„Gentrification is a dirty word…”

Kommentar zu Neil Smiths „Für eine Theorie der Gentrifizierung: ‚Zurück in die Stadt‘ als Bewegung des Kapitals, nicht der Menschen“ (2019 [1979])

Laura Nkula-Wenz

„Wie ein Böller unter den ahnungslosen Hintern neoklassischer Gentrifizierungstheoretiker […]“ (Darling 2012: 367) sei Neil Smiths Artikel damals in der stadttheoretischen Debatte der späten 1970er explodiert, schreibt die amerikanische Anthropologin Eliza Jane Darling in ihrem Nachruf auf den 2012 verstorbenen Geographen. Auch wenn die von Smith darin formulierte Rent-Gap-Theorie mittlerweile zum prüfungsrelevanten Kanon jeder guten Einführung-in-die-Stadtgeographie-Vorlesung gehört, ist der Artikel noch lange nicht (Wissenschafts-)Geschichte.

Wie Smith selbst in einem seiner letzten Essays feststellt, ist der Begriff ‚Gentrifizierung‘ mittlerweile allgegenwärtig: „[I]n Beijing or Sao Paulo, Mumbai or Cape Town, academics and even the populace at large are well aware of gentrification […].“ (Smith 2008: 15). Doch obwohl, oder vielleicht gerade, weil der Begriff mittlerweile einer breiten Öffentlichkeit geläufig ist, endet die Diskussion oft in einer selbstgerecht dahin geseufzten Klage über hedonistische Hipster und ‚deren‘ Kaffee-Snobismus.[1] Und welche Art politische Aktion eine derart verkürzte Sicht hervorbringen kann, zeigte nicht zuletzt der Angriff von erklärten Gentrifizierungsgegnern auf ein – zugegebener Massen überteuertes – Frühstücks-Café im Londoner East End im September 2015 (Khomami/Halliday 2015). In der darauffolgenden Berichterstattung ging es wie so oft vor allem um die symbolischen Auswirkungen und weniger um die eigentlichen Ursachen revanchistischer Verdrängungspolitik.

Zwar stimmt auch Smith (2019 [1979]) prinzipiell zu, dass die Verbrauchervorlieben einer urbanen Mittelklasse den Charakter von ausgewiesenen ‚Revitalisierungsgebieten‘ einseitig (über-)prägen und somit durchaus eine Rolle in der Beschreibung von Gentrifizierungseffekten spielen (69). Allerdings zeigt er gleichzeitig, wie wenig solch individualistische Verbrauchertheorien die vielfältigen politökonomischen Ursachen von Gentrifizierung erklären können: „Gentrifizierung allein über das Handeln der Gentrifizierer zu erklären und dabei die Rolle der Developer und Bauträger, Kreditgeber, Behörden, Immobilienmakler, Vermieter und Mieter außer Acht zu lassen, ist ein unverhältnismäßig enger Ansatz. Eine breiter angelegte Theorie der Gentrifizierung muss die Rolle der Produzenten wie auch die der Konsumenten berücksichtigen […]” (ebd.).

Durch diese substantielle Erweiterung der Akteurskreise weist Smith nicht nur die damals gängigen positivistischen Stadtentwicklungsmodelle neoklassischer Schule in ihre Schranken. Auf wissenschaftlicher Ebene bahnt seine klare und eingängige Analyse ebenso den Weg für die Entstehung stärker kontextorientierter und machtsensibler Stadtsteuerungstheorien unter dem breiten Banner der Gentrifizierungsforschung in den darauffolgenden Jahrzehnten. Allerdings wird gerade dieser Aspekt von jenen Kritiker_innen oft verkannt, welche die scheinbar ökonomistischen und universalistischen Tendenzen der Rent-Gap-Theorie monieren (Hamnett 1991; Ghertner 2015; Bernt 2016). So kritisiert Ghertner:

„[T]o ignore the actually existing political struggles through which large, contiguous swaths of land in much of the world have retained non-market functions (the 20th century’s socialist legacy), as well as the struggles through which those functions have been and are being privatized (there is no single policy—mobile or not—of land enclosure), is to reduce a complex history and topography of urban struggle to the smooth lines of a land-value curve.“ (2015: 553)

Zum einen teile ich zwar Ghertners Kritik, dass Gentrifizierung mittlerweile oft als Sammelbegriff für sehr verschiedene urbane Verdrängungsprozesse verwendet wird und dass dies besonders in Städten des ‚globalen Südens‘ die Sicht auf komplexe historische Prozesse, kulturelle Unterschiede und verschiedene lokale Entwicklungs- und Verteilungsmodelle verstellt. Allerdings kann dies kaum Neil Smith selbst angelastet werden, dessen Rent-Gap-Theorie auch 40 Jahre später noch erfolgreich empirisch beackert wird – und das weltweit (Whitehead/More 2007; Shin 2009; Slater 2015; Darling 2016; Krijnen 2018; López-Morales et al. 2019)!

Zum anderen sympathisierte Smith, im Gegensatz zu seinem Doktorvater und langjährigem Mentor David Harvey, durchaus mit poststrukturalistischen Ansätzen. Diese waren seit Beginn der 1990er insbesondere von feministischen Kapitalismuskritikerinnen in die Debatte getragen worden (Gibson-Graham 2006) und betonten die Relevanz von kontext-, raum- und körperspezifischen Wissensregimen (von Harvey herablassend als Ausdruck des „nihilistischen Partikularismus der Postmoderne“ abgetan, Derickson 2009: 6).

Gerade weil Smith den praktischen politischen Dimensionen marxistischer Theorie ebenso nah, wenn nicht sogar näher stand als dessen Ausdehnungen im wissenschaftlichen Diskurs, lag ihm eine solche emanzipierte und emanzipative Kapitalismuskritik am Herzen. So debattierte Smith seine Arbeit gleichermaßen häufig und intensiv in Wissenschaftszirkeln wie in linksaktivistischen Kreisen. Eliza Jane Darling bringt es daher auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Neil‘s scholarship was of a piece with his activism“ (Darling 2012: 364).

Insofern hat der Text – trotz seiner beneidenswert klaren Gedankenführung – seine Sprengkraft auch nicht allein aus sich selbst heraus entwickelt, sondern war von vornherein untrennbar mit der gesellschaftspolitischen Vision seines Autors für eine gerechtere Stadt verbunden. Bereits 1979 prangert Smith zum Beispiel die rassistischen Dimensionen von ‚blockbusting‘ und ‚blow outs‘ an (77) und benennt ebenso unumwunden den direkten Zusammenhang zwischen Brandstiftung und profitorientierter ‚Stadterneuerung‘. Seinerzeit genügte lediglich ein Blick hinüber in die New Yorker Bronx, wo wöchentliche Feuerstürme ganze Häuserblöcke des vornehmlich schwarzen Arbeiterviertels in Schutt und Asche legten, um die gesellschaftspolitische Aktualität und Relevanz seiner Forschung zu begreifen.

Mag Gentrifizierungsforschung auch nicht mehr der theoretische ‚Schlüsselkampfschauplatz‘ sein, als der er noch Anfang der 1990er galt (siehe Hamnett 1991: 173), so bleibt Smiths Text ein zentrales Lehrstück kritischer Stadtgeographie. Zum einen, weil sich an ihm eindrücklich und didaktisch wertvoll die anhaltenden Spannungen zwischen Struktur und Handeln, Konsum und Produktion, Kultur und Kapital, Angebot und Nachfrage nachvollziehen lassen. Zum anderen, weil er eine zentrale stadtpolitische Botschaft formuliert: Gentrifizierung ist weder ein ‚natürlicher‘ noch ein ‚unvermeidbarer‘ Prozess, sondern ein Produkt kollektiven Handelns zahlreicher machtvoller Akteure auf unterschiedlichen Maßstabsebenen. Und ein solches Handeln lässt sich grundsätzlich erst einmal in Frage stellen und – mit viel Kraft und Einsatz – vielleicht sogar ändern.

So simpel und idealistisch diese Formel auch sein mag, für mich bleibt sie das nach wie vor aktuelle Herzstück von Smiths Artikel und der Grund, warum ich „Für eine Theorie der Gentrifizierung“ für ebenso prüfungs- wie lebensrelevant halte. Nicht zuletzt, weil Stadtpolitiker_innen, urbane Eliten und noch immer der ein oder die andere Stadtforscher_in versuchen, Gentrifizierung mit positiver Aufwertung von ehemaligen ‚Problemvierteln‘ inklusive ‚gutem Kaffee‘ gleichzusetzen und damit salonfähig zu machen, ist es meines Erachtens die Aufgabe kritischer Stadtforschung, dies mit Hilfe und im Sinne von Smith zu verhindern. Gentrification is a dirty word…let’s keep it that way!

Endnoten

Autor_innen

Laura Nkula-Wenz arbeitet zu Sozial- und Kulturgeografie sowie postkolonialer Stadtforschung mit geographischem Schwerpunkt im südlichen Afrika.

laura.nkula@uct.ac.za

Literatur

Bernt, Matthias (2016): Very particular, or rather universal? Gentrification through the lenses of Ghertner and López-Morales. In: City 20/4, 637-644.

Darling, Eliza Jane (2012): Neil Smith 1954-2012. In: Dialectical Anthropology 36/3-4, 353-368.

Darling, Eliza (2016): The City in the Country. Wilderness Gentrification and the Rent Gap. In: Environment and Planning A: Economy and Space 37/6, 1015-1032.

Derickson, Kate Driscoll (2009): Toward a Non-Totalizing Critique of Capitalism. In: Geographical Bulletin – Gamma Theta Upsilon 50/1, 3-15.

Ghertner, D. Asher (2015): Why gentrification theory fails in ‚much of the world‘. In: City 19/4, 552-563.

Gibson-Graham, J. K. (2006): The end of capitalism (as we knew it). A feminist critique of political economy. Minneapolis: University of Minnesota Press.

Hamnett, Chris (1991): The Blind Men and the Elephant. The Explanation of Gentrification. In: Transactions of the Institute of British Geographers 16/2, 173-189.

Khomami Nadia / Halliday, Josh (2015): Shoreditch Cereal Killer Cafe targeted in anti-gentrification protests. The Guardian vom 27.9.2015. https://www.theguardian.com/uk-news/2015/sep/27/shoreditch-cereal-cafe-targeted-by-anti-gentrification-protesters (letzter Zugriff am 21.10.2019).

Krijnen, Marieke (2018): Beirut and the creation of the rent gap. In: Urban Geography 39/7, 1041-1059.

López-Morales, Ernesto / Sanhueza, Claudia / Espinoza, Sebastián / Ordenes, Felipe / Orozco, Hernán (2019): Rent gap formation due to public infrastructure and planning policies. An analysis of Greater Santiago, Chile, 2008–2011. In: Environment and Planning A: Economy and Space 45/124, 1536-1557.

Shin, Hyun Bang (2009): Property-based redevelopment and gentrification. The case of Seoul, South Korea. In: Geoforum 40/5, 906-917.

Slater, Tom (2006): The Eviction of Critical Perspectives from Gentrification Research. In: International Journal of Urban and Regional Research 30/4, 737-757.

Slater, Tom (2015): Planetary Rent Gaps. In: Antipode 49, 114-137.

Smith, Neil (2008): The Evolution of Gentrification. In: Jaap Jan Berg / Neil Smith / Maja Breznik / Justus Uitermark / Leeke Reinders (Hg.), Houses of transformation. Intervening in gentrification. Rotterdam: NAI, 15-25.

Smith, Neil (2019 [1979]): Für eine Theorie der Gentrifizierung: „Zurück in die Stadt“ als Bewegung des Kapitals, nicht der Menschen. In: sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 7/3, 65-86.

Whitehead, Judy / More, Nitin (2007): Revanchism in Mumbai? Political Economy of Rent Gaps and Urban Restructuring in a Global City. In: Economic and Political Weekly 42/25, 2428-2434.