Keine Angst, es ist nur Gentrification?

Soziale und ökonomische Ängste, Kriminalitätsfurcht und Verdrängungsdruck im Düsseldorfer Bahnhofsviertel

Jan Üblacker, Tim Lukas

Einleitung

Die jüngeren Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten einerseits und die sozioökonomische sowie soziokulturelle Differenzierung der Wohnungsnachfragenden andererseits erzeugen in den Städten und dort insbesondere in einigen Teilgebieten sehr dynamische Aufwertungs- und Veränderungsprozesse der sozialen, baulichen und gewerblichen Strukturen. Derartige Aufwertungsprozesse von unterschiedlicher Intensität und Dynamik wurden in den frühen 1990er-Jahren zunächst in einigen wenigen innerstädtischen Gebieten beobachtet, haben sich mittlerweile jedoch zu einem flächendeckenden Phänomen in zahlreichen deutschen Städten entwickelt (Döring/Ulbricht 2016, Holm 2014, Holm/Schulz 2016, Üblacker 2018, Wallasch 2016, Warmelink/Zehner 1996). Auch weiterhin verlaufen die Prozesse der Gentrification in innerstädtischen und innenstadtnahen Gebieten besonders intensiv und tragen durch die entstehenden Verdrängungs- und sozialräumlichen Schließungsdynamiken zur Peripherisierung ärmerer und benachteiligter Bevölkerungsgruppen bei (Kronauer/Siebel 2013). Es ist davon auszugehen, dass insbesondere die statusniedrigeren Bevölkerungsgruppen noch vor ihrer physischen Verdrängung aus dem Aufwertungsgebiet verschiedenen Belastungen ausgesetzt sind. Diese sind auf der einen Seite bedingt durch die sozialstrukturelle Benachteiligung und die baustrukturellen Defizite des Gebiets. Auf der anderen Seite kann sich der einsetzende Aufwertungsprozess selbst zu einer Belastung entwickeln, wenn sich zum Beispiel das lokale Gewerbe wandelt, Baulärm zunimmt oder die Mieten steigen.

Vor diesem Hintergrund geht dieser Beitrag der Frage nach, wie sich die Belastungen durch soziale Benachteiligung, Kriminalität und Verdrängungsdruck aus Sicht der Bevölkerung darstellen und welche sozialen und ökonomischen Ängste hiermit verbunden sind. Wir beantworten diese Frage am Fallbeispiel des Düsseldorfer Bahnhofsviertels, welches sich derzeit in einer frühen Phase der Gentrification befindet. Die nachfolgenden Abschnitte stellen die Forschungsfrage in den Kontext von Rechtspopulismus und Gentrification und erläutern den theoretischen Hintergrund. Nach einer Darstellung des Untersuchungsgebiets werden die auf Grundlage einer Bewohnerumfrage und aus Expertengesprächen gewonnenen Erkenntnisse beschrieben und die von der Bevölkerung wahrgenommenen Belastungen (Kriminalitätsfurcht, soziale und ökonomische Unsicherheiten, Verdrängungsdruck) im Hinblick auf ihre stadtpolitischen Folgen diskutiert.

Zum Forschungszusammenhang von Gentrification und Rechtspopulismus

Wir stellen die These auf, dass die Bevölkerung in den Bahnhofsvierteln im Vergleich zu der des übrigen Stadtgebietes besonderen Belastungen ausgesetzt ist. Im Allgemeinen können Personen alltägliche Ängste, Kriminalitätsfurcht und Verdrängungsdruck in unterschiedlich starker Ausprägung und zunächst unabhängig vom Wohnstandort wahrnehmen. Im speziellen Fall des Düsseldorfer Bahnhofsviertels überprüfen wir, ob aufgrund der in der Beschreibung des Untersuchungsgebietes skizzierten sozialen und ökonomischen Entwicklungen die genannten Belastungen bei den dortigen Bewohner_innen besonders stark ausgeprägt sind.

In den von Aufwertung betroffenen Gebieten ist häufig ein ambivalentes Verhältnis zwischen lokaler Bevölkerung, Politik und Verwaltung zu beobachten. Aufseiten der betroffenen Bevölkerung formieren sich Mieter_inneninitiativen, Anti-Gentrification-Proteste und Forderungen nach staatlicher Regulierung, während aufseiten der Stadtentwicklungspolitik eine Aufwertung einzelner Gebiete mitunter wünschenswert sein kann. Einigen Kommunen gelingt ein gestaltender Umgang mit Gentrification unter den Bedingungen langwieriger politischer Willensbildung, über lange Zeit eingesparter personeller und finanzieller Ressourcen in den kommunalen Verwaltungen und der dadurch eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten nur bedingt, sofern aus Verwaltungssicht überhaupt ein Eingreifen notwendig erscheint (vgl. Franke et al. 2017 zum kommunalen Umgang mit Gentrifizierung). Aus Sicht wiederum anderer stadtpolitischer Akteur_innen ist Gentrification eine Stadtentwicklungsstrategie, die zum Beispiel durch wohnungspolitische Maßnahmen in Gang gesetzt und gefördert werden kann. Bei den betroffenen Bewohner_innen in den Aufwertungsgebieten können die (Ohn-)Macht, das (Un-)Vermögen oder auch der (Un-)Wille von Politik und Verwaltung in Kombination mit individuellen Unsicherheitsempfindungen die Gefahr eines Vertrauensverlusts in etablierte politische Akteur_innen hervorrufen, wenn diese nicht entsprechende Maßnahmen einleiten (können). Einige Forschungen deuten die Folgen solcher Entwicklungen an, die sich zum Beispiel in einer geringeren Wahlbeteiligung oder der Formierung sozialer Bewegungen manifestieren (Gestring et al. 2014, Knotts/Haspel 2006).

Die entstandenen Vertrauenslücken und Ängste können zur Entstehung beziehungsweise Verfestigung rechtspopulistischer Einstellungen beitragen und bieten damit Potenziale für populistische Politikansätze, die die Ängste und den Unmut der Betroffenen nutzen, um ökonomische Verteilungsfragen zu Konflikten zwischen Gewinner_innen und Verlierer_innen von Stadtentwicklungsprozessen umzudeuten und diese dann weiter zu schüren (vgl. Uitermark/Duyvendak 2008, am Beispiel von Rotterdam). Demnach wären insbesondere die durch Gentrification benachteiligten Bevölkerungsgruppen besonders anfällig für eine Vereinnahmung durch populistische Akteur_innen in einem Themenfeld, dessen alltagsweltlich-politische Ausdeutung traditionell in der politischen Linken stattfindet (vgl. dazu auch Eribon 2016). Der häufig kolportierte Eindruck, dass die Zusammenarbeit zwischen kommunaler Verwaltung, Stadtpolitik und Immobilienunternehmen einzig wirtschaftlichen Interessen folgt, würde die Politikverdrossenheit der betroffenen lokalen Bevölkerung insofern noch weiter verstärken.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die von der betroffenen Bevölkerung empfundenen Ängste und Belastungen zentrale Elemente einer populistischen und auf gesellschaftliche Spaltung ausgerichteten Stadtpolitik sein können. Unklar ist aber bisher, ob und inwieweit gesellschaftliche und sozialräumliche Veränderungen diese Ängste bedingen. Am Beispiel der Landeshauptstadt Düsseldorf und der dortigen Entwicklungen im Bahnhofsumfeld geht der Beitrag der Frage nach, wie sich besondere sozialräumliche Belastungen und Ängste aus Sicht der Bevölkerung darstellen und wie diese im Kontext allgemeiner gesellschaftlicher Unsicherheit einzuordnen sind.

Gentrification, Kriminalitätsfurcht und Verdrängungsdruck im Kontext sozialer und ökonomischer Unsicherheit

Bislang wurde das Verhältnis von Gentrification und Kriminalitätsfurcht nur unzureichend erforscht. Während zum Einfluss der Gentrification auf die registrierte Kriminalität inzwischen einige – wenngleich widersprüchliche – empirische Befunde vorliegen (Barton/Gruner 2016, Lee 2010, Papachristos et al. 2011), untersucht allein Georgia Alexandri (2015) die Beziehung von Kriminalitätsfurcht und Gentrification. Vor dem Hintergrund der griechischen Finanzkrise legt sie dar, wie sich in ökonomischen Krisenzeiten bei den urbanen Mittelschichten diffuse Ängste vor dem „unwanted ‚other‘“ ausbilden, die schließlich dazu führen, dass marginalisierte Gruppen wie Arme, Suchtkranke und Angehörige religiöser oder ethnischer Minderheiten unter wachsenden Verdrängungsdruck geraten, da sie aus der Perspektive der Gentrifier_innen unmittelbar mit Kriminalität und sozialer Unordnung in Verbindung gebracht werden (ebd.: 1637). Die verunsicherte Mittelschicht versucht demnach, ihr Viertel durch baulich-künstlerische, aber auch durch repressive Maßnahmen aufzuwerten, um auf diese Weise die ungewollten Anderen aus dem Stadtteil zu verdrängen.

Auf die Bedeutung polizeilicher Strategien und Praktiken in diesem Kontext verweist Jenny Künkel (2013). Am Beispiel der Prostitution im Frankfurter Bahnhofsviertel zeigt sie, wie die Polizei den Wünschen beschwerdemächtiger Anwohner_innen und Gewerbetreibender nachkommt und mit verschärften Kontrollen dazu beiträgt, den öffentlichen Raum durch die Verdrängung von Sexarbeiter_innen aufzuwerten, um auf diese Weise die notwendigen Voraussetzungen für Prozesse der Gentrification zu schaffen. Nina Persak und Anna Di Ronco (2018) betrachten Gentrification daher folgerichtig als einen Prozess und ein Instrument der Sozialkontrolle, mit dem insbesondere „als bedrohlich erscheinende […] Personen, [die] direkt mit abweichenden Verhaltensweisen in Beziehung gesetzt werden können“ (Häfele 2013: 241), zunehmend aus der Wahrnehmung ausgeschlossen werden. Gentrification kann aus dieser Perspektive als Reaktion auf eine wachsende Furcht vor der Konfrontation mit abweichendem Verhalten betrachtet werden, die „als Ausdruck einer amorphen Verunsicherung […] auf Kriminalität umgelenkt wird“ (Hirtenlehner/Sessar 2017: 174).

Kriminalitätsfurcht lässt sich daher kaum von anderen Ängsten abgrenzen. Vielmehr stellt die Angst vor dem Verbrechen nur eine Facette eines allgemeinen, soziale und ökonomische Unsicherheiten umfassenden Empfindens dar. Allgemeine Lebensängste der Mittelschicht, wie etwa die Sorge vor steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten, werden auf Kriminalität projiziert, um auf diese Weise die weniger greifbaren Probleme gesellschaftlicher Transformationsprozesse artikulierbar und kommunizierbar zu machen. In den Gebieten der Gentrification erodieren unter den Bestandsbewohner_innen soziale Netzwerke und kleinräumliche soziale Beziehungen, was sich zusätzlich auf die Wahrnehmung von Unsicherheit auswirkt. Im sogenannten Generalisierungsansatz (Hirtenlehner 2006) wird Kriminalitätsfurcht daher nicht länger als ein singuläres Konstrukt betrachtet, sondern als in die Sorgen und Unsicherheiten des alltäglichen Lebens eingebettet, die auch die Angst vor der Verdrängung und die damit einhergehenden sozialen Folgen umfassen.

Peter Marcuse (1985: 208) unterscheidet zwischen verschiedenen Formen der Verdrängung: „direct last-resident displacement, direct chain displacement, exclusionary displacement, and displacement pressure“. Displacement pressure – der Verdrängungsdruck – kann demnach über die tatsächlichen Veränderungen in einem Gebiet sowie über deren Wahrnehmung durch die Bewohner_innen erhoben werden. Dabei unterscheidet er zwischen den Wahrnehmungen (1) des sozialen Wandels, (2) der baulichen Umgebung und (3) der gewerblichen Strukturen (Marcuse 1985: 204ff.).

Mit dem Austausch und der Verdrängung statusniedrigerer Bewohner_innen durch statushöhere steigt auch der Grad der horizontalen sozialen Differenzierung der lokalen Bevölkerung etwa entlang von Milieus und Lebensstilen (Blasius 1993). Die Bewohner_innen nehmen den Wandel und die Differenzierung über das Erscheinungsbild und die Verhaltensweisen der Personen wahr, die in das Gebiet zuziehen oder neuerdings ihre Freizeit dort verbringen. Einige Studien beschreiben, wie Alteingesessene über Unverständnis, Frustration und Spannung im Kontakt mit sozioökonomisch Bessergestellten berichten, woraufhin sie eine defensive Haltung einnehmen und sich zunehmend von den Neuzuziehenden abgrenzen, um ihre eigene Identität zu schützen (Alisch/zum Felde 1990, Valli 2015). Fortschreitende Marginalisierung wird dabei auch anhand des Verlustes von Treffpunkten und der schleichenden Erosion lokaler sozialer Netzwerke erfahren (Cole 2013, Jefferey 2018, Küppers 1996).

Bewohner_innen beschreiben verschiedene Veränderungen der gebauten Umwelt, die Unsicherheitsgefühle und Verdrängungsdruck auslösen können. Sanierungen und Neubauten zählen zu den am weitesten verbreiteten Indikatoren der baulichen Aufwertung, wenngleich bei größeren, ikonischen Bauvorhaben die Bewertung durch die Bevölkerung nicht immer negativ sein muss. Entscheidender sind aus Sicht der Bewohner_innen die wahrgenommenen Zugewinne für die eigene Lebensqualität und das Wohnumfeld (Doucet et al. 2011). Verdrängungsdruck kann durch verschiedene Strategien von Wohnungseigentümer_innen, Makler_innen oder Entwickler_innen entstehen, wenn diese zum Beispiel Kaufangebote unterbreiten, häufig Besichtigungen durchführen oder Instandsetzungsarbeiten auf die Mieter_innen umlegen. Insbesondere über lange Zeit eingeforderte Wohnumfeldverbesserungen rufen bei alteingesessenen Bewohner_innen Frustration und Wut hervor, wenn diese zum Anlass der eigenen Verdrängung werden (Newmann/Wyly 2006, Valli 2015).

Im Hinblick auf die wahrgenommenen Veränderungen und den empfundenen Verdrängungsdruck kommt dem lokalen Gewerbe eine Doppelfunktion zu. Neben dem bereits angesprochenen Verlust von Treffpunkten verschlechtert sich mit der gewerblichen Aufwertung auch die Versorgungssituation der einkommensschwächeren Bevölkerungsgruppen (Cole 2013, Newman/Wyly 2006). Die neuen Geschäfte, die dort angebotenen Waren und Dienstleistungen, die Preise, die Ästhetik und die Kundenansprache werden von den alteingesessenen Gruppen als ungewohnt und fremdartig beschrieben. Zwar schätzen viele Bewohner_innen die Steigerung der Lebensqualität, die mit der Eröffnung der neuen Geschäfte entsteht, aber nur wenige von ihnen können das sehr spezialisierte und teure Angebot auch selbst nutzen (Valli 2015). Mit der Veränderung von Orten, mit denen die alteingesessenen Bewohner_innen zahlreiche Erfahrungen, Bekanntschaften und Erwartungen verbinden, geht auch ein Verlust lokaler Zugehörigkeit und Vergemeinschaftung einher, der den persönlichen Bezug zur Nachbarschaft mindert und letztlich Gefühle der Entfremdung hervorruft (Cole 2013, Shaw/Hagemans 2015).

Die meisten Studien zur subjektiven Wahrnehmung von Verdrängung geben die Perspektiven alteingesessener Gruppen wieder und konzentrieren sich auf deren Marginalisierungserfahrungen, während der überwiegende Teil der deutschen Forschung über lange Zeit der Tradition folgte, den Aufwertungsprozess über die relativen Anteile statushöherer Gruppen (in der Regel Pionier_innen und Gentrifier_innen) in einem Gebiet zu messen. Deren subjektive Wahrnehmung und Erfahrungen wiederum blieben weitestgehend unberücksichtigt (vgl. Üblacker 2018). Jüngst widmete sich eine Reihe von qualitativen Arbeiten verstärkt der Perspektive der von Verdrängung bedrohten Bevölkerungsgruppen (vgl. Helbrecht 2016). Aufgrund der hohen methodischen Anforderungen bei der Messung von Verdrängungsprozessen fällt eine präzise quantitative Einschätzung jedoch nach wie vor schwer. Auch der internationale Forschungsstand beruht zu großen Teilen auf ethnografischen Zugängen und qualitativen Interviews mit Betroffenen (Brown-Saracino 2017), wobei die genauen sozioökonomischen Merkmale der Befragten häufig in den Hintergrund treten. Dies kann eine Erklärung für die zum Teil ambivalente Bewertung einzelner Aspekte der Aufwertung (z. B. Neubauvorhaben, Gewerbeentwicklung) sein.

Neben den ‚objektiven‘ Indikatoren (Umzugsrate, sinkende SGB-II-Quoten) haben demnach auch affektive, emotionale und psychologische Komponenten eine hohe Bedeutung, wenn es um die Wahrnehmung von Aufwertung sowie der daraus möglicherweise resultierenden Angst vor Verdrängung geht. Die Betroffenen beschreiben ein Spannungsverhältnis zwischen ihren ortsbezogenen Erinnerungen und Erlebnissen und den in der Nachbarschaft wahrgenommenen sozialen und materiellen Veränderungen. Der Grundannahme folgend, dass Menschen nach ihren individuellen Wahrnehmungen statt nach ‚objektiven‘ Informationen handeln (‚Thomas-Theorem‘, vgl. Thomas/Thomas 1928), definieren wir den empfundenen Verdrängungsdruck als eine Kombination aus (1) subjektiv wahrgenommenen Veränderungen der Sozialstruktur, der baulichen Umgebung und des Gewerbes und (2) einer starken Abneigung diesen Veränderungen gegenüber. Bisher gibt es nur wenige Untersuchungen, die Wahrnehmungen und Bewertungen von Aufwertung auf eine breite empirische Basis stellen, räumliche Vergleiche erlauben und so Aussagen über das Ausmaß und die Struktur von empfundenem Verdrängungsdruck erlauben.

Forschungsmethode

Auf der Basis kommunaler Daten der Sozialstatistik und polizeilicher Daten der Kriminalstatistik sowie einer stadtweiten schriftlich-postalischen Befragung im Herbst 2018 wird die Wahrnehmung und Nutzung des Bahnhofsviertels im Hinblick auf unterschiedliche Aspekte von Sicherheit und Unsicherheit untersucht.[1] Als Erhebungsinstrument dient in den ausgewählten Untersuchungsstädten ein Fragebogen zum Leitthema „Lebensqualität und Sicherheit in der Stadt“. Neben Fragen zu kriminalitätsbezogenen Aspekten wie etwa Viktimisierungserfahrungen und (Un-)Sicherheitsgefühlen umfasst das Erhebungsinstrument auch Fragen zur Wahrnehmung und Bewertung von Gentrificationprozessen, die in Anlehnung an die von Jens Dangschat und Jürgen Friedrichs (1988: 89) verwendete „Gentrification-Skala“ entwickelt wurden. Die Itembatterie deckt verschiedene Dimensionen der Gentrification ab und umfasst insgesamt zehn Items zur sozialen, baulichen und gewerblichen Aufwertung.

Das Stichprobendesign basiert in allen drei Städten auf einer zweistufigen, räumlich geschichteten Zufallsauswahl. Auf der ersten Stufe wurden zunächst die Stadtteile festgelegt, aus denen die Befragungsteilnehmer_innen stammen sollten. Die Stichprobe umfasst in Düsseldorf insgesamt 59 der 179 in der kommunalen Gebietsgliederung identifizierten Sozialräume (32,9 Prozent). Mit Ausnahme von neun Sozialräumen, die im erweiterten Projektkontext als Bahnhofsviertel und kleinräumige Modellgebiete der Gentrification betrachtet werden (Oversampling in den Stadtteilen Flingern-Nord, Unterbilk), wurden die Stadtteile zufällig ausgewählt. Die Ziehung der Befragten in den Stadtteilen erfolgte durch eine Zufallsauswahl von Adressen aus dem Einwohnermelderegister der Stadt Düsseldorf. Die Grundgesamtheit bilden dabei Bewohner_innen in Privathaushalten mit Hauptwohnsitz in Düsseldorf im Alter von mindestens 18 Jahren. Im Rahmen der Düsseldorfer Befragung wurde eine Nettofallzahl von insgesamt n = 1.472 Befragten erzielt. Personen, die SGB-II-Hilfeleistungen beziehen, und Menschen mit Migrationshintergrund sind in der Stichprobe unter-, ältere Menschen im Alter von über 65 Jahren dagegen überrepräsentiert.

Die Befragungsergebnisse werden durch eine Reihe von leitfadengestützten Interviews mit Expert_innen und Akteur_innen der polizeilichen und kommunalen Sicherheitsarbeit und Stadtentwicklung sowie mit Mitarbeiter_innen der Straßensozialarbeit und Drogenhilfe ergänzt. Eingang in die Beschreibung des Düsseldorfer Bahnhofsviertels und die Interpretation der nachfolgenden Befunde finden darüber hinaus Eindrücke aus mehreren teilnehmenden Beobachtungen, die im Herbst 2018 im Rahmen von Schwerpunkteinsätzen der Polizei und des kommunalen Außendienstes im Düsseldorfer Bahnhofsviertel stattfanden.

Soziale Benachteiligung und Kriminalität im Düsseldorfer Bahnhofsviertel

Mit 635.704 Einwohner_innen ist Düsseldorf die sechstgrößte Stadt Deutschlands. Die Stadt verzeichnet einen positiven Wanderungssaldo und profitiert von globalen Migrationsbewegungen, die vor allem in den innerstädtischen Stadtbezirken zu einer zunehmenden Diversität der Bevölkerung führen. Als Landeshauptstadt bildet Düsseldorf das politische Zentrum Nordrhein-Westfalens. Zudem ist die Stadt als Sitz zahlreicher Unternehmen ein wichtiges, international verflochtenes Wirtschaftszentrum, das täglich rund 260.000 Einpendler_innen an die Stadt bindet (Arbeitsagentur 2018). Der Hauptbahnhof liegt am südöstlichen Rand des Stadtzentrums und erstreckt sich zwischen zwei Bahnhofsvorplätzen, die täglich von mehr als 250.000 Personen frequentiert werden (Rheinische Post 2017). Die Umgebung des Hauptbahnhofs ist gekennzeichnet durch heterogene Nutzungsstrukturen, die unterschiedliche Funktionen integrieren. Während auf der Rückseite des Hauptbahnhofs das Internationale Handelszentrum (IHZ) Dienstleistungsfunktionen (Hotels, Finanzinstitute) verdichtet, bildet das Gebiet vor dem Bahnhof den Übergang zur Innenstadt. Es war lange geprägt durch eine städtebauliche Stagnation und vereinzelte Geschäftsleerstände, wurde jedoch in den vergangenen Jahren durch punktuelle Interventionen aufgewertet, die in den kommenden Jahren in einer massiven Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes und der umliegenden Bebauung münden werden. Die Deutsche Bahn AG wird dort einen über 100 Meter hohen Hochpunkt errichten, dessen Genehmigung sie der Stadt als Entgegenkommen für ihre Beteiligung am Umbau des Bahnhofsvorplatzes abringen konnte. Einen Vorgeschmack auf dessen geplantes Erscheinungsbild bietet der Platz vor dem sogenannten Immermannhof, der unter dem Eindruck wiederholter Beschwerden von Anwohner_innen und kommunaler Eigeninteressen im Städtewettbewerb als ‚Tor zur Innenstadt‘ umgestaltet wurde und heute eine unwirtliche und weitgehend unbelebte Fläche bildet, auf der die Szene der marginalisierten Gruppen aus Suchtkranken und Wohnungslosen keinen Platz mehr findet.

In der hierarchischen Gliederung von Stadtbezirken und Stadtteilen bildet das Düsseldorfer Bahnhofsviertel keine eigene räumliche Einheit. Entsprechend der sozialräumlichen Gliederung der Stadt Düsseldorf (Landeshauptstadt Düsseldorf 2018b) besteht das Untersuchungsgebiet aus insgesamt fünf Sozialräumen, die rund um den Hauptbahnhof eine Fläche von etwa 1,7 km2, das heißt 0,8 Prozent des gesamten Stadtgebietes formen (Abb. 1).

Abb. 1 Das Untersuchungsgebiet des Düsseldorfer Bahnhofsviertels (Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage OpenStreetMap)
Abb. 1 Das Untersuchungsgebiet des Düsseldorfer Bahnhofsviertels (Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage OpenStreetMap).

Während die Bahnhofsviertel in anderen Städten oftmals durch Konsumfunktionen und die unmittelbare Nähe zum Innenstadtkern gekennzeichnet sind, besteht eine Besonderheit des Düsseldorfer Bahnhofsviertels in seiner mischfunktionalen Nutzung, die eine erhebliche Anzahl von Wohneinheiten im Umfeld des Hauptbahnhofes umfasst. Im Jahr 2016 lebten im Düsseldorfer Bahnhofsviertel 28.453 Bewohner_innen, was einer im gesamtstädtischen Vergleich (2.821 pro km2) sehr hohen Bevölkerungsdichte von 16.737 Einwohner_innen pro km2 entspricht. Besonders dicht besiedelt ist dabei der aus mehrgeschossigen Häuserzeilen bestehende Sozialraum „Am Bahndamm“ mit einer Bevölkerungsdichte von 34.452 Einwohner_innen pro km². Dagegen hat der Sozialraum „Bahnhof und Handelszentrum“ aufgrund großzügiger Grünanlagen und ausgedehnter Büro- und Hotelkomplexe mit 7.928 Einwohner_innen pro km² die geringste Bevölkerungsdichte im Untersuchungsgebiet.

Im Vergleich ausgewählter Sozialindikatoren weist das Düsseldorfer Bahnhofsviertel einige Eigenarten auf, die für sozial benachteiligte Innenstadtgebiete charakteristisch sind (Tab. 1). So liegt der Anteil der Ausländer_innen an der Bevölkerung mit 41,2 Prozent deutlich über dem gesamtstädtischen Durchschnitt von 22,3 Prozent, wobei insbesondere der auf der Vorderseite des Hauptbahnhofs gelegene Sozialraum „Am Bahnhof“ und das in den lokalen Medien als sogenanntes „Maghreb-Viertel“ stigmatisierte Gebiet der beiden Sozialräume „Mintropplatz“ und „Am Bahndamm“ durch eine auffallende kulturelle Vielfalt geprägt sind. Entsprechend hoch ist auch der prozentuale Anteil der Personen mit Migrationshintergrund in diesen beiden Sozialräumen.

Tab. 1 Ausgewählte Sozialindikatoren des Düsseldorfer Bahnhofsviertels (Quelle: Landeshauptstadt Düsseldorf 2018b, Stichtag 31.12.2016)

Am Bahnhof

Mintropplatz

Am Bahndamm

Oberbilk / Kruppstraße

Bahnhof / IHZ

Bahnhofsviertel

Gesamtstadt

Bevölkerung insgesamt

7.654

5.983

2.550

8.750

3.516

28.453

635.704

Ausländer_innenanteil (%)

47,1

44,1

44,4

31,7

38,8

41,2

22,3

Personen mit Migrationshintergrund (%)

64,3

59,6

63,6

49,2

62,2

59,8

40,2

Arbeitslosenanteil (%)

13,5

12,3

19,4

11,7

13,2

14,0

9,2

Leistungsbezieher_innen nach SGB II (%)

19,8

18,1

27,2

17,4

17,9

20,1

12,5

Jugendquotient (%)

17,2

19,8

22,0

17,1

20,2

19,3

23,7

Altenquotient (%)

16,1

16,0

24,4

18,3

17,7

18,5

29,0

Fluktuationsrate (%)

53,6

57,8

51,3

37,8

34,1

46,9

30,3

Der (nicht nur) in Düsseldorf zu beobachtende Rückgang der Arbeitslosigkeit findet auch im Bahnhofsviertel seinen Niederschlag. Zwar liegt der Anteil der Arbeitslosen an der Summe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und Arbeitslosen mit 14 Prozent deutlich über dem gesamtstädtischen Durchschnitt von rund 9 Prozent. Im Jahr 2010 lag der Arbeitslosenanteil hier jedoch noch bei 21 Prozent (Düsseldorf: 12,1 Prozent). Weitgehend konstant blieb dagegen die SGB-II-Quote mit 20,1 Prozent (Düsseldorf: 12,5 Prozent), die mit 21,2 Prozent auch im Jahr 2010 nur unwesentlich höher ausgeprägt war (Düsseldorf: 13,3 Prozent). Die Altersstruktur offenbart den hohen Anteil erwerbsfähiger Personen im Düsseldorfer Bahnhofsviertel: Der Anteil der unter 18-Jährigen liegt ebenso wie der Anteil der über 65-Jährigen an der Bevölkerung deutlich unter dem gesamtstädtischen Durchschnitt. Erheblich über dem Wert der Gesamtstadt liegt dagegen die Fluktuationsrate, die eine residentielle Instabilität im Bahnhofsviertel zeigt und in der insbesondere die drei unmittelbar an den Hauptbahnhof angrenzenden Sozialräume „Am Bahnhof“, „Mintropplatz“ und „Am Bahndamm“ eine starke Wanderungsdynamik erkennen lassen.

Aus den Expert_inneninterviews geht weiter hervor, dass die Düsseldorfer Ordnungs- und Sicherheitsbehörden das Bahnhofsviertel als einen Kriminalitätsschwerpunkt in der Stadt wahrnehmen, der nach besonderer Aufmerksamkeit von Polizei und Ordnungsamt verlangt. Die Kriminalitätsbelastung zeigt sich insbesondere im Bereich der schweren Straftaten vergleichsweise konstant (Abb. 2) und stagniert bei Raubdelikten und Körperverletzung bei jeweils rund 100 registrierten Delikten pro Jahr (in der Düsseldorfer Altstadt wird jährlich ein Vielfaches registriert). Die Anzahl der angezeigten Taschendiebstähle fiel nach einem Maximum von 914 Taschendiebstählen im Jahr 2015 auf 549 im Jahr 2017 und damit deutlich unter den Ausgangswert von 731 im Jahr 2013. Gegenteilig verhält es sich mit den registrierten Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, deren Bekanntwerden als sogenannte Holkriminalität sehr stark durch das Kontrollhandeln der Sicherheits- und Ordnungsbehörden geprägt wird. Den Tätigkeitsschwerpunkt des polizeilichen Einsatztrupps „Präsenz und Intervention an Brennpunkten und offenen Szenen“ (ET PRIOS) bildet die Kontrolle der Drogenkriminalität im Düsseldorfer Bahnhofsviertel, wobei durch einen erhöhten Kontrolldruck naturgemäß eine zunehmende Anzahl von BtM-Delikten registriert wird.

Abb. 2 Ausgewählte Delikte im Düsseldorfer Bahnhofsviertel 2013-2017 (absolute Zahlen, Eingangsstatistik) (Quelle: Polizeipräsidium Düsseldorf 2018)
Abb. 2 Ausgewählte Delikte im Düsseldorfer Bahnhofsviertel 2013-2017 (absolute Zahlen, Eingangsstatistik) (Quelle: Polizeipräsidium Düsseldorf 2018).

An der Vorderseite des Hauptbahnhofs beginnt der Düsseldorfer Sperrbezirk, in dessen Grenzen die Ausübung der Prostitution verboten ist. Über das Verbot wacht der kommunale Außendienst des Ordnungsamtes („Ordnungs- und Servicedienst/OSD“), in dessen Fokus nach eigener Aussage vor allem die Bekämpfung der Straßenprostitution in der Charlottenstraße steht. Zusammen mit den von suchtkranken Drogenkonsument_innen genutzten Plätzen Mintropplatz und Worringer Platz bildet die Charlottenstraße einen Angstraum vor allem für die beschwerdemächtigen Bewohner_innen und Gewerbetreibenden im Viertel, deren subjektive Nachfrage nach Sicherheit und Ordnung Polizei und Ordnungsamt mit wiederholten Schwerpunkteinsätzen und täglichen Streifengängen bedienen. In der Logik des Kontrollhandelns sollen sich Drogennutzer_innen „nicht zu wohl fühlen“ und „in Bewegung“ gehalten werden, um auf diese Weise eine „Verfestigung der Szene“ zu verhindern. Auf der anderen Seite würden Wohnungsbesichtigungen etwa in der Charlottenstraße eher am Vormittag stattfinden, was bei den neuen Mieter_innen am Abend zu „einem bösen Erwachen“ führen würde, da die baumbestandene Straße erst in den Abendstunden von sogenannten „Cruisern“ zur Kontaktanbahnung genutzt würde (alle Zitate aus Interviews und teilnehmenden Beobachtungen mit Polizei und OSD, 10.8.-27.11.2018). Permanente Kontrollen und die Verdrängung der Szenen aus dem Stadtbild können insofern als Mittel der Stadtpolitik begriffen werden, welches die Voraussetzungen für eine nachhaltige Aufwertung des Bahnhofsviertels legen sollen.

Südlich und nördlich des Düsseldorfer Hauptbahnhofs ist die Entwicklung neuer Wohnquartiere geplant, die Wohnraum vor allem im mittleren Preissegment bieten sollen. Mit den Baumaßnahmen soll erklärtermaßen ein Bahnhofsumfeld geschaffen werden, das Mobilitäts- mit Konsum- und Wohnfunktionen verbindet und das Bahnhofsviertel als Visitenkarte der Stadt aufwertet. Die Erwartungen der Politik sind darauf ausgerichtet, ein „repräsentatives Entrée in die Stadt“ (Landeshauptstadt Düsseldorf 2018a) zu erzielen, das den Bereich um den Hauptbahnhof revitalisiert. Bereits heute werden im Düsseldorfer Bahnhofsviertel Mietsteigerungen beobachtet, womit sich für dieses Umfeld ungewöhnlich hohe Angebotsmieten von zehn bis zwölf Euro pro Quadratmeter realisieren lassen. Der Zuzug entsprechend besser situierter Mieter_innen geht mit einer veränderten Beschwerdelage einher, in der Obdachlosigkeit, Bettelei, Drogen- und Alkoholkonsum als abweichende Verhaltensweisen zunehmend weniger toleriert werden. Die Sicherheitsarbeit von ET PRIOS und OSD ist vor diesem Hintergrund darauf ausgerichtet, das subjektive Sicherheitsgefühl der Düsseldorfer Bürger_innen zu stärken und die personale Kriminalitätsfurcht der Anwohner_innen zu reduzieren.

Wahrnehmung kriminalitätsbezogener und generalisierter Unsicherheit

In Anlehnung an die sozialpsychologische Einstellungstheorie wird die personale Kriminalitätsfurcht als ein mehrdimensionales Konstrukt operationalisiert, das gefühls- (affektive) und verhaltensbezogene (konative) Reaktionen auf antizipierte Kriminalitätsereignisse ebenso umfasst wie die kognitive Einschätzung des persönlichen Risikos, Opfer einer Straftat zu werden (z. B. Ziegleder et al. 2011: 28ff.). Die affektive Dimension der Kriminalitätsfurcht bildet dabei den ursprünglichen Bezugspunkt von Begriffen wie ‚Unsicherheitsgefühl‘ oder ‚Furcht‘ und umfasst alle emotionalen Reaktionen auf als bedrohlich empfundene kriminelle Ereignisse. Im Rahmen des Projekts SiBa wurde die affektive Komponente der Kriminalitätsfurcht auf der Grundlage des international etablierten (jedoch nicht unumstrittenen, Kreuter 2002) ‚Standardindikators‘ erhoben, dessen gängige Frageformulierung „Wie sicher fühlen Sie sich in Ihrem Wohngebiet, wenn Sie bei Dunkelheit/tagsüber alleine auf die Straße gehen?“ um die Frage nach dem Gebiet rund um den Hauptbahnhof ergänzt wurde.

Im Ergebnis zeigen sich erwartungsgemäß deutliche Unterschiede zwischen dem Sicherheitsgefühl im Bahnhofsviertel und dem Sicherheitsgefühl im eigenen Wohngebiet (Abb. 3). Der überwiegende Anteil der Befragten, die nicht im Bahnhofsviertel leben, fühlt sich im Wohnviertel sehr beziehungsweise eher sicher. Über 90 Prozent der Befragten geben an, sich dort tagsüber (eher) sehr sicher zu fühlen, und auch nach Einbruch der Dunkelheit fühlen sich noch mehr als zwei Drittel der Befragten in ihrem Wohngebiet (eher) sehr sicher. Dagegen weisen die Befragungsergebnisse das Düsseldorfer Bahnhofsviertel als einen Ort aus, den 63 Prozent der Befragten nach Einbruch der Dunkelheit als (eher) sehr unsicher wahrnehmen. Zwar fühlt sich tagsüber nur etwa ein Viertel der Befragten im Bahnhofsviertel (eher) sehr unsicher, aber nicht einmal die Hälfte der Befragten gibt an, sich dort (eher) sehr sicher zu fühlen. Im Unterschied zum eigenen Wohnquartier wird das Bahnhofsviertel von vielen als ein „Angstraum“ (Bescherer et al. 2017) wahrgenommen, der vor allem nachts kriminalitätsbezogene Unsicherheitsgefühle verursacht. Die Ergebnisse zeigen deutliche Übereinstimmungen mit den Befunden der „Allgemeinen Bürgerbefragung Düsseldorf“, in der im Jahr 2015 die öffentliche Sicherheit und das subjektive Sicherheitsempfinden im Vordergrund standen (Landeshauptstadt Düsseldorf 2016). Dabei war das Gebiet um den Hauptbahnhof mit den größten Unsicherheitsgefühlen im Stadtgebiet belegt.

Abb. 3 Kriminalitätsfurcht im Bahnhofsviertel und im eigenen Wohngebiet (n/gesamt = 1175-1309; n/Bahnhofsviertel = 139-140) (Eigene Daten und Darstellung)
Abb. 3 Kriminalitätsfurcht im Bahnhofsviertel und im eigenen Wohngebiet (n/gesamt = 1175-1309; n/Bahnhofsviertel = 139-140) (Eigene Daten und Darstellung).

Auffallend sind die Unterschiede im Antwortverhalten derjenigen, die außerhalb des Bahnhofsviertels wohnen, und dem derjenigen, die innerhalb des Bahnhofsviertels leben. Die Befragten im Bahnhofsviertel nehmen ihre Wohnumgebung als deutlich unsicherer wahr als die Bewohner_innen anderer Sozialräume Düsseldorfs ihre jeweilige Wohnumgebung. Knapp drei Viertel der Bewohner_innen des Bahnhofsviertels fühlen sich tagsüber im Wohnumfeld (eher) sehr sicher (72 Prozent). Der Wert fällt jedoch mit Einbruch der Dunkelheit auf 31 Prozent. Auch wenn sich die Bewohner_innen des Bahnhofsviertels weniger sicher in ihrer Wohnumgebung fühlen als die Bewohner_innen anderer Sozialräume außerhalb des Bahnhofsviertels, so ist ihr kriminalitätsbezogenes Unsicherheitsgefühl rund um den Düsseldorfer Hauptbahnhof dennoch nicht derart ausgeprägt wie das derjenigen Düsseldorfer_innen, die nicht im Bahnhofsviertel leben. Immerhin noch knapp ein Drittel der befragten Bahnhofsviertelbewohner_innen fühlt sich nach Einbruch der Dunkelheit (eher) sehr sicher im Bahnhofsbereich (31 Prozent), während sich von den Bewohner_innen außerhalb des Bahnhofsviertels dort nur 12 Prozent (eher) sehr sicher fühlen.

Vor dem Hintergrund der Annahme, dass „Kriminalitätsfurcht in der realen Welt nicht als ein von anderen Ängsten abgrenzbares Phänomen auftritt“ (Hirtenlehner/Sessar 2017: 174), wurden in einem weiteren Schritt soziale und ökonomische Ängste der Befragten erhoben, die sich in Form einer generalisierten Verunsicherung als Folge gesellschaftlicher Transformationsprozesse interpretieren lassen. Die Befragten wurden dazu gebeten, für jede der in Abbildung 4 aufgeführten Situationen anzugeben, wie sehr oder wenig sie sich durch diese beunruhigt fühlen. In der Rangfolge der wahrgenommenen Verunsicherung belegen ökonomische Ängste und Sorgen die Spitzenplätze. Die Angst, dass die Rente beziehungsweise Pension im Alter nicht ausreichen könnte, und die Sorge davor, dass eine erneute Wirtschaftskrise Deutschland erreichen könnte, führen die Liste an. Auch die Angst vor einer schweren Erkrankung und davor, dass der Lebensstandard sich verschlechtern könnte, beunruhigt die Befragten (eher) sehr. Weniger Sorgen bereiten den Befragten die Ängste vor steigenden Mieten, Einsamkeit und Arbeitslosigkeit. Jeweils mehr als die Hälfte der Befragten fühlt sich dadurch (eher) gar nicht beunruhigt.

Abb. 4 Soziale und ökonomische Ängste der Befragten in Düsseldorf und im Düsseldorfer Bahnhofsviertel (n/gesamt = 1.278-1.321; n/Bahnhofsviertel = 139-140) (Eigene Daten und Darstellung)
Abb. 4 Soziale und ökonomische Ängste der Befragten in Düsseldorf und im Düsseldorfer Bahnhofsviertel (n/gesamt = 1.278-1.321; n/Bahnhofsviertel = 139-140) (Eigene Daten und Darstellung)

Die Unterschiede zwischen den Bewohner_innen des Bahnhofsviertels und den Bewohner_innen anderer Teile des Düsseldorfer Stadtgebiets fallen dabei insgesamt eher gering aus. Stärkere Abweichungen im Antwortverhalten zeigen sich allein bei den sozialen Ängsten vor schwerer Krankheit und Einsamkeit. Während sich die Bewohner_innen des Bahnhofsviertels dadurch generell weniger beunruhigt fühlen, übersteigen die Prozentwerte der befragten Düsseldorfer_innen außerhalb des Bahnhofsviertels die jeweiligen Werte um rund 9 Prozent. Insgesamt sind die Sorgen und Ängste unter den Bewohner_innen des Bahnhofsviertels weniger stark ausgeprägt als bei der übrigen Stadtbevölkerung. Ausnahmen bilden hier die Angst davor, dass die Rente/Pension für das Alter nicht ausreichen könnte, und die Sorge, dass die Mieten im Bahnhofsviertel weiter derart steigen könnten, dass man sich die eigene Wohnung nicht länger leisten kann.

Wahrnehmung und Bewertung von Gentrification

Im Rahmen der Befragung wurde Gentrification als ein mehrdimensionales Konstrukt verstanden (vgl. Friedrichs/Blasius 2016, Marcuse 1985, Üblacker 2018), das die Bewohner_innen anhand sozialer, baulicher und gewerblicher Veränderungen wahrnehmen. Aufgrund der eingangs geschilderten lokalen Entwicklungen ist anzunehmen, dass Befragte im Bahnhofsgebiet die Gentrification stärker wahrnehmen als Befragte im übrigen Stadtgebiet.

Die Bewohner_innen der beiden Vergleichsgebiete nehmen die sozialstrukturellen Aspekte der Gentrification unterschiedlich stark wahr (Abb. 5). Den Befragten nach wohnen gut verdienende Gruppen eher in der übrigen Stadt als im Bahnhofsgebiet und halten sich auch eher dort auf, um ihre Freizeit dort zu verbringen. Lediglich ein Drittel der Bewohner_innen des Bahnhofsgebiets stimmt der Aussage zu, dass gut verdienende Leute ihr Wohngebiet verändern.

Abb. 5 Wahrnehmung von sozialen, baulichen und gewerblichen Aspekten der Gentrification in Düsseldorf und im Düsseldorfer Bahnhofsviertel (n/gesamt = 926-1.287; n/Bahnhofsviertel = 84-138) (Eigene Daten und Darstellung)
Abb. 5 Wahrnehmung von sozialen, baulichen und gewerblichen Aspekten der Gentrification in Düsseldorf und im Düsseldorfer Bahnhofsviertel (n/gesamt = 926-1.287; n/Bahnhofsviertel = 84-138) (Eigene Daten und Darstellung)

Auch die gewerbliche Aufwertung wird nur in geringem Maße wahrgenommen, sowohl in Düsseldorf insgesamt als auch insbesondere im Bahnhofsgebiet. Wenngleich im Bahnhofsgebiet anteilig mehr Befragte als in der übrigen Stadt angeben, dass es in ihrem Wohngebiet viele neue Cafés, Bars und Restaurants gibt und abends viele Leute aus anderen Stadtteilen zum Ausgehen kommen, kann dies nur bedingt als Indiz für eine gewerbliche Aufwertung im Sinne einer Qualitäts- und Preissteigerung des lokalen Gewerbes interpretiert werden. Das Gebiet ist in den Augen der Befragten kein Anlaufpunkt für den Konsum gut verdienender Gruppen.

Am deutlichsten zeigen sich die Unterschiede in der Wahrnehmung der baulichen Aufwertungsprozesse. Während Sanierungen eher stadtweit wahrgenommen werden, stimmen knapp 70 Prozent der Befragten im Bahnhofsgebiet der Aussage zu, dass alte Häuser in ihrem Wohngebiet saniert werden, um die Miete zu erhöhen. Auch die Wahrnehmung von Umzügen aufgrund von Mieterhöhungen ist mit 40 Prozent im Bahnhofsgebiet höher als im gesamten Stadtgebiet (27 Prozent).

Wir gehen davon aus, dass Befragte eine Veränderung in ihrem Wohngebiet negativ bewerten, wenn sie dadurch einen Nachteil erfahren oder die Veränderung generell missbilligen. Der Verdrängungsdruck bemisst sich demnach am Anteil der Befragten in einem Gebiet, die die jeweils abgefragte Veränderung wahrnehmen und negativ bewerten. Es erscheint folglich sinnvoll, die beiden Aufwertungsitems mit der stärksten Wahrnehmung auch im Hinblick auf ihre Bewertung zu betrachten (Tab. 2 und Tab. 3). 67 Prozent der Befragten im Bahnhofsgebiet geben an, dass alte Häuser in ihrem Wohngebiet deshalb saniert werden, damit die Miete erhöht werden kann, und dass sie das eher oder sehr schlecht finden. Lediglich 41 Prozent der Befragten im übrigen Stadtgebiet machen diese Angabe. Der Aussage, dass Nachbar_innen schon in andere Stadtteile ziehen mussten, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten konnten, stimmen 41 Prozent der Befragten im Bahnhofsgebiet zu und bewerten dies negativ. Auch dieser Wert liegt über dem gesamtstädtischen Anteil. Die anteilig höhere Wahrnehmung und negative Bewertung von sanierungsbedingten Mieterhöhungen und Verdrängungen zeigt, dass der Verdrängungsdruck im Bahnhofsgebiet über die Folgen der baulichen Aufwertung vermittelt wird.

Tab. 2 Alte Häuser werden in meinem Wohngebiet deshalb saniert, damit die Miete erhöht werden kann. (n/Bahnhofsgebiet=76; in Klammern: n/gesamt=752) (Eigene Daten)

Ich stimme der Aussage…

Ich finde das…

sehr / eher gut

eher / sehr schlecht

voll / eher zu

9 % (8 %)

67 % (41 %)

eher / gar nicht zu

8 % (22 %)

15 % (28 %)

Tab. 3 Nachbarn mussten schon in andere Stadtteile ziehen, da sie sich die Miete nicht mehr leisten konnten. (n/Bahnhofsgebiet=66; in Klammern: n/gesamt=710)

Ich stimme der Aussage…

Ich finde das…

sehr / eher gut

eher / sehr schlecht

voll / eher zu

3 % (1 %)

41 % (31 %)

eher / gar nicht zu

24 % (29 %)

32 % (39 %)

Kriminalitätsfurcht und Ordnungshandeln als Wegbereiter für Gentrification

Die deskriptive Analyse der Befragungsergebnisse zeigt, dass die Furcht vor kriminellen Ereignissen im Bahnhofsviertel stärker von Bewohner_innen anderer Teile des Stadtgebietes wahrgenommen wird. Es drückt sich darin eine typische Differenz zwischen der objektiven Belastung und deren subjektiver Wahrnehmung aus, die als Kriminalitätsfurchtparadox inzwischen zum Standardbefund kriminologischer Forschung zählt (Ziegleder et al. 2011: 27f.). Zwar fühlen sich auch die Bewohner_innen des Bahnhofsviertels rund um den Hauptbahnhof nicht immer und überall sicher, in ihrer Wohnumgebung aber haben sie Strategien entwickelt, um die Belastungsfaktoren des Wohnumfelds besser bewältigen zu können. Dazu zählen Vermeide- und Schutzverhaltensweisen ebenso wie eine nachhaltige Gewöhnung an die Bedingungen des Umfelds, in dem die Beachtung des informellen „code of the street“ (Anderson 1999) das soziale Miteinander reguliert. Während die sozial- und kriminalstatistischen Daten das Bahnhofsviertel als sozial benachteiligten Kriminalitätsschwerpunkt ausweisen, der als solcher wiederholt in den lokalen Medien rezipiert wird und die Wahrnehmung der Bewohner_innen anderer Stadtteile prägt, werden die sozialstrukturellen und kriminogenen Belastungen von den Bewohner_innen des Viertels eher als symbolisch empfunden. In der Kriminalitätsfurcht drückt sich auf diese Weise auch die Verfestigung einer spezifisch lokalen Identität aus, in der das eigene Wohnumfeld gegen stigmatisierende Deutungen von außen verteidigt wird. Die aktive Identifikation mit dem eigenen Wohnviertel und Abgrenzung vom Rest der Stadt zeigt sich in einem örtlich besseren Sicherheitsgefühl, das im stadtweiten Vergleich der Wohngebiete freilich unterdurchschnittlich ausgeprägt ist und Anknüpfungspotentiale für eine stärker repressiv ausgerichtete Ordnungs- und Sicherheitspolitik bietet, die insbesondere von beschwerdemächtigen Gewerbetreibenden und Anwohner_innen immer wieder gefordert wird.

Die Bekämpfung von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht kann jedoch als Wegbereiter einer Aufwertungsdynamik verstanden werden, die paradoxe Effekte in anderen Sicherheitsbereichen hinterlässt (Lukas 2017). Als indirekte Handlungsfolge rufen Sicherheitslösungen potenziell neue Sicherheitsprobleme hervor. Die Herstellung kriminalitätsbezogener Sicherheit für die einen führt im Prozess der Gentrification zu Bedrohungen der sozialen Sicherheit aufseiten derjenigen, deren Lebensverhältnisse ohnehin durch einen erhöhten Grad sozialer Unsicherheit gekennzeichnet sind. Dass die Wahrnehmung sozialer und ökonomischer Ängste im sozial benachteiligten Bahnhofsviertel gegenwärtig kaum stärker ausgeprägt ist als im übrigen Stadtgebiet, deutet darauf hin, dass der Aufwertungsprozess im Düsseldorfer Bahnhofsviertel gerade erst begonnen hat und sich durch die zahlreichen Neubauvorhaben in den nächsten Jahren weiter beschleunigen könnte. Die volle Umfänglichkeit der damit verbundenen Verdrängungsängste und deren soziale Folgen werden dann voraussichtlich offensichtlicher werden.

Bisher erfahren die Bewohner_innen des Bahnhofsgebiets den Verdrängungsdruck vor allem über die Folgen der baulichen Aufwertung und immobilienwirtschaftlichen Wertsteigerung, während sozialen und gewerblichen Aspekten der Gentrification eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Sanierungsbedingte Mieterhöhungen und Verdrängung zählen zu den am häufigsten berichteten und am stärksten negativ bewerteten Indikatoren der Gentrification. Vor dem Hintergrund einer vergleichsweise hohen sozialen Benachteiligung und Armut der Bevölkerung wird deutlich, dass der Verdrängungsdruck im Bahnhofsgebiet primär über ökonomische Faktoren vermittelt wird, die zu einem direkten Verlust des eigenen Wohnraums führen können. Ein Zuzug besserverdienender Gruppen und eine gewerbliche Aufwertung finden aus Sicht der Befragten bisher nicht statt, was möglicherweise auf die hohe Kriminalitätsfurcht und das negative Image des Gebiets zurückgeführt werden kann. Eben dieses Image ist es, das Stadtpolitik und Verwaltung zu Ordnungshandeln, baulicher Umgestaltung und investitionsfördernden Maßnahmen veranlasst, die letztlich auch den Zuzug statushöherer Bevölkerungsgruppen und eine gewerbliche Aufwertung zur Folge haben. Im Hinblick auf eine mögliche Zunahme des Verdrängungsdrucks stellt sich die Frage, ob sich bei einer fortschreitenden Gentrification auch der soziale und gewerbliche Verdrängungsdruck für die verbleibenden Bewohner_innen verstärkt.

Fazit: Ökonomische Unsicherheiten, Verdrängungsdruck und stadtpolitische Folgen

Der Beitrag ging der Frage nach, wie sich die besonderen Belastungen aufgrund von sozialer Benachteiligung, Kriminalität und Verdrängungsdruck im Düsseldorfer Bahnhofsviertel aus der Sicht der Bevölkerung darstellen und welche sozialen und ökonomischen Ängste hiermit verbunden sind. Die ökonomischen Unsicherheiten sind hier stadtweit am stärksten ausgeprägt. Für die Bewohner_innen des sozial benachteiligten Bahnhofsgebiets konkretisieren sich diese Ängste in Form des Verdrängungsdrucks, den sie (bisher) über sanierungsbedingte Mieterhöhungen und Verdrängungen wahrnehmen und ablehnen. Kriminalität und Kriminalitätsfurcht spielen im weiteren Aufwertungsprozess insofern eine Rolle, als dass kommunale Verwaltung und Bewohner_innen des übrigen Stadtgebiets das Bahnhofsumfeld als besonders kriminalitätsbelastet wahrnehmen. Seitens der Stadt wird darauf mit Ordnungshandeln reagiert, wodurch das Viertel mittelfristig als Wohnstandort für statushöhere Gruppen und für immobilienwirtschaftliche Investitionen in Boden und Bestand attraktiver wird.

Unsere Untersuchung unterliegt einigen Einschränkungen, die gleichzeitig den weiteren Forschungsbedarf in diesem Bereich skizzieren. Bei der Betrachtung der generalisierten Ängste, der Kriminalitätsfurcht und des Verdrängungsdrucks konnten sozialstrukturelle Unterschiede zwischen den Befragten zugunsten des Gebietsvergleichs nicht berücksichtigt werden, da dies zu einer zusätzlichen Verringerung der Fallzahl in den Vergleichsgruppen geführt hätte. Die nur sehr gering ausgeprägten Unterschiede zwischen den Vergleichsgebieten der generalisierten Ängste legen nahe, dass diese durch individuelle Merkmale konfundiert sind.

Vor dem Hintergrund aktuell geführter Debatten zu den Ursachen rechtspopulistischer Orientierungen (etwa Rippl/Seipel 2018) weist der Beitrag darauf hin, dass eine spezifische lokale Vermengung von sowohl allgemeinen als auch über das Wohnumfeld vermittelten Ängsten und Unsicherheiten Potenziale für eine Politik bieten können, die diese Emotionen und Ängste aufgreift. Während die Bewohner_innen des Bahnhofsgebiets erfolgreich Bewältigungsstrategien zum Umgang mit den Herausforderungen kultureller Diversität, Kriminalität und physischen Unsicherheiten entwickelt haben, stehen sie den allgemeinen und lokalen (wohnungs-)wirtschaftlichen Entwicklungen vergleichsweise schutzlos gegenüber. Folglich sind es insbesondere materielle Unsicherheiten und wahrgenommener Verdrängungsdruck durch Sanierungen und Mieterhöhungen, die individuelle Ängste und Verlusterfahrungen in den von Gentrification betroffenen Gebieten auslösen. Die durch eine marktzentrierte Wohnungspolitik entstehenden Konkurrenzen um bezahlbaren Wohnraum wie auch die Aneignungskämpfe um öffentliche Räume bieten Instrumentalisierungspotenziale für politische Akteur_innen, die diese Konkurrenzverhältnisse kulturalisieren und die Ängste der Betroffenen aufnehmen. Die Forderungen nach wohnungspolitischen Regulierungen zugunsten einkommensschwächerer Gruppe bleiben hinter dem Bedarf der von Mobilitätsanforderungen und Sicherheitsbedürfnissen motivierten Mittelschicht nach zentral gelegenem Wohnraum zurück. Aufgrund ihrer Deutungsmacht im stadtgesellschaftlichen Diskurs sind Mittelschichtsangehörige eher dazu in der Lage, die Stigmata kriminalitätsbelasteter Gebiete zu nutzen, um kommunales Ordnungshandeln und stadtentwicklungspolitische Aufwertungsstrategien herbeizuführen. Nicht zuletzt zeigt sich an diesem Beispiel der „Verlust politischer Gleichheit“ (Schäfer 2015) darin, dass die demokratischen Repräsentationsdefizite marginalisierter Bevölkerungsgruppen eine räumliche Dimension annehmen und Ohnmachtsempfinden gegenüber ökonomischen Entwicklungen verstärken. Die mangelnde Adressierung durch etablierte politische Akteur_innen fördert in der Konsequenz die Abwendung von ebendiesen.

Endnoten

Autor_innen

Jan Üblacker ist Soziologe. In seiner wissenschaftlichen Arbeit beschäftigt er sich mit Gentrification, sozialer Integration und Verfahren zur systematischen Synthese von Forschungsergebnissen.

jan.ueblacker@fgw-nrw.de

 

Tim Lukas ist Soziologe. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen in der Kriminalsoziologie und der sozialwissenschaftlichen Sicherheitsforschung.

lukas@uni-wuppertal.de

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Anhang: Operationalisierungen

Gentrification-Skala

In der folgenden Liste stehen Aussagen zu Ihrem Wohngebiet. Wir würden gerne Folgendes dazu wissen:

 

Inwieweit stimmen Sie den folgenden Aussagen zu Ihrem Wohngebiet zu?

[Antwortvorgaben: 1 = voll zu; 4 = gar nicht zu; 8 = weiß nicht]

Wie finden Sie das? Bitte bewerten Sie Ihre Zustimmung/Ablehnung zur jeweiligen Aussage.

[Antwortvorgaben: 1 = sehr gut; 4 = sehr schlecht; 8 = weiß nicht]

Variable

G1

Junge Leute sorgen in meinem Wohngebiet für Veränderung.

G2

Gut verdienende Leute gehen hier einkaufen oder abends in die Kneipen, Bars und Restaurants.

G3

Die gut verdienenden Leute, die hier wohnen, verändern mein Wohngebiet.

G4

In meinem Wohngebiet wurden in letzter Zeit viele alte Häuser saniert.

G5

Alte Häuser werden in meinem Wohngebiet deshalb saniert, damit die Miete erhöht werden kann.

G6

Nachbarn mussten schon in andere Stadtteile ziehen, da sie sich die Miete nicht mehr leisten konnten.

G7

Abends kommen viele Leute aus anderen Stadtteilen hierher zum Ausgehen.

G8

In meinem Wohngebiet gibt es viele schicke Geschäfte.

G9

In meinem Wohngebiet gibt es viele neue Cafés, Bars und Restaurants.

Ängste-Skala

Geben Sie bitte für jede Situation auf der folgenden Liste an, wie sehr oder wenig Sie sich dadurch beunruhigt fühlen. Ich fühle mich dadurch beunruhigt, ...

[Antwortvorgaben: 1 = gar nicht beunruhigt; 5 = sehr beunruhigt]

Variable

Ä1

…dass die Steuern und Abgaben weiter steigen könnten.

Ä2

…dass ich keine ausreichende Pension/Rente mehr bekommen könnte.

Ä3

…dass eine weitere Wirtschaftskrise auf uns zukommen könnte.

Ä4

…dass sich mein Lebensstandard verschlechtern könnte.

Ä5

…dass ich einsam werden könnte.

Ä6

…dass ich schwer krank werden könnte.

Ä7

…dass ich meinen Job verlieren könnte.

Ä8

…dass ich mir meine Wohnung nicht mehr leisten könnte.