Kaum eine andere Form von Raumaneignung kann sich aktuell hinsichtlich gesellschaftlicher, medialer und wissenschaftlicher Aufmerksamkeit mit dem Phänomen des gemeinsamen städtischen Gärtnerns messen. Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten, von Sarah Kumnig, Marit Rosol und Andrea*s Exner, reiht sich ein in einen stetig wachsenden Handapparat zu diesem Thema. Während sich der überwiegende Teil der Publikationen mit den Potentialen des gemeinschaftlichen Gärtnerns für eine alternative Form von Raumproduktion innerhalb des Städtischen befasst (vgl. u. a. Biedermann/Rippenberger 2017; Böckel 2018; Tornaghi/Certomà 2018; Certomà et al. 2019) und damit gemeinschaftliches städtisches Gärtnern im Kontext der Recht-auf-Stadt-Bewegung verortet (Lefebvre 1991; Harvey 2013), thematisiert die hier vorliegende Veröffentlichung die Mechanismen und Effekte, die die kritische Praxis der Raumaneignung in ihr Gegenteil verkehren.
Die Schwierigkeiten einer mit einem solchen Vorhaben verbundenen Darstellung – und darauf weist der Titel der Publikation bereits hin – liegt in der Vielfalt des Phänomens ‚Urban Gardening‘ selbst, das von nachbarschaftlichen small-scale Initiativen bis zur politisch motivierten Besetzung von Stadtentwicklungsflächen reicht. Kumnig, Rosol und Exner begehen Angesichts dieser Unübersichtlichkeit nicht den Fehler einer Komplexitätsreduzierung mit beschränkter Aussagekraft, sondern eröffnen den Leser_innen ein Spektrum, das in seiner Vielfalt nicht überfordert, sondern zum Verständnis des Phänomens in seiner Gesamtheit beiträgt. Diese Heterogenität sorgt für die Qualität dieser Publikation, die im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojekts am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien[1] und der hieraus initiierten Konferenz „Grüne städtische Gemeingüter? Grüne urbane Aktivitäten im öffentlichen Raum – zwischen Aufwertung, Privatisierung, sozial-ökologischer Transformation und Recht auf Stadt“ entstand, und deren Agenda und Diskussion in Umkämpftes Grün ihren Widerhall finden.
Anhand dreier voneinander unabhängiger Themenblöcke eröffnet die Publikation einen Zugang zur Komplexität des Gegenstands. Ausgehend von einem theoretischen Überblick, der die Genealogie des städtischen Gärtnerns beleuchtet, zeigen aktuelle Forschungsansätze die Möglichkeiten und Probleme einer Verbindung von Wissenschaft und gärtnerischem Aktivismus. Die daran anschließenden Fallstudien illustrieren wiederum anhand konkreter Beispiele Einzelaspekte des Themenkomplexes. Dabei wird sichtbar, dass sich städtisches Gärtnern innerhalb eines Felds bewegt, das neben seiner eigenen Historizität, die Ebene des wissenschaftlichen Aktivismus, die Frage nach städtischen commons, die Wechselbeziehung zwischen Neoliberalismus und Ermächtigungsbewegungen, die Analyse spezifischer Governance-Strukturen zwischen Gemeinwohl und Gentrifizierung und die Rolle des Individuums innerhalb der Gemeinschaft der Gärtner_innen thematisiert.
Diese Gesamtschau fügt sich jedoch nicht zu einem Bild, das die Potentialität kritischer Raumaneignung betont, sondern Unbehagen auslöst. Die sich auch in der Publikation findende Annahme (u. a. Viehoff/Follmann 2017: 251 f.), Initiativen gemeinschaftlichen Gärtnerns müssten lediglich gut genug, im Sinne von möglichst idealistisch, gemeinschaftlich, emanzipatorisch, ökologisch, umgesetzt werden, geht am Kern der Sache vorbei. Viel wesentlicher für den Effekt solcher Initiativen im Gesamtzusammenhang städtischer Systeme ist die Dynamisierung des neoliberalen Systems durch die kritische Praxis selbst: Initiativen gemeinschaftlichen Gärtnerns sind „niemals Entweder-oder“, sondern haben stets „das Potential […], beides zu sein“: Alternativen zur neoliberalen Stadtentwicklung darzustellen und diese gleichzeitig voranzutreiben (Rosol 2017: 27).
Dieses latente Unbehagen an der Rolle des urbanen Gärtnerns als Medium urbaner Transformation, zeigt sich stellvertretend im Unbehagen der beteiligten Akteure. Beispielhaft wird dies in dem publizierten Briefwechsel zwischen Barbara van Dyck, Chiara Tornaghi, Severin Halder, Ella von der Haide und Emma Saunders, der die Motivationen zur Etablierung einer Strategieplattform für eine urbane Ernährungsbewegung aufzeigt (van Dyck et al. 2017: 81-108). Im Laufe der Korrespondenz kommen van Dyck und Tornaghi – die eine Kooperation von Wissenschaft und Aktivismus grundsätzlich bejahen und als Instrument kritischer Raumproduktion anerkennen – zum Entschluss, das für eine Konferenz geplante Panel zu politischer urbaner Agrarökologie abzusagen, weil das Format einer wissenschaftlichen Konferenz „für die Art des Austausches, den wir schaffen und stärken wollen, nicht geeignet ist“ (van Dyck et al. 2017: 105). Der Schritt von privater Vernetzung von Garten- und Ernährungsaktivisten in die Sphäre öffentlicher Diskussion kann eben nicht nur als Schritt hin zu einer wünschenswerten Verbreitung von Ideen und Konzepten und deren gemeinschaftlicher Weiterentwicklung verstanden werden, sondern eben auch als jener Zeitpunkt, der das Ende der Hoheit über die eigenen Positionen markiert. In der Ablehnung jeglicher Art von Öffentlichkeit zeigt sich ein sich manifestierendes Bewusstsein, den eigenen Aktivismus und auch die Ideale vor neoliberaler Vereinnahmung, „mind grabbing und ästhetische[r] Gentrifizierung […]“ (van Dyck et al. 2017: 101) zu schützen, auch wenn dies einen Rückzug aus der wissenschaftlichen Debatte zur Folge hat.
Den Kern dieser Unsicherheit thematisiert Margaret Haderer (Haderer 2017: 63-80) mit ihrer Kritik an der noch heute wirkmächtigen affirmativen Übernahme von Henri Lefebvres ‚Recht-auf-Stadt‘-Diskurs. Vor allem Lefebvres Fokussierung auf die Selbstbestimmung des Individuums als Triebfeder gesellschaftlicher Transformation im urbanen Kontext muss aus heutiger Sicht historisch verortet und nicht „orthodox-normativ übernommen werden“. Ziel sollte es laut Haderer vielmehr sein „mit gegenwärtigen Theorien zu spätmoderner Subjektivität die Frage zu stellen, ob Selbstbestimmung auch heute noch jene politische Triebkraft hat, die ihr Lefebvre in den 1960ern zuschrieb.“ (Haderer 2017: 64)
Diese Betrachtungen führen letztlich zu einem Unbehagen an der kritischen Praxis des urbanen Gärtnerns an sich. Bedeutet nicht die Sichtbarmachung eines Mangels an Teilhabe, Zugang zu Ressourcen und Gemeinschaft und der daraus resultierenden produktiven Umwertung, wesentlicher Teil einer Dynamik zu sein, die neoliberale Prozesse letztlich selbst ins Werk setzt? Was als emanzipatorischer Akt migrantischer Communities in New York seinen Ausgang nahm, entwickelte sich durch „Mikroevolutionen“ und „Mikroverschiebungen“ (Boltanski/Chiapello 2006: 255) zunehmend zu einem Agenten neoliberaler Stadtentwicklung, der Gentrifizierungsprozessen und der Verdrängung marginalisierter Milieus den Boden bereitet. Trotz des Engagements und des Idealismus der Initiator_innen gewinnen letztlich Vermarktungsstrategien der Immobilienentwickler an Einfluss (Kumnig 2017: 142 f.), rückt der individuelle Distinktionsgewinn der Gärtner_innen in den Vordergrund (Exner/Schützenberger 2017: 161 ff.) und versuchen Wirtschaftsunternehmen urbanes Gärtnern für green-washing-Kampagnen zu instrumentalisieren (van Dyck et al. 2017: 102).
Diese Umprogrammierung beschrieben Luc Boltanski und Eve Chiapello in Der neue Geist des Kapitalismus durch die Analyse der Anpassungsprozesse des kapitalistischen Systems auf die im Zuge der 68er-Bewegung formulierte Kritik. Und es sind diese Mechanismen, die sich im Subtext aller Beiträge von Umkämpftes Grün wiederfinden lassen. Heute wie damals tauscht man „Sicherheitsgarantien gegen Autonomie“, was wiederum einem „neuen kapitalistischen Geist den Weg [ebnet], der Mobilität und Anpassungsfähigkeit preist, [...]“ (Boltanski/Chiapello 2006: 255).
Die Analyse Boltanskis und Chiapellos erweist sich noch aus einem weiteren Grund als lohnenswerte Kontrastfolie für die hier vorliegende Untersuchung, geht sie doch einen Schritt über die Analyse von Kumnig, Rosol und Exner hinaus und hinterfragt die Rolle der Kritik als solche. Diese wird in jenem Moment anfällig für eine Umwertung durch den neoliberalen Diskurs, in dem sich ganzheitliche Kritik in Künstler- und Sozialkritik zu fragmentieren beginnt. Spielte die Sozialkritik und ihr Kampf gegen Ausbeutungs- und Ausgrenzungsmechanismen historisch gesehen die Haupttriebkraft linker Bewegungen, wurde sie im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend zugunsten der Künstlerkritik zurückgedrängt, die sich durch die Forderungen nach Autonomie, Kreativität, Authentizität und Emanzipation charakterisiert.
Diese Vorgänge wirken in die Praxis des gemeinschaftlichen Gärtnerns hinein, in der sich ebenfalls ein Auseinanderdriften von sozial- und künstlerkritischen Positionen beobachten lässt.
Die Künstlerkritik erweist sich als anfällig für das Vorhaben „die Authentizitätsforderung, die der Kritik an der Konsumgesellschaft zugrunde lag, der Marktlogik zu unterwerfen und für sich zu vereinnahmen“ (Boltanski/Chiapello 2006: 489). Die Formulierung einer spezifischen Ästhetik des urbanen Gärtnerns trägt zu dieser Dynamisierung wesentlich bei, denn es sind primär die ästhetisch wirksamen Elemente, die aktiv in den Prozess der Waren- und Werteakkumulation eingebunden werden. Dabei werden diese umprogrammiert und in neuem politischem Kontext reproduziert, was sie für ihre ursprüngliche Verwendung entwertet.
In der Sichtbarmachung dieser Prozesse in ihrer Vielfältigkeit liegt die Qualität von Umkämpftes Grün. Es wird deutlich, wie sehr urbanes Gärtnern als Praxis des commoning Wert darauf legen muss, die Gesamtheit des ihr inhärenten kritischen Potentials zu bewahren und sich einer Fragmentierung in Künstler- und Sozialkritik aktiv zu widersetzen.
Dieser Artikel wurde durch den Publikationsfonds der Hochschule Kaiserslautern gefördert.
Stefan Staehle ist Architekturtheoretiker. Neben angewandter Forschung beschäftigt er sich u. a. mit Künstlervereinigungen und Avantgarden des 20. Jahrhunderts.
stefan.staehle@hs-kl.de
Biedermann, Amrei / Ripperger, Anna-Lena (2017): Urban Gardening und Stadtentwicklung. Neue Orte für konflikthafte Aushandlungsprozesse um städtischen Raum. Wiesbaden: Springer.
Böckel, Max (2018): Urban Gardening und Governance. Ansätze für die Verstetigung von Urban Gardening Konzepten – Empfehlungen für die Übertragung in den Kontext Halle/Saale. Saarbrücken: AV.
Boltanski, Luc / Chiapello, Eve (2006): Der neue Geist des Kapitalismus. Köln: Herbert von Halem.
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Haderer, Margaret (2017): Recht auf Stadt! Lefebvre, urbaner Aktivismus und kritische Stadtforschung. Eine Rekonstruktion, Interpretation und Kritik. In: Sarah Kumnig / Marit Rosol / Andrea*s Exner (Hg.): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. Bielefeld: transcript, 63-80.
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Kumnig, Sarah (2017): Zwischen grüner Imageproduktion, partizipativer Politik und Wachstumszwang: urbane Landwirtschaft und Gärten im Kontex neoliberaler Stadtentwicklung in Wien. In: Sarah Kumnig / Marit Rosol / Andrea*s Exner (Hg.): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. Bielefeld: transcript, 139-160.
Kumnig, Sarah / Rosol, Marit / Exner, Andrea*s (Hg.) (2017): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. Bielefeld: transcript.
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Tornaghi, Chiara / Certomà, Chiara (2018): Urban Gardening as Politics. Milton: Routledge.
van Dyck, Barbara / Tornaghi, Chiara / Halder, Severin / von der Haide, Ella / Saunders, Emma (2017): Der Aufbau einer Strategieplattform: Vom Politisieren urbaner Ernährungsbewegungen zu urbaner politischer Agrarökologie. In: Sarah Kumnig / Marit Rosol / Andrea*s Exner (Hg.): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. Bielefeld: transcript, 81-108.
Viehoff, Valérie / Follmann, Alexander (2017): Das Politische eines Gemeinschaftsgartens – NeuLand in Köln als Experimentierort für urban commoning? In: Sarah Kumnig / Marit Rosol / Andrea*s Exner (Hg.): Umkämpftes Grün. Zwischen neoliberaler Stadtentwicklung und Stadtgestaltung von unten. Bielefeld: transcript, 233-262.