Zwischen Stadtteilarbeit und Protest

Interview mit der Berliner North East Antifa / Antifa Nordost

Peter Bescherer, Hannes Witt

In vielen Erklärungsansätzen für den Rechtsruck spielen Veränderungen der politischen Repräsentationsverhältnisse eine wichtige Rolle. Der Verlust parteipolitischer Profile, die Beschwörung von Konfliktlosigkeit und Konsens oder der Verweis auf Sachzwänge zur Legitimation politischer Vorhaben gehen nicht so weit, dass eine simple Gegenüberstellung von Volk und Elite gerechtfertigt wäre. Und dennoch sind diese Prozesse nicht von der Hand zu weisen. Die weit verbreitete Wahrnehmung, dass „die da oben“ ja doch „machen was sie wollen“, ist eine Triebkraft des rechten Populismus insofern es ihm gelingt, die Abgrenzung gegen das Oben (die Eliten) mit jener gegen das Außen (die Fremden) zu verknüpfen. Antifaschistische Gruppen und Initiativen haben es nicht mit Nazis zu tun, die einfach nur raus müssen. Im Interview mit der Berliner Antifa Nordost wird deutlich, wie die Gegebenheiten vor Ort Ausdruck und zugleich Bedingung rechter Hegemoniebestrebungen sind. Außerdem wird die Frage nach Gegenstrategien aufgeworfen und danach, welche Rolle antifaschistische Gruppen in städtischen sozialen Bewegungen spielen.

Peter Bescherer (PB): Könnt ihr zunächst eine Art Situationsanalyse anstellen? In welchem sozialräumlichen Kontext ist eure Gruppe aktiv?

Hannes Witt (HW): Der Großbezirk Pankow besteht aus verschiedenen Ortsteilen. Dementsprechend groß sind die Unterschiede. Mit weit über 400.000 Einwohnern ist das der einwohnerstärkste Bezirk Berlins. Am bekanntesten ist natürlich Prenzlauer Berg als kinderreichster Bezirk. Der Einwohnerzuwachs ist auf jeden Fall steigend. Der Senat verkaufte Ende der Nullerjahre viele städtische Objekte an Privatinvestoren, darunter auch Schulgebäude. Diese Kurzsichtigkeit rächt sich jetzt, wo es wieder mehr Bedarf gibt. Gerade werden darum viele Schulen gebaut, vor allem in Nord-Pankow, wo es noch viele Freiflächen gibt. Aber auch Wohnungen. Der Wohnungsmangel im Innenstadtbereich kompensiert sich in Berlin gerade massiv im Zu- und Umzug an den Stadtrand. Bei uns wäre das zum Beispiel der Stadtteil Buch. Buch ist eine Plattenbausiedlung im Norden von Pankow, an der Grenze zu Brandenburg. Im Pankower Norden gibt es noch Blankenburg, Alt-Karow und Buchholz. Hier prägen eher Einfamilienhäuser und Kleingärten das Bild. Die Gegend um Alt-Pankow hingegen ist bürgerlicher geprägt, mit dem angrenzenden Niederschönhausen, wo früher die ganzen Stasi-Offiziere gewohnt haben. Im Kern von Alt-Pankow gibt es kaum noch Straßenzüge, wo Leute mit prekären Lebensverhältnissen konzentriert leben. In Weißensee wiederum ist es noch relativ gemischt. Hier leben viele Leute, die weniger Geld haben oder Hartz IV empfangen. Aber die letzten sieben Jahre wurde hier auch viel neu gebaut: Privatwohnungen, große Luxus-Klötze, kein sozialer Wohnungsbau. Auch wenn es mittlerweile mehr Menschen aus unterschiedlichen Ländern gibt, die im Großbezirk wohnen, so sind der Großbezirk und seine Kieze im Vergleich zu Wedding oder Neukölln schon eher deutsch geprägt. Vor allem, desto weiter man sich Richtung Stadtrand im Bezirk bewegt.

PB: Wer sind die Rechten, mit denen ihr es zu tun habt? Aus welchen Milieus und sozialem Umfeld kommen sie?

HW: In Buch gibt es einen der wenigen noch aktiven NPD-Kreisverbände. Dieser Gruppe gelingt zwar nicht der große politische Wurf. Auf niedrigschwelligem Level konnten sie sich trotzdem als rechter Akteur vor Ort etablieren. Sie beschränken sich aktuell vor allem auf Propagandaaktionen und Bürgerwehrstreifen, die sie auf Social Media veröffentlichen. An die Erfolge der „Nein zum Heim“-Proteste in den Jahren 2014/15, die in Buch ja klar NPD-gesteuert waren, können die aber nicht mehr anknüpfen. Damals gab es jede Woche Aufmärsche gegen neue Flüchtlingsunterkünfte – vor allem in den Ostberliner Bezirken wie Treptow, Marzahn, Köpenick, Hohenschönhausen und eben auch Buch. Diese Tarnung als Bürgerinitiative, mit der die Nazis in Buch 400 und in Marzahn bis zu 1000 Leute auf die Straße gebracht haben, kauft denen heute keiner mehr ab. Das was da eingeübt wurde fand seinen Ausdruck in den überregionalen „Merkel muss weg!“-Demos im Berliner Regierungsviertel. Wir nennen das Schulterschluß-Nazis. Also Leute, die sagen, sie sind keine Nazis, aber trotzdem Nazikram reden und mit solchen Leuten demonstrieren. Der Straßenprotest gegen Flüchtlinge in Berlin, der auch von Anwohnern getragen wurde ist auch deswegen abgeflaut, weil die AfD durch ihre Mediendauerpräsenz das Thema völlig aufgesogen hat und halt vermittelt, dass sie sich drum kümmern. Die ganze Nummer, sich als Kümmerer darzustellen, probiert die AfD auf lokaler Eben mittlerweile in Blankenburg, wo sie seit Ende 2017 ein Bürgerbüro betreiben. Ein nicht unerheblicher Teil der lokalen AfD wohnt auch im Pankower Norden. Die meisten von ihnen kann man als Mittelstand einstufen. Kleinunternehmer, Militärlaufbahn, Gymnasial- oder Uniabschluß – Der Prototyp eines AfD-Verbandes. Damit sprechen sie durchaus die Bevölkerung in den Einfamilienhaussiedlungen Nordpankows an. Die Bucher NPD-Nazis haben solche Lebensläufte nicht vorzuweisen. Dennoch sind sie vor Ort bis zu einem gewissen Grad verankert, über persönliche Kontakte, die sie während der „Nein zum Heim“-Proteste entwickelt haben, und Ortsansässigkeit im Viertel. Was ihnen jedoch fehlt, um daraus was zu machen, ist ein eigenes Ladenlokal oder ähnliches. Die Wahlergebnisse der NPD in Buch sind nicht sonderlich nennenswert. In Buch und Karow errang die AfD bei den Bundestagswahlen 2017 in verschiedenen Wahllokalen so um die 27 Prozent. Man muss dazu aber auch sagen, dass Die LINKE in Buch ein ähnlich gutes Ergebnis bekommen hat. Im Pankower Stadtteil Blankenfelde, ganz im Norden, erhielt die AfD 37,2 Prozent, so viel wie sonst nirgends in Berlin.

PB: Verändert sich der Stadtteil unter dem Einfluss der Rechten?

HW: Auf Blankenburg bezogen sieht man auf jeden Fall, dass diese Abgrenzung von bürgerlich zu rechts teilweise vollkommen gefallen ist. Da sind die Übergänge in den Meinungsbildern einfach fließend. Ist natürlich auch ein super Agitationsspot für die Rechten. Die können sich als ganz normale Leute in Szene setzen. So haben sie zum Beispiel während der Fußball-WM Public Screenings veranstaltet oder am Tag des Blankenburger Feuerwehrfestes ihr Büro geöffnet und ein paar niedrigschwellige Angebote gemacht. Das Büro nutzt die AfD aktuell vor allem für parteieigene Veranstaltungen. Ihre Nachbarschaftsarbeit läuft gerade erst an, würde ich sagen. Aber auch die werden darin besser werden, denke ich. Das wichtigste ist jedoch, dass sie über eigene Räume vor Ort verfügen, die auch zugänglich sind. Das ist eigentlich der wichtigste Punkt für die Raumnahme im Stadtteil durch die Rechten. Hier kann die AfD vor allem an ein Klientel anschließen, das ihr nahe ist von der sozialen und politischen Herkunft her. Es gibt keinen starken und dauerhaften politischen Gegenwind. Guckt man ein Stück weiter im Pankower Norden, dann gibt es da zum Beispiel jetzt seit rund drei Jahren einen Bürgersicherheitsdienst, der auch von AfD-Unterstützern mitorganisiert wird. BuSi heißt das Ding. Das steht für „Buchholzer Sicherheit“. Hier geht es auch häufig um „auffällige ortsfremde Personen“, also auch Leute, die da schon immer unterwegs waren, aber jetzt als ortsfremd markiert werden. Im aktuellen Kriminalitätsatlas der Polizei liegt Buchholz bei der Zahl der Straftaten in Pankow auf dem vorletzten Platz, was aber nicht unbedingt mit der BuSi zu tun hat, sondern weil einfach nicht so viel passiert. Wir würden sagen, die BuSi ist die Light-Version einer Bürgerwehr, die auch durch ihre reale Präsenz ihren Beitrag zum Verunsicherungsdiskurs beiträgt.

Die größten Veränderungen in den letzten Jahren sehen wir aber vor allem darin, dass es den klassischen Nazis als auch der AfD gelungen ist, die Diskussion um die Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum auf die Frage Flüchtlinge oder Deutsche runter zu brechen. Das merkt man im Stadtteil, wenn man mit den Leuten redet. Gerade da wo es Asylunterkünfte gibt und die Rechten bereits über einen längeren Zeitraum agitieren. Die tun gegenüber den Leuten so, als würde die Regierung auf einmal den Goldsack ausschütten, nur weil die Ausländer weg sind.

PB: Gibt es lokale Problemlagen, die populistische Haltungen befördern und denen die AfD ein entsprechendes politisches Angebot macht?

HW: Es gibt in Blankenburg tatsächlich gerade so einen Konflikt. Dort sollen auf einer landeseigenen Ackerfläche 6000 Wohnungen gebaut werden. In den Bebauungsplänen für den „Blankenburger Süden“, die im März 2018 von der Senatsbauverwaltung vorgestellt wurden, war ein Abriss dieser riesigen Gartenanlage vorgesehen. Für den Bau von Wohnungen und einer Verkehrstrasse. Jetzt sollen nur noch 6000 Wohnungen bebaut werden, eine Straßenbahnlinie soll es aber trotzdem geben. Und auch die muss irgendwo lang gebaut werden. Es gibt von der lokalen Bevölkerung, also von Menschen, die teilweise in diesen Kleingärten auch wohnen, jetzt schon länger Proteste. Viele haben sich dafür entschieden, in ihren Kleingärten zu wohnen und da ihr Eigenheim zu bauen, weil es günstiger ist als Mieten. Das war zu Beginn dieser Kämpfe nicht so präsent, weil viele Gartenbewohner das nicht öffentlich machen wollten, um nicht irgendwelche Ämter auf den Plan zu rufen, sage ich mal. Dass hat sich aber geändert. In manchen Medienberichten wird klar gesagt, dass die Leute da leben; dass es nicht um Freizeit neben der Arbeit geht, sondern schlicht und ergreifend um ihr Zuhause, das zerstört werden soll. Berlin ist in der Zwickmühle. Die Stadt braucht Wohnraum. Der soll in Blankenburg entstehen, und der muss auch mit einer Straßenbahn angebunden werden. Wenn die Stadt keinen neuen Wohnraum baut, ist Rot-Rot-Grün Schuld. Wenn sie abreißen, sind sie die „Gartenvernichter“. Das ist die Problematik. Die AfD hat sich da versucht reinzuhängen und gegen die Regierungskoalition Stimmung zu machen, unter anderem mit eigenen Flyern. Am Ende, muss man aber sagen, spielen sie mit den Sorgen der Leute.

Was mir außerdem spontan einfällt, ist der große Fokus auf Sicherheit. Am und im S-Bahnhof Pankow sind zum Beispiel viele Obdachlose, auch mit Migrationshintergrund. Klar betrachten das konservative Teile der Bevölkerung als Problem, aber das gibt es schon sehr viel länger als die AfD. Die kommt jetzt an und stellt das als neues Problem dar. Der Berlin-Wahlkampf der AfD 2016 wurde total auf der Schiene von Sicherheit gefahren. Die haben sich gesagt: Kernthema der CDU ist Sicherheit, wir machen das auch. Das hat mit Marketing zu tun. Du kannst mit einem x-beliebigen AfD-Kreisverband überall so einen Wahlkampf machen und du musst nicht mal die regionalen Probleme aufgreifen, weil es einfach ein Image gibt, was deine Partei hat. Sie wissen, dass sie in Berlin keinen Höcke-Wahlkampf machen können. Deswegen sind sie auch während des Berlin-Wahlkampfes beim CSD mit speziellen Plakatwänden vorgefahren: „Gewalt gegen Schwule geht vor allem von muslimischen Einwanderern aus.“ Sie haben das also an die Stadt angepasst. Zum Glück wurde das Teil ordentlich zerrupft. Auch diese CSD-Aktion zielte irgendwie auf das Thema Sicherheit ab.

PB: Inwiefern greifen sie, etwa beim Thema Sicherheit, ein reales Problem auf?

HW: Ich glaube, grundsätzlich ist das Bedürfnis nach Sicherheit bei allen Menschen da. Das wird nur unterschiedlich buchstabiert. 2012 etwa wurde angekündigt, in Weißensee einen offenen Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter zu eröffnen. Wohlgemerkt ging es dabei um Menschen, die von Autoritäten wie Knastleitung und Ärzten bereits als rehabilitierbar eingestuft wurden. Dagegen ist ein Großteil des Wohnumfeldes steil gegangen. Als „Psycho-Knast“ wurde die Einrichtung bezeichnet. Genau im selben Zeitraum wurden Luxus-Neubau-Blocks genau in derselben Gegend errichtet. Ich will damit sagen, dass viele Leute keine Finger rühren, wenn irgendein Neubaukomplex gebaut wird, der durch hohe Mieten später den Mietspiegel anhebt und deren eigene Existenzgrundlage gefährdet. Aber bei einem Maßregelvollzug oder einer Flüchtlingsunterkunft wird ohne zu zögern zur Mistgabel gegriffen. Die Rechten können somit an ein Sicherheitsgefühl andocken, das erst einmal das als Bedrohung wahrnimmt, was fremd und unmittelbar greifbar erscheint – oder halt durch Medien als Bedrohung dargestellt wird.

Wenn man sich Prenzlauer Berg zum Beispiel vor 20 Jahren anguckt, dann hat man das damals nicht als sicheres Pflaster bezeichnet, aber da haben sich weniger Leute darüber beschwert. Heute ist der Drang nach dieser Sicherheit extrem geworden, und das wird ja eigentlich von allen Parteien bedient. Es gibt keine einzige Partei, die nicht gefordert hat, dass es mehr Polizei gibt. Auch von der Boulevardpresse und den sozialen Medien wird das massiv gepusht. Statistisch gesehen wird die Gesellschaft aber immer sicherer und es passieren immer weniger Straftaten. Es ist ein erzeugtes Bedürfnis. Die wissen schon, wie sie an die Zukunftsängste der Leute rangehen, also da sind die halt Profis.

PB: Studien zufolge sind die Rechten lokalpolitisch häufig sehr schwach und bringen keine im engeren Sinn politischen Initiativen zustande. Wie sieht das vor Ort aus?

HW: Man muss echt klar sagen, dass außer einer rassistischen Beantwortung der Verteilungsfrage nichts von denen kommt. Und wenn dann ist das Blödsinn oder neoliberal. Oder beides. In Berlin sagt die AfD zum Beispiel, dass so sinnvolle Instrumente wie die Mietpreisbremse sozialistische Planwirtschaft seien. Aber auch kommunalpolitisch hat die AfD echt nichts zu melden. Zum Beispiel soll zwischen Pankow und Heinersdorf eine Verbindungslinie mit einer Straßenbahn gebaut werden. Die AfD Pankow hatte aufgerufen, die vom Senat anberaumte Bürgerversammlung zu besuchen und dagegen zu halten. Bei Facebook schreiben sie andererseits, der Senat brauche Ewigkeiten, um etwas fertig zu stellen. Dabei geht es hier um etwas anderes. In Heinersdorf hat sich im Zuge von Protesten gegen einen Moscheebau Mitte der Nullerjahre ein Klientel gebildet, das potentiell AfD-freundlich ist. Mit dem will man es sich nicht verscherzen und wartet ab. Um das Bauprojekt „Pankower Tor“, wo der Möbelgigant Krieger ein Möbel-Shoppingparadies ankündigt, gibt es seit rund einem Jahrzehnt ein Tauziehen um die Bebauung. Als der erstmals seine Pläne vorgestellt hat und Leute von DIE LINKE ihn gefragt haben, ob das Ganze nicht auch ein Ort für Anwohner sein sollte, hat Krieger nur gemeint, dass er halt Möbelunternehmer sei und der Rest nicht seine Aufgabe ist. Dem Typ konnte dann der Bau von 500 Wohnungen, 1000 Fahrradstellplätzen und so Mischbebauung halt abgerungen werden. Bei der AfD Pankow kommt das alles gar nicht vor. Das einzige, worüber die sich mokieren, ist, dass der Baubeginn frühestens 2023 startet. Diese Straßenbahnlinie zwischen Pankow und Weißensee gehört mit zu dem Bauprojekt. Das hätte Krieger von selbst, ohne Druck aus der BVV [Bezirksverordnetenversammlung], so nicht eingebaut. Warum auch? Am Ende geht es ihnen vor allem darum, gegen Rot-Rot-Grün zu schießen. Diese ganze Null-Position wird dann als widerständig verkauft. In Berlin fahren sie bei fast allen Themen die Linie, nichts zu verändern, sondern zu bewahren. Einerseits müssen sie liefern und anpacken. Das wird von ihnen verlangt. Auf der anderen Seite müssen sie die Leute beruhigen, die sich gegen solche Projekte wie die Straßenbahnlinie wenden. Das heißt, in Fragen von Erneuerungen sind sie einfach unklar. Sie haben lediglich eine Kommentatorenrolle des Tagesgeschehens und sind lediglich aussagekräftig, wenn es um Migration und Islam geht.

PB: Was machen sie denn überhaupt politisch vor Ort?

HW: Nichts stadtpolitisch Relevantes. Aber das liegt an der Organisierung der AfD. Das ist eine zentralistische Struktur. Egal ob Extremismus-Kampagne nach dem G8, Flüchtlinge, Islam – das sind alles Sachen, die sie von oben anleiern. Die werden dann top-down umgesetzt. Und dementsprechend haben sie relativ wenig kommunale Kompetenz und Ahnung. Sie sind relativ isoliert, auch durch die anderen Parteien in der Bezirksverordnetenversammlung in Pankow. Seitdem sie in die BVV eingezogen sind, wurde noch keinem Antrag zugestimmt, auch wenn das teilweise Anträge waren, die, wären sie von anderen Parteien gekommen, durchgegangen wären.

In Berlin, also auch in Pankow, hat die AfD die Kampagne „Dreckecken weg“ initiiert. Sie räumen irgendwelchen Müll an Straßen im Bezirk weg, filmen das und stellen sich als die Macher dar, die anpacken und nicht nur labern. Das gelingt ihnen tatsächlich in dem Fall ganz gut. Bei den Wähler_innen scheint es jedenfalls anzukommen. Was wiederum nicht gut ankam war der Vorstoß des Pankower AfD-Stadtrates Daniel Krüger, Spätverkäufe an Sonntagen zu schließen. Zum Jahresende 2018 ließ er mehrere Spätis im Bezirk kontrollieren, ob diese sich an die Ladenöffnungszeiten halten. Die meist migrantischen Spätis sind Familienbetriebe und erwirtschaften vor allem an den Sonntagen einen Großteil ihrer Einnahmen. Positives Feedback gab es von den Pankowern dafür wie gesagt nicht. Eher im Gegenteil.

PB: Gibt es spezifische Anträge seitens der AfD in der BVV?

HW: Gerade die Pankower haben eine große Kampagne gegen „Linksextremismus“, gegen alternative Jugendzentren gestartet, in denen Veranstaltungen gegen die AfD stattfanden. Die haben dann immer wieder nachgefragt, woher die Gelder kommen. Diese Art von Bedrohungsanfragen macht die AfD bundesweit. Damit beschäftigen sie nicht nur BVV und Verwaltung, sondern auch alternative Jugendeinrichtungen wie zum Beispiel das JUP, die Bunte Kuh oder das Frauenzentrum Paula Panke. Praktisch halten sie damit also Projekte, die auch Teil der Nachbarschaftsarbeit im Bezirk sind, von ihrer eigentlichen Arbeit ab.

PB: Spielen für eure politische Arbeit als Antifa-Gruppe Fragen der Stadtentwicklung und der Lokalpolitik eine Rolle?

HW: Da wir in dieser Stadt leben betrifft uns Stadtentwicklung zwangsläufig. Können wir und unser Umfeld noch gemeinsam in einer Gegend wohnen bleiben oder nicht? Eine gute Basis an Leuten im Viertel zu haben ist wichtig, wenn man in Ostberlin Antifa-Arbeit macht. Ansonsten bist du ja isoliert. Die Frage, was und für wen gebaut wird, spielt damit auch rein. Als Gruppe sind wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage, wirklich effektiv gegen den Bau von Privatwohnungen und so weiter in unseren Gegenden vorzugehen. Das übersteigt unsere Kapazitäten. Wenn sich im Großbezirk sozialpolitische Konflikte aufgetan haben, haben wir die Gegenmobilisierungen in der Regel immer Unterstützt. 2008/2009 sollten 47 Jugendeinrichtungen im Bezirk geschlossen werden. In der Straßen-Mobilisierung waren wir aktiv dabei. Es gab ein Hip-Hop Open Air Konzert am Helmholtzplatz mir rund 600 Leuten und eine Kiezdemo zusammen mit den Sozial- und Jugendeinrichtungen. Genau so haben wir die Proteste gegen die Bebauung des Mauerparks oder die Besetzung des Seniorentreffs Stille Straße durch dessen Nutzerinnen (2012) unterstützt. Ich denke, hier können Antifa-Gruppen gute Multiplikatoren sein. Deren Stärke liegt nun mal in Mobilisierungen, Netzwerkarbeit und einer Anbindung an Jugendliche und (Sub-)Kulturmilieu. Durch die Fahrt, die der Rechtsruck inzwischen aufgenommen hat, fehlt uns aktuell die Zeit, das intensiver zu verfolgen. Zum Glück gibt es in Berlin eine fitte Mieterbewegung, auf deren Nährboden zum Beispiel auch in Weißensee eine Lokalgruppe der Deutsche Wohnen enteignen-Kampagne entstanden ist. Weißenseeräuber heißen die. Wir verstehen unsere Aufgabe in diesem Zusammenhang so, dass wir durch unsere Arbeit den sozialen Bewegungen den Rücken freihalten, damit die ihren Job machen können. Am Beispiel der Gelbwesten in Frankreich hat man in den letzten Monaten gesehen, wie wichtig eine schlagkräftige Antifa ist, die es vermag, Rechte auch in größerer Zahl aus den Demos zu drängen. In Berlin gab es verschiedene Fälle, in denen AfDler im stadtpolitischen Spektrum mitgemischt haben, zum Beispiel in Mieterbeiräten, der Mieterpartei oder der Kampagne zum Tempelhofer Feld. Hier hat genau wie in Frankreich Antifa-Recherche eine wichtige Rolle gespielt, um die Tätigkeit dieser Leute bei den Rechten klar zu benennen. Wir geben als Antifa damit anderen Leuten, die vor allem Stadtpolitik machen, auch Infos an die Hand, um solche Leute rauskanten zu können. Das wird nicht immer gesehen und schlägt sich nicht immer darin nieder, dass das Mietenspektrum zu unseren Sachen kommt. Aber man ist trotzdem gut in Kontakt. In Gegenden wo die Nazis die Oberhand haben und sogar soziale Bewegungen initiieren, muss man einfach eingestehen, dass wir dort nur Nazis zurückdrängen können. Es gibt keine soziale Bewegung die nachrückt und den Acker bestellt, nachdem wir das Unkraut gejätet haben. Auch hier spielt Stadtpolitik eine Rolle. Die ganzen Heime für Flüchtlinge werden oft in den Randbezirken gebaut, während die Immobilien im Stadtzentrum meistbietend verkauft werden. Finanziell abgehängte Deutsche und Geflüchtete werden hier zusammengesteckt, und man guckt was bei rauskommt. Ich finde das keinen Zufall. Diese Nazidemos in Marzahn haben alle Beteiligten schön von den eigentlichen Problemen in dieser Stadt abgelenkt. Da Antifa-Demos in diesen Gegenden oft die wenigen öffentlichen linken Veranstaltungen sind, die stattfinden, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, gerade dort immer wieder zu formulieren, dass der Feind nicht die Migranten sind, sondern Politik und Wirtschaft. Und das es halt nötig ist, dass sich genau die Leute zusammenschließen, die finanziell abgehängt sind, anstatt sich untereinander auf die Fresse zu hauen. Wir füllen mit dem, was wir da in unsere Anwohnerflugblätter schreiben, und was wir bei Aktionen sagen, eine politische Lücke, die aktuell durch keine breite soziale Bewegung in Ostberlin gefüllt wird. Dass das nicht ausreicht ist uns klar.

PB: Gibt es Praktiken und Aktionsformen aus den stadtpolitischen Bewegungen, die sich Antifa-Strukturen abgucken können? Welche Erfahrungen habt ihr damit?

HW: Unser Leute im Einzelnen als auch die Gruppe als Ganzes hat seit ihrer Gründung 2007 viel dazu gelernt, in dem wir uns in verschiedenen politischen Bereichen umgeschaut haben. Zum Beispiel Aktionsformen wie Video-Screenings in öffentlichen Parks. Damit waren wir Ende der Nullerjahre zwar nicht die ersten, aber doch eine der wenigen Gruppen im Antifa-Bereich, die das als Aktionsform genutzt haben. Im Mai letzten Jahres gab es beispielsweise eine Fahrrad-Demo gegen AfD-Strukturen in Pankow, die wir unterstützt hatten. Das war ein gutes Format, einfach weil es keine klassische Antifa-Demo war. Das hätte vor Ort einfach nur verschreckend gewirkt. Ziel war das Bürgerbüro der AfD in Blankenburg. Es ist schon so, dass wir strategisch überlegen, welche Aktionsformen aktuell am meisten Sinn machen. Wir sind dann an den erwähnten Kleingärten vorbeigefahren und wir hatten auch jemanden dabei, der aus Blankenburg kommt. Der Kollege hatte einen Redebeitrag zu der Kleingarten-Thematik vorbereitet und machte über die mobile Anlage viele solidarische Ansagen für die Garten-Kämpferinnen. Das kam gut an.

Was uns tatsächlich im Norden von Pankow fehlt, ist ein eigener Laden, eine auch finanziell abgesicherte Struktur, wo man auch Sozialberatung und Veranstaltungen machen und die Bevölkerung einladen könnte. Ansprechbar sein. Das passiert aber nicht, weil das für den linken Berliner Innenstadtzentrismus zu unattraktiv ist. Ein autonomes Zentrum, das sich nur auf Spenden stützt, würde hier aktuell nicht lange überleben. Am realistischsten wäre es, dass solch ein Ort über Gelder von DIE LINKE oder Fördertöpfe so realisiert werden würde. Ein bisschen wie die linxxnet-Büros in Sachsen und Thüringen, die halt nicht bloß Parteibüros sind, sondern auch ein Anlaufpunkt. Aber auch ein Abgeordneter der Linken, der Cash hat, der wird sich dreimal fragen, warum er ausgerechnet in Buch mit Initiativen so einen Laden aufmachen sollte. Etwas finanziell Unabhängiges wäre allerdings besser, denke ich.

In unserem Nachbarbezirk Wedding haben 2018 verschiedenen Initiativen ein Kiezhaus eröffnet, also einen Ort, der sich dezidiert als linkes Nachbarschaftszentrum versteht, der das Ziel hat aus der eigenen Szeneblase rauszukommen und sowas wie Klassenkämpfe im Stadtteil zu befördern. Die Idee dazu ist von den linken Volkshäusern in der Türkei abgeguckt, aber so kannst du es ja in Deutschland nicht nennen. (Lachen) Es ist einfach gut, wenn organisierte Gruppen auch immer einen Laden haben, der Angebote macht und nicht abhängig von staatlichen Geldern ist. Das heißt nicht, dass man nur noch dort rumhängt. Aber es ist durchaus sinnvoll, weil Leute, die neu in deine Struktur kommen, auch mal so einen Link zu dem Bezirk bekommen. Und das gilt gerade auch für Gegenden, die nicht Szenekieze sind. Auch das Einwerben von Geld dafür ist eine Form von Netzwerkarbeit, die Leute einbindet, die dann einen Mitgliedsbeitrag geben, Newsletter kriegen und somit auch an widerständige Strukturen angebunden bleiben. Das ist auch eine Möglichkeit, die Leute mitzunehmen, die Kinder haben und älter werden. Da bieten solche Läden eine gute Form der Beteiligung. Im Kontakt mit der Nachbarschaft ist das auch was anderes. Du wirst einfach mehr ernst genommen, wenn du dann keine 18 mehr bist und ein bisschen Lebenserfahrungen hast. In Süddeutschland hat der Mangel an Räumen viele Neue Zentren hervorgebracht, meist benannt nach Widerstandskämpfer_innen und Orte mit einem klaren politischen Ziel. Keine Subkultur-Buden halt, die nur Jugendliche ansprechen. Der Mangel lässt die Leute dort dann solche Orte auch mehr schätzen. Diese Entwicklung finde ich einfach nur gut und richtig.

PB: Welche Rolle spielen soziale Medien dafür, dass Meinungsbildung von Erfahrungen entkoppelt ist?

HW: Dieses weitverzweigte Netz von Facebook und irgendwelchen Fake-News-Portalen hat in der Regel immer nur mit besonders krassen Fällen in Irgendwo zu tun, aber selten eine regionale Verankerung. Der Vergewaltigungsfall vor Ort spielt ja in dem Maße für die Leute gar keine Rolle, sondern was in Gütersloh passiert ist, das kann mir auch hier passieren. Wir werden halt mit nüchternen Argumenten und Aufklärungsvideos auf Facebook nie diese Klickzahlen erreichen. Linke Arbeit, soziale Themen als auch der Kampf gegen ein Nazizentrum muss über den Stadtteil an der Basis organisiert werden. Das heißt, Kampagnenarbeit braucht eine Aussage und ein Ziel, und muss sich räumlich verankern. Mit einem Stadtteilladen bist du sichtbar und kannst Leute ansprechen: „Cool, dass wir uns kennen gelernt haben. Kommt vorbei.“

PB: Wie geht ihr mit Konflikten um, die sozusagen aus der lokalen Bevölkerung kommen und die die AfD versucht zu politisieren?

HW: Bezogen auf die Kleingärten in Blankenburg bin ich auch etwas ratlos. Also ich finde, die Leute sollen da bleiben mit ihren Bungalows. Auf der anderen Seite braucht es halt neue Wohnungen. Spontan würde ich sagen: „Keiner braucht da irgendwie noch einen Neubaublock. Die Bungalows sollen einfach stehen bleiben.“ Die Leute haben ein Recht dort weiter zu wohnen. Es fehlt da aber eine Breite an Leuten. Es bräuchte lokale Sozialforen, in denen sich die verschiedenen Initiativen, die sozial was machen, treffen. Es ist aber leider absehbar, dass der Berliner Senat sich über die Bedürfnisse dieser Leute hinwegsetzen wird und die Bahnlinie durch die Gartenanlage kommt. Weil die natürlich Wohnraum schaffen müssen. Aus Sicht der Politik sind die Blankenburger einfach nur ein paar Meckerfritzen. Aus linker Sicht macht es Sinn diesen Protest zu unterstützen, selbst wenn er scheitert. Einfach dass sie wissen, wer an ihrer Seite steht. Denn selbst wenn die AfD sich nur halbherzig gegen die Neubaupläne stellt, werden sie am Ende die Gewinner sein. Denn die Leute, die gekämpft haben und gegen den Rot-Rot-Grünen Senat verloren haben, sehen sich am Ende von Rot-Rot-Grün verarscht, und die AfD kann sich als die großen Bevölkerungsfreunde darstellen.

PB: Gibt es sozialräumliche Bedingungen, die bestimmte politische Haltungen befördern und andererseits bestimmte politische Strategien nahelegen?

HW: In manchen Gegenden von Ostberlin gibt es einfach wenig Migrant_innen. Die, die es gibt, leben auch nicht immer zwangsläufig dort, sondern betreiben den Imbiss und verkaufen das Essen. In Hohenschönhausen, Marzahn und Hellersdorf gibt es viele Vietnames_innen und Russen. Aber generell muss man festhalten, dass es im Osten keine wirkliche Durchmischung gibt.

Die Leute in diesen Einfamilienhäusern leiden jetzt alle keine krasse Not, die werden wir mit dieser „Unten gegen oben“-Argumentation nicht erreichen. Bei den Leuten in den Kleingärten sieht das zum Teil schon anders aus. Prinzipiell muss man unterscheiden, ob man in einer Gegend unterwegs ist, wo man einen Heimvorteil hat oder nicht. Also Weißensee ist halt auch nicht Weißensee. Es gibt Ecken, die es leichter machen, etwa weil es mehr Spätverkäufe gibt, oder ein paar Läden wo auch antifaschistische und linke Gruppen sind, die Stadtteilarbeit machen. Man kann Neonazis als Antifa auch aus der Anonymität heraus bekämpfen. Aber hier macht es einfach Sinn, die Menschen dazwischen mitzunehmen. Denn am Ende des Tages sollte es auch darum gehen, eine Diskussion anzuzetteln, zum Beispiel über den neuen Naziladen im Stadtteil. Da gibt es eine Schnittmenge zur Stadtteilarbeit. Wenn wir zum Beispiel in Weißensee eine Aktion vorbereiten, wo man auch weiß, wer die Spätverkäufe betreibt, wo man Anschlusspunkte hat, da gehen wir dann schon durch die Läden, verteilen Flugblätter, bitten die es weiterzusagen oder ein Plakat aufzuhängen.

PB: In der Linken wird scharf diskutiert, ob der Rechtsruck eine Art Notwehr der unteren Klassen ist, die von linken Parteien und Bewegungen allein gelassen wurden, oder ob es sich um rassistische Haltungen handelt, die auf soziale Ursachen zurückzuführen eine Entlastung darstellt. Wie versteht ihr eure Arbeit diesbezüglich?

HW: Bestrafen und Aufklären sind zwei Seiten derselben Medaille. Also du musst klar gegen die Faschisten im Viertel vorgehen. Du musst die outen und ihnen ihre Treffpunkte nehmen. Wenn so ein Mob auf der Straße ist, muss man ihn auch als Mob benennen. Den musst du halt bekämpfen. Ich weiß nicht, wie sich die Stimmungslagen in den nächsten ein, zwei Jahren verändern. Vielleicht fischt einer von denen, gegen die wir protestiert haben, irgendwann mein Flugblatt nochmal aus der Schublade und denkt sich: „Mensch, die hatten recht.“ Es gibt tausende Flugblätter, die durchargumentieren, warum die AfD Scheiße ist. In unserer Argumentation und Praxis zielen wir trotzdem darauf ab, auch zu sagen, wofür wir stehen und was besser wäre. Auch in diesen Bewegungen können Krisen entstehen, es ist kein monolithischer Block. Dass sieht man ja auch bei der AfD. Das ist eine Partei mit Eliten-Charakter, die nicht weiß, ob sie sich nun ein völkisches oder neoliberales Sozialprogramm gibt. Das bietet viel Sprengkraft, die man auch nutzen sollte. Die Rechten ohne Organisierung musst du bekämpfen und zugleich aufklären. Viele bewegen sich am Ende auch nur in bestimmten Filterblasen. Darum ist es am besten, in die Stadtteile zu gehen und mit den Leuten zu reden. Wenn Leute aber völlig fanatisch sind, lass ich es und mach gleich klar was Phase ist.

PB: Wie sieht „Bestrafen und aufklären“ konkret aus?

HW: Wir versuchen, so einen sozialpolitischen Fokus immer wieder zu setzen, etwa auch wenn es um das Outen von Nazis geht. Also nicht einfach zu sagen: Der Typ ist ein Gewalttäter. Sondern es auf einer inhaltliche Ebene zu machen, wo es nicht darum geht, welcher Nazi mit Höcke gechillt hat, sondern dass die Hartz IV abschaffen wollen, gegen Arme sind und so weiter. Wenn du das zum Beispiel in der Nachbarschaft stecken gehst, dann ist das halt einfach was anderes als zu sagen: „Vorsicht, hier wohnt ein Rassist.“ Denn Rassismus gilt ja seit [Thilo] Sarrazin als legitime Meinung. Es wird ja häufig gesagt, Antifa müsste sozialpolitscher werden. Das ist wahr und anmaßend zugleich. Die Leute, die das bemängeln, kommen ja auch nicht zu „Kotti & Co.“ oder zu „Zwangsräumung verhindern!“ angescheißert und sagen denen, dass sie jetzt vor allem Kameradschaften und AfD bekämpfen sollen. Bei denen finden es alle völlig Okay, dass sie nur ihren Bereich machen. Solche überhöhten Ansprüche werden nur an Antifa-Strukturen gestellt, was daran liegt, dass Antifaschismus in Deutschland als Teil von einem antikapitalistischen Kampf gesehen wird. In anderen Ländern geht es da ganz klar um Recherche zu Nazi-Strukturen. Diese Ansprüche werden da nicht in diesem Ausmaß gestellt wie hier, weshalb es auch nicht regelmäßig zur Sinnkrise kommt, die die Antifa in der BRD alle drei Jahre durchlebt. Ja, Antifa kann nicht nur heißen „gegen Nazis“. Aber eine Antifa, die ihren Job gut macht, ist auch viel Wert. Da muss man halt auch mal Selbstbewusstsein haben und die eigenen Potentiale, als auch die der anderen etwas mehr wertschätzen.

PB: Vielen Dank für das Gespräch und deine Einschätzungen!

Autor_innen

Peter Bescherer ist Soziologe; seine Arbeitschwerpunkte sind Stadtforschung, Demokratietheorie, soziale Bewegungen und Arbeitssoziologie.

peter.bescherer@uni-jena.de

 

Hannes Witt ist im Bereich antifaschistischer Stadtteilarbeit aktiv, beschäftigt sich mit Gedenkpolitik und der Recherche zu rechten Strukturen. Witt ist organisiert in der Berliner Gruppe North East Antifa (NEA).

nea@riseup.net | www.antifa-nordost.org