Editorial

sub\urban Redaktion

Liebe Leser_innen,

mit diesem thematisch ‚offenen‘ Heft schaut sub\urban in die Ferne: in – von Deutschland aus gesehen – entfernt liegende Regionen, in Debatten der Stadtforschung, die vor entfernten Zeiten gestartet wurden, und in vermeintlich entfernte Disziplinen.

In der Aufsatz-Rubrik richtet sich der Blick nach Spanien und nach Kolumbien sowie auf die psychoanalytische Theorie. Im Aufsatz „Städte zu verkaufen: Prozesse der Enteignung und Praktiken der Wiederaneignung in Spanien“ setzen sich Kike España und Beatriz Toscano am Beispiel der andalusischen Stadt Málaga mit der Frage auseinander, wie Kulturalisierung und Städtetourismus zu einer Enteignung der Stadtbewohner_innen beitragen und diskutieren Möglichkeiten des Widerstands. Friederike Fleischer, Adriana Hurtado Tarazona und Maria Jose Alvarez Rivadulla gehen in ihrem Aufsatz der Verschärfung sozialer Ungleichheit im sozialen Wohnungsbau in Bogotá nach. Sie zeigen einerseits, dass nur ein Teil der ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen Zugang zum auf Hauseigentümerschaft abzielenden subventionierten Wohnraum hat. Andererseits untersuchen sie die Peripherisierungs- und Segregationsprozesse, die mit der randständigen Lage der großflächigen Wohnsiedlungen und ihrer oft defizitären Infrastruktur zusammenhängen. Dem urbanen Unbewussten ist Lucas Pohl in seinem Aufsatz zum Potential der Psychoanalyse für die kritische Stadtforschung im deutschsprachigen Raum auf der Spur.

Für unsere Debatte haben wir einen der Klassiker der Gentrifizierungsforschung erstmals ins Deutsche übersetzt: den 1979 erschienen Text „Für eine Theorie der Gentrifizierung: ‚Zurück in die Stadt‘ als Bewegung des Kapitals, nicht der Menschen“ von Neil Smith. Der Aufsatz hat eine bis heute mit spitzer Feder geführte Debatte um die Ursachen von Gentrifizierung ausgelöst. Wie die Kommentare zeigen, haben Smiths Überlegungen auch vierzig Jahre nach Erscheinen nichts an Aktualität eingebüßt. Moritz Ege verteidigt in seinem Kommentar die Vereinbarkeit von Rent-Gap-Theorie und kulturellen Deutungen von Gentrifizierung. Laura Calbet i Elias bricht in ihrem Kommentar eine Lanze für die Grundrententheorie und ihre Weiterentwicklung in Zeiten der Finanzialisierung. Jens Dangschat weist in seinem Kommentar auf die empirischen Unterschiede zwischen US-amerikanischem und europäischem Kontext in Bezug auf die Relevanz des Rent-Gap Konzepts und den Entstehungskontext des Textes hin. Laura Nkula-Wenz betont dessen weiterhin bestehende politische Sprengkraft und theoretische Offenheit, die in der Rezeption oftmals übersehen wird, und wünscht sich, dass der Begriff der Gentrifizierung auch weiterhin ein „dirty word“ bleibt. Lisa Vollmer fragt sich, ob der Gentrifizierungsbegriff für die Vergemeinschaftung wohnungspolitischer Proteste ebenso viel beizutragen hat wie zur wissenschaftlichen Debatte. Und Andrej Holm rekapituliert schließlich die Wirkungsgeschichte und aktuelle Bedeutung von Smiths Klassiker.

In unserem Magazinteil widmen wir uns diesmal einem hochaktuellen Thema: der Reform der Grundsteuer, die zum Jahreswechsel ansteht. Daniel Mühlleitner untersucht die Debatte in seinem Beitrag „Die Bodenwertsteuer als unterstützendes Instrument der Stadtplanung“ und argumentiert darin für eine Bodenwertsteuer inklusive Überwälzungsverbot auf die Mieter_innen auf der Ebene der Bundesländer. Da die Debatte noch lange nicht beendet ist, freuen wir uns über weitere Einreichungen zu diesem Thema besonders.

Unsere prall gefüllte Rubrik Rezensionen stellt diesmal gleich zwei einführende Werke der Stadtforschung vor: Jan Wehrheim bringt uns Lars Meiers, Silke Steets‘ und Lars Frers‘ 2018 erschienenes Lehrbuch Theoretische Positionen der Stadtsoziologie näher und Wolf-Dietrich Bukow das Handbuch Stadtkonzepte. Analysen, Diagnosen, Kritiken und Visionen, herausgegeben von Dieter Rink und Annegret Haase. Laura von Puttkamer stellt uns das Buch Cities and Literature von Malcolm Miles vor. Jannik Noeske rezensiert das Buch Architektur einer bürgerlichen Gesellschaft. Frankfurter Universitäts- und Stadtbauten im Kontext ihrer Geschichte zwischen 1906 und 1956 von Jürgen Schardt. Jenny Künkel bespricht Lisa Riedners veröffentlichte Promotion Arbeit! Wohnen! Urbane Auseinandersetzungen um EU-Migration. Eine Untersuchung zwischen Wissenschaft und Aktivismus. Und Ariane Sept diskutiert den von Sybille Bauriedl und Anke Strüver herausgegebenen Band Smart City – Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten. Bei ihr möchten wir uns außerdem ganz besonders für die Bereitschaft bedanken, unser neues Einreichungssystem im Open Journal System (OJS) kritisch zu testen!

 

Zum Schluss noch ein Punkt in eigener Sache: Zu unserem Bedauern verlässt Carsten Praum sub\urban als Redaktionsmitglied. Lieber Carsten, vielen Dank für alles – wir vermissen Dich und freuen uns auf weitere Zusammenarbeit, wo und wie auch immer!

 

Nun aber viel Spaß beim Lesen wünscht die sub\urban-Redaktion

Kristine Beurskens, Laura Calbet i Elias, Antonio Carbone, Nina Gribat, Johanna Hoerning, Stefan Höhne, Jan Hutta, Justin Kadi, Michael Keizers, Yuca Meubrink, Boris Michel, Carsten Praum, Nikolai Roskamm, Nina Schuster und Lisa Vollmer