Wilde Urbaniten

Tier-Mensch-Regime im Habitat Großstadt

Annette Voigt, Thomas E. Hauck, Stefanie Hennecke, Wiebke Reinert

1. Einleitung

Nachts warten Füchse an den roten Ampeln innerstädtischer Kreuzungen, Waschbären plündern die Mülltonnen, Nachtigallen und Glühwürmchen sind eine romantische Dreingabe beim nächtlichen Rendezvous im Stadtpark, Fledermäuse beschmutzen die frisch renovierte Fassade des Mietshauses und in der Dämmerung singen Amseln auf dem Dachfirst … Wild lebende Tiere scheinen sich den Stadtraum auf vielfältige Art anzueignen und machen sich auf unterschiedlichste Weise bemerkbar – nicht alle Arten, aber doch viele und, wie es scheint, sukzessive immer mehr. In der Ökologie wird schon seit Längerem thematisiert, dass aufgrund größerer Nischenvielfalt im ‚Anthropo-Biom‘ der Städte die Zahl sowohl der Arten als auch der Individuen wild lebender Tiere hoch ist, meist höher als im intensiv und monokulturell ackerbaulich genutzten Umland (Erz/Klausnitzer 1998; Pickett et al. 2011). Diese Ko-Habitation von Menschen und wild lebenden Tieren in der Stadt war und ist vonseiten der Menschen geprägt durch Nutzungskonflikte und Ängste[1] (Sterba 2012), aber auch von Zuwendung und Begeisterung für die Tiere.

In einem Forschungsschwerpunkt am Fachgebiet Freiraumplanung der Universität Kassel befassen wir uns mit dem Umgang mit wild lebenden Tieren in der Planung urbaner Freiräume. Im Folgenden stellen wir ein Forschungsvorhaben zur Untersuchung der planerischen und administrativen Regulation von wild lebenden, also ‚herrenlosen‘, sich autonom bewegenden und verhaltenden Tieren in Großstädten vor. Wir fragen nach unserem Verhältnis zu den wild lebenden Tieren in der Stadt und danach, wie es sich in Planung und Verwaltung manifestiert.

2. Grundlagen der Regulation von Mensch-Tier-Beziehungen in der Stadt

In jüngster Zeit wuchs nicht nur in der (Stadt-)Ökologie (Kowarik 2017, 2018), sondern auch in kulturwissenschaftlicher Perspektive das Interesse an urbaner Wildnis (siehe zum Beispiel Haß et al. 2010; Jorgensen/Keenan 2011). Jedoch werden wild lebende Tiere im städtischen Raum außerhalb der Ökologie eher wenig behandelt. Da sind auch die Planungswissenschaften keine Ausnahme. Stadtplanung und -verwaltung formen in der Praxis aber genau die Räume, die das Leben von Menschen und Tieren beeinflussen beziehungsweise ihr Verhalten kontrollieren und steuern sollen. In Hinsicht auf die wild lebenden, tierlichen Stadtbewohner ist es einerseits Aufgabe der räumlichen Planung, deren Vorkommen zu schützen, zum Beispiel durch den Bau, die Erhaltung oder Optimierung von Habitaten, die Ausweisung von Schutzgebieten und die damit verbundenen Nutzungseinschränkungen für Menschen. Andererseits wird durch die Schaffung räumlicher Barrieren die Bewegungsfreiheit bestimmter Tierarten beschränkt (etwa durch Taubennetze oder Wildzäune) sowie die Individuenzahl durch das Verordnen von menschlichen Verhaltensregeln (wie Fütterungsverbote) oder auch durch lokale Bekämpfung reguliert.

Die Situation der Tiere in der Stadt ist rechtlich geregelt: Dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 960 BGB) zufolge sind wild lebende Tiere herrenlos, solange sie sich in der Freiheit befinden. Da sie kein Eigentum sind, gibt es weder natürliche noch juristische Personen, die für die durch sie verursachten Schäden aufkommen. Wenn wild lebende Tiere weder besonderem Aneignungsrecht (wie dem Jagd- und Fischereirecht) noch gesetzlichen Schutzvorschriften (wie dem Natur- oder Artenschutz) unterliegen, kann sie sich jeder aneignen. Des Weiteren wird ihre Situation durch das Tierschutzgesetz geregelt. Je nach Spezies greift also das Naturschutzrecht, das Jagdrecht sowie das Infektionsschutz- und Tierseuchengesetz, bei einigen Tierarten liegen auch Überschneidungen von rechtlichen Regelungen vor.

Das Verhältnis der Planung und Administration zu den wild lebenden, tierlichen Urbaniten ist von kulturellen Wertsetzungen bestimmt: Welcher Wert wird einer Tierart zugesprochen – gilt sie als Schädling oder Nützling, wird sie bekämpft oder geschützt? Die traditionsreiche Entgegensetzung von Natur und Stadt sowie von Wildnis und Zivilisation führt einerseits zu konfliktreichen Differenzierungen zwischen den Räumen, die Tieren von Menschen zugestanden werden (animal spaces) und den Räumen, die sie einnehmen und tatsächlich nutzen (beastly places) (Philo/Wilbert 2000; Urbanik 2012). Sie führt auch zu Erwartungen dahingehend, wie sich wild lebende Tiere zu verhalten und nicht zu verhalten haben: Entspricht ein Tier, das sich von weggeworfenen Fast-Food-Resten ernährt, noch unseren Erwartungen an das Wildsein?

Sich autonom bewegende und verhaltende, und darüber hinaus auch lern- und anpassungsfähige Tiere sind schwer zu ‚disziplinieren‘. Sie sind von ökologischen Umweltbedingungen abhängig (die auch nicht immer einfach zu kontrollieren sind), können gesetzliche, räumliche und soziokulturelle Ordnungssysteme überschreiten und erscheinen so ‚unkontrollierbar‘ (Holmberg 2015: 2; Hinchliffe/Whatmore 2006: 128; Hauck/Hennecke 2017). Ihre Wirkmächtigkeit lässt sich zum einen den ökologischen Diskursen entnehmen, in denen die Veränderungen der Arten- und Individuenzahlen, des räumlichen Vorkommens sowie vor allem des beobachteten Verhaltens im Habitat Großstadt mit seinen spezifischen Bedingungen wie Lärm, künstliches Licht, Autoverkehr dokumentiert und analysiert werden.[2] Sie zeigt sich auch in den Konflikten, die durch die tierliche Nutzung urbaner Habitate entstehen und die – oft emotional aufgeladen – in der Boulevardpresse thematisiert werden: Wildschweine verwüsten bei der Futtersuche Gärten, Krähen attackieren Menschen, Tauben übertragen Krankheiten, verschmutzen Fassaden und Stadtplätze und so weiter. Zum anderen manifestiert sich die tierliche Wirkmächtigkeit auch in den planerischen und administrativen Reaktionen auf die urbanen Wildtiere und ihr Verhalten – in den Versuchen ihrer Steuerung, sei es in Form von Förderung oder Bekämpfung. Die Regulation von Mensch und Tier ist also wechselseitig und dynamisch.

3. Drei Regime und ihre kulturellen Tiertypen

Die rechtlich-administrative und räumlich-planende Steuerung des Vorkommens wild lebender Tiere im urbanen Raum lässt sich drei historisch gewachsenen Handlungssettings zuordnen: dem Regime der Hygiene, der Jagd und des Natur- und Artenschutzes. Je nach Regime und normativer Werthaltung gegenüber einzelnen Arten werden unterschiedliche kulturelle Typen von wild lebenden Tieren in der Stadt gebildet.[3]

Hygiene

Für das Regime der Hygiene ist erstens der medizinische und biologische Diskurs über Parasiten und Tiere als Überträger von Krankheitserregern auf Menschen und Nutztiere als Grundlage administrativen und planerischen Handelns wichtig. Spezifisch für den großstädtischen Raum wird dieser Diskurs dann, wenn die Verbreitung tierlicher Wirte und die Übertragung auf den Menschen durch städtische Strukturen beeinflusst werden, die günstige Habitate für diese Tiere bieten. So haben Rotfüchse eine wesentlich höhere Populationsdichte und eine geringere Fluchtdistanz in den Städten als außerhalb. Da der Rotfuchs Überträger verschiedener Krankheiten auf Haustiere und Menschen, vor allem aber, weil er Wirt des Fuchsbandwurms ist, wird sein Vorkommen in der Stadt kontrovers diskutiert. Auch in der aktuellen Diskussion um die Corona-Pandemie wird die Frage des räumlichen Zusammenrückens von Menschen und wild lebenden Tieren in einer zunehmend urbanisierten Welt mit neuer Intensität thematisiert (vergleiche zum Beispiel Shah 2020).[4] Eine besondere Bedeutung hat die Ratte im Diskurs über Hygiene (McCormick 2003; Burt 2006). In Deutschland gilt sie de jure als Gesundheitsschädling, also unabhängig von der tatsächlichen Seuchengefahr durch dieses Tier, als Überträgerin schwerer Infektionskrankheiten. Daher können Ratten laut gesetzlicher Bestimmung losgelöst von den tierschutzrechtlichen Verboten jederzeit getötet werden.[5] In Hamburg und Niedersachsen verpflichtet zudem eine spezielle Rattenverordnung die Bürger*innen, gesichtete Ratten unverzüglich über eine spezielle Hotline an die Gesundheitsbehörde zu melden. Andere Arten gelten nicht als Schädlinge, haben aber ein Verteidigungsverhalten, das für Menschen schmerzhaft sein kann (zum Beispiel Krähen oder Wildschweine) oder starke allergische Reaktionen hervorrufen kann (Ameisen, Wespen).

Zweitens ist der Diskurs über Schädlinge und Lästlinge für das Regime der Hygiene relevant: Material-, Vorrats- oder Pflanzenschädlinge verursachen ökonomischen Schaden, Lästlinge (zum Beispiel Silberfischchen oder Spinnen) können Ekel oder Angst hervorrufen oder unangenehme Gerüche verbreiten. Demgegenüber gelten diejenigen Tiere als Nützlinge, die schädliche oder lästige Tiere vernichten: Schlupfwespen werden gegen Motten, Erzwespen gegen Käfer eingesetzt, Nützlinge wie Marienkäfer oder bestimmte Vogelarten fressen Pflanzenschädlinge.

Der Bezug zur Stadt ist in diesem Zusammenhang durch gesetzliche und planerische stadthygienische Maßnahmen zur Bekämpfung der unerwünschten Tiere und der Zerstörung ihrer Habitate gegeben. Das Vorkommen oder Nichtvorkommen dieser Tiere in bestimmten Stadträumen gilt als Hinweis auf soziale Ungleichheiten und Diskriminierungen (Biehler 2013).

Das Regime der Hygiene konstituiert also wild lebende Tiere als Schädlinge, Lästlinge und Nützlinge. Maßnahmen sind Töten in allen Varianten (‚Entwesung‘ etwa in Form von Begasung), Umsiedlung oder Vergrämung zum Beispiel durch Taubenspikes. Maßnahmen gegenüber Nützlingen sind deren gezielte Etablierung und Förderung.

Jagd

Der Themenbereich Jagd von Tieren in der Stadt wird in kulturwissenschaftlichen Arbeiten, wenn überhaupt, nur am Rande gestreift.[6] Das liegt auch daran, dass Siedlungsgebiete aus Sicherheitsgründen gemeinhin den Status von ‚befriedeten Gebieten‘ haben, in denen die Jagdausübung ruht. Jedoch kann die Jagdbehörde in Ausnahmefällen etwa in Stadtwäldern, großen Parkanlagen oder auf Friedhöfen insbesondere zur Gefahrenabwehr und zur Tierseuchenbekämpfung eine beschränkte Jagdausübung genehmigen. Diese erfolgt meist durch ausgewählte Stadt-Jäger*innen, oft auch unter Assistenz von domestizierten Tieren: An Flughäfen jagen Frettchen Kaninchen, Bussarde vergrämen Tauben in Einkaufspassagen. Im befriedeten Bereich überlappen sich also die Regime der Hygiene und der Jagd.

Das Regime der Jagd konstituiert wild lebende Tiere durch das Jagdrecht (§ 2 BJagdG und Ländergesetze) in unterschiedliche Gruppen. Zunächst werden zwei Klassen von Wild unterschieden, die beide grundsätzlich dem Jagdrecht unterliegen: zum einen das essbare Nutzwild wie Reh und Wildschwein und zum anderen das Raubwild wie Fuchs, Marder, Dachs und Greifvögel. Letztere werden als ‚Jagdkonkurrenten‘ angesehen, die es zu kontrollieren und ‚kurzzuhalten‘ gelte. Gelegentlich wird auch noch der Begriff ‚Raubzeug[7] für alle Arten verwendet, die selbst nicht zum Wild zählen, die aber Nutzwild töten oder beeinträchtigen – wie zum Beispiel Rabenkrähe, Elster, Eichelhäher oder auch ‚wildernde‘ Hunde und Katzen. Als Maßnahme der Hege und des Jagdschutzes muss Raubzeug bekämpft werden; früher führte das bis zur Ausrottung der entsprechenden Art, ohne Schonzeit und Waidgerechtigkeit. Dem Jagdrecht unterliegen auch Arten, die heute weder zum Nutz- noch Raubwild gehören, wie der Höckerschwan und Möwen, zudem Arten, die in der Roten Liste der gefährdeten Tierarten aufgeführt sind, wie Greifvögel, Kolkrabe, Fischotter, Luchs und Wildkatze. Zwar haben diese artenschutzrechtlich relevanten Tiere ganzjährig Schonzeit, doch gelten sie als prinzipiell jagdbares Wild und somit sind die Jäger*innen auch für ihre Hege verantwortlich.

Naturschutz

Der Natur- und Artenschutz unterscheidet Tierarten allgemein nach ihrem Schutzstatus, der sich unter anderem aus ihrer Seltenheit und Bedrohung ergibt und deren jeweiliger Gefährdungsstatus in der Roten Liste dokumentiert wird. Dabei spielt auch die Herkunft einer Art eine Rolle: Der klassische Naturschutz orientiert sich von der Tendenz her an einem organizistischen Naturbild und dementsprechend gelten eingewanderte Arten als unerwünscht und ihre Bekämpfung als notwendig (Körner 2000; Piechocki 2010; Trepl/Voigt 2014). Zunehmend geht es bei der naturschutzfachlichen Bewertung auch darum, welche Leistungen (ecosystem services) eine Art oder Artengruppe erbringt oder auch, welche ecosystem disservices. Das Regime des Naturschutzes konstituiert also wild lebende Tiere (in unterschiedlichem Ausmaß und aus unterschiedlichen Gründen) als schützenswert, heimisch oder fremd, als Leistungsträger oder Schädling.

Gegenüber dem herkömmlichen Naturschutzdiskurs wird jedoch der Diskurs über Tiere in der Stadt mit einer etwas verschobenen Perspektive geführt: Der klassische Naturschutz, der auf das Heimische und das Typische verweist, betrachtet einen Großteil der in den städtischen Siedlungsräumen des Menschen etablierten Arten mit einer gewissen Geringschätzung als ‚Allerweltsarten‘ (Ubiquisten), anpassungsfähige Einwanderer (Neozoen) ohne Eigenart und Verursacher einer globalen Homogenität.[8] Allerdings wird ihr Vorkommen in der Stadt, die als Raum und als kulturelles Konstrukt ja traditionell als der Gegensatz zu ‚der Natur‘ konstituiert wird, meist akzeptiert und nur ihr Vordringen in den ländlichen Raum wird bekämpft. Der Natur und den Lebensgemeinschaften der Stadt werden traditionell weder Aufmerksamkeit noch ein besonderer Wert zugeschrieben (und passend dazu wird den Menschen in der Stadt unterstellt, unter Naturentfremdung zu leiden). Erst seit den 1970er Jahren rückten die Natur der Stadt und ihre Besonderheiten verstärkt in den Blickpunkt von Ökologie und Naturschutz. Damit einher ging auch eine erstmalige Wertschätzung der urbanen Natur, insbesondere in der Westberliner Variante der Stadtökologie (Sukopp 2008).

Die normativen Bewertungen von Tierarten bewegen sich bei allen drei Regimen auf verschiedenen kategorischen Skalen: in funktionaler Hinsicht etwa von ‚nützlich‘ oder ‚essbar‘ bis ‚schädlich‘, in ökologisch-geographischer, aber nicht selten auch moralischer Hinsicht von ‚heimisch‘ bis ‚fremd‘ und emotional von ‚süß‘ bis ‚eklig‘. Manche Kategorisierungen können relativ stabil sein, während sich in anderen Bereichen kurzfristigere Anpassungen ausmachen lassen. Zudem können durch die jeweilige interne Regime-Logik einzelne Tierarten in den verschiedenen Regimen durchaus anders bewertet werden: Maulwurf, Siebenschläfer und Hornisse gelten im Regime der Hygiene als Schädlinge, im Natur- und Artenschutz aber als schützenswerte Arten. Jedoch sind die Regime meist gut aufeinander abgestimmt: Schädlingsbekämpfer*innen weisen beispielsweise darauf hin, dass Wespen keine Schädlinge sind und Fledermäuse nicht vergrämt werden dürfen. Auch gibt es Überlappungen der Regime: Vor allem die Jäger*innen sehen sich zugleich als Naturschützer*innen und Schädlingsbekämpfer*innen und regulieren das Vorkommen von Tierarten in bestimmten Habitaten durch Abschuss, Lebensraumgestaltung und Fütterung.

4. Überwindung der Regime und Neudefinition der kulturellen Tiertypen?

In der aktuellen Planungspraxis zeichnet sich zurzeit eine Transformation im Umgang mit in der Stadt wild lebenden Tieren ab: von einem exkludierenden und zugleich defensiv-bewahrenden (der sich vor allem in der Ausweisung von Schutzgebieten manifestiert) zu einem integrierenden, die Wirkmächtigkeit von Tieren anerkennenden und nutzenden, sowie offensiv-gestaltenden Umgang. Es werden unter Schlagwörtern wie nature- oder wildlife-inclusive (urban) design (Van Stiphout 2019; Apfelbeck et al. 2019) oder biodiversity sensitive urban design (Garrard et al. 2017) Ansätze entwickelt, durch die auf verschiedenen Maßstabsebenen und in unterschiedlichen Disziplinen (vor allem Landschaftsarchitektur, Architektur, Städtebau, Management öffentlicher Räume) das Vorkommen von wild lebenden Tieren in der Stadt miteinbezogen und gefördert werden soll. So sollen mit der interdisziplinären Planungsmethode Animal-Aided Design (AAD) Möglichkeiten der integrativen Freiraumplanung im Sinne einer Ko-Habitation mit Tieren erforscht werden. AAD berücksichtigt wild lebende Tiere im Planungsprozess als Akteure, die urbane Räume aktiv mitgestalten (Hauck/Weisser 2014; 2019). Am Anfang der Freiraumplanung mit AAD steht die Frage: „Welche Tiere sollen hier vorkommen?“. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, seltene Arten, die bereits in einem Planungsgebiet vorkommen, zu schützen, sondern darum, eine nachvollziehbare, verschiedene (menschliche) Akteur*innen mit einbeziehende Auswahl von Tierarten zu treffen, deren Vorkommen aktiv gefördert werden soll. Das Zusammenleben mit diesen partizipativ und gezielt ausgewählten Tierarten wird in diesen Planungsansätzen als Bereicherung des städtischen Lebens verstanden. Die landschaftsarchitektonische oder städtebauliche Entwurfsplanung bietet geeignete Maßstabsebenen, um Maßnahmen zu entwickeln, die die Bedürfnisse der jeweiligen Zielarten abdecken.

Am Lehrstuhl für terrestrische Ökologie der TU München und am Fachgebiet Freiraumplanung der Universität Kassel werden Forschungsprojekte zu AAD bearbeitet.[9] Die Methode wurde im Rahmen eines Modellprojekts in Kooperation mit dem kommunalen Wohnungsbauunternehmen GEWOFAG beim Neubau einer Wohnhausanlage in München auf ihre Anwendbarkeit getestet. Die Bauarbeiten wurden Anfang 2020 abgeschlossen und die ersten Mieter*innen haben das Gebäude bezogen. In den nächsten Jahren wird ein Monitoring über die Wirksamkeit der verschiedenen Maßnahmen durchgeführt. Die Methode AAD soll die planerischen Werkzeuge für eine diskursive Neubestimmung der Bedeutung unserer vielfältigen tierlichen Mitbewohner für unsere Lebensqualität bereitstellen und Partizipation in Hinsicht auf die Frage, wie und mit welchen Tieren das Zusammenleben in der Stadt gestaltet werden soll, ermöglichen. AAD bindet dafür notwendigerweise auch das tierliche Handeln mit ein.

Ziel sowohl des integrierten urbanen Naturschutzes als auch der Aufwertung der Lebensqualität durch Ko-Habitation mit Tieren ist es, die strenge Abgrenzung urbaner Tierräume (Schutzgebiete, Biotope, etc.) vom Rest der Stadt zu überwinden und räumliche Planung so zu erweitern, dass der Schutz und die Förderung des Vorkommens von wild lebenden Tieren in den jeweiligen Planungsprozess integriert werden. Spannend ist dabei die Frage, wie sich diese Planungsansätze zu den derzeit dominierenden rechtlich-administrativen und räumlich-planenden Steuerungen des Vorkommens wild lebender Tiere im urbanen Raum und den regimeabhängigen kulturellen Tiertypen verhalten. Zukünftige Forschungen könnten die historische Dimension der Regime aufzeigen und somit Handlungsanleitungen in der Planung ein Reflexionsfeld eröffnen. Schließlich werden auch die Kategorien, die die neuen integrativen und partizipativen Ansätze wie AAD erarbeiten, sich nicht als statisch erweisen, sondern in Ko-Habitation und Interaktion von Tier und Mensch dynamisch bleiben.

 

Die Veröffentlichung dieses Aufsatzes erfolgte mit Mitteln aus dem Open Access-Publikationsfonds der Universitätsbibliothek Kassel.

Endnoten

Autor_innen

Annette Voigt ist Landschaftsplanerin. Sie lehrt und forscht zur Kulturgeschichte der Stadtnatur.

voigt@asl.uni-kassel.de

 

Thomas E. Hauck ist Landschaftsarchitekt und leitet zusammen mit Wolfgang Weisser das Forschungsprojekt Animal-Aided Design (AAD).

thomas.hauck@asl.uni-kassel.de

 

Stefanie Hennecke ist Professorin für Freiraumplanung und lehrt und forscht zur Nutzungsgeschichte und Gestaltung urbaner öffentlicher und privater Freiräume.

hennecke@uni-kassel.de

 

Wiebke Reinert ist Kulturanthropologin und Historikerin. Sie forscht zu Tier-Mensch-Verhältnissen, Stadt-Land-Beziehungen und Planungskulturgeschichte.

wiebke.reinert@uni-kassel.de

Literatur

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