Neoliberale Stadt und rechte Hegemonie?

Das Beispiel Plauen

critique'n'act (Dresden)

Akademische Diskurse zu Stadt und Urbanität fokussieren in der Regel auf Metropolen oder zeigen sich interessiert an Großstädten wie Leipzig oder Berlin. In der Debatte entsteht häufig der Eindruck, die Metropole, eine großstädtische Architektur oder der gebaute Raum seien Voraussetzungen für städtisches Handeln.[1] Aber die Stadt und das Urbane sind keine Orte, sondern „soziale Verhältnisse der wechselseitigen Inspiration und des kollektiven Agierens“ (Vogelpohl 2015: 5). Finden also urbane Praxen überall dort statt, wo Menschen sich in emanzipatorischen Kämpfen zusammenschließen? Somit auch in mittelgroßen Städten wie Plauen? Wir sind der Meinung, dass die Kämpfe dort nicht weniger dringend sind als in den Großstädten. Der Stadtforscher Tobias Bernet hat in seinem Vortrag „Stadtstaaten oder Barbarei“[2] die These geäußert, dass „die Auseinandersetzung zwischen progressiven und reaktionären Weltbildern sich weder in linken Kiezen noch aussterbenden Dörfern entscheiden wird, sondern in Zwischenräumen: großstädtischen Außenbezirken, suburbanen Gebieten und (Großstadtnahen) Klein- und Mittelstädten“ (Bernet 2018: 2). Zu dieser These passt ein Interview, welches wir im Frühjahr 2018 mit dem Ziel führten, emanzipatorische Akteur_innen sichtbarer zu machen und sie zu stärken. Es entstand ein ausführliches Interview mit Vertreter_innen antifaschistischer Gruppen des Vogtlands (Critique’n’act 2018). Anlass waren Brandanschläge in Plauen. Gesprochen haben wir über die deindustrialisierte Stadt, Gentrifizierung, Rassismus, den „III. Weg“ und darüber, dass es sich für einige Menschen in Plauen freier atmet als in den Orten, aus denen sie weggegangen sind.

Bei den Auseinandersetzungen mit rechten Städten stößt man unweigerlich auf Plauen. Plauen im Vogtland (Sachsen) erlangte mediale Aufmerksamkeit aufgrund von Aktivitäten der neonazistischen Partei „Der III. Weg“, Brandanschlägen auf Wohnhäuser und Fackelmärschen rund um den 9. November. So fand zum Jahreswechsel 2017/2018 eine schwere Brandstiftung in der Trockentalstraße statt. Zwei Jugendliche, die gerade die Straße entlang fuhren, hielten an und halfen den Hausbewohner_innen aus dem brennenden Haus. Dort wohnten mehrheitlich Familien der Minderheit der Roma aus der Slowakei. 19 Personen wurden bei dem Brandanschlag verletzt. Zwei Frauen und ein fünf Jahre altes Kind erlitten so schwere Verbrennungen, dass sie in Lebensgefahr schwebten und auf der Intensivstation versorgt werden mussten. Es handelt sich um den Straftatbestand der besonders schweren Brandstiftung und des versuchten Mordes in einer Vielzahl von Fällen.[3] Zwei Anwohner skandierten zudem ‚Sieg Heil‘, ‚Lasst sie brennen‘ und attackierten Einsatzkräfte.[4] Bei einem weiteren Brand wenige Wochen später in einer Immobilie desselben Eigentümers kamen zwei junge Menschen ums Leben. Weitere Personen wurden verletzt. Die Bewohner_innen des Hauses mussten evakuiert werden. Die vom ersten Brand ausgerechnet in dieses Haus evakuierten Familien aus der Slowakei mussten zum zweiten Mal mit ihren Kindern aus einem brennenden Haus fliehen und notversorgt werden. In Erinnerung an die ums Leben Gekommenen fanden sich Freund_innen und Familie zusammen und stellten Kerzen und Blumen in den Eingang des Brandhauses. Noch am selben Tag wurde ein Tatverdächtiger festgenommen. Eine rassistische Motivation liegt beim zweiten Brand nicht vor.[5]

 

Diese Ereignisse haben wir zum Anlass genommen folgendes Interview zu führen.

critique‘n‘act: Wir würden Euch zuerst bitten, die Stadt Plauen zu charakterisieren.

A. (agv): Plauen war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine vergleichsweise reiche Stadt und Mittelpunkt der Textilindustrie sowie des Maschinenbaus. Innerhalb kürzester Zeit machte die Stadt eine Entwicklung vom unbedeutenden Provinznest zur Großstadt mit 120.000 Einwohner_innen durch. Dieser Höhepunkt war ungefähr 1914 erreicht – seitdem ging es schrittweise bergab. Erst ging die Textilindustrie im Zuge der Wirtschaftskrise, die dem Ersten Weltkrieg voranging, krachen. Später hatte die Stadt eine finstere Rolle als wichtiger Spot für den Aufstieg der Nazis und Ort der Waffenproduktion, was sie zum Ziel alliierter Bombardements machte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Plauen am hintersten Rand der DDR und dümpelte weitestgehend bedeutungslos vor sich hin, war jedoch trotzdem Standort einiger wichtiger Industrien wie zum Beispiel Maschinenbau, Textilindustrie und Stahlbau. Plauen hat also eine relativ lange Geschichte als Industriestadt hinter sich und ist seit 1990 von Deindustrialisierung betroffen. Wie in ähnlichen Städten blieben nach 1990 die ‚blühenden Landschaften‘ aus und viele Menschen, vor allem junge und gut ausgebildete, sahen sich gezwungen, wegzuziehen. Man muss aber hinzufügen, dass der Niedergang hier wesentlich weniger dramatisch ausfiel als in anderen mittelgroßen Städten – bedingt unter anderem durch die Nähe zu Westdeutschland. Seit etwa 2012 steigt die Zahl der Einwohner_innen wieder und ist aktuell bei ungefähr 66.000. Tatsächlich besagt die Statistik, dass es einen Zuzug junger Menschen, vor allem aus dem Umland gibt. Die Gründe liegen darin, dass es hier ein relativ großes kulturelles Angebot gibt – im Gegensatz zu noch kleineren Städten, wo alles privatisiert oder dicht gemacht wurde – sowie Bildungseinrichtungen wie eine Berufsakademie und Berufsschulen. Sozialstrukturell ist noch zu sagen, dass es sich um die ‚Billiglohnregion Sachsens‘ handelt, mit einem hohen Anteil an Menschen, die in völlig prekären Arbeitsverhältnissen stecken. Hier ist auch ein Generationskonflikt in Form von Lohngefälle von ‚alt‘ nach ‚jung‘ erkennbar. Mit den Niedriglöhnen hat die Lokalpolitik übrigens sogar Werbung für die Ansiedlung von Unternehmen gemacht.

Prostitution spielt in Plauen seit den 1990ern eine große Rolle. Konzentrierten sich die Arbeitsräume zunächst auf den Stadtteil Hammervorstadt, finden sie sich jetzt quer verteilt im Stadtgebiet an den Hauptverkehrsadern und deren Nebenstraßen, da die Mieten dort meist günstig sind. Aus einem Zeitungsbericht von 2013 geht hervor, dass es in Plauen rund 30 entsprechend genutzte Gebäude und 70 Prostituierte gab. Heute dürften die Zahlen noch höher liegen. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die Straßenprostitution in tschechischen Grenzstädten 2014 verboten wurde. Nach Plauen kommen auch viele Freier aus Bayern, Thüringen und Tschechien.

C. (agv): Die Verbreitung von Drogen und Zwangsprostitution ist ebenfalls seit den frühen 1990er Jahren ein großes Thema. Die grenznahe Lage spielt da sicherlich eine Rolle. Wobei wir, was die Drogen betrifft, vorsichtig wären, denn dass die Menschen sich mit allen möglichen Substanzen selbst abschießen, kann nicht nur damit erklärt werden, dass die hier leichter erhältlich sind als woanders, sondern mit sozialen Problemen – dem kapitalistischen Leistungsdruck, Ausgrenzungsmechanismen und einer daraus folgenden krassen Desillusionierung. Die Beschaffungskriminalität spielt in Plauen auf jeden Fall eine große Rolle und schlägt sich vor allem in Keller- und Wohnungseinbrüchen nieder.

critique‘n‘act: In welchem Teil der Stadt seid ihr politisch und sozial organisiert? Wo treibt ihr euch rum? Und wie bleibt ihr beieinander?

A. (agv): Menschen aus unseren Zusammenhängen wohnen eigentlich in allen Plauener Stadtteilen. Projekte, die wir toll finden, sind das Projekt Schuldenberg in der Südvorstadt und ein weiteres derzeit im Aufbau befindliches Hausprojekt, die SiStr26 in der Neundorfer Vorstadt. Zusätzlich zu den klassischen Politgruppen wie der agv und der Roten Hilfe experimentieren Menschen aus unseren Kreisen schon länger mit Ansätzen von Stadtteilarbeit, die ein solidarisches Miteinander unter den Bewohner_innen und die gegenseitige Unterstützung von Kämpfen beinhalten. Wie das jetzt konkret aussieht, würde zu weit führen: Aber so etwas wie sich gegenseitig zum Jobcenter begleiten, für Politveranstaltungen eine Kinderbetreuung anzubieten, Geflüchtete bei ihren täglichen Kämpfen nicht alleine dastehen zu lassen oder die privaten Verstrickungen in Reproduktionsarbeit aus der Anonymität der Kleinfamilie rausholen, ist ja schon mal ein Anfang, oder?

B. (agv): Noch anzumerken wäre, dass wir die Kämpfe, die wir führen, nicht nur auf bestimmte Stadtteile beschränken, zum Beispiel gab es Ende 2016 im Stadtteil Haselbrunn, der eher als rechter Stadtteil wahrgenommen wird, eine Antifa-Demo, welche auch durch einige Bewohner_innen von Haselbrunn getragen wurde. Auch wenn die Nazis glauben, beziehungsweise propagandistisch behaupten, dass ausnahmslos alle Teilnehmer_innen und Organisator_innen der Demo aus Leipzig kamen…

C. (agv): Was das Beieinanderbleiben angeht, spielt der alte Satz ‚Das Private ist politisch‘ eine Rolle. In dem Sinne, dass wir auch außerhalb konkreter politischer Veranstaltungen, Treffen und Kampagnen versuchen, aufeinander aufzupassen. So dass im grauen Alltag niemand unter die Räder kommt – egal ob es sich jetzt um Leistungs- und Verwertungsdruck, Repression oder Nazis handelt.

critique‘n‘act: In der Berichterstattung rund um die beiden schrecklichen Brandanschläge, bei denen viele Menschen schwer verletzt wurden und zwei Menschen starben, kam die Berichterstattung immer wieder auf Problem- oder Romaviertel zu sprechen. Was hat es damit auf sich?

C. (agv): Wie wir schon in unserem Gruppenstatement veröffentlichten: Es gibt kein Romaviertel! Es gibt aber zwei heruntergekommene Mietshäuser, die – nicht ganz zufällig – im selben Stadtteil liegen. Die sagen wir mal tendenziöse Berichterstattung von Freie Presse und Co. impliziert natürlich einen Zusammenhang zwischen den dort wohnenden Roma und den sozialen Problemen im Viertel, ohne dabei mit der Sprache und damit dem eigenen Rassismus herausrücken zu wollen. Strukturell gibt es da natürlich einen Zusammenhang, aber die Roma sind nicht Verursacher_innen, sondern Betroffene: Es handelt sich um ein Stadtviertel mit niedrigen Mieten. Durch die andernorts stattfindenden Verdrängungsprozesse kommt es zur Konzentration verdrängter Menschen in jenem Stadtviertel. Ein vorsichtig gesagt mafiöser Vermieter kauft in Größenordnungen baufällige Immobilien in Plauen auf und packt sie, natürlich zu überteuerten Preisen, mit Menschen voll, die in der neoliberalen Leistungsgesellschaft als ‚sozial schwach‘ etikettiert werden. Darunter sind neben Drogenabhängigen, Straßenpunks und Menschen, die aufgrund von Schulden oder Vorstrafen Probleme auf dem Wohnungsmarkt haben, vor allem Roma aus EU-Ländern. Diese sind ‚billige Arbeitskräfte‘ auf der einen oder anderen regionalen Baustelle oder anderweitig prekär beschäftigt. Auf diese Weise wird aus dem Elend ausgegrenzter Gruppen Kapital geschlagen. Wenn die slowakischen Roma nicht in Osteuropa von harter rassistischer Ausgrenzung betroffen wären, würden sie sich dann freiwillig diesen neofeudalen Ausbeutungsstrukturen in der ostdeutschen Provinz ausliefern?

critique‘n‘act: Massive Mietpreissteigerungen werden vor allem als Problem der Großstädte wahrgenommen. Doch laut der lokalen Berichterstattung ist es selbst in Plauen, obwohl jede sechste Wohnung leer steht, schwierig, an bezahlbaren Wohnraum zu kommen. Müssen daher Arbeitsmigrant_innen, Punks und andere Arme bei diesem nebulösen Vermieter unterkommen? Ist es also auch in Plauen schon schwierig, als Bezieher_in von Sozialleistungen oder prekär Beschäftigte eine Wohnung zu mieten?

A. (agv): Der Leerstand ist in den letzten Jahren erheblich gesunken. Wir wissen nicht, ob die Zahl mit jeder sechsten Wohnung noch aktuell ist, aber die Statistik bezieht natürlich auch leerstehende Abrisshäuser mit ein. Wenn du also an einer Bundesstraße zehn einsturzgefährdete Altbauten am Stück hast, dann sind das in der Statistik schon hundert Wohnungen Leerstand, obwohl die ja wahrscheinlich schon seit DDR-Zeiten nicht mehr vermietet wurden. Abseits davon wird es schon enger, vor allem was die beliebteren Altbauviertel angeht. Die Bevölkerungszahl der Stadt steigt seit mehreren Jahren wieder leicht an. Parallel dazu gibt es aber noch immer Abrisse von Wohnblocks, sprich eine künstliche Verknappung von Wohnraum. Als Bezieher_in von Sozialleistungen kommst du schon noch relativ einfach an eine Wohnung, jedoch zunehmend in unbeliebteren Lagen, also Vierteln mit einer hohen Konzentration sozialer Probleme und entsprechender Stigmatisierung – der gute alte Elfgeschosser. Wenn jedoch ein weiterer Faktor – ‚Randgruppe‘, Migrationsgeschichte, Vorstrafen, Schulden et cetera – dazukommt, lehnen die meisten Vermieter_innen ab. Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft differenziert inzwischen offen zwischen ‚guten‘ Gegenden, die saniert und mit sozial angesehenem Klientel belegt werden, und einigen Blocks, die dann ausschließlich an als ‚problematisch‘ geltende Leute vermietet werden.

critique‘n‘act: Gibt es das Phänomen der Aufwertung, Verdrängung und Gentrifizierung auch in Plauen und wie drückt es sich aus? Es trägt vermutlich ein anderes Gesicht als in den Großstädten?

A. (agv): Wir vermuten, dass der kapitalistische Immobilienmarkt gar keinen Hype im eigentlichen Sinne mehr benötigt. Es reicht eine relativ ‚stabile‘ Nachfrage an Wohnraum und das Vorhandensein eines halbwegs zahlungskräftigen Klientels, und schon bietet es sich für Investor_innen an, ihr Kapital in den Immobiliensektor zu stecken. Wie bereits erwähnt: Trotz des Anstiegs der Einwohner_innenzahlen seit ein paar Jahren wurde der Wohnraum weiter künstlich verknappt. Das heißt, eine steigende Nachfrage trifft auf weniger Raum. Verstärkt wird das Phänomen dadurch, dass auch die Wohnungsbaugesellschaft Plauen inzwischen versucht, auf dem Luxussanierungsmarkt mitzuhalten – sie wandelt also billigen, teilsanierten in teuren Wohnraum um oder reißt billigen Wohnraum gleich ab. An manchen Häusern in Plauen kann der so genannte ‚strategische Leerstand‘ nachgewiesen werden, um den lokalen Mietspiegel zu beeinflussen. Natürlich ist die Knappheit an Wohnraum keineswegs mit Berlin oder anderen Großstädten vergleichbar. Aber auch hier wird es teurer und in bestimmten Vierteln findest du als Alleinerziehende_r, Migrant_in oder Geringverdiener_in keine Wohnung mehr. Somit setzt auch hier eine soziale Segregation ein – wir können sagen, dass die Funktionsweise des kapitalistischen Immobilienmarkts letztendlich auch hier dazu führt, dass bürgerliche, weiße Kleinfamilien unter sich bleiben und die ‚Anderen‘ an den Stadtrand oder in ‚schwierige‘ Wohnlagen gedrängt werden. Was die generelle Theorie der Gentrifizierung angeht, glauben wir, dass sie überarbeitet werden muss: Viel Leerstand und der Zuzug ‚junger Kreativer‘ sind als Ausgangsbedingung gar nicht notwendig. Ist ein gewisses Potential an zukünftigen Mieter_innen für ein Altbauviertel absehbar, lohnt sich der Ankauf und die Entmietung oder Sanierung vorhandener Altbaubestände. Dies führt – ganz ohne den vorherigen Prozess des Zuzugs junger, ‚alternativer‘ Menschen – langfristig zur Verdrängung von Arbeiter_innen, Arbeitslosen und Migrant_innen aus ‚ihrem‘ Stadtteil.

C. (agv): Verdrängung hat hier noch ein weiteres Gesicht: Ausgelöst durch eine Hetzkampagne der rechtskonservativen Tageszeitung Freie Presse gegen vermeintliche ‚Kriminalität‘ im Stadtzentrum, kommt es seit über einem Jahr regelmäßig zu Razzien durch schwerbewaffnete Polizeieinheiten in der Innenstadt. Meistens werden dann bei irgendjemandem Kleinstmengen Gras gefunden, wahrscheinlich für den Eigenbedarf, was dann der Staatsanwaltschaft und Öffentlichkeit als Ermittlungserfolg verkauft wird. Von der Vertreibungspolitik sind hauptsächlich Migrant_innen betroffen, weil die sich eben dort aufhalten und sich bisher nicht vertreiben lassen. Ziel von Polizei und Stadtpolitik ist aber, das klingt jetzt etwas drastisch, die ‚Säuberung‘ der Innenstadt von Randgruppen. Dazu wird auch mal in die Trickkiste gegriffen und beispielsweise ein Drogenprozess gegen unliebsame Menschen inszeniert. Polizei, Staatsanwaltschaft und Richter_innen sind sich da einig. Und da fallen bei einer Pressekonferenz solche Worte von der Polizeiführung wie: „Manche Menschen müssen endlich mal einsehen, dass sie in der Innenstadt nichts verloren haben.“ Solche Haltungen finden sich auch im aktiven Handeln der Polizei und spiegeln sich dabei durchaus auch in buchstäblich und bildlich unschönen Aktionen wie in der Sommerferienzeit 2015 wieder. Im Zuge der ‚Kriminalitätsprävention‘ (aka Passkontrollen) durch die örtliche und überregionale Polizei – den Einsatzzug Zwickau – wurde ein Migrant unmittelbar vor dem Rathaus buchstäblich bis auf die Unterhose und die Socken in der Öffentlichkeit ‚untersucht‘. […]

B. (agv): Seit dem 24. März 2018 haben rassistische Polizeikontrollen eine neue Dimension erreicht. An diesem Tag versammelten sich angeblich 200 ‚aggressive Ausländer‘ in der Innenstadt, eine Beschreibung, die sich später als heillos übertrieben herausstellte. Während an diesem Tag ‚nur‘ Platzverweise ausgesprochen wurden, ging man eine Woche später, im Nachgang zu einer rassistischen Kundgebung[8] mit 300 Teilnehmer_innen, gleich zu einem Polizeikessel über. Im Kessel wurden hundert Migrant_innen kontrolliert und durchsucht. Seitdem kommt es in der Innenstadt täglich zu krasseren rassistischen Kontrollen.

critique‘n‘act: Wir haben jetzt einiges über gentrifizierte Viertel, Stadtpolitik und rassistische Polizeikontrollen gehört. Plauen hat aber auch ein Naziproblem: In welchen Stadtvierteln haben in Plauen die Nazis die Hegemonie übernommen und wie äußert sich das? Wo sind sie besonders aktiv und wo kann noch Widerspruch stattfinden? Überregional bekannt wurde die Winterhilfe des III. Wegs. Könnt ihr uns kurz erzählen, wo diese Anlaufstelle liegt und warum der III. Weg sich dort niedergelassen hat. Wie sieht es mit der Akzeptanz aus?

A. (agv): Am präsentesten sind die Nazis in den beiden Stadtteilen Haselbrunn und Preißelpöhl. In Haselbrunn ist auch das selbsternannte ‚Bürgerbüro‘ des III. Wegs, von dem aus diverse Aktionen wie eben diese Winterhilfe koordiniert werden. Beide Stadtteile haben zahlreiche rechte ‚Lifestyle‘-Angebote, das aber schon seit einigen Jahren. Zu nennen wäre da ein Thor-Steinar-Laden, der Fußballverein SpuBC, der unter seinen Spielern Nazis toleriert und eine sehr rechte Anhängerschaft hat, sowie mehrere Kneipen, von denen regelmäßig rechte Angriffe ausgingen und deren Betreiber_innen selbst Nazis sind. Der Knackpunkt ist aber, dass die Hegemonie in diesen Stadtteilen sehr stark umkämpft ist – es ist eine propagandistische Strategie der Nazis, zu behaupten, dass sie die Vorherrschaft in diesen Gegenden haben. Faktisch gibt es aber auch dort Widerstand gegen rechte Umtriebe und es leben auch dort Leute, die sich den Nazis nicht beugen beziehungsweise sich nicht vertreiben lassen. Einen Großteil ihrer Macht beziehen organisierte Nazis erfahrungsgemäß daraus, dass sie Stadtteile zu ‚ihren Stadtteilen‘ erklären – und nicht-rechte Menschen bekommen es dann mit der Angst zu tun, selbst wenn dies nicht uneingeschränkt den Tatsachen entspricht. Widerspruch kann und muss überall stattfinden, auch in diesen Gegenden. Ein Schwerpunkt von Naziaktivitäten sind beide Viertel aber auf jeden Fall.

B. (agv): Wie schon erwähnt können wir nicht von einer Hegemonie sprechen, Geflüchtete und alternative Menschen können sich ohne größere Probleme ebenfalls in diesen Stadtteilen bewegen, wenn auch nicht in allen Lokalitäten. Am Anfang war das Büro des III. Wegs kaum frequentiert, inzwischen spielen die Nazis allerdings recht erfolgreich die soziale Karte mit Jugendabenden, kostenlosen Möbeln und Kleiderspenden, was offenbar im Stadtteil auch von einigen Anwohner_innen angenommen wird.

Trockenwohnen – Leben in Doppelabhängigkeit

Obwohl die Mieten in Plauen so niedrig wie in keiner anderen Mittelstadt Deutschlands sind[6], treibt der Immobilienmarkt in Plauen besondere Blüten. Laut einem Artikel in der taz[7] beschreibt sich der Vermieter der Brandimmobilien, Dr. Frank B., wie folgt: Er habe sein Immobiliengeschäft in Plauen innerhalb von fünf Jahren aufgebaut und besitze etwa zehn Häuser mit mehr als hundert Wohnungen. In seinen Immobilien wohnten mehrheitlich Drogenabhängige, Prostituierte und Roma-Familien. Dazu erklärt er: „Mein Prinzip ist es, günstig einzukaufen und schnell zu vermieten.“ Er vermiete nicht absichtlich an sogenannte Randgruppen. Laut seiner Aussage gäbe es in Plauen fast nur Randgruppen. Er nennt die Roma, die in seinen Wohnungen leben, seine ‚Dinger‘ und spricht von ‚Gesocks‘ sowie von ‚dummen Leuten‘. Er ist zudem stolz auf den Begriff ‚Plaunacken‘, den er für die Drogenabhängigen geprägt hat.

Schaut man auf die soziale Situation der Mieter_innen, sind sie tatsächlich strukturell benachteiligt. Diese prekäre Situation nutzt der Vermieter finanziell aus. In seinen Schrottimmobilien lässt er aus dem Wohnungsmarkt ausgeschlossene ohne Schufa-Ermittlungen und andere Repressalien einziehen. So bezieht er sofort deren direkt vom Jobcenter bezahlte Miete. Das bringt die Mieter_innen in eine schwierige Situation, denn trotz schlechtester Wohnqualität können sie keine Mietminderung einklagen, da der Vermieter über das Jobcenter die überzogene Miete bezieht und sie daher selbst kein Druckmittel haben. Diese Praxis schafft eine Situation, in der nicht bewohnbare Wohnungen über staatliche Mittel des Jobcenters finanziert werden. Hier lebt ein Vermieter quasi vom Jobcenter.

Doch damit nicht genug: Die Mieter_innen aus dem EU-Ausland benötigen Arbeit, um sich in Deutschland dauerhaft aufhalten zu dürfen. Der besagte Vermieter stellt den Betroffenen nicht nur Schrottimmobilien zur Verfügung, sondern stellt sie auch zu prekärsten Konditionen bei sich an. Die Arbeitnehmer_innen sind durch Beschäftigung und Wohnungsabhängigkeit in eine Art Leibeigenschaft geraten, denn der Vermieter ist Arbeitgeber und Vermieter zugleich. So können die Roma-Familien wegen ihrer Aufenthaltsrechte weder gegen ihren ausbeuterischen Arbeitgeber noch gegen ihren Vermieter vorgehen. Der rassistische und sozial-exkludierende Miet- und Arbeitsmarkt macht diese Abhängigkeit möglich.

Wir bezeichnen diese Art Wohnverhältnisse als ‚Trockenwohnen‘ in Anlehnung an die ‚Trockenwohner_innen‘ aus der Zeit der Industrialisierung. Als ‚Trockenwohner_innen‘ wurden Menschen bezeichnet, die temporär in neu errichteten Häusern wohnten, deren Wände noch nicht völlig ausgetrocknet waren. Da die neue städtische Arbeiterklasse dieser Zeit unter permanentem Wohnungsmangel und überhöhten Mieten litt, stellte das ‚Trockenwohnen‘ eine Alternative zur Obdachlosigkeit dar. Die Feuchte der Häuser allerdings machte die Bewohner_innen krank. Trockenwohnen im Neoliberalismus beinhaltet das Bewohnen von Räumlichkeiten, die durch die Bewohner_innen so lange in Stand gehalten werden, bis die Entwicklung auf dem Immobilienmarkt Sanierung und Verkauf oder Nobelvermietung rentabel macht. In Plauen leben augenblicklich Subalterne in maroden Wohnungen in Gründerzeithäusern und pflegen sie, so dass sie und ihre Kinder einigermaßen über die Runden kommen. Sie halten die Wohnungen trocken, bis es sich für den Vermieter nicht mehr lohnt, sie in diesen Wohnungen leben zu lassen.

Der III. Weg – ein rechter städtischer Akteur in Plauen

Rechte Einflussnahme in Städten hat viele Gesichter. Das können Pegida-Bewegungen, rechte Fußballkultur, die Identitäre Bewegung oder AfD-Aktivitäten sein. Der III. Weg in Plauen ist eine vor allem in Süd- und Ostdeutschland aktive neonazistische Kleinpartei. Sie betreibt in Plauen einen ‚Stützpunkt Vogtland‘ und ihr bislang einziges offizielles Parteibüro. Im III. Weg wird das 2014 verbotene Freie Netz Süd (FNS) unter dem Schutz des Parteienprivilegs weitergeführt. Die Partei strebt einen ‚deutschen Sozialismus‘ in den Grenzen des Deutschen Reiches von 1939 an. Der III. Weg begreift sich als ‚national, revolutionär und sozialistisch‘. Die Ästhetik des III. Weges vermittelt ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Seine Demonstrationen, wie diejenige am 1. Mai 2018 in Chemnitz, sind von vielen Fahnen, uniform gekleideten Teilnehmer_innen und einer klassisch faschistischen Marschordnung unter Einsatz von Trommeln gekennzeichnet. Antisemitismus gehört ebenfalls zur Ideologie des III. Weges. Zum Ausdruck kam dies unter anderem durch den am 29. Oktober 2018 in Plauen durchgeführten Fackelmarsch. Der 29. Oktober ist in Plauen ein historisches Datum. An diesem Tag vor 80 Jahren (1938) begann in Plauen die so genannte Polenaktion: 85 polnische Jüd_innen wurden in Sonderzügen an die deutsch-polnische Grenze deportiert. Die Aktion war der Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung der Jüd_innen im Deutschen Reich und ein grauenvoller Gewaltakt, auf den wenige Tage später die Pogromnacht des 9. November 1938 folgte. Die Gedenkveranstaltung einer Schüler_inneninitiative am 29. Oktober sollte an die Ereignisse erinnern, wurde allerdings aufgrund des zeitgleich geplanten Fackelmarsches aus Sicherheitsbedenken abgesagt. Dieser Umstand sorgte bundesweit für Entsetzen. Alle juristischen Versuche, den Fackelaufmarsch zu unterbinden, scheiterten. Die Namenslesung fand trotzdem statt, integriert in die antifaschistischen Gegenproteste der neu gegründete Initiative „Nie wieder!“, an denen sich über 500 Menschen beteiligten.

Auch in den vorangegangenen Monaten hatte der III. Weg Präsenz auf den Straßen Plauens gezeigt. Vertreter_innen dieser Partei beteiligten sich am 29. August 2018 an einem so genannten Protestspaziergang der AfD Vogtland. Anlass hierfür waren die rechten Aufmärsche und Hetzjagden in Chemnitz infolge einer Auseinandersetzung am Rande des Chemnitzer Stadtfestes, bei der ein Mann durch Messerstiche tödlich verletzt worden war. Auf dem Abendspaziergang der AfD warb der III. Weg für seine für den 1. September 2018 geplante Demonstration zum Thema ‚Ausländerkriminalität‘. Diese Demonstration verzeichnete einen starken Zulauf aus bürgerlichen Kreisen, weshalb offenbar auf die faschistische Marschordnung verzichtet wurde. In Abgrenzung zum am selben Tag in Chemnitz stattfindenden ‚Schweigemarsch‘ von Pegida und AfD mobilisierte der III. Weg unter dem Motto ‚Die Zeit des Schweigens ist vorbei‘. Auf dieser Demonstration wurde ‚Die Lösung heißt Nationalsozialismus‘ gerufen. Die sächsische Justiz sah diese Parole nicht als Straftatbestand – der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – an und erkannte somit keinen Anlass, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Auch eine Störung des öffentlichen Friedens war für die Staatsanwaltschaft nicht erkennbar.

Plauen ist aber nicht nur ein Aufmarschort der Partei III. Weg, sondern auch ein Laboratorium völkischer Aufbauarbeit. Nach dem Vorbild der griechischen Goldenen Morgenröte sammelt die Kleinstpartei Kleiderspenden und organisiert Volksküchen – nur für Deutsche. Diese Aktivitäten laufen unter dem Namen „Deutsche Winterhilfe“; die Ähnlichkeit zum nationalsozialistischen Deutschen Winterhilfswerk ist kein Zufall. Seit neuestem bieten sie auch Schüler_innennachhilfe an.[9]

Plauen hat neben einer hohen AfD-Wähler_innenschaft mit dem III. Weg einen städtischen Player, der sich ideologisch am historischen Nationalsozialismus orientiert. Die Partei pflegt eine ‚nationale Wohlfahrt‘ und inszeniert sich als ‚Kümmerer‘. Die angebliche Hilfsbereitschaft und das soziale Engagement unterscheidet den III. Weg zum Beispiel vom wirtschaftsliberalen Flügel der AfD.

Wird der ‚Sozialismus‘ des III. Weges verfangen? Wird das soziale Image zu größerem Einfluss führen? Das wird nicht unerheblich von anderen Akteur_innen und deren Sozialpolitik in Plauen abhängig sein. Seien es die demokratischen Parteien, die Bürger_innenschaft oder progressive Akteur_innen.

Im Interview widersprechen die antifaschistischen Gruppen des Vogtlandes der These einer rechten Hegemonie in der Stadt Plauen. Allen Distanzierungen, Konkurrenzgebaren und Abspaltungen zum Trotz finden auch sehr unterschiedlich ausgerichtete rechte Organisationen zueinander, wie die rechten Demonstrationen in Chemnitz im Spätsommer 2018 gezeigt haben. Was sie eint ist stärker als was sie trennt: ihr völkisches, antidemokratisches Streben nach der Macht und ihre mörderische Menschenfeindlichkeit. Sollte die sächsische AfD im Ergebnis der anstehenden Landtagswahlen im September 2019 Regierungspartei werden, ist auch davon auszugehen, dass der III. Weg seine Handlungsspielräume ausweiten kann. Wenn sich dieses Szenario einstellt, wird man die Frage nach rechter Hegemonie neu stellen müssen. Rassistische und antisemitische Gewalt ist bereits Gegenwart. Die Agenda der Rechten ist außerdem antifeministisch und homo- beziehungsweise transfeindlich. Ermordet werden von Rechten aber auch Arme, Obdachlose und Deviante – darüber kann auch ihre vermeintlich soziale Arbeit nicht hinweg täuschen.

Die Antworten auf unsere Fragen im geführten Interview haben uns gezeigt, dass wir viel zu wenig über die Klein- und Mittelstädte wissen. Es können nicht alle in die Großstadt ziehen, und dieser Weg ist oftmals auch durch die Entwicklungen am Immobilien-/Mietmarkt verbaut – daher ist es umso wichtiger, dass auch diese Städte, wie Plauen, für emanzipatorische Menschen bewohnbar bleiben. Die Faschisierung wird sich nicht ausschließlich aus den linken Kiezen der Großstädte heraus bekämpfen lassen. Umso mehr braucht es Unterstützung bei den städtischen oder/und antifaschistischen Kämpfen. Die Analysen und Bedürfnisse der Mittelstädtler_innen müssen gehört und verstärkt werden.

Endnoten

Autor_innen

critique’n’act, Föderation aus Dresdner Gruppen, organisiert im Bündnis »…umsGanze!«. Schwerpunkte sind Recht auf Stadt, Internationalismus, Antifaschismus und Feminismus. critique’n’act – für ein schönes Leben in einer solidarischen Gesellschaft!

critiquenact@systemli.org

Literatur

Becker, Jochen (2015): Verwebungen städtischen Handelns. Urban Citizenship oder die Umrisse einer neuen aufständigen Politik. In: dérive – Zeitschrift für Stadtforschung 61/10, 7-13.

Bernet, Tobias (2018): Stadtstaaten oder Barbarei? 15 Thesen zu rechten Vorstellungswelten, Migration, Demographie und Urbanität. http://www.tobiasbernet.de/wp-content/uploads/2018/11/Bernet_Stadtstaaten_15Thesen.pdf (letzter Zugriff am 21.12.2018).

Critique’n’act (2018): Sich nicht daran gewöhnen – wenn Nachbarschaften verbrennen lassen. http://critiquenact.blogsport.eu/2018/05/15/sich-nicht-daran-gewoehnen-wenn-nachbarschaften-verbrennen-lassen/ (letzter Zugriff am 16.02.2019).

Vogelpohl, Anne (2015): Die Begriffe Stadt und Urbanisierung bei Henri Lefebvre – Eine Inspiration für Recht auf Stadt-Bewegungen heute. In: dérive - Zeitschrift für Stadtforschung 60/9, 4-8.