#traumfabrikcb

Die Aneignung der Stadtpromenade in Cottbus

Lucas Opitz, Ursula Nill

1. Einleitung

Es gibt städtische Orte, die zum Innehalten auffordern, weil sie uns unbeschönigt spiegeln, dass auch schlechte Entscheidungen getroffen werden, deren Folgen die Menschen zu tragen haben. Die Stadtpromenade in Cottbus ist ein solcher Ort. Hier manifestiert sich eine Vielfalt an Konsequenzen aus politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fehlentscheidungen. Sichtbar ist eine mit Bauzäunen abgesperrte Fläche im Zentrum der Stadt, auf der Pionierpflanzen dabei sind, sich einen vormals identitätsstiftenden Ort zu eigen zu machen. Während der Komplex „Treuhand“ den Grundstein legte und neoliberale Spekulant_innen darauf bauten – oder eben nicht –, hat die Kommune durch die Bevorzugung von Partikularinteressen und eine radikale Fehleinschätzung von Fortschritt das Ihre zu einer verzwickten Lage beigetragen. Die Fläche ist der Öffentlichkeit entzogen.

Gebaut wurde hier seit Jahren nur rückwärts. Das betrifft sowohl die ehemaligen Pavillons und das beliebte, im kollektiven Gedächtnis der Cottbuser_innen verankerte, inzwischen abgerissene „Sternchen“ (vgl. Abb. 1) als auch das Vertrauen der Zivilgesellschaft in die Handlungsspielräume der öffentlichen Hand. Die Rechnung für Letzteres dürfte mindestens genauso hoch sein wie die Mietkosten für die Bauzäune, wenn nicht höher.

Abb. 1	Mokka-Milch-Eisbar „Sternchen“ (Quelle: Lichtblick2012, wikimedia.org, CC-BY-SA 3.0)
Abb. 1 Mokka-Milch-Eisbar „Sternchen“ (Quelle: Lichtblick2012, wikimedia.org, CC-BY-SA 3.0)

Das gesellschaftliche Interesse an der Entwicklung der Stadtpromenade ist anhaltend groß. Unsere Analyse zeigt, dass Zeitungs-, Fernseh-, Blog- und Radiobeiträge zu Verantwortlichkeiten, Vorgehen und alternativen Möglichkeiten dicke Bücher füllen. Das kollektive Gefühl, das die Medien widerspiegeln, bewegt sich zwischen konstruktivem Interesse, ernsthafter Frustration, ungläubigem Kopfschütteln und immer weniger Hoffnung. Hier setzt unser Projekt #traumfabrikcb an.

Unser Ziel war es, die öffentliche Diskussion positiv zu gestalten, um aus der „Frustrationsspirale“ ausbrechen zu können. Wir inspirierten die Bewohner_innen und schafften Empowerment zur Selbstverwirklichung. Unter Erprobung neuer Denkmuster wurden im Projekt neue, innovative Instrumente zur Aktivierung bürgerlichen Engagements entwickelt, die für andere Beteiligungsanliegen ein übertragbares Format bieten. Dies möchten wir mit vorliegendem Beitrag öffentlich zugänglich machen.

2. Die Autor_innen – das kollektiv stadtsucht

Als „kollektiv stadtsucht“ entwickeln wir den Raum mithilfe von Konzepten und Planungen, die von partizipatorischen, integrierten und dialogorientierten Herangehensweisen geprägt sind (vgl. Abb. 2). Unsere Kollektivist_innen zeichnen sich durch heterogene Hintergründe aus, beruflich und privat, wobei unsere Arbeit sich keinem Gedanken verschließt und die Metaebene als Konsequenz einberechnet. Von integrierter Stadt- und Regionalentwicklung beziehungsweise -planung über städtebauliche und architektonische Entwürfe bis hin zur Gestaltung von Kommunikations- und Partizipationsprozessen arbeiten wir interdisziplinär, umsetzungsorientiert, themen- und maßstabsübergreifend.

Abb. 2	Die Arbeit im kollektiv stadtsucht (Quelle: eigene Aufnahme)
Abb. 2 Die Arbeit im kollektiv stadtsucht (Quelle: eigene Aufnahme)

Wir verstehen uns als Generalist_innen. Unsere Herangehensweise nährt sich aus der Leidenschaft, Gegebenes zu hinterfragen. Wir hören in Situationen hinein, setzen Impulse und loten Möglichkeiten aus. Wir finden Wege dafür, keine Gründe dagegen. Durch unseren Hintergrund verfügen wir über ein Verständnis von räumlichen sowie politischen Sachlagen und haben Einblick in verwaltungstechnische Abläufe. Dieses Wissen verwendeten wir im Projekt #traumfabrikcb für gemeinnützige Projekte, so wie wir es auch an anderer Stelle getan haben, aktuell tun und weiterhin tun werden. In der Vergangenheit waren dies Interaktionen im öffentlichen Raum, Beiträge zu stadtrelevanten Diskussionen oder Publikationen zu Sachlagen von öffentlichem Interesse.

Als Cottbuser Kollektiv sehen wir es als unsere Pflicht und unsere Chance an, mit dem Geschehen vor Ort zu interagieren und einen positiven Beitrag zu leisten. Unser Projekt #traumfabrikcb greift die Entwicklung der Stadtpromenade auf, die einen besonders spannenden städtischen Themenkomplex in Cottbus darstellt. Eine vergleichbare Problemdefinition findet sich auch an anderen Orten.

3. Das Prinzip „Lust“

In das erstarrte Dickicht der Stadtpromenade begibt sich das kollektiv stadtsucht mit dem Projekt #traumfabrikcb. Zu viel liegt im Halbschatten. Nach außen ist unklar, wie die aktuelle Situation (vgl. Abb. 3) an einem so wichtigen Ort entstehen konnte. Das Ersichtliche und das, was an Information zugänglich ist, befördert Missmut. Die Gesellschaft fühlt sich aus der Diskussion ausgeschlossen. Daher war für uns klar: Mit Verstand gibt es hier kein Weiterkommen. Durch das Instrument des Spekulativen verschreibt sich das Projekt nicht der Klärung, dem Verstehen oder dem Durchblick, sondern dem Prinzip „Lust“.

Abb. 3	Stadtpromenade Cottbus, Status quo 2021 (Quelle: eigene Aufnahme)
Abb. 3 Stadtpromenade Cottbus, Status quo 2021 (Quelle: eigene Aufnahme)

Die #traumfabrikcb setzt sich hedonistisch über die Sachlage hinweg und bahnt sich einen anderen Weg in die Materie. Das positive Narrativ ist Teil des Experiments, den Frust durch eine bewusste, selbstgewählte Arglosigkeit aufzubrechen. Mit einer bejahenden, zukunftsgewandten und lustvollen Haltung, durch die sich zwar nicht die Umstände ändern, aber die eigene Perspektive verschiebt, wird nach einem anderen Standpunkt gefahndet.

Die Entscheidung zur Tat geschieht in guter Gesellschaft der vielen, die vorher da waren und vergebens an den Zäunen gerüttelt haben (vgl. Abb. 4), sowie in vollem Bewusstsein der Berichte, die die Dokumentenarchive haben anschwellen lassen. Dieser Gemengelage ergibt sich die #traumfabrikcb und bestimmt sie als Austragungsort einer Auseinandersetzung und kollektiven Neuorientierung. Sie hofft insgeheim, dass die Zeit und die Erkenntnis reif geworden sind.

Abb. 4	Die Kita-Gruppe Grashüpfer bearbeitet kommunalpolitische Themen (Quelle: eigene Aufnahme)
Abb. 4 Die Kita-Gruppe Grashüpfer bearbeitet kommunalpolitische Themen (Quelle: eigene Aufnahme)

Ein Jahr lang waren die Bürger_innen der Stadt Cottbus eingeladen, ihre Ideen für die Stadtpromenade in Cottbus zu „malen“. Mit einer schlichten Zeichnung des Ortes auf einer Postkarte wurden sie zum Mitmachen angesprochen. Der Fleck, um den sich die Aktion dreht, liegt zentral im Bild und ist weiß. Mithilfe dieser Vorlage, als Postkarte oder digital, konnten Ideen visualisiert werden. Die Träume wurden uns zugesendet – klassisch analog oder digital per E-Mail beziehungsweise Social Media. Flankiert von einer intensiven Öffentlichkeitsarbeit verbreiteten wir die Ideen auf unseren Kanälen, um die Einsendungen zu diskutieren und vor allem wertzuschätzen. Bei der Verteilung und Bekanntmachung bedienten wir uns der herkömmlichen analogen und digitalen Werkzeuge.

Schlussendlich mündeten alle Ideen in eine große finale Ausstellung in räumlicher Nachbarschaft zur besagten Stadtpromenade. Die Ausstellung diente als Plattform, und in ihrem Verlauf diskutierten wir einen Weg, die #traumfabrikcb von der Theorie in die Praxis zu überführen.

Gleichzeitig stellte diese Ausstellung quasi eine „Zusammenkunft“ von Dokumenten dar, die aufzeigen, dass die Stadtpromenade auch anders sein könnte (vgl. Abb. 5). Die Postkarten-Zeichnung der #traumfabrikcb diente den Urheber_innen als Brücke zwischen Fantasie und Realität, wurde aber mit Fertigstellen durch die Teilnehmenden eigenständig. Die Darstellungen entwickelten sich so zu Stellvertretern von „Traumorten“, die der Fantasiewelt entstammen.

Abb. 5	Aufgearbeitete Einsendungen – Ideengeber für andere (Quelle: eigene Darstellung)
Abb. 5 Aufgearbeitete Einsendungen – Ideengeber für andere (Quelle: eigene Darstellung)

Für die Urheber_innen der eingereichten Ideen ist die Imagination eines anderen möglichen Zustandes die Voraussetzung, um „Traumorte“ zu Papier bringen zu können. Nur was ich mir vorstellen kann, kann ich zeichnen. Indem die Menschen die Stadtpromenade auf der Karte kreativ bearbeiten, eignen sie sich den Ort an. Dies geschieht als tatsächliche Handlung mit Stift und Schere, aber auch auf gedanklicher Ebene im Formulieren und Einreichen einer Idee. Die Bearbeitung einer schlichten Karte wird so wortwörtlich zur Anteilnahme an einem öffentlichen Geschehen.

Ein bisschen gehört die Stadtpromenade uns allen, auch wenn wir sie nicht besitzen. „Ich empfinde es als mein Recht, meine Meinung kundzutun“, impliziert jede formulierte und eingereichte Idee. Die Ideen als Stellvertreter eines anderen möglichen Zustandes verbinden sich in der Zusammenstellung und formulieren mit den Bildern ein unübersehbares und nicht zu dementierendes öffentliches Anliegen.

Die Bearbeitungsstrategie ist nicht linear. Während sich die ersten Bilder bereits in zusammengesammelten, aber instandgesetzten Rahmen befinden, sind einige der zukünftig Ideengebenden noch ahnungslos. Sie erfahren davon vielleicht aus der Zeitung oder dem Radio, stoßen in sozialen Medien auf die Bilder, oder Bekannte erzählen davon. Inspiriert werden sie von Bildern, Zeichnungen und Ideen anderer Urheber_innen, die bereits zu einem früheren Zeitpunkt von der #traumfabrikcb erfahren und teilgenommen haben.

Die Texte und Bilder, die nach und nach beim kollektiv stadtsucht zusammenkamen (vgl. Abb. 6), bildeten den Kern der #traumfabrikcb und gleichzeitig deren Antrieb. Das bereits getätigte Bekenntnis, das Engagement anderer, wirkte inspirierend und setzte eine Kettenreaktion in Gang, die Einzelne durch neue Impulse in immer wechselnder Besetzung gemeinsam antrieben.

Abb. 6	Ergebnisse der #traumfabrikcb (Quelle: eigene Aufnahmen)
Abb. 6 Ergebnisse der #traumfabrikcb (Quelle: eigene Aufnahmen)

Dies reihte sich ein in andere Aktivitäten rund um die Stadtpromenade, die in unterschiedlicher Ausprägung vorher schon da waren oder gerade neu entstanden. Es stellte sich eine Öffentlichkeit her. Unser Projekt wurde mit positiver Resonanz über digitale und analoge Plattformen angenommen. Der Ort erhielt, trotz jahrelanger Stagnation, steigendes und anhaltendes Interesse (vgl. Abb. 7). Mit einem Gemeinschaftsgefühl, welches den Status quo infrage stellt, hat das kollektiv stadtsucht der „Frustrationsspirale“ aktiv entgegengewirkt. Die Hoffnung besteht, dass das Wirbeln der #traumfabrikcb in vereintem Kraftakt das Kunststück schlussendlich anzukündigen vermag – vielleicht sogar einen gemeinwohlorientierten, kooperativen, quasi doppelten Vorwärtssalto in der Stadt Cottbus.

Das zumindest ist unser Traum.

Abb. 7	Aktivitäten der Zivilgesellschaft bündeln sich (Quelle: eigene Aufnahme)
Abb. 7 Aktivitäten der Zivilgesellschaft bündeln sich (Quelle: eigene Aufnahme)

4. Teilhabe als Herausforderung

Die #traumfabrikcb ist Partizipation in Form eines gelebten, transparenten öffentlichen Diskurses. Durch die #traumfabrikcb haben wir gemeinsame Ziele formuliert, wie die Stadtpromenade sein könnte. Das ist ein Erfolg!

Doch auch die Kritik am Projekt war und ist berechtigt: Die #traumfabrikcb wurde vom Eigentümer nicht mitgetragen. Stadtpolitik und -verwaltung wurden nicht vorab involviert. Und das Projekt war aktionistisch – aber: Warum auch nicht?

Wir haben uns damit weit aus dem Fenster gelehnt, denn der Gegenstand der Beteiligung, die Stadtpromenade, verweigert sich dem Zugriff. Die Fläche ist im Besitz eines privaten Investors, dessen Interessen sich nicht auf städtische oder gesellschaftliche Anliegen fokussieren. Diese Tatsache ist bekannt und der räumliche Ausdruck beziehungsweise dessen Konsequenzen sind beim täglichen Gang durch das schöne Cottbus unübersehbar. Mit einer gesunden Menge Trotz ruft also die #traumfabrikcb zur Beteiligung an einer Sache auf, an der sich nicht beteiligt werden kann oder soll.

Dieses Vorgehen birgt das Risiko eines vergeblichen Engagements, von enttäuschter Hoffnung und von Frust über die nur scheinbare Vorwärtsbewegung. Wir gehen dieses Risiko ein, da wir davon überzeugt sind, dass die Angst vor Risiken kein Grund sein darf, den Status quo stillschweigend hinzunehmen. Die #traumfabrikcb bäumt sich auf. Sie ist laut und bunt, fröhlich, kraftvoll und auch ein bisschen frech (vgl. Abb. 8).

Abb. 8	Mitarbeit und Mitreden (Quelle: eigene Aufnahme vom Presseartikel der Lausitzer Rundschau)
Abb. 8 Mitarbeit und Mitreden (Quelle: eigene Aufnahme vom Presseartikel der Lausitzer Rundschau)

Jede Einsendung zeigt, dass die Menschen dieser Stadt mitreden wollen, und ist zugleich eine Forderung, gehört beziehungsweise gesehen zu werden.

Die #traumfabrikcb könnte schlussendlich auch mit einem lauten Knall als heiße Luft verpuffen oder krachend gegen die Wand fahren. Es gibt sie nur, solange neue Impulse den Prozess am Laufen halten. Das Projekt ist ein Hinweis auf einen Fehler. Es fordert dessen Berichtigung und produziert Vorschläge am laufenden Band. Es ist ein Experiment, dessen Erfolg oder Misserfolg erst im Nachhinein bewertbar sein wird.

An diesem konkreten Ort wird der Status quo herausgefordert und der Anspruch auf mehr Mitsprache und Transparenz bei Entscheidungen über unser aller Lebensraum, die Stadt, erhoben. Warum sollte die #traumfabrikcb also nicht erfolgreich (gewesen) sein?

Autor_innen

Lucas Opitz ist Stadtplaner im kollektiv stadtsucht aus Cottbus. Er ist auf der Suche nach Wegen dafür, nicht nach Gründen dagegen.

info@kollektiv-stadtsucht.com

 

Ursula Nill ist angehende Stadtplanerin im kollektiv stadtsucht aus Cottbus. Sie fokussiert sich auf städtebauliche Konzepte und Beteiligungsformate.

traumfabrikcb@kollektiv-stadtsucht.com