Urbanität nach exklusivem Rezept. Die Ausdeutung des Städtischen durch hochpreisige Immobilienprojekte in Berlin und Los Angeles

Henning Füller, Nadine Marquardt, Georg Glasze, Robert Pütz

1. Einleitung

„In der Stadt zu wohnen ist wieder in Mode. Es locken das Kulturangebot, die vielen Freizeitmöglichkeiten und das multikulturelle Leben“, schreibt CASH, das „Magazin der Finanzdienstleistungsbranche“ im Jahr 2005. Auf unterschiedlichen Kanälen wird in Deutschland seit einiger Zeit eine „Renaissance“ innerstädtischen Wohnens artikuliert und allenthalben begrüßt. Zwar lassen sich nach wie vor auch gegenläufige Suburbanisierungsmuster feststellen, aber eine neue Attraktivität innerstädtischen Wohnens bei Bewohner_innen wie auch bei Investor_innen ist evident. Nicht zuletzt die seit Anfang 2013 vor dem Hintergrund steigender Mieten und eines konstatierten Mangels an innerstädtischem Wohnraum bundesweit wieder aufgeflammte wohnungspolitische Debatte ist ein Beleg, aber auch die Sorge vor einer Preisblase angesichts der zuletzt rapide gestiegenen Immobilienpreise in den deutschen Großstädten.

Diese Orientierung auf innerstädtisches Wohnen wird in den USA in einem völlig anders gelagerten stadtpolitischen und stadtkulturellen Kontext ebenfalls diskutiert. Mit der Jahrtausendwende wird ein sogenannter urban turnaround proklamiert (Simmons / Lang 2005), Begriffe wie new urbanism, smart density und transit oriented development prägen die Debatten professioneller Planer_innen und Entscheider_innen. In vielen Städten der USA ist es zu teils massenhafter Projektentwicklung in innerstädtischen Lagen gekommen, zum Neubau nicht-preisgebundener Wohnungen sowie zur Umwidmung ehemaliger Büro- in Wohnflächen (Strom 2008; Sohmer 1999). Infill housing, also die Errichtung von Wohngebäuden auf vormals anderweitig genutzten innerstädtischen Flächen, betrifft inzwischen 20% des Wohnungsbaus in den USA (Ramsey 2012).

Diese neuen Wohn- und Anlagepräferenzen stehen im Kontext veränderter stadtpolitischer Strategien und Rahmenbedingungen. Die bauliche Aufwertung innerstädtischer Lagen und der Zuzug kaufkräftiger Bewohner_innen passen hervorragend in die seit Längerem beobachtete Strategie der „unternehmerischen Stadt“ (Hall/Hubbard 1996; Harvey 1989), also einer Stadtpolitik, die sich auf die Aktivierung wirtschaftlicher Potenziale angesichts einer vermeintlichen Städtekonkurrenz konzentriert. Mit Blick auf konkrete Maßnahmen wird diese „Renaissance“ des Städtischen in Deutschland weniger direkt als vielmehr indirekt gefördert. Die Instrumente der direkten Förderung (innerstädtischen) Wohnungsbaus durch die öffentliche Hand (sozialer Wohnungsbau, Eigenheimförderung, erhöhte Abschreibungsmöglichkeiten und temporäre Investitionszulagen) wurden über die letzten Jahre sukzessive abgebaut. Staatliche Politik in Deutschland richtet sich derzeit eher indirekt auf die Förderung innerstädtischer Eigentumsbildung, etwa durch die Anreizung innerstädtischer Entwicklungspotenziale in dem Bund-Länder Programm „Soziale Stadt“, in der (versuchten) Rücknahme der Pendlerpauschale (Siedentop 2008), durch mietrechtliche Liberalisierungen und durch aktives Liegenschaftsmanagement (Zwischennutzung).

Weitaus aktiver vollziehen einzelne Bundesstaaten und Städte in den USA die Reorientierung hin zu innerstädtischen Wohnstandorten. Hier ist derzeit von einer new urban renaissance die Rede, von konzertierten staatlichen Maßnahmen zur Aufwertung innerstädtischer Nachbarschaften. Im Unterschied zu früheren Initiativen des Stadtumbaus innerstädtischer Lagen, deren Zielsetzung die Förderung von Büro- und Gewerbenutzung war, hat nun die Etablierung von mixed use neighborhoods und Wohnnutzung einen hohen politischen Stellenwert (Fainstein 2005; Hyra 2012). Die „Renaissance der Stadt“ umfasst neben veränderten Wohnstandort-, Kauf- und Investitionsentscheidungen zentral auch die stadtpolitischen Weichenstellungen, die es wahrscheinlicher machen, solche veränderten Präferenzen zu realisieren.

In der Stadtforschung sind das neue Interesse an innerstädtischem Wohnen, die Zunahme von Neubau im hochpreisigen Wohnsegment und die zugrundeliegenden stadtpolitischen Strategien der Revitalisierung bereits überzeugend als eine gegenwärtige Spielart von Inwertsetzungs- und Verdrängungsprozessen interpretiert worden. Eine nun dritte Welle der Gentrifizierung erfasst derzeit großflächige Gebiete der Stadt, institutionelle Akteure sind beteiligt und die Stadt sorgt proaktiv für die entsprechenden Rahmenbedingungen (Hackworth/Smith 2001). Im Rahmen der new urban renaissance in den USA kommt es etwa im Rahmen des HOPE IV Programms zu einem gezielten Rückbau von mietpreisregulierten Wohnprojekten, um Flächen für private Projektentwickler_innen bereitzustellen. Vielfach wird auf den Verdrängungseffekt hingewiesen, den dieser Stadtumbau für die meist nicht weißen Bewohner_innen der betroffenen innerstädtischen Nachbarschaften bedeutet (Goetz 2011, Podagrosi/Vojnovic 2008). In Großbritannien ist urban renaissance unter Tony Blair zu einer nationalen politischen Strategie geworden, was im Ergebnis nicht selten zu massiver Verdrängung geführt hat (Lees 2008; Porter/Shaw 2008; Hamnett/Whitelegg 2007; Davidson/Lees 2005). Die verstärkte Förderung von Maßnahmen zur Etablierung von Kunst- und Kulturnutzung in innerstädtischen Nachbarschaften durch die öffentliche Hand hat vielfach zu einer Verstärkung von Gentrifizierungsdynamiken geführt (Baader/Bialuch 2008; van der Geyn/Draaisma 2008). Untersuchungen zeigen, dass gerade die städtische Strategie, kaufkräftige Haushalte zum Zuzug in innerstädtische Viertel zu motivieren, in einem Prozess staatlich forcierter Gentrifizierung münden kann (Uitermark/Duyvendak/Kleinhans 2007).

2. Neue Perspektiven auf Gentrifizierung

Im Zuge dieser generellen Ausweitung der Akteure und Formen innerstädtischer Inwertsetzung und Verdrängung verliert das Konzept der Gentrifizierung allerdings an Trennschärfe. In dem Maße, in dem Gentrifizierung im Gefolge einer urban renaissance zu einer expliziten oder impliziten stadtpolitischen Strategie geworden ist, wird es zugleich schwieriger, den direkten Zusammenhang von Aufwertung und Verdrängung jeweils empirisch nachzuvollziehen. Anders als Sanierung und Mietsteigerung einzelner Wohnungen oder Häuser im klassischen Gentrifizierungsprozess haben etwa luxuriöse Neubauprojekte auf ehemaligen Brachflächen keine direkt messbare Verdrängung zur Folge (Boddy 2007). Gleichwohl verändern gerade solche Neubauprojekte die Gestalt und Qualität der Nachbarschaft und führen auf zwar weniger direkte, aber dennoch nachhaltige Weise, zu einer Veränderung des Wohnumfeldes, und schließlich auch zu Verdrängung.[1] Peter Marcuse spricht hier von kultureller Exklusion (Marcuse 1986). Die mit der „Renaissance innerstädtischen Wohnens“ verknüpfte Restrukturierung des Städtischen ist ein politisch, ökonomisch und kulturell vielfach überdeterminierter Prozess, der mit den Instrumenten einer auf Inwertsetzung und Verdrängung orientierten Perspektive nur partiell zu erfassen ist – „[c]alling these changes ‚gentrification‘ minimizes and oversimplifies the collective investment that is at stake“ (Zukin 2010: 221). Entsprechend wird zunehmend auf die Notwendigkeit einer um zusätzliche Dimensionen erweiterten Perspektive auf Gentrifizierung hingewiesen (Lees 2007).

Eng verbunden mit dem gegenwärtigen Stadtumbau und mit der vermeintlichen Aufwertung innerstädtischer Nachbarschaften sind die Idealvorstellungen und Zielperspektiven, die in der Stadtpolitik und bei Kauf- und Investitionsentscheidungen handlungsleitend werden. Eine Analyse dieser Ebene legitimierender Diskurse kann die Gentrifizierungsforschung entscheidend erweitern. Die sich derzeit abzeichnende Neubewertung innerstädtischen Wohnens ist verbunden mit einer Neubestimmung der Perspektiven und Ziele einer gelingenden Stadtentwicklung. Das gestiegene Interesse für das Wohnumfeld Stadt geht einher mit einem neuerlichen Interesse für den „Ist- und Sollzustand“ des Städtischen. Die Debatte zur Reurbanisierung erfährt seit etwa 2000 auch eine breitere öffentliche Aufmerksamkeit[2]. Seit Januar 2013 erscheint das Magazin „Stadtaspekte“, welches sich für eine nicht-wissenschaftliche Leser_innenschaft mit der „Komplexität der Stadt“ (Editorial) auseinandersetzt.

Die kritische Perspektive der Gentrifizierungsforschung zu bewahren, bedeutet gegenwärtig daher auch eine Auseinandersetzung mit den Idealvorstellungen und Narrationen, welche privatwirtschaftliche Investitionen, individuelle Wohnortwahl und städtische Maßnahmen informieren. Es sind solche geteilten Überzeugungen, die wirtschaftliche und politische Entscheidungen legitimieren und schließlich in Gentrifizierungsprozessen resultieren (Slater 2006). So arbeitet etwa Leslie Kern heraus, inwiefern eine städtische Restrukturierung in Toronto, sichtbar in der massiven Zunahme von Verkäufen von Neubauapartments, zentral durch Rückgriff auf diskursive Figuren wie die Verknüpfung von Angst und Weiblichkeit oder die Verknüpfung von Urbanität, Gefahr und Erlebnis befördert worden ist (Kern 2010). Wunschvorstellungen von einem lebenswerten Stadtviertel und ähnliche räumlich verankerte Narrationen können im Gegenzug auch den Widerstand gegen Inwertsetzungs- und Verdrängungsprozesse entscheidend befördern, wie Wilson und andere am Beispiel eines Stadtviertels von Chicago zeigen (Wilson/Wouters/Grammenos 2004). Bei der Legitimierung und damit letztlich bei der Ermöglichung bzw. Verhinderung bestimmter Inwertsetzungs- und Verdrängungsprozesse spielen Leitvorstellungen und Idealbilder eine zentrale Rolle. Katherine Hankins und Emily Powers betonen zudem, inwiefern die Ausdeutung der „Qualität des Städtischen“ [urban livability] auf der Ebene des Diskurses ernster genommen werden sollte, da hier indirekt auch das Recht auf die Stadt in bestimmter Weise verankert wird: „Urban livability provides an opening to discuss not just planning and city-building but in fact the fundamental ability of different kinds of people to live in urban areas — the right to the city.“ (Hankins/Powers 2009: 846)

Wie aber lassen sich zunächst recht unscharf erscheinende diskursive Konzepte wie Urbanität, Authentizität und „Qualität des Städtischen“, die derzeit in der Reorientierung von Stadtpolitik, Bewohner_innen und Investor_innen auf innerstädtische Wohnstandorte wirksam werden, analytisch nachverfolgen? Unser Vorschlag ist es, dazu auf das Phänomen hochpreisiger innerstädtischer Neubauprojekte zu fokussieren. In der Planung und baulichen Gestaltung dieser innerstädtischen Luxusimmobilien werden die Debatten zur Stadtentwicklung und die Ziel- und Idealvorstellungen von der zukünftigen Stadt in besonderer Weise sichtbar.

3. Konjunktur hochpreisigen innerstädtischen Wohnungsbaus

Sichtbarer Ausdruck einer „Renaissance der Stadt“ ist derzeit der Neubau von hochpreisigen Wohnungen in innerstädtischen Lagen. Deutlich wurden wir mit der Konjunktur solcher Immobilienprodukte während einer Feldforschung 2006 und 2007 in Los Angeles konfrontiert. Dort sind auf dem Gebiet der historischen Downtown über die letzten Jahre (von Anfang 2000 bis zum Beginn der Immobilienkrise 2008) durch die Umnutzung ehemaliger Büroflächen und Neubauprojekte etwa 7000 Wohneinheiten in über 150 privaten Bauprojekten neu entstanden (Füller/Marquardt 2010), vornehmlich im Luxussegment (Ring/Donoghue 2007). Gerade in dem speziellen Kontext von Los Angeles, einer „Stadt ohne Zentrum“, die größtenteils aus ein- bis zweigeschossigen Eigenheimen mit Garten besteht, war diese massive Einführung des Immobilienprodukts der hochpreisigen Geschosswohnung und die Vermarktungsstrategie „urbane Lebensqualität“ auffällig. Zugleich tritt ein analoges Produkt hochpreisigen innerstädtischen Neubaus derzeit verstärkt auch in anderen Städten der USA und in anderen nationalen Kontexten auf. Beispielsweise entstehen derzeit in den Atlantic Stations in Atlanta, einem bedeutenden Vorzeigeprojekt des new urbanism und einem der landesweit größten innerstädtischen Neubauprojekte, Wohnungen für 10.000 Bewohner_innen, ebenfalls überwiegend im hochpreisigen Segment (Hankins/Powers 2009). Auch in einigen deutschen Großstädten und insbesondere in Berlin ist über die letzten Jahre hochpreisiger innerstädtischer Neubau in unterschiedlicher Variation erstellt worden, ob als Townhouse, Loft-Wohnung oder als so genanntes urban village (Lomoth 2008; Neisen 2008). Andrej Holm zählt allein in Berlin 35 Projekte mit jeweils mehr als 10 Wohnungen seit 2000 (Holm 2010). Die insgesamt hohe Zuwachsrate im Luxussegment der Wohnimmobilien (25% mehr Kauffälle bei Eigentumswohnungen über 750.000 Euro im ersten Halbjahr 2012 in deutschen Großstädten gegenüber dem Vorjahr) lässt sich insbesondere durch das hohe Angebot von Neubau in diesem Segment erklären, so ein spezialisierter Makler (Dahler & Company 2013).

Oftmals wird solcher Neubau als Ausdruck bzw. als Motor gegenwärtiger Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse thematisiert (Boddy 2007; Davidson/Lees 2005). Selten hingegen stehen die Projekte selbst im Fokus (Kern 2010). Unser Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass solche Projekte in prägnanter Weise eine Ausdeutung von Stadt, städtischem Leben und Urbanität entwerfen und in dieser Weise zusätzlich zu Gentrifizierung beitragen, insofern sie wirkmächtigen Einfluss auf das soziale Gefüge der Stadt und auf die Nutzung städtischer Räume haben. Hochpreisiger innerstädtischer Neubau ist vor diesem Hintergrund nicht nur als ein bestimmtes Immobilienprodukt mit Inwertsetzungs- und Verdrängungseffekten zu sehen, sondern auch als ein wirkmächtiger Einsatz in die Gestaltung städtischer Räume, in die Art und Weise ihrer Nutzung und schließlich als Eingriff in die Vorstellung von Urbanität und dem Ideal städtischen Zusammenlebens.

Die Projekte stellen eine gebaute Antwort auf die beschworene „Renaissance der Stadt“ dar, materialisieren das „neue Wohnen in der Stadt“ bereits in ihren Grundrissen, den gewählten Standorten und den gebotenen Zusatzleistungen und deuten es in dem begleitenden Marketing-Material aus. Über die Vermarktung und Gestaltung der Projekte geben Immobilienentwickler_innen Auskunft zu der von ihnen derzeit als marktgängig eingeschätzten Version innerstädtischen Wohnens, und sie tragen dazu bei, diese Vision auch baulich zu etablieren. Allein quantitativ betrachtet haben die einzelnen Projekte meist nur einen marginalen Einfluss auf die Bewohnerstruktur oder die Kaufkraft der umliegenden Stadtviertel, gleichwohl stehen sie bereits durch ihren Charakter als Neubau, aber oftmals auch in einer deutlich nach außen abgeschlossenen Ästhetik, im deutlichen Kontrast zur Umgebung. Nicht zuletzt als sichtbares Statement im Stadtraum wurden Bauvorhaben wie die CarLofts in Kreuzberg oder Marthashof in Prenzlauer Berg in der lokalen Debatte durchaus als ein Symbol gegenwärtiger Stadtumstrukturierung begriffen und attackiert.

Im Folgenden interessieren uns solche Neubauprojekte als Artikulation einer bestimmten (Ideal-)Vorstellung von der „Renaissance der Stadt“ im Kontext einer dritten Welle der Gentrifizierung. Auffällig ist die Konjunktur dieses zuvor unüblichen Produkts über nationale Kontexte hinweg. Neben der Art und Weise einer Ausdeutung des Städtischen in den Projekten interessiert uns auch, inwiefern diese Ausdeutung von dem jeweiligen städtischen Kontext, von einer anders gelagerten Tradition der Bezugnahme auf Stadt, unterschiedlich regulierten Wohnungsmärkten etc. beeinflusst ist. Steht das hier angebotene „städtische Wohnen“ im expliziten Bezug zu der jeweiligen Stadt oder stellen die Neubauprojekte eine international analoge Ausdeutung städtischen Lebens dar? Gibt es übergreifende Muster in der hochpreisigen Ausdeutung des Städtischen?

Um diesen Fragen nachzugehen, stellen wir in der folgenden Untersuchung Bespiele für aktuelle Neubauprojekte aus Berlin und Los Angeles gegenüber. [3] In beiden Städten haben wir leitfadengestützte Expert_innengespräche mit Projektentwickler_innen geführt, die Sales Center und Showrooms der Immobilienprojekte besucht, Musterwohnungen besichtigt und Baupläne verglichen. Empirische Grundlage für unsere Untersuchung sind somit zum einen das Marketing der Bauprojekte sowie die Auskünfte derjenigen, die das Wohnprodukt konzipiert haben, aber auch ein Pressekorpus von Tageszeitungen, die über die Bauvorhaben berichten.

4. Neu gebaute Urbanität

In welcher Weise artikulieren die derzeit entstehenden hochpreisigen innerstädtischen Neubauprojekte eine spezifische Vision von Stadt und städtischem Leben? Das Credo des neu gebauten innerstädtischen Wohnens ist sowohl in Berlin als auch in Los Angeles die Qualität des Städtischen. Diese Beobachtung ist zunächst noch nicht überraschend: Urbanität ist das Alleinstellungsmerkmal und zentrale Verkaufsargument dieser Immobilienprodukte und entsprechend zentral auch für ihr Marketing. Allerdings bleibt es nicht bei der Leerformel „Urbanität“. Bei näherem Hinsehen wird deutlich, inwiefern das Städtische auf eine sehr bestimmte Weise als Standortqualität und Ausstattungsmerkmal der Projekte betont, sowie architektonisch und gestalterisch unterstrichen werden soll. In beiden von uns untersuchten Städten wird die Qualität des Städtischen im Rahmen der Projekte vornehmlich als ein international lesbares Lebensstil-Angebot ausgedeutet. Die gebauten Wohnungen bieten gemäß dem Marketing, neben Größe und Ausstattung noch etwas Entscheidendes mehr: einen Bezugsrahmen für die individuelle Entfaltung. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Engführung des Städtischen auf Lebensstil-Optionen bei den untersuchten Projekten in Berlin und Los Angeles quasi deckungsgleich erfolgt. In beiden Fällen wird das angebotene urbane Leben als eine im Endeffekt paradoxe Überwindung des klassischen Zielkonflikts Spannung/Sicherheit in Aussicht gestellt: Das neu gebaute innerstädtische Wohnen garantiert Aufregung, Abwechslung und Vielfalt, ohne dass dies mit Unerwartetem, Unkontrolliertem oder Unsicherem einhergehen soll. Diese paradoxe Figur „sichergestellter Urbanität“ werden wir später an Beispielen noch näher ausführen.

4.1. Urbanität

Zunächst möchten wir die spezifische Verengung des Konzepts „Urbanität“[4] auf die Funktion eines Lebensstil-Angebots nachzeichnen, die charakteristisch ist für die untersuchten Projekte sowohl in Berlin als auch in Los Angeles. Generell ist die „Renaissance der Stadt“, in deren Kontext es zu der Konjunktur des hochpreisigen innerstädtischen Wohnens kommt, auch eine Renaissance von Urbanität als einem unbestimmten, aber zumeist positiv konnotierten Qualitätsmerkmal. Zwar werden in den Analysen der veränderten Präferenz für innerstädtisches Wohnen eine ganze Reihe von Ursachen angeführt (etwa der demographische Wandel, die zunehmende Abkehr von der für den suburbanen Haushalt notwendigen traditionellen Rollenteilung, der Rückgang staatlicher Subventionen für das Bauen in und das Pendeln aus der Vorstadt heraus), zuallererst aber scheint der Motor der „Renaissance“ eine neue Begeisterung für urbanes Leben und städtische Atmosphären zu sein. Diese kaum näher messbare „neue Begeisterung“ gilt in etlichen Aussagen als das „Herz“, das eigentlich antreibende Moment der Renaissance innerstädtischen Wohnens. Parallel ist „Urbanität“ in den letzten Jahren auch wieder zu einer „Zauberformel der Stadtplanung und sozialwissenschaftlichen Stadtforschung“ geworden, wie Katharina Manderscheid herausstellt (2007: 52). Vor diesem Hintergrund bestimmt etwa die Zukunftswerkstatt der Landesbausparkassen 2006 als Zielperspektive von Stadtumbau und Stadtverdichtung „das städtische Leben und Wohnen als attraktive und anspruchsvolle Lebensform“ (Gruss 2006: 19). Die Immobilienzeitung entwirft das „urbane Quartier“ als Orientierung zukünftiger Stadtentwicklung. „Die Zukunft der Stadtentwicklung bilden nicht mehr große, in sich geschlossene Wohn- und Büroviertel, sondern urbane Quartiere nach dem Vorbild der überschaubaren mittelalterlichen Siedlung, in der Wohnung, Arbeit und Freizeit eine Einheit bildeten.“ (Göppert 2003: 20) Selbst im anglophonen Kontext – wo Suburbanisierung, urban decay und urban flight in der Nachkriegszeit weitaus bestimmender waren – ist das Städtische bzw. Urbanität wieder ein positiver Bezugspunkt offizieller Politik. „After decades of being viewed as little more than a catalogue of social and economic problems, the city and the associated virtues of urban life are back on the political agenda.“ (Latham 2003: 1700)

Wie reagieren die Immobilienfirmen der untersuchten Projekte auf diese neue Wertschätzung für das Städtische? Offensichtlich spielt „Urbanität“ eine zentrale Rolle im Marketing der von uns untersuchten Bauprojekte und bestimmt auch die Erläuterungen zu den Vorzügen der Projekte durch unsere Interviewpartner_innen sowohl in Berlin als auch in Los Angeles. Auffällig ist allerdings die bestimmte Funktion, die dem Städtischen in diesen Erzählungen zugemessen wird. Das urbane Wohnen ist nicht nur interessant, weil man „mittendrin“ ist, umgeben von Freizeit-, Kultur- und Einkaufsmöglichkeiten. Urbanes Wohnen legitimiert darüber hinaus ein bestimmtes Selbstverhältnis: eine spannungs-, erlebnis- und genussreiche Individualität, die typisch sei für ein großstädtisches Umfeld. Die untersuchten Projekte sowohl in Berlin als auch in Los Angeles rufen Vorstellungen von Stadt und städtischem Wohnen hauptsächlich als eine Bezugsfolie für Lebensstile auf und deuten die Vorzüge dieses Lebensstils teils detailliert aus. „What is one of the things we are selling is as much a home as a lifestyle“ (Interview mit James Atkins, Projektleiter Williams & Dame Development), wie uns ein Immobilienentwickler in einem Interview die Strategie seines Unternehmens erläutert.

Vorstellungen von urbanen Lebensstilen, die es anzureizen und für die es die passenden Räume bereitzustellen gilt, fließen inzwischen umfassend in die Planung und Gestaltung der Bauprojekte ein. Die Ausrichtung auf neue urbane Lebensstile ist dabei nicht nur eine Werbestrategie, mit der Immobilien erst nach ihrer Fertigstellung versehen werden und erschöpft sich auch nicht etwa in der Bereitstellung einer edlen Innenausstattung für die Immobilien. Die Ausrichtung am Lifestyle-Shopping potentieller Käufer_innen bestimmt bei den von uns untersuchten Immobilienprodukten vielmehr alle Phasen der Entwicklung konsequent mit. Unsere Beobachtung bei dieser aktuellen Neukonzeption innerstädtischen Wohnens ist insbesondere der erweiterte Fokus der Projektentwickler_innen, wenn es darum geht, die entsprechenden Immobilien nicht nur im Hinblick auf eine bestimmte Zielgruppe zu vermarkten, sondern Lebensstile viel umfassender bereits in der Planung zu berücksichtigen und die passenden Räume zu bauen. Bei dem Projekt Marthashof klingt das in einer Presseerklärung so: Der Sorge für eine „Lebensqualität ohne Kompromisse“ wird in dem Projekt durch „die harmonische Verbindung von ästhetischer Architektur, funktionalem Design, urbanem Leben sowie einer ökologischen Lebenseinstellung“ (Petersen 2010) Rechnung getragen. Die solchermaßen gestalteten Räume stellen für den möglichst „individuell“ auszugestaltenden Lebensstil dann paradoxerweise einen besonders umfangreichen Lebensstilentwurf bereit. Angeboten wird eine detailliert vorgefertigte Ausdeutung von urbanem Leben, eine Art sicherer Handreichung für die neuen und oft noch unerfahrenen Urbaniten. Der allgemeine Wunsch nach und die Verpflichtung auf eine möglichst individuelle und originelle Ausgestaltung des eigenen Lebensentwurfs befähigt Entwickler_innen und Architekt_innen zur Entwicklung von entsprechenden neuen, integrierten Produkten. Diese beinhalten unter anderem Concierge- und andere Sicherheitsservices, Fitnessräume und rooftop-pools, die als Zusatzleistung im gehobenen Segment inzwischen bereits zum Standard gehören. Bei unserer Untersuchung in Los Angeles stießen wir darüber hinaus auf ein erstaunlich breites Angebot: Hundeparks, Weinkeller, Business-Center, Konferenzräume, Kino, Animations- und Partyservices, professionelle Community- und Eventmanager_innen, die das Freizeitleben der Anwohner_innen organisieren, die Bereitstellung von Jahreskarten für benachbarte Museen beim Kauf einer Immobilie – über viele solcher Zusatzleistungen wird dort ein bloßes Wohnprodukt zu einem umfassend ausgearbeiteten Lebensstil-Angebot.

Einzelne Hinweise auf eine konsequentere Ausrichtung der Entwicklung auch deutscher Immobilienprodukte auf die Ermöglichung neuer Lebensstile lassen sich durchaus finden. Viele der befragten Projektentwickler_innen unternehmen Anstrengungen, ihre Immobilien nicht nur über Lage, Ausstattung und Preis zu vermarkten, sondern diese als „passgenaue Räume“ für einen eng gefassten Lebensstil zu präsentieren. „Und so ein Loft zu bauen, haben wir erkannt, ist halt ein klassischer Fall von Lebensabschnittswohnen. Zwischen 30 und 50 ist das eine tolle Sache gerade hier in Berlin, viele, die von außerhalb kommen, wollen noch mal richtig das Leben in vollen Zügen genießen“ (Interview Projektentwickler Paul-Lincke-Höfe / Prenzlauer Gärten). Ein Teil der untersuchten Projekte imaginiert die Bewohner_innen entsprechend im Sinne eines intensiven, erlebnis- und konsumstarken work, live, play-Lebensstils und stellt den entsprechenden baulichen Rahmen sowie Zusatzleistungen bereit. Aufgabe des Concierge in den "Prenzlauer Gärten" ist es unter anderem „nicht nur die Blumen [zu] giessen [...], der kann dann auch mal schnell zu Edeka springen und ne Flasche Prosecco kaufen und kalt stellen.“ (ebd.)

Mitarbeiter_innen der Orco-Group inszenieren im Hinterhof eines unsanierten Altbaus an der Fehrbelliner Straße eine Party im Stil der 20er-Jahre, um das in der Nachbarschaft gebaute Projekt Fehrbelliner mit dem versprochenen urbanen Lebensstil zu verknüpfen. Die Immobilienfirma finanziert zudem die Herausgabe des Magazins Hidden Places, das den städtischen Lebensstil illustrieren soll, den sich die Käufer/-innen nicht zuletzt durch den Erwerb einer Wohnung bei Orco ebenfalls aneignen können. So verheißt das Magazin in seiner jüngsten Ausgabe: „Fest steht, dass jeder Mensch ein kreatives Potenzial hat, jedoch muss er auch innerhalb eines Systems leben, das diese Kreativität fördert und zur Entfaltung bringt. Das System ist verbunden mit dem Ort, der dem Menschen die Vielfalt bietet, um kreativ zu sein und Dinge zu entwickeln. Der Ort ist Berlin.“ (Ellers 2008: 27)

4.2. Sichergestellt

Die Engführung von Urbanität auf ein Lebensstil-Angebot erfolgt wie erläutert durch eine explizite Ausdeutung der Bestandteile dieses Lebensstils, zum einen in der baulichen Form der Immobilien, zum anderen auch in eigens zur Immobilie herausgegebenen Magazinen, auf Partys und über die bereitgestellten umfassenden Zusatzangebote der Bauprojekte im Service- und Dienstleistungsbereich. Weniger explizit als die stetige Betonung von urbaner Kreativität, Spannung und Aufregung gehört eine weitere, zunächst konträre Figur unabdingbar zu dem in den hochpreisigen Projekten konkretisierten Entwurf städtischen Wohnens. Bei allen untersuchten Projekten sowohl in Los Angeles als auch in Berlin hat immer auch das gleichsam Anti-urbane, das Dörfliche und Beschauliche einen Platz in der Gestaltung der Immobilien und in der Narration des Marketings. Bei den finanzkräftigen Käufer_innen des gehobenen innerstädtischen Wohnens handelt es sich zu einem großen Teil um jene gesellschaftliche Gruppe, die in der Vergangenheit die innerstädtischen Lagen zugunsten der Privatheit, Ruhe und vermeintlichen Sicherheit des Eigenheims im Umland verlassen hat. Nicht zuletzt mit dieser neuen Zielgruppe im Blick darf der spezifisch urbane Charakter des Umfelds der Projekte keinesfalls überbetont werden. Gefragt ist stattdessen vor allem eine milde Dosis Urbanität, beziehungsweise „das Beste aus beiden Welten, die Angebote der Stadt, dieser Versorgungs- und Kulturmaschine, zugleich aber auch die Beschaulichkeit der Vororte, ihre Geborgenheit und Ruhe,“ wie Die Zeit über die „Neue Heimat Stadt“ schreibt (Rauterberg 2005). Die untersuchten Projekte umfassen eine Reihe von Maßnahmen, die auf eine bauliche Abgrenzung und ein symbolisches Herauslösen des Projekts aus dem räumlichen und sozialen Gefüge der Stadt abzielen und den Aspekt der Privatsphäre, der Abgeschiedenheit, des Dörflichen betonen.

Offensichtlich schneiden bereits die architektonischen Grundrisse der untersuchten Projekte einen privaten bzw. semi-privaten Bereich aus dem städtischen Gefüge heraus. Überwiegend ist das Ensemble der hochpreisigen neuen Wohnprojekte, der townhouses bzw. Geschosswohnungen um einen zentralen pocket park gruppiert. Der öffentliche Zugang ist entweder durch bauliche Maßnahmen direkt verwehrt oder durch symbolische Grenzziehungen indirekt beschränkt. Dieses Vorgehen in der Planung entspricht als gebaute Form genau der angestrebten „milden“ Variante von Urbanität und urbanem Wohnen in der Innenstadt. Der Projektentwickler des Marthashof in Berlin lässt sich in der Immobilien Zeitung folgendermaßen zitieren:

„Wer bei uns wohnt, ist einerseits mitten im Kiez von Kastanienallee und Oderberger Straße. Aber wenn er nach Hause kommt, stellt er sein Auto in die Tiefgarage, fährt mit dem Lift nach oben und kann sich auf dem Balkon mit Blick auf einen kleinen Park entspannen. Das sind optimale Privatsphäre und Lebensqualität mitten im Großstadtleben.“ (Vetter 2008: 24)

Verstärkt wird diese Abgrenzung gegenüber dem Außen des Projekts, also der restlichen Stadt, durch weitere Zutrittsbarrieren. So wird der zentrale Eingangsbereich durch einen Concierge-Service überwacht. Oft kommen an den Eingängen und Außenmauern Überwachungskameras zum Einsatz: „Auch Marthashof soll eine halböffentliche, nachts geschlossene Anlage werden, außerdem wird es Bewegungsmelder in den Privatgärten, ein ‚Lichtkonzept‘ im Gartenhof und Video-Gegensprechanlagen geben. Der Sicherheitsaspekt, sagt die Firmensprecherin Anna-Maria Gerhart, sei für die Nutzer sehr wichtig.“ (Steglich 2008)

Zwischen der programmatischen Offenheit eines „urbanen“ Lebensstils und dessen praktischer Fixierung in Form einer letztlich doch eng gefassten Ausdeutung klafft ein Bruch, der sich besonders auf der Ebene der Maßnahmen zeigt. Vor allem in den von uns untersuchten US-amerikanischen Bauprojekten besteht eine auffallende Diskrepanz zwischen den hier noch umfassender vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen (Wachdienste, Kameras, Bewegungsmelder, zentrale Überwachung und Speicherung der Zeitpunkte der Öffnung der Wohnungstüren), deren Vorhandensein bei besorgter Nachfrage beruhigend zugesichert wird, und dem programmatisch nach außen getragenen und teils aktiv herbeigeführten „gritty lifestyle“ mit „Ecken und Kanten“, der angeblich mit dem innerstädtischen Wohnen verbunden sei. Im Marketing Material der Little Tokyo-Lofts heißt es entsprechend programmatisch: „Heated Pool, Spa and Courtesy patrol. There is an outdoor pool deck and hot tub spa, an interior garden courtyard and gated garage parking. There’s also 24-hour courtesy patrol. Because while urban living has its edge, that doesn’t mean you should get cut on it.“ (Little Tokyo Lofts 2008). Ähnlich prominent tritt der Sicherheitsaspekt im Werbematerial des Projekts 655Hope (ein Apartmentkomplex mit 80 hochpreisigen Wohnungen in der südlichen Downtown von Los Angeles) als wesentlicher Bestandteil des neuen urbanen Lifestyles zu Tage: „From location to architecture to interiors, urban living has been officially defined: Comfortable, elegant, secluded, secure, yet just steps away from everything about the city that you expect, demand, and delight in.“ (Seck Group 2007). Die Authentizität des städtischen Lebens wird gerne betont, dient sie doch als Abgrenzungs- und Identifikationskriterium für die zukünftigen Bewohner_innen. Gleichzeitig wird aber immer auch der Charakter des Gebäudes als geschützte und schützende Oase herausgehoben, die im Zweifelsfall immer die Möglichkeit des Rückzugs von den Zumutungen des Urbanen bereitstellt. Im Zusammenhang mit diesen Projektvorhaben nimmt eine veränderte Leitvision städtischen Wohnens Gestalt an: Es wird eine Innenstadt angestrebt, in der sich suburbane und urbane Qualitäten fugenlos ergänzen sollen. Der vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung produzierte neue Typ urbanen Wohnens wird entsprechend von etlichen Vorkehrungen und Einrichtungen sozialer Kontrolle sowie dem Einsatz von Sicherheitstechnologien und baulichen Sicherheitsmaßnahmen flankierend begleitet.

4.3. Umfeld

Die Betonung von symbolischen Qualitäten der Immobilienprodukte, also in unserem Fall die Herstellung von Kulissen für einen urbanen Lebensstil, führt schließlich auch zu einem veränderten Fokus der Entwickler_innen und zu neuen Interventionen, die sich nun oftmals über das eigentliche Bauprojekt hinaus auch auf die Beeinflussung des städtischen Umfelds erstrecken. Bestimmte Lesarten des Städtischen sowie der Charakter der „urbanen Erfahrung“ sollen angeboten, bestimmte Handlungs- und Nutzungsweisen angeregt werden. Aktiv wird nun von der Angebotsseite aus auch auf die Wahrnehmung des Umfeldes der Bauprojekte eingewirkt: „We’re trying to create neighborhoods“ (Vincent 2004: C–2), so bringt ein Immobilienentwickler in Los Angeles die neue Strategie auf den Punkt. Auch im deutschen Kontext artikuliert sich eine neue, nun stärker stadt- und raumplanerische Rolle der einzelnen Immobilienfirmen. Eine Pressemitteilung der RAG Immobilien AG artikuliert dieses neue Selbstverständnis explizit:

„Wie sich solche Konzepte zum Wohle der Stadt und ihrer Bewohner sowie von Wirtschaft und Gesellschaft realisieren lassen, hat RAG Immobilien bereits an zahlreichen Standorten beispielhaft unter Beweis gestellt. Das Unternehmen modernisiert nicht mehr einzelne Häuser oder Wohnanlagen, sondern schafft durch vielfältige Maßnahmen intakte Adressen und Standorte, die Mieter langfristig binden.“ (Marth 2006: 1)

Im Zuge der „Renaissance der Stadt“ reicht das Bauen und Verkaufen einer Immobilie nicht mehr aus, stattdessen ist, so der übergreifende Tenor, die aktive Sorge um „intakte Adressen und Standorte“ gefordert. In der Umsetzung dieses Anspruchs unterscheiden sich die untersuchten Projekte in Berlin und Los Angeles am deutlichsten. In Berlin beschränkt sich die Einflussnahme der Projektentwickler_innen bei der Schaffung „intakter Adressen“ auf das Bauprojekt selbst. Die Fassadengestaltung und vor allem die Auswahl der Pächter_innen straßenseitiger Gewerbeflächen sind hier die zentralen Stellschrauben in den Händen der Projektentwickler_innen (der Marthashof verpachtet derzeit etwa an einen Blumenladen). Weitaus mehr Einfluss auf die Gestaltung semi-öffentlicher und öffentlicher Räume gibt die Stadtpolitik den Projektentwickler_innen in Los Angeles. Teil der Baugenehmigung ist hier bisweilen auch die Gestaltung des Straßenlandes, die Errichtung von Straßenbeleuchtung und Verantwortung für die Straßenreinigung. Die Immobilienfirmen sind die zentralen Geldgeber in einigen der örtlichen Business Improvement Districts und sind insofern auch an der einflussreichen Gestaltung städtischer Atmosphären und Intensivierung sozialer Kontrolle durch diese Akteure beteiligt (Marquardt/Füller 2012). Diese Form privat finanzierter Gebietsaufwertung wurde in Deutschland bisher nur sehr sporadisch und in Berlin noch gar nicht unternommen.

Die Zielperspektive der Einflussnahme auf städtische Atmosphären durch die Bauprojekte in Los Angeles wird an einem Beispiel deutlich. Bei der Konzeption des "Madrone", ausserhalb von Downtown in Hollywood gelegen, war es ein wichtiges Anliegen der Projektentwickler_innen, für semi-öffentliche Räume zu sorgen und Anreize zum Verweilen ausserhalb der privaten Wohnungen zu geben, um den städtischen Charakter des Projekts und der Nachbarschaft zu betonen. Geplant wurde schließlich ein öffentlich zugänglicher Innenhof nach dem Vorbild europäischer Plätze. Allerdings sind bestimmte unerwünschte Nutzungsweisen bereits durch vorausschauende wie auch möglichst dezente bauliche Gestaltung ausgeschlossen, die wiederum dem Vorbild der europäischen Stadt entsprechen soll:

„It is secured. And this was really due to our architect. He is from England and taking the more European, kind of, informal gathering space where you can get a cup of coffee here and hang out on the steps and just watch people. That is really what that is about. But they are not steps that are big enough for somebody to sleep on. That is the design feature. So they are not wide and you [don’t] get homeless people sleeping on them.“ (Interview Projektentwicklerin John Laing Homes Urban)

Gerade die Einflussnahme der Projekte auf den umliegenden städtischen Raum lässt sich als Ausdruck eines „urban revanchism“ lesen, also einer mit sozialer Härte vollzogenen Wiederaneignung der Stadt und des städtischen Lebens durch Mittel- und Oberschichten, der bereits seit einiger Zeit thematisiert wird (Smith 1996). Zugleich zeigen die Beispiele aber auch einen veränderten Modus an, in dem sich die Umdeutung des Städtischen im Hinblick auf die Interessen wohlhabender Nutzer_innen derzeit vollzieht. Die Maßgabe eines Ortes, der „dem Menschen die Vielfalt bietet, um kreativ zu sein und Dinge zu entwickeln“ und die Sorge um den Erlebnisgarant „mittendrin zu sein“, erfordert eine behutsame Absicherung des Städtischen, die möglichst nicht, oder zumindest nicht für die avisierten Käufer_innen, allzu deutlich als solche erkennbar ist.

5. Fazit

In verschiedenen europäischen Ländern, aber auch in den USA, hat sich, politisch zumindest indirekt gefördert, der Einfluss privater Akteure und Verwertungsinteressen auf die Stadtentwicklung in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Dies kommt derzeit vor allem auch im Wohnungsbau zum Ausdruck. Für den Wohnungsmarkt über lange Zeit wenig interessante innerstädtische Lagen erfahren dabei nun großflächige Modernisierungs- und Aufwertungsmaßnahmen. Die öffentliche Hand ist beim Neubau von Wohnungen nahezu nicht mehr aktiv, die neu entstehenden Wohnungen in innerstädtischen Lagen sind überproportional im hochpreisigen Segment angesiedelt. Die damit verbundenen Verdrängungseffekte sind Gegenstand einer breiten öffentlichen Debatte geworden. Ergänzend zu dieser Perspektive haben wir versucht, die zunehmende Gestaltungsmacht privater Akteure entlang der von ihnen umgesetzten Ausdeutung des Städtischen zu untersuchen. Aktuelle Neubauprojekte stellen ein Anlageobjekt und einen potenziellen Wohnort dar, sie sind aber auch eine gebaute Antwort auf die Frage danach, was wir uns unter erstrebenswertem städtischen Leben und urbanen Lebensstilen vorstellen sollen. Deutlich wurde in der Zusammenschau von Fallbeispielen aus Los Angeles und Berlin, inwiefern solche Projekte „das Städtische“ vor allem als eine Bezugsfolie für Lebensstile zitieren und dabei auch neu artikulieren. Urbanes Leben hat in dieser Narration viel mit Konsummöglichkeiten und individueller Freizeitgestaltung zu tun und kaum etwas mit öffentlichen Räumen oder kollektivem Handeln. Es sind vor allem solche politischen Dimensionen von Stadt, die über einen lebensstil-orientierten Begriff von Urbanität in den Hintergrund treten. Wie Thomas Wüst bereits herausgestellt hat, evoziert Urbanität derzeit eine nahezu ungebrochen positive Assoziationskette, die aber letzten Endes immer unbestimmt bleibt (Wüst 2004). Andererseits beansprucht der Begriff zugleich, Aussagen über „das Natürliche“ der Stadt zu treffen und lässt die daran geknüpften Maßnahmen und Eingriffe als zwangsläufig und legitim erscheinen. Problematisch in unseren Beispielen ist insbesondere die Kontrolldimension, die dem urbanen Wohnen in den untersuchten Projekten jeweils eingebaut wird. Die private Aneignung von städtischen Räumen, die Ausweitung von sozialer Kontrolle bzw. die Kriminalisierung von Devianz – solche „Begleiterscheinungen“ lassen sich mit dem Argument der (Wieder-)Herstellung funktionierender Urbanität auch gegen Widerstände durchsetzen. Wie bereits gut dokumentiert, geht die „Renaissance der Stadt“ oftmals mit Privatisierung und Exklusion einher. Dieses Muster zeigt sich deutlich an den untersuchten Projekten. Im Sinne einer „sichergestellten Urbanität“ bringen die „urbanen Oasen“ Sicherheitstechnik, Wachpersonal und vor allem Ansprüche an ein kontrolliertes Umfeld zurück in die Stadt. Der Einwand, diese „sichergestellte Urbanität“ betreffe zu vernachlässigende Einzelprojekte in den untersuchten Städten Berlin und Los Angeles, nimmt die Breite dieser Tendenz auch in anderen deutschen (Rühle 2012) und US-amerikanischen Städten nicht ernst genug. Zugleich liefern die Projekte Hinweise auf eine derzeit allgemeingültige Antwort auf Probleme des Städtischen. Die hier exemplarisch sichtbare „sichergestellte Urbanität“ kann als Ausdruck eines Dispositivs gegenwärtigen städtischen Regierens gelesen werden. Die Stadtentwicklung wie auch Immobilienentwickler_innen legen ihren Fokus zunehmend auf die an den Bedürfnissen höherer Einkommens- und Interessengruppen zugeschnittene „Schaffung von intakten Adressen und Standorten“ mit urbanen Qualitäten eines lebendigen Straßenbildes und einer Vielfalt von Einkaufsmöglichkeiten. Wem die „Verbindung von ästhetischer Architektur, funktionalem Design, urbanem Leben sowie einer ökologischen Lebenseinstellung“ (Petersen 2010) zu kostspielig ist oder wem die hier vollzogene Ausdeutung von Urbanität nicht gefällt, dem bleibt bald womöglich nur noch das Wohnen am Stadtrand.

Endnoten

Autor_innen

Henning Füller ist Humangeograph und Machttheoretiker und forscht zum Wandel städtischer sozialer Kontrolle und Biosicherheit.

Kontakt: henning.fueller@fau.de

 

Nadine Marquardt ist Human-, Stadt- und Sozialgeographin und forscht zu historischen und aktuellen Geographien der Wohnungslosigkeit.

Kontakt: n.marquardt@em.uni-frankfurt.de

 

Georg Glasze ist Kultur- und Sozialgeograph und forscht zu (Un-)Sicherheit und Stadtentwicklung, kritischer Kartographie und kritischer Theorie des Geoweb.

Kontakt: georg.glasze@fau.de

 

Robert Pütz ist Humangeograph und forscht zu Stadt und (Un-)Sicherheit, Transformationsprozessen im urbanen Raum und geographischer Handelsforschung.

Kontakt: puetz@em.uni-frankfurt.de

Literatur

Bader, Ingo / Bialluch, Martin (2008): Gentrification and the Creative Class in Berlin-Kreuzberg. In: Libby Porter / Kate Shaw (Hg.), Whose Urban Renaissance? An international comparison of urban regeneration strategies. London, 93–102.

Boddy, Martin (2007): Designer neighbourhoods: new-build residential development in nonmetropolitan UK cities – the case of Bristol. In: Environment and Planning A 39/1, 86–105.

Dahler & Company (2013): Erstes Halbjahr 2012: Der deutsche Luxuswohnimmobilienmarkt wächst um 25 Prozent. Dahler & Company. 11.01.2013.

Davidson, Mark / Lees, Loretta (2005): New build „gentrification“ and London’s riverside renaissance. In: Environment and Planning A 37/7, 1165–1190.

Ellers, Sabrina (2008): The Creative Class: An Urban Asset. In: Hidden Places 3, 26–27.

Evo (2013): A Cosmopolitan Backyard. www.evo-south.com (25.03.2013).

Fainstein, Susan S. (2005): The Return of Urban Renewal. In: Harvard Design Magazine 22, 1–5.

Füller, Henning / Marquardt, Nadine (2010): Die Sicherstellung von Urbanität. Innerstädtische Re- strukturierung und soziale Kontrolle in Downtown Los Angeles. Münster.

Goetz, Edward (2011):„Gentrification in Black and White: The Racial Impact of Public Housing Demolition in American Cities. In: Urban Studies 48/8, 1581–1604.

Hackworth, Jason / Smith, Neil (2001): The changing state of gentrification. In: Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie 92/4, 464–477.

Hall, Tim / Hubbard, Phil (1996): The Entrepreneurial City. New urban politics, new urban geographies? In: Progress in Human Geography 20/2, 153–174.

Hamnett, Chris / Whitelegg, Drew (2007): Loft conversion and gentrifiation in London: from industrial to postindustrial land use. In: Environment and Planning A 39/1, 106–124.

Hankins, Katherine B. / Powers, Emily M. (2009): The Disappearance of the State from „Livable“ Urban Spaces. In: Antipode 41/5, 845–866.

Harvey, David (1989): From managerialism to entrepreneurialism: the transformation of urban governance in late capitalism. In: Geografiska Annaler: Series B, Human Geography 71/1, 3–17.

Holm, Andrej (2010): Townhouses, Urban Village, Car Loft. Berliner Luxuswohnanlagen als „dritte Welle“ der Gentrification. In: Geographische Zeitschrift 98/2, 100–115.

Hyra, Derek S. (2012): Conceptualizing the New Urban Renewal. Comparing the Past to the Present. In: Urban Affairs Review 48/4, 498–527.

Kern, Leslie (2010): Selling the „scary city“: gendering freedom, fear and condominium development in the neoliberal city. In: Social & Cultural Geography 11/3, 209–230.

Latham, Alan (2003): Urbanity, Lifestyle and Making Sense of the New Urban Cultural Economy: Notes from Auckland, New Zealand. In: Urban Studies 40/9, 1699–1724.

Lees, Loretta (2007): Afterword. In: Environment and Planning A 39/1, 228–234.

Lees, Loretta (2008): Gentrification and Social Mixing: Towards an Inclusive Urban Renaissance? In: Urban Studies 45/12, 2449–2470.

Little Tokyo Lofts (2008): It’s 12 miles from Beverly Hills. It’s a million miles from Beverly Hills. http://www.littletokyolofts.com/ (04.12.2008).

Lomoth, Mirco (2008): In Berlin boomen Luxus-Immobilien. In: Die Welt (15.04.2008).

Manderscheid, Katharina (2007): Urbanität im 21. Jahrhundert – Verfall oder Chance einer Lebensform? Eine soziologische Kontextualisierung. In: Detlef Baum (Hg.), Die Stadt in der Sozialen Arbeit. Ein Handbuch für soziale und planende Berufe. Wiesbaden, 52–70.

Marcuse, Peter (1986): Abandonment, gentrification and displacement: the linkages in New York City. In: Neil Smith / Peter Williams (Hg.), Gentrification of the city. Boston, 153–177.

Marth, Hermann (2006): RAG Immobilien – Verantwortung für den Lebensraum Stadt. Presseerklärung. RAG Immobilien. Essen.

Marquardt, Nadine / Füller, Henning (2012): Spillover of the private city: BIDs as a pivot of social control in downtown Los Angeles. In: European Urban and Regional Studies 19/2, 153–166.

Neisen, Vera (2008): Townhouse-Living in the Centre of Berlin. In: Katja Adelhof u.a. (Hg.), Urban Trends in Berlin and Amsterdam. Berlin, 24–38.

Petersen, Katrin (2010): Urban und Grün Wohnen im Prenzlauer Berg. STOFANEL Investment AG. (05.10.2010).

Podagrosi, Angelo / Vojnovic Igor (2008): Tearing Down Freedmen’s Town and African American Displacement in Houston: The Good, the Bad, and the Ugly of Urban Revival. In: Urban Geography 29/4, 371–401.

Ramsey, Kevin (2012): Residential Construction Trends in America’s Metropolitan Regions 2012. United States Environment Protection Agency.

Rauterberg, Hanno (2005): Neue Heimat Stadt. In: Die Zeit 34 (18.08.2005).

Ring, Douglas / Donoghue, Diane (2007): Down-to-earth Housing. In: Los Angeles Times (24.07. 2007).

Rühle, Alex (2012): Wohnst du noch oder residierst du schon? In: Süddeutsche Zeitung (14.07.2012).

Seck Group (2007): Welcome. http://www.655hope.com (23.04.2007).

Siedentop, Stefan (2008): Die Rückkehr der Städte? Zur Plausibilität der Reurbanisierungshypothese. In: Informationen zur Raumentwicklung 3/4, 193–210.

Simmons, Patrick / Lang, Robert E. (2005): The Urban Turnaround. In: dies. (Hg.), Redefining Urban and Suburban America: Evidence from Census 2000. Washington, D.C., 51–62.

Slater, Tom (2006): The Eviction of Critical Perspectives from Gentrification Research. In: International Journal of Urban and Regional Research 30/4, 737–757.

Smith, Neil (1996): The New Urban Frontier: Gentrification and the Revanchist City. New York: Routledge.

Sohmer, Rebecca (1999): Downtown Housing as an Urban Redevelopment Tool: Hype or Hope? In: Housing Policy Debate 10/2, 477–505.

Steglich, Ulrike (2008): Wohnen ohne Kompromisse. In: Der Freitag (03.10.2008).

Stofanel (2009): Marthashof. Urban Village. Berlin.

Strom, Elizabeth (2008): Rethinking the Politics of Downtown Development. In: Journal of Urban Affairs 30/1, 37–61.

Uitermark Justus / Duyvendak, Jan Willem / Reinout, Kleinhans (2007): Gentrification as a governmental strategy. Social control and social cohesion in Hoogvliet, Rotterdam. In: Environment and Planning A 39/1, 125–141.

van der Geyn, Bas / Jaap, Draaisma (2008): The embrace of Amsterdam’s creative breeding ground. In: Kate Shaw und Libb Porter (Hg.), Whose Urban Renaissance? An international comparison of urban regeneration strategies, London, 203–211.

Vetter, Martina (2008): Deutsche Verlässlichkeit und italienische Kreativität. In: Immobilien Zeitung 45, 24–25.

Wilson, David / Wouters, Jared / Grammenos, Dennis (2004): Successful protect-community discourse: Spatiality and politics in Chicago’s Pilsen neighborhood. In: Environment and Planning A 36/7, 1173–1190.

Vincent, Roger (2004): New Condo Development Gets Underway in Downtown L.A. In: Los Angeles Times (30.09.2004), C–2.

Wüst, Thomas (2004): Urbanität: ein Mythos und sein Potential. Wiesbaden.

Zukin, Sharon (2010): Naked City. The Death and Life of Authentic Urban Places. Oxford.