Mit Rechten reden? Lasst mal lieber über Rassismus sprechen!

Kommentar zu Robert Feustels „Substanz und Supplement. Mit Rechten reden, zu Rechten forschen?“

Lee Hielscher

Mit Rechten reden? Stellt sich diese Frage überhaupt noch? Rechte reden, überall und zu immer mehr Themen, meistens aber mit demselben Grundthema: Die ungehinderte Migration habe über Jahre das Land unterwandert. Rechte sind unüberhörbar geworden und können nicht mehr ignoriert werden. Auch wenn man eigentlich nicht mit ihnen reden will, so zwingt ihre Präsenz doch auch alle anderen zum Reden, denn ihre verkürzten Weltdeutungen und autoritären Forderungen erlangen über vielfältige Medien und zahlreiche eigens geschaffene Kanäle weite Verbreitung. Es ist ein Diskursmoment entstanden, in dem eine rechte Hegemonie gar nicht mehr daran festzumachen ist, wer bestimmte machtvolle Positionen innehat, sondern wer durch Äußerungen Diskurse so auf sich konzentrieren kann, dass alle über dasselbe Thema reden, nämlich Migration. Warum fällt es den Rechten so leicht, Aufmerksamkeit zu bekommen? Nach meinem Dafürhalten nicht aufgrund von rhetorischer Raffinesse, sondern wegen einer spezifischen, dominanten Wahrnehmung von Migration. Rechte schaffen es, gefälschte Statistiken über Asylanträge zu verbreiten und damit alle Aufmerksamkeit auf sich zu konzentrieren, obwohl der Großteil davon frei erfunden ist. Der Erfolg ihrer Fake News liegt jedoch nicht darin begründet, dass ihre Fälschungen so gut sind, sondern darin, dass das von ihnen gezeichnete Bild der Bedrohung durch Migration eine gesellschaftlich verbreitete Evidenz besitzt. Solange man daran glaubt, Angela Merkel habe alle Grenzen geöffnet und ignoriert, dass der gesamte Sommer der Migration von Gesetzesverschärfungen und intensiven Kontrollpraktiken flankiert war, wird auch jede neue rechte Mär der Migration ihren Nährboden finden.

Robert Feustel stellt daher folgerichtig in Zweifel, dass uns die Befragung von Rechten allzu viele Erkenntnisse über die Dynamiken der Gesellschaft und eine Soziologie des Momentanen bringen wird. Und doch fällt es schwer, sich von den rechten Konjunkturen als Forschungsgegenstand zu trennen, denn derartige soziale Prozesse und dermaßen deutliche Konturen gesellschaftlicher Spannungen waren so in den letzten Jahren kaum festzustellen. Besteht hier also nicht die Dringlichkeit, diese neue Rechte zu erforschen? Ja und Nein zugleich. Denn wie auch Feustel unterstreicht: Es ist an den neuen Rechten nicht alles so neu wie es scheint. Während das Personal in den vorderen Reihen ein neues ist, wird mit denselben Themen wie eh und je gearbeitet. Somit sind ihre jetzigen Konjunkturmomente eher als Teil eines lange anhaltenden politischen Kampfes zu sehen. Erschreckend ist, wie dominant rechte Themen in aktuellen Debatten geworden sind und welch große Aufmerksamkeit ihren revisionistischen Positionen zu grundlegenden demokratischen Auffassungen zukommt. Doch diese neuen Erfolge liegen nicht an den Rechten selbst, es liegt an der gesamten Gesellschaft.

Daher sollten wir nicht über die ‚neuen Rechten‘ reden, sondern über die ‚erneuerten Rechten‘. Kritische Wissenschaft sollte nicht allein die Rechten erforschen, sondern viel stärker die Gesellschaft, die ihre Ansichten erduldet und begünstigt. Allerdings fordern viele Autor_innen seit einiger Zeit, auf das unter Rechten verbreitete Gefühl, niemand interessiere sich für ihre Lebenslage, aktiv einzugehen und das Gespräch mit ihnen zu suchen, verbunden mit der Hoffnung, sie von ihrem Weg abzubringen.

Feustel stellt diese Hoffnungen in Abrede, denn ein überwiegender Teil der Rechten wolle gar nicht erreicht werden, weder im Rahmen von Befragungen, noch durch Analyse oder Debatte ihrer Positionen. Feustel sieht hier den Fundamentverlust jeglicher Epistemologie: In Zeiten der Fake News zähle das beste Argument rein gar nichts mehr, sondern nur noch eine skandalträchtige Geschichte. Dies führt ihn eher zu einer philosophischen Debatte über das, was wahr ist oder wahr gemacht wird und damit weg von der Frage, was es für eine Gesellschaft bedeutet, von einem kollektiven Narrativ der bedrohlichen Migration geprägt zu sein.

Warum nicht konkret über Rassismus reden?

Der Wunsch, in der Debatte und durch das Widerlegen ihrer Argumente mit Rechten zu reden, speist sich aus der Hoffnung, dass die autoritäre, rassistische und faschistische Haltung nur ein temporärer Zustand sei. Richtig ist, niemand wird als Rassist_in geboren – ein Mensch wird erst dazu. Zu fragen, wie jemand auf diesen Weg gerät, ist völlig berechtigt. Problematisch wird es allerdings, wenn rassistisches Verhalten als eine zeitweise Verirrung verstanden wird. Denn wer rassistisch wird, ist dann eben auch rassistisch. Diejenigen, die für einen Dialog mit Rechten argumentieren, hoffen aber genau auf eine ungefestigte politische Meinung, einen Ausrutscher, ein Polemisieren, welches mit genügend Engagement auch revidierbar sei. Dass dies eher aussichtslos sei, hat Feustel bereits mit Verweis auf die autarke Argumentationswelt Rechter deutlich gemacht. Trotzdem bleibt es aber zu untersuchen, wie Rassismus wirkt und funktioniert. Jedoch bietet dafür auch die kritische Sozialwissenschaft in der BRD nur wenig an. Rassismusanalyse greift oftmals auf ein psychoanalytisch geprägtes Erklärungsmodell zurück und interpretiert Rassismus als Versuch, eigene Marginalisierung auf die Abspaltung des Anderen, Fremden und Heterogenen zu projizieren. Genau das ist ein zentrales Problem innerhalb kritischer Sozialwissenschaft deutscher Prägung: Auch hier ist Rassismus Nebenprodukt einer sozialen Situation und nicht konstitutives Moment des Sozialen, eben kein eigenes Vergesellschaftungsprinzip und daher nicht notwendig tiefer zu erforschen.

Gerade mit Blick auf die Herde rechter Konjunktur im ökonomisch unterlegenen Osten gerät eine Analyse rechter Konjunktur allzu schnell in das erprobte Feld einer politischen Ökonomie und marxistischen Gesellschaftsanalyse, die eine Auseinandersetzung mit Rassismus außen vor lässt. Innerhalb des Kapitalismus wird sich das Individuum demnach seiner eigenen ökonomischen Prekarität in Form gesellschaftlicher Marginalisierung bewusst und versucht diese durch das Feindbild einer anderen marginalisierten Gruppe, die Migrant_innen, zu kompensieren. So einfach lässt sich eine Analyse rechter Konjunktur zusammenfassen. Aber warum ist es so selbstverständlich, dass sich Menschen dann gegen Migrierte richten? Weil uns hier Rassismus als selbstverständlich begegnet, als hätte dieser immer schon zu allem Menschsein gehört. Dabei wird Rassismus tatsächlich immer dann sichtbar und hörbar, wenn er eine Reaktion auf globale Verhältnisse darstellt. So war es zur Zeit des Kolonialismus, so ist es in Zeiten der Globalisierung. Rassismus gehört nicht einfach zu Rechten, Rassismus steht in einem sozialen Kontext und genau diesen gilt es zu untersuchen.

Einem Großteil der Sozialwissenschaft ist Rassismus aber relativ gleichgültig und so verwundert es nicht, dass die Debatte um Fake News, wie bei Feustel, zu epistemologischen Fragestellungen darüber führt, was noch wahr ist, statt sich mit dem Phänomen auseinanderzusetzen, dass gefälschte Statistiken und Berichte zu Migrant_innen eine riesige Aufmerksamkeit bekommen können. Das funktioniert doch nur, weil es schon ein apriorisches Wissen um die Bedrohlichkeit von Migration gibt. Dieses Wissen ist ein rassifiziertes Wissen, denn es basiert auf Denkfiguren, die eine spezifische Gruppe als geschlossen, zusammenhängend und vielfach anderen Menschen überlegen deklariert. In Ablehnung sozialer Faktoren und gänzlicher Engführung auf primordiale Eigenschaften wird hier ein Denken in kulturell-rassistischen Kategorien vorgeschlagen, mit denen zumeist globale Gewaltbeziehungen abgesichert und legitimiert werden. Stuart Hall beschrieb dieses Denken als (Re-)Produktion einer Hegemonie, die als kulturelle Identität agieren kann, ohne in die vordergründige Wahrnehmung treten zu müssen (vgl. Hall 2012).

Rassifiziertes Wissen und Wahrnehmen

Anhand des Silvestertages 2018 verdeutlicht sich dies erneut besonders gut. An zwei Orten kommt es zu gewaltvollen Übergriffen: Im bayerischen Amberg ereignen sich am Silvesterwochenende mehrere körperliche, plötzliche Angriffe auf Passant_innen, im nordrheinwestfälischen Bottrop mehrere Angriffe auf Menschengruppen mit einem PKW. Ein Wochenende, zwei Städte, dutzende Verletzte. Für den Bundesinnenministers Horst Seehofer steht nach Amberg sofort fest: Es sind härtere Migrationsgesetze zur schnelleren Ausweisung von migrierten Straftäter_innen notwendig. Die Anschläge in Bottrop verurteilt Seehofer ebenfalls, nennt jedoch für diesen Anschlag keinerlei politische Konsequenzen (Der Stern 2019). In Amberg sind in diesen Tagen mehrere Reporterteams unterwegs und führen Gespräche mit den Betroffenen sowie mit der Stadtverwaltung und den Sicherheitsbehörden. Den fernen Leser_innen wird eine breite Auswahl an Artikeln in der deutschen Presse vorgelegt, anhand derer man sich genauer in die Lage in Amberg hineinversetzen kann (Bayerischer Rundfunk 2019).

Für Bottrop fehlt dies als Angebot. Hier ist kaum jemand zu den Opfern gefahren und hat ihre Darstellung und ihre Kommentare zur Situation der Stadt und Gesellschaft dokumentiert. Wir wissen über die Opfer lediglich, dass sie Syrer_innen sind, Geflüchtete, wie wir meinen. Wissen tun wir es nicht, denn im Gegensatz zu den Opfern in Amberg, deren Alter und Berufe wir kennen, von denen einige sogar mit Bild bekannt sind, treten die Opfer im Bottroper Fall nur als migrantisches Kollektiv auf. Wir wissen von den Syrer_innen nichts über ihre Berufe, ihr Leben, ihren Silvestertag. Das zeigt ein Spannungsverhältnis auf, dem sich eine kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft dringend widmen muss. Denn wir sehen diesen Bruch auch im Narrativ der Taten. Der Liveticker der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung gibt sehr genau wieder, wie sehr sich gegen den Begriff des Terrors im Kontext von Bottrop abgegrenzt wird (Laurenz et al. 2019). Für die Übergriffe in Amberg hallte die Forderung nach der sofortigen rechtsstaatlichen autoritären Handlung gegenüber den geflüchteten Jugendlichen nach. Umso tiefer man in die Berichterstattung einstieg, umso deutlicher wurde, dass der bisherige Realitätsgehalt der Presseberichte marginal ist. Die Taten waren nicht so gewalttägig wie suggeriert, die Angriffe nicht so massiv. Der Bürgermeister, wie auch die Betroffenen, mussten immer wieder darauf verweisen, dass sie die Aufregung nicht verstehen können und man die Kirche im Dorf lassen solle (Britzelmeier 2019)

Auf der Seite der Angriffe von Bottrop entfaltete sich eine genau entgegengesetzte Dynamik. Hier führte die weitere Recherche zum Angriff zu viel mehr Erkenntnissen über den Täter, welcher ein gefestigtes Weltbild gegenüber Geflüchteten und Migrierten zu haben scheint. Es fanden sich zahlreiche Dokumente in seiner Wohnung, die eine Einbindung in rechte Milieus nahelegen (Schulze 2019). Bereits bei seiner Festnahme nutzte er zwei klassisch rechtsterroristische Aussagen: Ausländer seien ein Problem für Deutschland, das er löse wolle (tagesschau.de 2019). Dies stellt ein übliches Motiv für rechtsterroristische Taten dar: Es wird eine Gesamtbedrohung für die Volksgemeinschaft antizipiert, wobei der Täter sich berufen fühlt, als Retter dieser Volksgemeinschaft aufzutreten. Wie Matthias Quent in seiner Untersuchung zu rechtsterroristischer Gewalt detailliert darlegt, ist es die Besonderheit des Rechtsterrorismus, dass sich die Täter nicht in einem gefestigten organisatorischen und ideologischen Umfeld bewegen müssen, um als politische Täter_innen aktiv zu werden. Sie fänden ihren Rückhalt in der Nation, für die sie tätig würden. Sie sähen demnach die Notwendigkeit für Handlungen, die andere nicht bereit sind zu leisten und würden entsprechend aktiv. Ermittlungsbehörden seien in Deutschland aber bis heute nicht in der Lage, diesen Vigilantismus in seiner spezifischen Organisationsform rechten Terrors zu verstehen und ließen daher politische wie terroristische Zusammenhänge außer Acht (Quent 2016).

Interessant wird es, wenn wir eine weitere Tat zwei Jahre zuvor in die Betrachtung einbeziehen, den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Gerade die Gegenüberstellung von Berlin und Bottrop schärft den Blick für strukturelle Wahrnehmungsdifferenzen. An beiden Orten nutzt ein Mann ein Fahrzeug, um im Stadtraum, an Orten des öffentlichen Zusammenkommens, Menschen das Leben zu nehmen. Die Taten unterscheiden sich lediglich hinsichtlich ihrer tödlichen Konsequenz voneinander. Eine der beiden Taten ist ein Terroranschlag, welcher innerhalb eines Jahres ein Entschädigungskomitee sowie ein Denkmal zur Folge hatte. Bei der Bottroper Tat wird überwiegend von einer Amokfahrt, teilweise von einem Attentat, kaum von einem terroristischen Anschlag und so gut wie gar nicht von rassistischem Terror gesprochen. Somit werden zwei ähnliche Gewalttaten durch massiv differente Aussagenfelder unterschiedlich diskursiviert.

Aber ist dies nicht auch zu erwarten bei einem Anschlag, der elf Menschen das Leben gekostet hat und bei dem über 50 Personen schwer verletzt wurden? Die Zahl der Opfer hat jedoch auf den Grad der Aufmerksamkeit, der den Betroffenen entgegengebracht wird, keinen direkten Einfluss. Betrachten wir in diesem Zusammenhang auch den Terroranschlag auf der Kölner Keupstraße von 2004, wo über 22 Personen verletzt wurden. Nehmen wir die NSU-Morde an zehn Menschen hinzu, den Terroranschlag von Lübeck 1996, bei dem sechs Menschen starben, die Pogrome von Lichtenhagen und Hoyerswerda, die Brandanschläge auf Familie Arslan oder auf Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, so wird deutlich: Es existiert eine sehr lange und komplexe Geschichte rassistischen Terrors in Deutschland. Diese Opfergeschichten sind aber weder in einem kollektiven Gedächtnis verankert, noch sind sie Ausgangspunkt institutioneller Veränderungen, sei es Opferunterstützung oder eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Rassismus. Die Differenzen zwischen der Auseinandersetzung mit terroristischer Gewalt, die eine deutsche Gesellschaft und jener, die eine migrantische Gesellschaft adressiert, zeigen, dass Leben unterschiedlich bewertet werden und daher auch unterschiedliche Konsequenzen aus den Taten gezogen werden. Es hat niemand in Form einer deutlichen rassistischen Aussage geäußert, dass das Leben der Bottroper Opfer weniger wert sei. Genau diese Wahrnehmung ist aber das Ergebnis, was aufzeigt, dass Rassismus auch ohne konkrete Aussageform wirkt.

Somit verstärkt sich die Frage: Wie mit Rechten reden, wenn ihre diskursive Grundlage, die Rassifizierung des Anderen, unangetastet bleibt? Die Auseinandersetzung mit rechten Konjunkturen muss kollektivierte Wissensbestände sezieren und fragen, warum Rassismus derart unwidersprochen regieren kann – nicht in erster Linie, wie ‚plötzlich‘ Rechte einen Aufschwung erhalten konnten. Rechten Protesten wird der Stadtraum zur Ausdeutung einer Bedrohlichkeit der Migration überlassen. Statt uns auf ihre Argumente einzulassen, sollten wir ihnen auf der Ebene des Schaffens von Wissen dieses Terrain entziehen.

Die Stadt bietet seit jeher einen Möglichkeitsraum, Migrationsprojekte zu entfristen, da das Finden einer Behausung den beständigen Neuschöpfungsprozess der Stadtgesellschaft ausmacht. Daher manifestieren sich in Städten auch immer wieder neue Deutungen und Einordnungen von Migrantisierungsprozessen, durch die gesetzte Nationallogiken und rassifizierte Repräsentationsregime herausgefordert und in Frage gestellt werden.

Die mediale Auseinandersetzung mit Migration konzentriert sich meist auf das potenziell bedrohliche Problem. Dabei ist jede Stadtentwicklung von Migration initiiert. Städte entstanden an Knotenpunkten von Bewegungen und schufen Begegnungs- und Austauschorte für den Transit. Städte leben seit jeher von Wanderungen und Austausch. Die moderne Stadt wäre ohne den massenhaften Zuzug von religiös, politisch oder sozial Verfolgten weder in Berlin oder London noch in Shanghai denkbar gewesen. Migration ist demzufolge die Mutter aller Städte. Sie ist dabei weniger ein stadtgesellschaftliches Bedrohungsszenario als vielmehr das spannungsgeladene Aushandlungsfeld zwischen Planung und Kontrolle einerseits und dem Sichbehausen und dem realen Schaffen einer Stadtgesellschaft von unten andererseits. Menschen ändern Raum durch ihre Lebenspraxis, nur so kommt der transformatorische Charakter der Stadt zu Stande.

Für die Migrationsgeschichte der Stadt ist jedoch nur ein marginales kollektives Gedächtnis geschaffen worden. Die Erinnerung tragen vornehmlich die Migrierten selbst, ihr reicher Erfahrungsschatz wird aus der kollektiven Aufmerksamkeit verdrängt. Auch dies ist Resultat rassifizierter Gesellschaftsformen, denn kollektive Gedächtnisse mit ihren Repräsentationsorten und den auktorialen Autoritäten einer Stadtgeschichte geben Migrant_innen nicht das Recht zu reden und Erinnerung und Geschichte mitzugestalten. Statt mit Rechten zu reden, sollten wir lieber den rassifizierten Ausschlussmechanismen begegnen und die Perspektive der Migration als Perspektive der Gesellschaft zulassen. Migrantisch situiertes Wissen ist zugleich ein Prisma für soziale Normalzustände, weshalb dieses Wissen aktiv gesucht und wahrgenommen werden muss. Statt also darauf zu hoffen, dass ein Reden mit den Rechten unser Wissen erweitert, sollten wir viel eher das Wissen der Migration in die Wahrnehmung bringen. Denn die Migrierten sind jene mit den Rechten zu reden, dieses Recht wird ihnen jedoch immer wieder genommen!

Autor_innen

Lee Hielscher ist freier Kulturanthropologe mit Schwerpunkt auf Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft, Rassismusstudien und Erinnerungspolitik.

lee@kritnet.org

Literatur

Bayerischer Rundfunk (2019): Amberger Prügeltour: Mehr Opfer als bislang bekannt. https://www.br.de/nachrichten/bayern/bei-der-amberger-pruegeltour-gab-es-15-verletzte,RMNbPyI (letzter Zugriff am 23.4.2019).

Britzelmeier (2019): „Es wirkt für uns nicht mehr rational“. Amberger Oberbürgermeister. In: Süddeutsche Zeitung v. 4.1.

Der Stern (2019): „Sie müssen unser Land verlassen“: Seehofer fordert nach Prügelattacke schärfere Gesetze. https://www.stern.de/politik/horst-seehofer-fordert-nach-pruegelattacken-in-amberg-schaerfere-gesetze-8512570.html (letzter Zugriff am 23.4.2019).

Hall, Stuart (2017): Rassismus und kulturelle Identität: Ausgewählte Schriften 2. Hamburg: Argument Verlag. Laurenz, Felix / Storch, Marcel / Sieben, Peter / Sobolewski, Daniel (2019): Bottrop: Amokfahrer Andreas N. (50) aus Essen machte Jagd auf Ausländer +++ Dieses merkwürdige Motiv gab er bei der Polizei an. https://www.derwesten.de/region/bottrop-auto-amokfahrer-essen-anschlag-andreas-n-terror-id216114521.html (letzter Zugriff am 23.4.2019).

Nowak. Eilsa (2019): Ungleichgewicht der Aufarbeitung. Rechtsruck Bottrop und Amberg zeigen den tief verankerten Rassismus der Deutschen. https://www.freitag.de/autoren/elisanowak/der-rassismus-der-deutschen (letzter Zugriff am 23.4.2019).

Quent, Matthias (2016): Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus. Wie der NSU entstand und was er über die Gesellschaft verrät. Weinheim/Basel: Beltz.

Schulze, Tobias (2019): Auswahl der Opfer wohl kein Zufall. Auto-Anschläge in Bottrop und Essen v. 2.1.

tagesschau.de: „Aufgewühlt“ von Amberg und von Bottrop. Seehofer zu Gewaltdelikten. https://www.tagesschau.de/inland/seehofer-831.html (letzter Zugriff am 23.4.2019).