Urbane Kleingärten im Fokus von Stadtentwicklung

Übersetzungen eines mehrschichtigen Stadtraumes

Nicola Thomas

1. Einleitung: Urbane Kleingärten in verdichtenden europäischen Städten

Dieser Artikel handelt von urbanen Kleingärten im Kontext von europäischer Stadtentwicklung. Kleingärten werden in wachsenden Großstädten dort gegenwärtig als eine der letzten größeren urbanen Landreserven im öffentlichen Besitz verhandelt, auf denen neue Stadtentwicklungsprojekte realisiert werden könnten. So auch in den Städten Hamburg und Basel, wo in den letzten zehn Jahren neue großräumige Wohnprojekte auf Kleingartenarealen geplant wurden. Gegen diese städtischen Pläne organisierte sich allerdings ausgehend von den persönlich betroffenen Kleingärtner_innen ein starker Widerstand, sodass auf die Veröffentlichung der Umgestaltungspläne mehrjährige Aushandlungsprozesse folgten. Im Rahmen dieser Prozesse wurden die beiden betroffenen Kleingartenflächen und der an sie herangetragene Nutzungsbedarf sowohl von Befürworter_innen der geplanten Wohnprojekte als auch von Kleingartenbefürworter_innen zu einem öffentlich diskutierten politischen Thema gemacht: Persönliche Anliegen und Interessen wurden in öffentliche issues übersetzt und Fragen von sozialer und ökologischer Solidarität diskutiert. Stadtplanung steht hier in Anlehnung an die Soziologin Susan Leigh Star (1995) für eine Bewertung und Reihung von Prioritäten: Ihr liegt unter anderem die Beantwortung der Frage zugrunde, was eine erstrebenswerte Stadt auszeichnet, in welche Richtungen sich eine Stadt entwickeln soll und wie zwischen konkurrierenden Nutzungsansprüchen ein Ausgleich gefunden werden kann. Bei den untersuchten Kleingärten wurde die Neubewertung und erwünschte Neureihung von Prioritäten problematisiert, was der vorliegende Artikel näher beleuchtet. Er geht dabei folgender Frage nach: Wie wurden in den Aushandlungsprozessen um eine Kleingartenumgestaltung persönliche Anliegen und Bedarfe in ein öffentliches, politisches Thema übersetzt und wie konnte damit zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen eine Form von Äquivalenz, also eine scheinbare Gleichheit zwischen den Ansprüchen, hergestellt werden?

Diese Fragestellung ist von den theoretischen Überlegungen von Laurent Thévenot und Kolleg_innen zur Pluralität von grünen commons (vgl. Thévenot 2012; Thévenot/Moody/Lafaye 2000) geleitet. Für den Artikel sind dabei vor allem die Prozesse der Werteübersetzung bei Umweltkonflikten und der Gebrauch von Quantifikationen als sogenannte ‚stabile Referenten‘ bei einer Kompromissfindung relevant. Anschließend wird, aufbauend auf bestehender Fachliteratur zu Kleingärten, deren Mehrschichtigkeit und ihr ambivalentes Verhältnis zur Stadtplanung beschrieben. Kleingärten sind in den letzten zwanzig Jahren vermehrt als soziale und ökologische Katalysatoren untersucht und ihr oftmals ungesicherter stadtplanerischer Status thematisiert worden. Wissenschaftliche Untersuchungen, welche die Art und Weise der Transformationsprozesse von Kleingärten im Detail erforschen und nach den Folgen des Veränderungsdruckes fragen, fehlen allerdings. Zu diesen Fragen liefert der Artikel durch die qualitative Untersuchung von zwei empirischen Konfliktfällen in Hamburg und Basel einen wichtigen Beitrag. Beide untersuchten Kleingartenareale kennzeichnet, dass eine städtische Verdichtungspolitik großen Umnutzungsdruck auf die Areale ausübte, betroffene Kleingärtner_innen allerdings durch unterschiedliche Übersetzungsstrategien ihre Anliegen in die Planungsprozesse einbringen konnten.

Der Aufbau des Aufsatzes folgt den hier in der Einleitung skizzierten Dimensionen: Kapitel 2 und 3 stellen wissenschaftliche Debatten zu urbanen Kleingärten und das Wertordnungskonzept von Thévenot et al. in Verbindung mit Verhandlungen von Umweltkonflikten vor. In Kapitel 4 und 5 werden die empirischen Konfliktfälle erörtert, diese in Kapitel 6 und 7 vergleichend analysiert und darauf aufbauend die Übersetzungstypologien ‚grüne Übersetzungen‘ und ‚soziale Übersetzungen‘ entwickelt. Der Aufsatz endet schließlich mit der Diskussion der Frage, wieso es für eine solidarische Stadtplanung wichtig ist, die Frage nach der Übersetzung zu stellen, also die Frage, welche Ansprüche und Bedarfe an städtisches Grün in ein öffentliches kollektives Thema übersetzt werden, und von wem.

2. Pluralität von grünen commons: Umweltkonflikte als Dispute um Wertordnungen

Green commons[1], also grüne Gemeinschaftsflächen, kennzeichnen laut dem französischen Soziologen Laurent Thévenot aufgrund ihrer unterschiedlichen orders of worth, also Wertordnungen[2], eine Vielfalt von möglichen Raumbezügen und Raumpraktiken. Diese analysiert er, gemeinsam mit Michael Moody und Claudette Lafaye (2000), in einer Untersuchung zu amerikanischen und französischen Umweltkonflikten. In beiden Ländern sollten in ländlichen Gebieten große Infrastrukturprojekte – ein Tunnelbau im französischen Aspetal, ein Wasserkraftwerk auf dem nordamerikanischen Clavey River – realisiert werden, was großen Widerstand innerhalb der lokalen Bevölkerung und unter Umweltaktivist_innen hervorrief. Den Verlauf und die Aushandlung dieser Konflikte analysierend, beschreiben Thévenot/Moody/Lafaye (2000) diese als einen Disput darüber, welche Bewertungsform der Naturflächen höher gewichtet werden soll. Dabei verweisen sie auf die Konzepte von Boltanski/Thévenot (1999), welche zwischen folgenden Wertordnungen unterscheiden: zwischen dem Marktwert, basierend auf dem assoziierten finanziellen Preis, dem Industriewert, basierend auf technischer und planerischer Effizienz, dem Gemeinschaftswert, basierend auf Solidarität und kollektiver Wohlfahrt, dem Lokalwert, basierend auf Vertrauen, dem Kreativitätswert, basierend auf der kreativen Inspiration, dem Meinungswert, der auf Popularität aufbaut, und dem Grünwert, der ökologische Nachhaltigkeit als Basis hat. Umweltkonflikte seien im Kern oft Konflikte um die Prioritätenreihung dieser unterschiedlichen Werte und der damit verbundenen Nutzungsart, welche jeweils auf unterschiedlichen Rechtfertigungsgrundlagen basierten: „Each order of worth offers a different basis for justification and involves a different mode of evaluating what is good for a common humanity“ (Thévenot/Moody/Lafaye 2000: 236). Jede Wertordnung würde den Konfliktfall unterschiedlich rahmen und deuten; diese Rahmungen dienen zur Interpretation und Kategorisierung von Konflikten. Für den vorliegenden Fall von Kleingärtenkonflikten ist die lokale Stadtentwicklungsprogrammatik als Rahmung von zentraler Bedeutung, da diese als planerisches Deutungsmuster angibt, in welche Richtung sich die Stadt entwickeln und auf welche Bedürfnisse reagiert werden soll.

Laut Boltanski/Thévenot (1999) stehen bei einer Wertordnung, die auf dem Gemeinschaftswert basiert, das kollektive Interesse, Solidarität und Gleichheit im Vordergrund. Beim Grünwert hingegen gehe man davon aus, dass eine Gesellschaft von ökologischer Nachhaltigkeit profitieren würde, und daher Fragen des Naturschutzes, Ressourcenumgangs und veränderte Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt Priorität haben sollten (Thévenot/Moody/Lafaye 2000: 257).

Mit Thévenot et al. gedacht gibt es also bei Konflikten um die Verteilung und Nutzung von öffentlichen Grünflächen nicht die eine, moralisch richtige Entscheidung. Vielmehr fokussieren die Autor_innen darauf, wie Akteursstrategien, unterstützende Progammatiken und Zugang zu Beteiligungsmöglichkeiten sich darauf auswirken, dass sich eine Wertordnung als allgemein anerkannter richtiger Entschluss durchsetzen kann und wie bei Planungskonflikten Verhandlungsmacht hergestellt wird. Eng verbunden mit der Pluralität der Wertordnungen von Natur ist dabei die Pluralität von Naturbezügen. Damit ist gemeint:

„[P]lurality of ways people engage with their surroundings for kinds of goods which differ in their scope, from bodily and personal attachments to inhabited and familiarly used places, up to commitments to public causes which are worthwhile for the common good, or even more comprehensive global issues dealing with the future of the whole planet.“ (Thévenot 2012: 2 f.)

Die Bezüge zur eigenen Umwelt und Natur seien oft sehr persönlich und intim in ihrem Ursprung. Sollen diese intimen Naturbezüge als Thema des öffentlichen Interesses verhandelt werden, weil wie im vorliegenden Fall das privat hochgeschätzte Kleingartengebiet aufgrund von Bebauungsplänen bedroht ist, brauche es eine Übersetzung dieser Bezüge, um die Wertigkeit auch für Außenstehende nachvollziehbar zu machen. In diesen Übersetzungsprozessen werden verschiedene, ausgewählte Argumente und Werte zusammengebracht, um aus dem intimen Bezug ein „commons“ (Thévenot 2012: 7), also ein gemeinschaftliches und politisches Thema zu machen.

Gelingt diese Übersetzung und damit eine Politisierung von unterschiedlichen Nutzungsinteressen, stellt sich die Frage, wie es zu einer Bewertung kommt. Bei der Frage, was als Urteil im allgemein höheren Interesse gesehen wird, spielt die politische und gesellschaftliche Rahmung eines Konfliktes laut Boltanski/Thévenot (1999) eine wichtige Rolle und damit verbunden die Frage, was gesellschaftlich überhaupt als ‚allgemeines Interesse‘ gilt. Wie unterschiedlich diese Rahmungen sein können, zeigen die Autoren anhand eines Vergleichs der politischen Programmatiken von Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika: Während in Frankreich die Frage nach Solidarität und allgemeinem Interesse nicht zwingend von der Zahl der Befürworter_innen abhängt, greift bei dieser Frage in den Vereinigten Staaten das Argument einer zahlenmäßigen Mehrheit viel stärker. Bei einer Urteilsfindung würde aber nicht nur die spezifische politische Rahmung wirksam sein, sondern auch ‚stabile Referenten‘ herangezogen werden, um den Konflikt einer Prüfung und Bewertung zu unterziehen. Dies können Standardisierungen sein, also messbare Statistiken und Zahlen wie beispielsweise eine Bezifferung von ökologischer Vielfalt, welche die umkämpften Werte in messbare Eigenschaften zu übersetzen versprechen, um damit eine Entscheidung basierend auf quantitativen Werten treffen zu können. Diese Art der Urteilsfindung folgt laut Thévenot (2012: 2) einer industriellen Wertordnung, nämlich dem assoziierten Streben nach einer technisch messbaren Effizienz. Andere, wie der Soziologe Nikolas Rose (1991) und der Politikwissenschaftler Nick Turnbull (2006), verweisen auf die politische Natur dieser stabilen Referenten[3], indem sie beispielsweise statistische Erhebungen als Instrumente politischer Steuerung analysieren (vgl. Rose 1991), welche den Gegenstand oder die Personengruppen, die gesteuert werden sollen, erst als solche zahlenmäßig erkennbar und dadurch formbar machten und daher bei der Herstellung eines „policy problems“ (Turnbull 2006) zentral seien.

Auch bei Umweltkonflikten wird auf diese stabilen Referenten als Argumentationsgrundlage für die erwünschte Nutzungsart zurückgegriffen und das ‚allgemein höhere Interesse‘ mit Zahlen belegt. Kommt es also zu Planungskonflikten wie einer Kleingartenumgestaltung, ist für Gegner_innen der neuen Pläne ein Übersetzen der eigenen Interessen in eine politische Sprache, das Auswählen der richtigen Argumente, das Herstellen einer Äquivalenz und das Reagieren auf stabile Referenten notwendig (vgl. Thévenot 2009), wie in den folgenden Abschnitten anhand empirischer Fälle ausführlicher dargestellt wird. Zunächst sollen aber durch Verweise auf die Fachliteratur Kleingärten als eine spezifische Form von Stadtnatur erörtert werden.

3. Urbane Kleingärten: privater Rückzugsort im öffentlichen Besitz

„Der Garten ist die kleinste Parzelle der Welt und darauf ist er die Totalität der Welt“, schreibt Michel Foucault (1992: 42). Für ihn sind Gärten eine der ältesten Formen von Heterotopien, wo widersprüchliche Platzierungen und übereinander gelagerte Bedeutungen stattfinden, ein zugleich partikularer wie universeller Ort. Dieser Artikel handelt von einer spezifischen Form von Gärten, auf welche diese Mehrschichtigkeit besonders gut zutrifft, nämlich Kleingärten. Laut dem deutschen Kleingartengesetz (BKleingG 1983) sind damit Orte gemeint, welche zur „nichterwerbsmässige[n], gärtnerische[n] Nutzung, insbesondere zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf, und zur Erholung“ dienen. Weiteres gesetzlich erwähntes Charakteristikum ist die spezifische zivilgesellschaftliche Organisationsform, da Kleingärten von Vereinen verwaltet und die Parzellen von den Vereinsmitgliedern gepachtet werden.

Kleingärten bewegen sich dabei zwischen Grenzziehungen und Kategorien von privat und öffentlich beziehungsweise Arbeit und Freizeit. Für die Landschaftsarchitektin Annette Freytag (2010) sind Kleingärten Orte, die in Zeiten von Optimierungsdruck einen Rückzug innerhalb der Gesellschaft erlauben. Dennoch sind Kleingärten nicht als losgelöst von der politischen Sphäre zu verstehen. Denn sie befinden sich häufig im Besitz der jeweiligen Gemeinde, welche durch das Verpachten des Landes die Gartennutzung erst ermöglicht und als Planungsinstanz deren planerischen Status und damit die räumliche Bewertung – beispielsweise als Dauerkleingarten oder als ungesicherte Entwicklungsfläche – definiert. Die beiden Stadtforscher David Crouch und Colin Ward beschreiben die Mehrschichtigkeit folgendermaßen: „The allotment fails to conform to the leisure industry’s concept of passive leisure, and, in the wider landscape, to the ideal of private, individualized space, provided, constructed and clearly demarcated in the form of the house-and-garden.“ (Crouch/Ward 1988: 272)

Als grüner Versorgungs- und Erholungsort für die industriellen Arbeiterklassen waren Kleingärten in ihrer Entstehungsgeschichte eng mit grüner Disziplinierung verbunden. So zeichnet beispielsweise Caitlin DeSilvey (2003: 442) nach, wie Kleingärten in Edinburgh im 19. Jahrhundert eine Möglichkeit für die industriellen Arbeitgeber_innen jener Zeit darstellten, ihren Arbeiter_innen Zugang zu Natur als Austausch für den Erhalt ihrer Arbeitsressource zu gewähren. Laura Lawson (2004: 165) beschreibt am Beispiel von amerikanischen Kleingärten den Gebrauch von Gärten als staatliches sozialreformerisches Instrument, mittels derer „economic resiliency, teaching desirable social behaviours, revisioning urban neighbourhoods“ ermöglicht wird. Als solches sind Kleingärten eben auch Orte von staatlicher Regulierungspraxis, welche laut Hanna Hilbrandt (2017) allerdings nicht als getrennt oder top-down praktiziert und separiert von der Alltagswelt von Kleingärtner_innen zu verstehen ist.

Kleingärten sind Orte, wo die „mundane material practice of gardening“ (Tilley 2008: 220) mitten in der Stadt und häufig in der Nähe der eigenen Wohnung stattfinden kann. Aber sie sind weit mehr als Orte zur Realisierung von Gartenpraktiken, denn sie besitzen eine symbolische Bedeutung als stilisierter Rückzugsort, verbunden mit dem Versprechen einer „imaginary psychological escape route from urbanized modernity“, wie der Archäologe und Anthropologe Christopher Tilley (2008: 245) schreibt.[4] Wie dieses Rückzugsversprechen auch politisch gedacht und in neue nationale Gesellschaftsutopien übersetzt werden kann, zeigt das 1920 publizierte Werk Der soziale Garten. Das grüne Manifest des deutschen Landschaftsarchitekten Leberecht Migge, der darin eine neue deutsche Stadt- und Gesellschaftsordnung basierend auf Kleingärten und Kleingärtenpraktiken skizzierte. Als einer der ersten, der den Begriff ‚grün‘ als politischen Begriff benutzte (vgl. Haney 2007), betrachtete er Gärten und landwirtschaftliche Selbstversorgung als Möglichkeit, sich von den sozialen und wirtschaftlichen Problemen eines kapitalistischen Regimes zu befreien und entwickelte die Vision von Deutschland als einer Nation von Kleingärtenstädten. Diese neuen Kleingärtenstädte imaginierte er als Orte von gemeinschaftlicher und effizienter Agrarproduktion, in der für Erholung und Differenz allerdings wenig Raum blieb. So sollte laut Haney (2007) der Gebrauch von Technologien eine maximale landwirtschaftliche Ausschöpfung garantieren und damit keine Grünfläche ungenutzt belassen werden, und nur Familien mit Kindern, die also Bevölkerungswachstum repräsentierten, waren in seiner Stadt- und Gesellschaftsvision willkommen.

Diese Verweise auf mögliche politische Symboliken von Kleingärten zeigen, dass Kleingärten verschiedene Lesarten und Zugänge zulassen. So verweisen auch Crouch/Ward (1988: 273) auf die flexible Fähigkeit von Kleingärten, trotz unterschiedlicher Designs, Parzellengrundrissen und Infrastrukturanlagen letztendlich immer jene Landschaftsform zu bleiben, auf der eine Vielfalt an Aktivitäten, Beziehungen und Begegnungen stattfinden könne.

In Bezug auf das Verhältnis von amerikanischen Kleingärten und Stadtplanung schreibt Lawson (2004: 153): „[T]here has always been ambiguity regarding the garden’s status as a public good.“ Denn einerseits würden ihre ökologischen und sozialen Zwecke und die vielfältigen Vorteile von Kleingärtennutzungen für Individuen, Kollektive und Städte erkannt, diese allerdings nicht in langfristigen Stadtplanungsstrategien mitberücksichtigt und gesichert.[5] Um die Ursache des ambivalenten Verhältnisses zwischen Kleingärten und Stadtplanung besser zu verstehen, hilft es, Kleingärten in ihrem jeweiligen urbanen und politischen Kontext zu denken. In mediterranen Städten sind beispielsweise im Rahmen der Weltfinanzkrise der 2010er Jahre viele neue Kleingärten entstanden, da sie von politischen Akteuren als günstiges und aktivierendes Hilfsprogramm für Personen und Stadtbereiche erkannt wurden, weswegen ihnen neue Flächen zugestanden wurden (vgl. Seguí/Maćkiewicz/Rosol 2017; Kois/Casadevante/Morán 2015). In europäischen, aufgewerteten Städten hingegen stehen Kleingärten häufig unter Verdrängungsdruck und in Konkurrenz zu anderen Nutzungsformen (vgl. Spilková/Vágner 2016). Angesichts dieser Veränderungen betonen Aktivist_innen und einige Kleingartenforschende die Notwendigkeit, die Kleingartennutzung gegen Umnutzungspläne zu verteidigen und schlagen verschiedene Wege vor:

  1. die Verbindung zu ökologischen Nachhaltigkeitsdiskursen und die Betonung ihrer Funktion als commons (vgl. Colding et al. 2013);
  2. das Anlegen von Datensätzen, um die Nachfrage mit konkreten Zahlen belegen zu können (vgl. Crouch/Ward 1988);
  3. die Bildung von Koalitionen von Stadtaktivist_innen und Naturschutzgruppen, um mit einer breiteren politischen Lobbystimme zu sprechen (vgl. Spilková/ Vágner 2016).

Den genannten Strategien ist gemeinsam, dass sie Hilfswege zur Übersetzung der Kleingartennutzung in ein öffentliches issue und zur Herstellung einer größeren Bedarfsgruppe sind. Diese Übersetzung der persönlichen Interessen und Anliegen für eine größere Allgemeinheit gestaltet sich nämlich schwierig[6], wie DeSilvey (2003: 461) mit der folgenden Beobachtung illustriert: Während einer Planungsanhörung gefragt, wie in Bezug auf ein von Umnutzung betroffenes Areal die gesellschaftlichen Vorteile einer Kleingartennutzung messbar und damit belegbar machen könnten, antwortet der befragte Kleingärtner: „I answer that by asking you to measure me: I have been happy for 60 years.“

4. Hamburg: „Grünstadt, jetzt!“[7] und der Erhalt der grünen Stadtlunge

Befassten sich die beiden theoriegeleiteten Kapitel 2 und 3 mit der politischen und planerischen Relevanz von städtischen Grünräumen und ihrer mehrschichtigen Wertordnungen, soll im hier folgenden Kapitel 4 der empirische Konfliktfall in Hamburg vorgestellt und diskutiert werden. Beide Konfliktfälle in Hamburg und Basel basieren auf einer qualitativen Studie, für die Planungsdokumente, 15 leitfadengestützte Interviews (60 bis 120 Minuten Länge) mit Aktivist_innen, Kleingärtner_innen, involvierten Akteuren aus Politik und Verwaltung und städtischen Kleingartenvertretern, sowie Teilnahmen an Vereinstreffen und Feldgespräche kodiert und ausgewertet wurden. Methodologisch folgt die Untersuchung dem Grounded-Theory-Paradigma nach Glaser/Strauss (2017), welches für eine Entwicklung eigener theoretischer Konzeptualisierungen aus dem empirischen Datenmaterial heraus eintritt.

Abb. 1 Eine der verbleibenden Kleingartenparzellen im Hamburger Stadtteil Barmbek (Quelle: Eigenes Foto)
Abb. 1 Eine der verbleibenden Kleingartenparzellen im Hamburger Stadtteil Barmbek (Quelle: Eigenes Foto)

Der Einstieg in den Fall führt in das Jahr 2012 zurück, als in Hamburg Pläne für die Errichtung eines neuen großflächigen Wohnprojektes veröffentlicht wurden. Dieses war aus einem städtebaulich-landschaftsplanerischen Wettbewerb hervorgegangen und beruhte auf dem städtischen Rahmenplan. In diesem Plan war im Hamburger Stadtteil Barmbek die Errichtung eines neuen Wohnquartiers mit etwa 1.400 Wohnungen auf einer 39 Hektar großen Fläche und unterteilt in zehn Baufelder vorgesehen (vgl. Bezirksamt Hamburg-Nord 2012). Das Problem dabei war: Die Planungsfläche war zwar im Besitz der Stadt Hamburg, allerdings seit den 1940er Jahren vom städtischen Kleingartenverband – dem Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg – an zwei Kleingartenvereine verpachtet worden, welche die insgesamt 330 Parzellen an Personen weiterverpachtet hatten, einige davon mit Wohnrecht. Die neue Planungsfläche war seit Jahrzehnten von Pächter_innen als Kleingärten umsorgt und als privater Rückzugsort geschätzt worden, besaß allerdings keinen planungsrechtlich gesicherten Status.[8] Zwar waren zwischen den Baufeldern Grünflächen (vgl. Abbildung 2) vorgesehen, allerdings sollten diese neu angelegt und die bestehenden Kleingärten und darauf befindliche Bäume und Pflanzungen großenteils entfernt werden. Die persönliche Verbindung der Kleingärtner_innen mit der Fläche war eine intime und persönliche, und der Plan wurde daher von vielen als städtischer Eingriff in einen als privat verstandenen Raum erlebt.

Abb. 2 Kartenausschnitt des geplanten Bebauungsprojektes (Quelle: Fa. scheuvens+wachten/EGL-Entwicklung und Gestaltung von Landschaft GmbH/Runge+Küchler)
Abb. 2 Kartenausschnitt des geplanten Bebauungsprojektes (Quelle: Fa. scheuvens+wachten/EGL-Entwicklung und Gestaltung von Landschaft GmbH/Runge+Küchler)

Mit dem Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg gibt es eine Organisation, welche die 33.000 städtischen Pächter_innen vertritt. Der Verbund formuliert das Ziel, „die Kleingärten in der Stadt zu erhalten und ihre zukünftige Entwicklung in die langfristige Raumordnung zu integrieren“ (Landesbund der Gartenfreunde Hamburg 2019). Mit den Überbauungsplänen konfrontiert, nahm der Verbundsvorsteher laut Eigenaussage eine „Verweigerungshaltung“ ein und lehnte eine angebotene Planungsmitarbeit ab (vgl. Interview mit Leiter des Landesbundes der Gartenfreunde Hamburg 2017). Ein ähnliches Vorgehen verfolgten auch die Vereinsvorsitzenden[9] – das Areal war in zwei Vereine aufgeteilt –, sodass sich angesichts eines fehlenden, von oben organisierten Protests eine kleine Anzahl von Kleingärtner_innen zusammenschloss. Diese setzten sich laut Aussage von Klaus (2017), einer wichtigen Figur der gegründeten Protestgruppe „Grünstadt, jetzt!“, zu ihren „Höchstzeiten“ aus 15 bis 20 Personen zusammen. Folgender Protokollausschnitt gibt Einblick in ein solches Treffen der Protestgruppierung, welches zu einem Zeitpunkt stattfand, zu dem ein teilweiser Verbleib bereits erkämpft worden war:

„[…] In der Mitte des Vereinshauses steht ein großer Tisch, darauf stehen Tee und Kaffee. An dem Treffen nehmen elf Leute teil, vier Männer, sieben Frauen, die meisten sind über 60 Jahre alt, schätze ich. An dem Tischende sitzen zwei Männer, der Vorstand und sein Vertreter, wie ich bald erfahre. Klaus, den Vorsitzenden, schätze ich auf etwa 70 Jahre, später erfahre ich, dass er Umweltwissenschaftler ist. Klaus wird im Laufe des Abends die meisten Fragen beantworten und mir die politische und ökologische Relevanz ihres Falles ausführlich und mit emotionaler Dringlichkeit beschreiben; sein Vertreter ergänzt mit Infos über ihr strategisches Vorgehen und Wissen über Verwaltungsabläufe. […] Auf die Frage nach der Verbindung mit ihren Gärten erzählt Klaus, dass der Garten schon seiner Großmutter gehört hatte und er ganze Sommer seiner Kindheit dort verbracht habe; es sei einer der wenigen Orte gewesen, wo er sich sicher gefühlt habe.“ (Hamburg, 29.5.2016)

Die anwesenden Personen hatten zwei wichtige Gemeinsamkeiten, nämlich die räumliche Lage ihrer Kleingärten und den sozialen Hintergrund, welche zusammen als Übersetzungsgrundlage genutzt wurden. Denn die Gärten der Mitglieder der Protestgruppierung lagen mehrheitlich in jenen Arealbereichen, in denen auch im neuen Wohnprojekt Grünflächen sein sollten, es also keine direkte Baukonkurrenz gab. Weiterhin einte die Protestgärtner_innen ein gemeinsamer sozialer Hintergrund; viele von ihnen waren hochrangige Verwaltungsangestellte gewesen und verfügten über ein politisches Partizipationsverständnis: nämlich über das wahrgenommene Recht, auch außerhalb der Verbandsstrukturen und ohne Unterstützung der restlichen, von ihnen in Gesprächen als apolitisch dargestellten Kleingärtner_innen ihre persönliche Betroffenheit und Anliegen in ein städtisches issue zu übersetzen.

4.1. Politischer Aktivismus als Übersetzungsarbeit: Kleingärten als politisches issue

Auf die Frage, wie „Grünstadt, jetzt!“ die geplante Überbauung zu verhindern versuchte, gab Klaus Einblick in die strategischen Überlegungen der Gruppierung. Es sei ihm nämlich klar gewesen, dass Personen in anderen Hamburger Bezirken sich nicht für einen Kleingartenerhalt in Barmbek einsetzen würden. Die Gruppierung setzte daher auf eine Übersetzung ihrer Anliegen in ein politisches issue, indem sie die stadtweite Bedeutung der Kleingärten darlegen wollte und mittels gesammelter Unterschriften eine Bezirksabstimmung über die An- oder Abnahme des Bebauungsplans erzwingen wollte, wofür sie jenseits der offiziellen Verbandsstruktur für ihr Anliegen eine Öffentlichkeit herzustellen versuchte.[10]

Kleingärten in Hamburg stehen aufgrund der hohen Wohnraumnachfrage und eines 2011 abgeschlossenen (und 2016 verlängerten) Vertrages zwischen Senat (der Hamburger Landesregierung) und Bezirken, welcher die Errichtung von mindestens 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr als Ziel formulierte (vgl. Vertrag für Hamburg 2016), unter großem Druck.

Im Wissen um die hohe gesamtstädtische Wohnraumnachfrage und den daraus resultierenden Überbauungsdruck des Areals versuchte „Grünstadt, jetzt!“ die von ihr erwünschte Prioritätenreihung – Gartennutzung vor Wohnraumnutzung – mittels einer ökologischen Wertordnung zu rechtfertigen. Denn wo das Versprechen auf 1.400 günstige neue Wohnungen als stabiler Referent Autorität ausdrückt, braucht es ein entsprechendes öffentliches Gegengewicht und Gegenargument. So versuchte sie anhand folgender Strategien, die Imagination des Areals als green commons zu verbreiten, um eine Form der Äquivalenz zwischen den beiden Anliegen herzustellen:

  1. Darstellung der Kleingärten als Lungen- und Kühlungsfunktion für die Gesamtstadt;
  2. Darstellung der Kleingärten als ökologisch diverser Stadtraum.

Ersteres, nämlich die Darstellung des Gartenareals als grüne Stadtlunge, geschah, indem historische Verweise mit naturwissenschaftlichen Daten zusammengebracht wurden. Dies konnte ich bei einer öffentlichen Veranstaltung zu urbaner Natur im Kampnagel-Theater im Juni 2018 in Hamburg beobachten, zu der Klaus als Sprecher eingeladen war. Er betonte die Wichtigkeit von Kleingärten; zum einen, indem er auf den Hamburger Stadtentwicklungsplan des damaligen Stadtplaners Fritz Schumacher von 1919 verwies, der Grün- und Frischluftschneisen zwischen Wohngebieten geplant hatte. Indem er die Kleingärten in diesen historisch-stadtplanerischen Bezug setzte, erhielten sie eine entsprechende Bedeutung. Zum anderen verwies er auf stadtklimatische Messungen anhand einer eingefärbten Klimakarte von Hamburg. Darauf war die dicht bebaute Innenstadt rot eingefärbt, während im Gegensatz dazu das Kleingartenareal in der Nähe des Stadtparks als grüne Fläche eine sichere Atmungszone suggerierte.

Als ökologisch wertvoller Stadtraum wurden Kleingärten dargestellt, indem im realen Raum – entlang von öffentlichen Arealwegen und auf Bäumen, Zäunen, Lampenpfosten –, aber auch im virtuellen Raum auf der eigenen Protestwebseite, Fotos der im Areal gesichteten Tierarten, Bäume, Pflanzen aufgehängt beziehungsweise veröffentlicht wurden (siehe Abbildungen 3 und 4). Mit Sätzen wie: „Ich darf hier nicht länger wohnen“ wurde der erwarteten Verdrängung dieser Lebewesen eine Stimme gegeben, wurden sie als politische Akteure einbezogen und wurde die ökologische Bedeutung des Areals in den Vordergrund gestellt. Durch Rückgriff auf die Fotos und Botschaften wurde das Argument aufgebaut, dass die Wachstums- und Existenzbedürfnisse der Natur vor den Bedürfnissen von Menschen für Wohnraum einzuordnen sind.[11]

Abb. 3 und 4 Argumente für die erwünschte ökologische Wertordnung (Quelle: Eigene Fotos) Abb. 3 und 4 Argumente für die erwünschte ökologische Wertordnung (Quelle: Eigene Fotos)
Abb. 3 und 4 Argumente für die erwünschte ökologische Wertordnung (Quelle: Eigene Fotos)

4.2. Urteilsfindung, Rückübersetzung von öffentlichen zu privaten Gärten

Die von „Grünstadt, jetzt!“ eingereichte Initiative für eine Bezirksabstimmung des Bebauungsplans wurde vom Bezirk mittels einer Evokation für ungültig erklärt und aufgehalten. Aufgrund der politischen Struktur von Hamburg als Stadtstaat kann der Senat, also die Landesregierung, bei wichtigen Vorhaben die Entscheidungsbefugnisse vom Bezirk auf die Senatsebene heben, wodurch eine Bezirksabstimmung nicht mehr durchführbar ist. Als Kompromiss wurde allerdings eingeräumt, dass die innerhalb der neuen Grünzone gelegenen Kleingärten bleiben können, diese allerdings verdichtet werden, um die Zahl von 40 auf 165 Parzellen zu erhöhen.[12] Diese im Bebauungsplan als Dauerkleingärten gesicherten neuen Kleingärten sind im stadteigenen Besitz und werden vom Landesbund der Gartenfreunde an den neu gegründeten Verein verpachtet. Da die Mehrheit der ehemaligen Vereinsmitglieder und dessen Vorstand ihren Kleingarten aufgegeben hatten und die Vereinsstruktur aufgelöst worden war, ging aus der Protestgruppierung die neue Vereinsstruktur mit Klaus als offiziellem und für die Gartenvergabe zuständigem Vereinsvorstand hervor. Folgender Beobachtungsausschnitt eines Vereinstreffens im Mai 2016 illustriert, wie die formal an einer Warteliste orientierten Vergaberegelungen neu ausgelegt wurden und politisches Engagement mit privilegierter Ressourcenzuteilung rückübersetzt und belohnt wird:

„Dieselbe Frau schiebt später Klaus, der etwa nach 40 Minuten dazu stößt [weil er vor dem Vereinstreffen Kleingärteninteressenten freie Gärten gezeigt hatte, Anm. d. A.], einen Zettel mit Adresse und Kontaktmöglichkeiten ihrer Tochter hin. Es geht darum, dass sie ihrer Tochter nach ein bis zwei Jahren den neuen, im Moment von ihr gepachteten Garten überschreiben möchte und dies bereits jetzt in die Wege leiten möchte. Klaus ist bereits informiert, meint, dass er die Tochter bereits auf einer Art stillen Warteliste platziert habe und daher den Zettel nicht brauche. Der Schwiegersohn pachtet den Garten, der neben dem jetzigen Garten der Frau liegt. […] Auch diskutiert wird über die Gartenvergabe der neuen Gärten. Klaus möchte die Plätze den Unterstützer_innen der Initiative zuerst anbieten und fragt, ob damit alle einverstanden sind (sie sind es).“ (Hamburg, 29.5.2016)

Nach der Übertragung der Kleingärten in den Bebauungsplan ist eine Rückübersetzung[13] des öffentlichen, politisierten Gartenareals zu privaten Gärten geschehen, die nun von einem neuen Verein – der aus „Grünstadt, jetzt!“ hervorging – verwaltet wird. Fragen, wie die Zuteilung zu den neu geschaffenen Parzellen zu geschehen habe und was mit den Spendengeldern, welche über die eigene Protestwebseite beworben und von Unterstützer_innen gespendet wurden, geschehen solle, illustrieren diese Rückübersetzung. An einer Vereinsversammlung wurde gemeinsam diskutiert, wofür die verbleibenden etwa 1.000 Euro Spendengelder verwendet werden sollten: zum Aufbau neuer Zäune, als Spende für einen Naturschutzverein oder zur Finanzierung für ein Fest für alle Unterstützer_innen der Initiative. Damit bilden die Vergabevorschläge die Vielschichtigkeit des Raumes ab: der Zaun als Symbol für den abgegrenzten privaten Raum, die Spende als Grünraum, das Fest für die Unterstützer_innen als politischen Raum.

In Hamburg rückte also eine kleine Gruppe von Kleingärtner_innen mit ihrer Übersetzung den grünen Wert der Stadtfläche in den Vordergrund, um damit Argumente für den Verbleib ihrer eigenen Gärten vorzubringen. Im folgenden Fall, in Basel, verfolgten die Kleingartenaktivist_innen eine andere Strategie.

5. Basel: Vereinswesen als repräsentative Verhandlungsmacht

In Basel beginnt die öffentliche Diskussion um die Frage, welche Rolle Kleingärten in einer verdichteten Stadt haben beziehungsweise haben sollten und deren Verhandlung als commons, mit der Veröffentlichung des neuen sogenannten Zonenplans im Jahr 2009. Im Rahmen der Überarbeitung des städtischen Zonenplans, welcher die zulässige Art der Landnutzung bestimmt und alle 15 bis 25 Jahre neu aufgestellt wird (vgl. Planungsamt Basel 2019), sollten drei der insgesamt 33 städtischen Kleingartenareale als neue Bebauungsflächen planerisch zoniert und umgestaltet werden. Davon wären etwa 1.100 Kleingärten – rund 40 Prozent der im Stadtgebiet von Basel liegenden Kleingärten – direkt betroffen gewesen. Auch hier übte ein Wohnungsbauprogramm[14] als Zielsetzung mit stabilen Referenten Druck aus. Gegen die geplante Überbauung formierte sich eine Protestbewegung, welche aus dem existierenden Vereinswesen hervorging.

Kleingärten in Basel kennzeichnet eine hierarchische paternalistische Vereinsorganisationsform (vgl. Thomas/Oehler/Drilling 2016), welche die Beziehungen und Verantwortlichkeiten regelt: Die von der Mehrheit gewählten Vereinsvorstände repräsentieren die einzelnen Pächter_innen, agieren damit als Übersetzer_innen des Kollektivs. Die Anliegen der 33 städtischen Vereinsvorsteher_innen wiederum werden von dem Vorsteher des Zentralverbandes, der als Vertreter der etwa 13.000 Kleingärtner_innen agiert, in eine kollektive Stimme übersetzt. In Gesprächen mit politischen und planerischen Akteuren begegnete mir wiederholt die Aussage, Kleingärtner_innen wären Wähler_innenstimmen und daher müsse man sich zwangsläufig mit ihnen auseinandersetzen.

Abb. 5 Aufnahme einer Kleingartenparzelle im Kleingartenverein Dreispitz mit geplanter Räumung 2020 (Quelle: Eigenes Foto)
Abb. 5 Aufnahme einer Kleingartenparzelle im Kleingartenverein Dreispitz mit geplanter Räumung 2020 (Quelle: Eigenes Foto)

Der ehemalige Vorsteher des städtischen Verbandes, Rudolf, beschrieb im Gespräch sein basisdemokratisches Rollenverständnis folgendermaßen:

„[A]ls ich Präsident war in meinem Verein, hatte ich immer gesagt: Ich bin Präsident, ich muss das machen, was meine 160 Pächter sagen. Wenn die sagen, du musst das umkippen, dann muss ich das machen im Namen vom Verein. Wenn ich selbst noch dahinterstehen kann, dann ist das recht, und wenn nicht, dann muss ich es halt trotzdem machen.“

Dieses Zitat illustriert das Verständnis und die gegenseitige Rollenzuteilung zwischen dem Vereinskollektiv – den Pächter_innen – und dem Kollektivvertreter, das auf dem Verständnis eines civic worth (vgl. Boltanski/Thévenot 1999) beruht, also der Priorisierung der kollektiven Interessen vor den Einzelinteressen, prinzipieller Solidarität und einer Gleichheit von Mitgliedern und demokratisch gewählten Repräsentant_innen.

Abb. 6 Geplante Siedlungsentwicklung „Am Walkeweg“ (Quelle: Bau- und Verkehrsdepartement Basel)
Abb. 6 Geplante Siedlungsentwicklung „Am Walkeweg“ (Quelle: Bau- und Verkehrsdepartement Basel)

Die Bekämpfung der Umzonung folgte diesen Prinzipen des civic worth: So wurde ein eigenes Initiativkomitee gegründet mit dem Vorsteher des Zentralverbands als Sprecher und Leiter des Komitees. Ziel war, die erforderlichen 3.000 Unterschriften zu sammeln, um eine stadtweite Abstimmung gegen die geplante Kleingartenumgestaltung zu erzwingen (vgl. Staatskanzlei Basel 2019).

Initiativen sind in der basisdemokratischen Schweiz eine häufig genutzte zivilgesellschaftliche Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Politik und Planung, daher wissen politische Akteure damit umzugehen. Nach der Gründung des Initiativkomitees wurde der Vorsitzende (Kleingärtner Rudolf) und dessen politischer Unterstützer (ein Politiker aus der rechtspopulistischen Schweizer Parteienlandschaft) zu Verhandlungen mit dem politischen Vorsteher des städtischen Bauministeriums und dem Planzeichner eingeladen. Ziel der Verhandlungen war es, einen Kompromiss auszuhandeln und damit die Abstimmung zu verhindern. Denn erst ein Jahr zuvor war eine ebenfalls geplante Umnutzung einer städtischen Grünfläche von einer knappen Mehrheit abgelehnt worden; es galt aus Sicht des Baudepartements eine Wiederholung zu verhindern.

Die Macht dieses Komitees konstituierte sich über die vertretene Zahl der Kleingärtner_innen und die finanziellen Ressourcen des Zentralverbandes. Zwar verstand auch der Vorsteher Rudolf die ineinandergreifende Argumentation der Kleingärtenproblematisierung und fasste diese mit den Worten zusammen: „Es ist keine Nachfrage mehr da.[15] Es braucht keine Eigenversorger mehr, die sollen nicht so blöd tun. Die sind privilegiert. Die haben einen Zaun um sich und das ist öffentlicher Grund und Boden. Da könnte man Millionen verdienen“. Allerdings stellte Rudolf die Richtigkeit und Rahmung dieser Argumente nicht in Frage. Anders als in Hamburg, wo öffentliche Diskussionen angestoßen und neuen Bezugsgruppen hergestellt wurden, wurde in Basel innerhalb der Verbandsstruktur und unter den rund 13.000 Mitgliedern mit Verweis auf das gemeinsame Kleingartenanliegen und die Solidarität mobilisiert.

5.1. Urteilsfindung, Rückübersetzung zu privaten Gärten

In der Schweiz gibt es, anders als in Deutschland, kein nationales Kleingartengesetz. Stattdessen wird der Umgang mit Umnutzungen auf Landesebene (in der Schweiz: Kantonaler Ebene) geregelt, im Kanton Basel-Stadt zum Protestzeitpunkt durch eine Familiengartenordnung. Diese Familiengartenordnung ermöglichte eine Umnutzung von Kleingärten, ohne für die betroffenen Kleingärtner_innen Ersatzgärten bereitstellen zu müssen. Im Wissen um die rechtliche Lage war der offizielle Vertreter Rudolf in den Verhandlungen bemüht, die Zahl der verlorenen Parzellen im Ganzen so klein wie möglich zu halten. Schließlich stimmte er einem Kompromiss zu, nämlich der Halbierung jener Kleingärten, die umgenutzt werden sollten. Bei einer stadtweiten Abstimmung im Mai 2011[16] wurde dieser Kompromiss von einer knappen Mehrheit angenommen; dies resultierte 2016 in der Einführung eines neuen Basler Kleingartengesetzes, welches für 80 Prozent der im Kanton Basel-Stadt liegenden Kleingärten eine speziell gesicherte Dauerkleingartenzone ausspricht. Neu ist auch, dass bei einer Auflösung von Gärten „aus überwiegend öffentlichen Interessen“ (Gesetz über Freizeitgärten 2013) den betroffenen Pächter_innen nun ein Ersatzgarten angeboten werden muss.

Somit hatte der angenommene Kompromiss zur Folge, dass bis zu 20 Prozent der städtischen Kleingärten als Bauland ausgewiesen werden können. Wie aber soll diese Zahl umgesetzt werden, wie die Lasten zwischen den drei von den Plänen betroffenen Arealen verteilt werden? Hier kam der finanzielle und planerische ‚Wert‘ als Baugrundstück zum Tragen. Denn vor allem eines der drei Gebiete, das Dreispitz Areal, befindet sich in unmittelbarer Nähe zu einem neuen städtischen Prestigeprojekt und gilt als besonders attraktives Bauland. Als Arrangement zwischen dem städtischen Bauminister und dem Kleingartenvertreter Rudolf versprach ersterer daher, dass, sollte dieses Areal ihrer Auflösung zustimmen, die anderen beiden, größeren Areale fast vollständig erhalten werden würden. Dabei wurden also die verschiedenen Wertordnungen gegeneinander ausgespielt: der Marktwert, der für den Bauminister im Vordergrund stand, im Austausch gegen den civic worth, also den Gemeinschaftswert, der für den Vertreter Rudolf im Vordergrund stand. Vertreter_innen des umkämpften Areals erzählten mir im Gespräch, dass sie um den Druck auf ihrem Areal wussten und sich angesichts der unsicheren Zukunft bereit zeigten, ihrer Auflösung zuzustimmen, um die beiden anderen, größeren Areale zu schützen. Die Aufteilung der Planungslasten erfolgte nach dem Prinzip des civic worth, indem das vom Marktwert her wertvollere, aber flächen- und zahlenmäßig wesentlich kleinere Dreispitz Areal seiner Umnutzung zustimmte, um dadurch eine höhere Anzahl an Parzellen erhalten zu können. Dabei spielte auch die spezifische nachbarschaftliche Rahmung des Areals und das damit verbundene Wissen um den Nutzungsdruck bei der Entscheidung eine Rolle. Rudolf betonte im Gespräch, dass die Entscheidung für die Lastenaufteilung – „ein grausamer Deal“, wie er es beschrieb – von den betroffenen Vereinsvorstehern selbst getroffen wurde und wies im Wissen um die schwere Signifikanz dieser Entscheidung die eigene Verantwortung zurück.

Dieses Ergebnis, das aus den politischen Verhandlungen hervorgegangen war, wanderte allerdings nach der stadtweiten Abstimmung vom politischen Bereich in den Verwaltungsbereich weiter, welcher gegenwärtig die von der wahlberechtigten Basler Bevölkerung angenommene Zahl „20 Prozent umnutzungsfähige Kleingärten“ in Pläne übersetzen muss. Wo im Abstimmungswahlkampf konkrete Versprechungen über eine Lastenaufteilung gemacht wurden und diese mit einer Zahl und damit einem stabilen Referenten fixiert wurden, wird diese aktuell in eine technokratische Verwaltungspraxis übersetzt. Hier zeigt sich die Relativität der quantitativen Aussagen: Ein zentraler involvierter Verwaltungsakteur[17] berichtete im Gespräch von der Schwierigkeit, diese Zahl in einen Plan zu übersetzen. Denn die erforderlichen Wissensgrundlagen für die Identifizierung der 100 Prozent, nämlich vorhandene Zahlen zu der Größe der städtischen Kleingärten und Messgrundlagen und genaue geografische und zeitliche Grenzziehungen, würden schlichtweg fehlen. Bei der Übersetzung der politisch ausgehandelten und abgestimmten Zahl „20 Prozent umnutzungsfähige Kleingärten“ (und der damit verbundenen Verlustaufteilung) in ein technisches und planerisches Regelwerk können daher persönliche Vorstellungen, welche Art von Kleingärten als wertvoll und schützenswert gelten und welche nicht, die Übersetzung in einen Planentwurf beeinflussen. Dies wurde im Gespräch deutlich, wo der interviewte Akteur offen von „guten Stücken“ sprach, charakterisiert durch eine hohe Biodiversität und Ähnlichkeit mit neuen Gemeinschaftsgärten; Kleingärten mit Verweis auf deren Nähe zu verkehrsintensiven Straßen, dem Vorhandensein von „Betonhäusern“ und „Personen mit Kopftüchern“ im Zusammenhang mit Problematisierungen und Interventionsbedarf erwähnt.[18] Hier kommt eine Bewertung zum Vorschein, die Flächen nach ihrem ökologischen Wert beurteilt und gleichzeitig rassistische Vorurteile mobilisiert, um städtische Bereiche abzuwerten. Die imaginierten Gärten mit einer hohen Biodiversität entsprechen der ökologisch orientierten Gartenpraxis und dem Ordnungsverständnis der neuen urbanen Mittelschicht. Mit dieser Einteilung und Bewertung der Gärten in gut und schlecht entlang ökologischer Kriterien ist auch eine soziale Einteilung verbunden und die Folgerung liegt nahe, dass Kleingartenareale mit einem hohen Anteil an ärmeren oder rassifizierten Personen längerfristig als Teil der 20 Prozent in einen Planentwurf übersetzt werden – um somit nach einer parlamentarischen Annahme als Entwicklungsfläche in der Zukunft umgenutzt werden zu können und damit ihre Existenzgrundlage verlieren.

6. Vergleich: Politische Kleingärten in Basel und Hamburg

Vergleichende Forschung ermöglicht es, die Dynamik des untersuchten Phänomens weiter, nämlich über eine Fall- und Stadtspezifik hinausgehend, fassen zu können (vgl. Robinson 2011). Wenn wir die beiden Konfliktfälle in Hamburg und Basel miteinander vergleichen, fällt auf, dass die Bedingungen und Konfliktrahmungen aufgrund stabiler Referenten ähnlich sind. So waren in beiden Städten Wohnbaustrategien mit quantitativen Zielvorgaben wirksam, deren Druck sich auf solche städtischen Grünflächen auswirkt, die nicht mittels einer speziellen Zone in den Flächennutzungsplänen gesichert sind. Die zwei in diesem Aufsatz vorgestellten Kleingartenareale eint, dass sie als zukünftige Entwicklungszonen ausgewiesen wurden und die Kleingartennutzung als temporärer Status galt. Auch ihre Lage in sich wandelnden Arbeiterquartieren ist ähnlich. Zusammen ergeben diese Bedingungen eine schwierige Ausgangslage für die Kleingärten, da die urbane Aufwertung und neue Wohnbauprogramme auf der einen und die fehlende Sicherheit als Entwicklungszone auf der anderen Seite zusammen als mächtige Einflussfaktoren wirken.

Ähnlichkeiten gibt es auch bezüglich der organisierten Protesthandlungen. Sowohl in Hamburg als auch in Basel wurden Unterschriften für ein Referendum – in Hamburg auf Bezirksebene, in Basel auf gesamtstädtischer Ebene – gesammelt mit dem Ziel, eine größere Zahl an Stimmberechtigten über die Bebauungspläne abstimmen zu lassen. In beiden Städten wurden politische Prozesse angestoßen mit dem Ziel, aus der Überbauung beziehungsweise dem Kleingartenverlust ein politisches Thema zu machen und eine Mehrheit für die eigene Prioritätensetzung – Gärten vor Wohnungen – zu gewinnen.

Allerdings unterscheiden sich beide Fälle darin, wer die Protesthandlungen organisierte und anführte, und infolgedessen auch darin, welche Argumentationssprache verwendet wurde. Aufbauend auf den vorgestellten Ergebnissen wurden zwei neue Übersetzungstypologien konzeptualisiert: der Typ der sozialen Übersetzung und der Typ der grünen Übersetzung.

In Basel folgten die Protesthandlungen dem Typ der sozialen Übersetzung. Hier waren es demokratisch gewählte Kleingartenvertreter_innen, die den zivilgesellschaftlichen Organisationen (Vereine, städtischer Verband) vorstanden und ihre Aufgabe darin sahen, die Interessen ihrer Mitglieder gebündelt zu vertreten. Diese Vertreter_innen sahen die persönliche Betroffenheit, welche mit einem Gartenverlust verbunden ist, blieben aber auf der Ebene der Kleingartenbetroffenen und übersetzten diese nicht in andere Wertigkeitsformen, die möglicherweise eine größere Bezugsgruppe angesprochen und mobilisiert hätten. Ihre Macht konstituierte sich aus den Vereinsressourcen: Das Geld für die Mobilisierung und den Referendumswahlkampf kam aus den eigenen Vereinstöpfen, die Einheitlichkeit ihrer Stimme und die repräsentierte hohe Zahl der Kleingärtner_innen im Hintergrund fungierten als machtvoll gebündelte Partikularinteressen.

Anders im Fall Hamburg, wo „Grünstadt, jetzt!“ dem Typ der grünen Übersetzung folgte. Hier waren es nicht gewählte Gartenvertreter_innen, die sich organisierten, sondern einzelne, persönlich betroffene Kleingärtner_innen. Diese teilten neben ihrem sozialen Hintergrund auch ein dezidiertes Verständnis von politischer Partizipation, das auf dem wahrgenommenen Recht gründete, bei Stadtentwicklungsfragen persönliche Anliegen artikulieren und einbringen zu können. Sie betonten dabei den ökologischen Wert und die Bedeutung des Areals angesichts klimatischer Veränderungen für die Stadt Hamburg. Die Engagierten konnten, anders als im Fall Basel, nicht auf eine politische Vertretung durch Vereins- oder Verbandsvorstehende aufbauen. Daher stellen sie mit „Grünstadt, jetzt!“ im Laufe ihres Protestes eine neue Art von Betroffenengruppe her und bauten ein Protestnetzwerk mit anderen Gruppierungen und Unterstützer_innen auf.

In beiden Fällen war den Projektbefürworter_innen daran gelegen, eine politische Abstimmung zu verhindern, was die Interventionskraft eines Referendums verdeutlicht: in Basel, wo die Protestvertreter_innen zu Kompromissverhandlungen eingeladen wurden, und in Hamburg, wo die Projektverantwortlichkeiten von Bezirksebene auf die Landesebene gehoben wurden. Schlussendlich lenkten in beiden Fällen involvierte Stakeholder aus Politik und Planung ein, indem mehr Kleingärten als in den Planungen vorgesehen erhalten wurden. Eine zentrale Frage dabei ist, wie der Verlust aufgeteilt wurde. In Basel wurden zu diesem Zweck mit den Vereinsvertreter_innen und deren politischen Unterstützer_innen Verhandlungen geführt. Aktuell ist ein zentraler Verwaltungsakteur zuständig, die Übersetzung in Pläne zu gestalten, und bewertet erhaltungswürdige Gärten nach ökologischen, sozialen und räumlichen Kriterien, orientiert an den Praktiken und der Ästhetik einer neuen urbanen Mittelschicht. In Hamburg muss die Frage anders gestellt werden: Hier geht es nicht um die Frage, wie der Verlust aufgeteilt wird, da die erhaltenen Gärten durch die Grünzone im Bebauungsplan vorgegeben waren, sondern darum, wie der Zugang zu den neu geschaffenen Gärten aufgeteilt wird. Dabei sind die Protestmitglieder Schlüsselfiguren, die dafür sorgen, dass dem eigenen sozialen und aktivistischen Netzwerk bevorzugt Zugang ermöglicht wird. Als Folge einer persönlichen und finanziellen Protestunterstützung mag dies verständlich sein. Es stellt sich allerdings die Frage, wie gerecht eine solche Zugangsverteilung ist und welche neue Ressourcenzuteilung zum nun dauerhaft gesicherten Kleingartenland eine politische Teilhabe mit sich bringt.

7. Schluss: Mehrschichtige Kleingärten zwischen sozialen und grünen Übersetzungen

Der vorliegende Artikel analysierte anhand von zwei empirischen Konfliktfällen von Kleingartenumnutzungen in Hamburg und Basel, wie Kleingärten im Kontext von Stadtplanungsprozessen problematisiert und als commons verhandelt werden. Die Diskussion der theoretischen Überlegungen von Laurent Thévenot et al. zu Aushandlungsprozessen von Wertordnungen bei Umweltkonflikten und der Verweis auf wissenschaftliche Untersuchungen, welche das ambivalente Verhältnis zwischen Kleingärten und Stadtplanung behandeln, skizzierten ein Bild von kontinuierlich verhandelten Grünflächen. Auf diesem Verständnis aufbauend wurde anschließend anhand der Analyse und Konzeptualisierung von empirischem Datenmaterial zu beiden Fällen gezeigt, dass eine erfolgreiche Politisierung von Planungskonflikten nach einer ressourcenintensiven Übersetzung von eigenen Anliegen verlangt.

Zwei neue Übersetzungstypologien wurden konzeptualisiert: einerseits die soziale Übersetzung, welche auf dem traditionellen Kleingartenvereinswesen und demokratisch gewählten Vorständen basiert und den civic worth in den Vordergrund stellt, der den existierenden gemeinschaftlichen und solidarischen Wert betont und den Blick auf die existierenden Nutzer_innen und deren sozialen Hintergrund lenkt. Dieser wurde andererseits die grüne Übersetzung gegenübergestellt, welche unabhängig vom traditionellen Vereinswesen mit Interessent_innen neue Netzwerke der Einflussnahme aufbaut, dabei den green worth, also den ökologischen Wert der Kleingärten betont, den Blick weg von den menschlichen Nutzer_innen und stattdessen hin zur Ökologie und tierischen Artenvielfalt lenkt, um eine größere Anspruchsgruppe herzustellen, dabei aber die eigenen Interessen verschleiert.

Beide Fälle illustrieren, wie die Mehrschichtigkeit von Kleingärten bei Planungskonflikten in unterschiedliche Argumente übersetzt werden kann, dabei aber jeweils andere Voraussetzungen erfordern. Eine hergestellte Äquivalenz über den Gemeinschaftswert, wie im Basler Fall skizziert, basierte auf einem Vereinswesen mit einer solidarischen, zahlenmäßig großen Anzahl an Kleingärtner_innen. Der Fall Hamburg wiederum zeigte, wie der Grünwert eine argumentative Auseinandersetzung mit den Planungsgrundlagen, dem Wohnungsprogramm und dem Umweltschutz als stabile Referenten und mit dem Aufbau und in-Verbindung-setzen von neuen Bezugsgruppen erfordert, also auch von jenen, die gar keine Kleingärtner_innen sind.

Der Artikel hat des Weiteren untersucht, was mit den Übersetzungen nach der Kompromissfindung und Konfliktbeilegung geschieht. Er argumentiert für die Wichtigkeit, bei Planungskonflikten danach zu fragen, erstens welche Argumente für eine neue Prioritätenreihung – eigene Anliegen vor anderen – gebraucht werden, und zweitens wie politische und planerische Entschlüsse einer neuen Prioritätenreihung on the ground umgesetzt, also wie assoziierte Lasten und Privilegien anschließend verteilt werden.

Zusammengefasst hat der Artikel am Beispiel der Aushandlungen um Kleingärten in Hamburg und Basel den Übersetzungsprozess als notwendigen Schritt für eine erfolgreiche Politisierung von existierenden beziehungsweise geplanten Raumumnutzungen analysiert. Eine Übersetzung der persönlichen Betroffenheit in ein politisches Thema mit erweiterten Betroffenengruppen beruht dabei auf mehreren Voraussetzungen: Es bedarf eines Kollektivs mit designierten Repräsentant_innen, finanzielle Ressourcen für juristische Unterstützung, einer Auseinandersetzung mit den argumentativen Grundlagen der Pläne und dahinterstehender Wertordnungen, sowie deren Problematisierung. Schließlich muss Äquivalenz zwischen verschiedenen Wertordnungen hergestellt und eine neue Prioritätenreihung vertreten werden.

Die Politisierung von Planungsvorhaben verlangt nach einer Übersetzung der eigenen Naturbezüge und damit verbundener Nutzungsinteressen in ein issue von allgemeinem, höher gewichtetem Interesse. Dies verweist auf jene, die keine Übersetzungsressourcen zur Verfügung haben, also weder eine repräsentative Vereinsmacht noch eine ökologische Argumentationsmacht aktivieren können. Es sollte daher nicht nur gefragt werden, wie Wertordnungen von urbanen Grünräumen gegenwärtig neu verhandelt werden und welche Bedarfe dahinter stecken, sondern auch, wessen Stimmen bei einer Neureihung von Prioritäten erfolgreich eigene Bedarfe und Anliegen durchsetzen können und wessen nicht, um dies im Hinblick auf eine solidarische urbane Grünraumplanung besser berücksichtigen zu können.

Endnoten

Autor_innen

Nicola Thomas ist Stadtsoziologin und forscht aktuell im Rahmen ihrer Dissertation zu Transformationsprozessen von urbanen Kleingärten in Europa. Ihre Schwerpunkte sind urbane Grünräume, städtische Beteiligungskulturen und qualitative Forschungsmethoden.

nicola.thomas@hcu-hamburg.de

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