Wohnen in der Klimakrise

Die Wohnungsfrage als ökologische Frage: Aufruf zur Debatte

Lisa Vollmer, Boris Michel

Die Verbindung der sozialen und der ökologischen Frage ist eine der zentralen Herausforderungen linker Politik und kritisch-engagierter Wissenschaft heute. Dafür, wie wenig das bisher gelingt, sind die öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussionen um die Wohnungsfrage gute Beispiele. Auch in s u b \ u r b a n. zeitschrift für kritische stadtforschung haben wir uns bisher vorwiegend mit den sozialen Implikationen einer neoliberalen Umstrukturierung von Wohnungspolitik sowie sozialen Forderungen wohnungspolitischer sozialer Bewegungen und Stadtregierungen beschäftigt. Stadtökologische Arbeiten sind in der Welt der Stadtforschung nicht nur insgesamt unterrepräsentiert, sondern meist auch mehr an Fragen von Freiraumgestaltung und Urban Gardening interessiert als an der sozialen Frage im Allgemeinen und der Wohnungsfrage im Besonderen.

Zudem fällt auf, dass die sozialen und die ökologischen Dimensionen der Wohnungsfrage oft gegeneinander diskutiert werden, wie zum Beispiel bei der Modernisierungsumlage. Diese wird entweder als notwendiges politisches Instrument zur Energieeinsparung gesehen oder als Mechanismus zur Mieterhöhung und Verdrängung. So warnte kürzlich der Klimaschutzrat Berlin davor, mit dem Mietendeckel die Energieeinsparung im Mietwohnungsbereich abzuwürgen, und entzog damit einer sozialpolitischen Intervention mit ökologischen Argumenten die Legitimation (Berliner Klimaschutzrat 2019). Wird die zusammenhängende Relevanz der sozialen und der ökologischen Dimensionen der Wohnungsfrage anerkannt, wird letztere doch häufig als ersterer nachgelagertes, technisch zu lösendes Problem betrachtet. Dafür ist der Beitrag „A Green New Deal for Housing“ von Daniel Aldana Cohen in der The-Jacobin-Ausgabe zum Wohnen ein gutes Beispiel (Cohen 2019). Er fordert darin den Bau von zehn Millionen öffentlichen ‚no-carbon homes‘ in den USA und reduziert damit die ökologische Wohnungsfrage zu einer Frage der richtigen Baumaterialien und Konstruktion. Auf der anderen Seite wird ‚ökologisches Wohnen‘ häufig auf eine Frage der (individuellen oder gesellschaftlich bedingten) Verhaltensweisen von Bürger*innen reduziert (z. B. Gestring/Mayer/Siebel 1996). Dabei fallen allerdings die strukturellen Bedingungen sozialer Ungleichheit, die die Wohnungsfrage beherbergt, unter den Tisch. Eine strukturelle Diskussion der ökologischen Wohnungsfrage und des Zusammenhangs zwischen sozialer und ökologischer Wohnungsfrage bleibt bisher weitgehend aus.

Für unseren Themenschwerpunkt „Die Natur der Stadt. Urbane politische Ökologie“ wollten wir diese traurige Situation durch eine Debatte in s u b \ u r b a n ändern und haben uns auf die Suche nach einem geeigneten Text dafür gemacht. Dieser sollte soziale und ökologische Aspekte der Wohnungsfrage vereinen oder doch zumindest gleichwertig beleuchten. Das ist uns nicht gelungen. So haben wir uns entschlossen, selbst zur Debatte anzustoßen. Dieser Aufruf ist eine Einladung an den kollektiven Wissensschatz aus Wissenschaft und Aktivismus, die unterschiedlichen Aspekte der ökologischen Wohnungsfrage, die bisher stark fragmentiert behandelt werden, in einzelnen Beiträgen weiter auszuführen und auf ihren strukturellen Zusammenhang mit der sozialen Wohnungsfrage hin zu beleuchten. Unser Vorgehen spiegelt einerseits den Stand der fragmentierten Debatte wider. Durch die Zusammenführung unterschiedlicher Perspektiven und Autor*innen erhoffen wir uns andererseits aber auch, möglichen Verbindungen der sozialen und der ökologischen Wohnungsfrage näher zu kommen Einzelne, relevante Aspekte der Debatte sind unter anderem:

 

Die Debatte soll ein erster Schritt sein, diese und andere Aspekte der ökologischen und sozialen Wohnungsfrage an einem Ort zu versammeln und die Fragmentierung in Zukunft zu überwinden. Beiträge können sowohl einen Überblick über Debatten zu einzelnen Aspekten geben als auch das strukturelle Verhältnis von sozialer und ökologischer Wohnungsfrage befragen.

Autor_innen

Lisa Vollmer ist interdisziplinäre Stadt- und Bewegungsforscherin. Ihre Forschungsinteressen sind soziale Bewegungen, Wohnungspolitik und politische Theorie.

lisa.vollmer@uni-weimar.de

 

Boris Michel ist Geograph und Teil der Redaktion von sub\urban. In der Stadtgeographie arbeitet er zur Zeit an einem Projekt zu urbanen Drogenkulturen sowie zu Geschichte der Stadtgeographie.

boris.michel@fau.de

Literatur

Berliner Klimaschutzrat (2019): Positionspapier des Berliner Klimaschutzrates zum Referentenentwurf des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (Berliner MietenWoG), 20.09.2019. Online: https://www.berlin.de/senuvk/klimaschutz/klimaschutzrat/download/KSR_Positionspapier_MietenWoG.pdf (letzter Zugriff am 7.11.2019).

Cohen, Daniel Aldana (2019): A Green New Deal for Housing. In: Jacobin Magazine 33, 52-61.

Gestring, Nobert / Mayer, Hans-Norbert / Siebel, Walter (1996): Konflikte und Chancen des ökologischen Wohnens. In: Gewerkschaftliche Monatshefte 47/3, 159-167.