüllt. Somit kann das Buch allen empfohlen werden, die sich mit einzelnen Aspekten städtischer Digitalisierung beschäftigen oder überhaupt erst einmal die thematische Breite von Smart-City-Kritik erkunden wollen.

Abschließend sei mir noch eine Bemerkung zum Buch als physischem Objekt erlaubt: Passend zum Thema konnte der Verlag nur ein digitales Rezensionsexemplar zur Verfügung stellen, da das Kontingent für gedruckte Exemplare schon ausgeschöpft war. Zwar ist dies ein Hinweis darauf, dass das Buch offenbar großes Interesse weckt, allerdings kann ich daher an dieser Stelle leider keine Aussage zu den haptischen Qualitäten des Bandes treffen, womit ich Rezensionen anderswo immer wieder gern beendet habe, um auch diejenigen zu würdigen, die an der Produktion des Buches mitgewirkt haben.

Die Publikation dieses Beitrags wurde durch Mittel des Open-Access-Publikationsfonds des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung gefördert.

Autor_innen

Ariane Sept ist soziologisch geprägte Stadt- und Regionalforscherin und forscht derzeit zu Digitalisierung und ländlichen Räumen.

ariane.sept@leibniz-irs.de

Literatur

Baasch, Stefanie (2018): Smart und angepasst? Konsument*innen im digitalisierten Stromnetz. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 299-308.

Baumann, Christoph (2018): Idyllische Ländlichkeit. Eine Kulturgeographie der Landlust. Bielefeld: transcript.

Bauriedl, Sybille / Strüver, Anke (2017): Smarte Städte. Digitalisierte urbane Infrastrukturen und ihre Subjekte als Themenfeld kritischer Stadtforschung. In: sub\urban 5/1-2, 87-104.

Bauriedl, Sybille / Strüver, Anke (Hg.) (2018): Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Digitale Technologien, Raumproduktion, Intervention. Bielefeld: transcript.

Becker, Sören (2018): Coding for the Common Good? Aktivitäten einer Open-Data-Initiative. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 249-260.

Böker, Thomas / Treger, Ulf (2018): Gemeinschaftliche Infrastrukturen, digitale Souveränität und Gegenerzählungen. Projekte einer Digital Citizenship. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 261-274.

Exner, Andreas / Cepoiu, Livia / Weinzierl, Carla (2018): Smart City Policies in Wien, Berlin und Barcelona. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 333-344.

Frank, Sybille / Krajewsky, Georg (2018): Smarter Urbanismus und Urbanität. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 63-74.

Füller, Henning (2018): Steuerung aus den Daten selbst? Zur Erkenntnisweise algorithmischer Mustererkennung am Beispiel Gesundheitsmonitoring. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 211-222.

Kropp, Cordula (2018): Intelligente Städte. Rationalität, Einfluss und Legitimation von Algorithmen. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 33-42.

Libbe, Jens (2019): Lost in Transformation. Rezension zu Smart City. Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten“ von Sybille Bauriedl und Anke Strüver (Hg.). https://www.soziopolis.de/lesen/buecher/artikel/chancen-und-risiken-der-smart-city (letzter Zugriff am 12.4.2019).

Lindner, Peter (2018): Smart Cities – Smart Bodies? In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 161-175.

Marquardt, Nadine (2018): Digital assistierter Wohnalltag im smart home. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 285-298.

Rosol, Marit / Blue, Gwendolyn / Fast, Victoria (2018): „Smart“, aber ungerecht? Die Smart-City-Kritik mit Nancy Fraser denken. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 87-98.

Runkel, Simon (2018): Smarter Bevölkerungsschutz? Risiko- und Sicherheitskommunikation zwischen Warnung und Werbung. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 127-138.

Shaw, Joe / Graham, Mark (2018): Ein informationelles Recht auf Stadt? Code, Content, Kontrolle und die Urbanisierung von Information. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 177-204.

Späth, Philipp / Knieling, Jörg (2018): Endlich Smart-City-Leuchtturm. Auswirkungen des EU-Projektes mySMARTLife auf die Planungspraxis in Hamburg. In: Sybille Bauriedl / Anke Strüver (Hg.), Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bielefeld: transcript, 345-356.

WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) (2019): Unsere gemeinsame digitale Zukunft. Zusammenfassung. https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/hauptgutachten/hg2019/pdf/WBGU_HGD2019_Z.pdf (letzter Zugriff am 16.4.2019).