sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2023, 11(1/2), 235-264

doi.org/10.36900/suburban.v11i1/2.747

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung: 21. September 2021

Veröffentlichung online: 15. Juni 2023

Jenseits der Utopie?

Zur visuellen Konstruktion städtischer Beteiligungsverfahren am Beispiel des Dragonerareals in Berlin-Kreuzberg

Ajit Singh, Kathrin Meißner

Der Beitrag erweitert die bisherigen Untersuchungen von Visualisierungen städtischer Wirklichkeiten um die qualitative Analyse visueller Praktiken und Visualisierungskulturen im Kontext stadtplanerischer Beteiligungsverfahren. Am empirischen Fall des Modellprojekts Rathausblock in Berlin-Kreuzberg zeigen wir auf, wie die zu beplanenden Räume und das Verfahren durch die Planungsbeteiligten visualisiert und als umkämpfter und auszuhandelnder Raum sichtbar gemacht werden. Rekonstruiert wird anhand von vier typisch wiederkehrenden Visualisierungsformen (Plänen, Logos, Fotografien und computergestützten Architekturdarstellungen), wie die beteiligten Akteure ihre Positionen, Ziele, Utopien sowie ihr Wissen wirkmächtig und öffentlich kommunizieren. Visualisierungen werden dabei als Produkte sinnhafter menschlicher Imaginationen behandelt, durch die Akteure ihre Welt für sich selbst und für andere versteh- und erfahrbar machen wollen. Im Beitrag wird infolgedessen einerseits die besondere Relevanz der visuellen und symbolischen Konstruktion des Ortes und des Verfahrens durch die beteiligten Akteure herausgearbeitet. Andererseits wird betont, dass die Visualisierungen zumeist die Handlungsprobleme der Beteiligten invisibilisieren und damit eine kritische Analyse von visuellen Formen der Kommunikation auch das zum Gegenstand haben muss, was nicht gezeigt wird.

An English abstract can be found at the end of the document.

1. Einleitung

Städte über ihre visuellen Erfahrungsqualitäten und hier insbesondere über ihre bildlichen Darstellungen zu erschließen, ist in der Stadtforschung durchaus ein Desiderat. Zweifelsohne haben Städte auf visueller Ebene einen Erkennungswert, der im Alltag sinnstiftend wirkt und auch in der Wissenschaft vereinzelt mit unterschiedlichen Interessen beforscht wurde. Gerade soziologische und historische Stadtforschungsstudien haben in den vergangenen Jahrzehnten sehr erkenntnisreich symbolische Repräsentationen und Images des Städtischen (Wohl/Strauss 1958; Strauss 1961; Schürmann/Guckes 2005), die Entstehung und diskursive Konstruktion urbaner Identitäten durch Stadtbilder und Fotografien (Hüppauf 2006; Christmann 2008) oder visuelle Inszenierungen des Städtischen im Marketing und in Werbekampagnen (Löw 2010; Marent 2016) untersucht.

Im Verhältnis zu den genannten Studien mit ihren mithin populär anmutenden Gegenständen erscheint es geradezu unspektakulär, sich der visuellen Konstruktion städtischer Wirklichkeiten über die Untersuchung partizipativer Stadtplanungsprozesse anzunähern, weil Stadt und städtische Räume darin eben nicht als gebaute Umwelten, sondern in der Regel als noch zu verfertigende und zu planende Räume kommunikativ erschaffen werden. Wie in anderen gesellschaftlichen Feldern lässt sich aber auch an Stadtplanungsprozessen die starke Durchdringung durch visuelle Formen beobachten (Christmann et al. 2020). Visualisierungen sind Bestandteil der Kommunikation und Mittel der Selbstdarstellung in großen Stadtplanungsprojekten. In der Planungspraxis dienen sie in Form von Plänen oder Renderings (vgl. Mélix 2022) als Gegenstand sozialer Aushandlung und Verständigung über potenzielle Zukünfte und sind somit konstitutiv für eine visuelle Planungskultur (Shanken 2018). Dennoch ist die Bedeutung und der Gebrauch visueller Formen im Kontext von Stadtplanungsverfahren bisher kaum Gegenstand der Forschung (Singh/Christmann 2020). Dies ist umso bemerkenswerter, weil viele Planungsverfahren visuell dokumentiert werden und auch die an öffentlichen Stadtplanungsprozessen teilnehmenden Initiativen und sozialen Bewegungen auf visuell-kommunikative Ausdrucks- und Aktionsformen zurückgreifen. Unsere Annahme ist, dass die Relevanz von Visualisierungen gerade in partizipativen Stadtplanungsprozessen deutlich zutage tritt. Ähnlich wie in einem „Laboratorium“ (Park 1952) lässt sich in Stadtplanungsprozessen beobachten, wie Deutungen, Imaginationen und Wissen um städtische Räume, Architekturen und Zukünfte mittels visueller Formen geordnet, entworfen und ausgehandelt werden.[1]

Am empirischen Fall des seit 2017 laufenden Sanierungsverfahrens zum Dragonerareal in Berlin-Kreuzberg, das von den Beteiligten auch als Modellprojekt bezeichnet wird (vgl. Kap. 2), möchten wir im Rahmen einer qualitativen Analyse explorieren (vgl. Kap. 3), welche Bedeutung Visualisierungen haben und welche Rolle sie in der Kommunikation des Verfahrens spielen (vgl. Kap. 4). Dabei interessiert uns einerseits, wie durch visuelle Formen auch die Wirklichkeit des Planungsverfahrens erzeugt wird. Andererseits stellt sich für uns die Frage, wie sich in Visualisierungen nicht nur Wirklichkeits-, sondern auch Machtvorstellungen manifestieren und sozial wirksam werden.

2. Das Modellprojekt Rathausblock/Dragonerareal in Berlin-Kreuzberg

Die Rede vom „Modellprojekt“ hat in der (insbesondere auch Berliner) Stadtentwicklung durchaus Konjunktur (bspw. in Bezug auf die Umnutzung des Hauses der Statistik). Mit diesem Label werden von politischer Seite oftmals Prozesse versehen, die die Andersartigkeit und Innovationsfreudigkeit von Methoden, Verfahrenswegen und Kommunikationsformen für die Ausgestaltung von Stadtplanungs­prozessen erproben und propagieren, aus denen im besten Fall ein Vorbildcharakter für andere Projekte erwachsen kann.

Dies gilt auch für das Sanierungsverfahren um das Dragonerareal in Berlin-Kreuzberg, mit dem die Beteiligten große Hoffnungen verbinden und das als ein besonderes, modellhaftes Beispiel für die Kooperation zwischen Zivilgesellschaft und Politik gelten soll. Das Dragonerareal ist Bestandteil des sogenannten Rathausblocks, dessen Fläche 13,6 Hektar umfasst. Darin eingebettet befindet sich jenes knapp 4,7 Hektar große Gelände der ehemaligen Garde-Dragoner-Kaserne (gebaut um 1850), das seit den 1920er-Jahren vorrangig als Gewerbestandort genutzt wurde und heute als Denkmalbereich geschützt ist. Der Werdegang hin zum Sanierungsverfahren war durchaus bewegt. Im Jahr 2010 setzte eine öffentliche Auseinandersetzung um das Dragonerareal ein, nachdem dessen Verkauf in einem offenen Bieterverfahren durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) als staatlicher Eigentümerin an private Immobilieninvestoren in Aussicht stand und 2012 sogar an den Investor der ABR German Real Estate realisiert wurde. Die fehlende Aussicht auf Änderungen im Bebauungsplan führte jedoch zum Rücktritt des Investors vom Kaufangebot.

Als Reaktion darauf formierte sich ein breites Bündnis aus Initiativen von Anwohnenden, stadtpolitischen Aktivist*innen aus Miet- und Aufwertungsprotestbewegungen, lokalen Kunst- und Kulturschaffenden sowie Stadtforschenden. Ende Juli 2014 gab das Bündnis Stadt von Unten im Rahmen einer öffentlichkeitswirksam und bildlich gut dokumentierten Aktion ein symbolisches Kaufangebot von einem Euro bei der BImA ab. Symbolisch war dieses Kaufangebot deshalb, weil das Gelände nicht im Höchstbieterverfahren veräußert, sondern in öffentlicher Hand bleiben sollte. Um dies auszudrücken, wurde ein 1,50 Meter großer (Papp-)Euro durch die Stadt gerollt und vor der BImA abgelegt. Das Bündnis verknüpfte dies mit den „100-Prozent-Forderungen“ nach sozial gerechtem Wohnraum, sozialen Mieten und einer Teilhabe der Bürger*innen an dem Planungs- und Gestaltungsprozess des Areals. Das Engagement richtete sich aber nicht nur gegen die Privatisierung des Geländes, sondern auch auf die städtebauliche Integration von Wohnen, Gewerbe und Kultur – also dem, was mithin identitätsstiftend als „Kreuzberger Mischung“ bezeichnet wird – unter Wahrung der geschichtlichen Besonderheiten dieses Ortes.

Ende 2018 wurde das Grundstück vom Bund an das Land Berlin übergeben – ein wichtiger Erfolg für die Initiativen, der auch medial begleitet wurde. Im selben Jahr schlossen sich schließlich verschiedene Interessengruppen (u.a. Dragopolis; Stadt von Unten; Initiative Upstall Kreuzberg, Zusammenschluss der Gewerbetreibenden; Capri.Care) zum sogenannten Vernetzungstreffen Rathausblock (VTR) zusammen. Parallel dazu lief ein auf zehn Jahre angesetztes Sanierungsverfahren an, dessen übergeordnetes Ziel sich am Ideal einer gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung in Form einer modellhaften Kooperation von selbstorganisierten Initiativen und kommunalen Behörden orientierte.

Für die Erzählung des Modellprojekts, die immer auch perspektivgebunden zu lesen ist, ist die Tatsache relevant, dass die Entwicklung des Verfahrens und die Geschichte des Areals sehr umfassend digital auf den Webseiten der jeweiligen Gruppierungen archiviert und durch visuelle Formen kommuniziert werden. Alle relevanten Akteure, von den Sanierungsbeauftragten bis hin zu den bereits erwähnten Initiativen, verwende(te)n in unterschiedlicher Weise visuelle Materialien, sei es zum Zwecke der Verfahrensdokumentation oder auch zur Vermittlung konkreter Ziele und Botschaften. Die Initiative für soziale und nachhaltige Stadtentwicklung Upstall Kreuzberg hat beispielsweise auf ihrer Homepage eine (visuelle) Chronik[2] des Dragonerareals von 1767 bis in die Gegenwart zusammengestellt. Angereichert ist diese digitalisierte Darstellungsform mit Fotografien, Gemälden, Archivbildern, historischen und neueren Plandarstellungen, Bauzeichnungen, Karten und Skizzen, die dem Areal eine historisch gewachsene Identität zuschreiben. Andere Initiativen, wie etwa Stadt von Unten (SVU), produzierten Bilder, Videos, Flyer und Poster sowohl zur visuellen Kommunikation politischer Ziele als auch zur Dokumentation der eigenen politischen Aktionen[3] (die Teilnahme an Demonstrationen oder die Initiierung eigener Veranstaltungen). Die visuellen Darstellungen des Verfahrens auf den offiziellen Seiten der Stadt Berlin scheinen wiederum auf den ersten Blick repräsentativen Zwecken zu dienen, indem sie auf die Idee und den Geist des Modellprojekts Bezug nehmen und diesen versuchen, visuell zu reproduzieren. Diesen Visualisierungen deshalb nur eine geringe Bedeutung zuzuschreiben, würde jedoch unterschlagen, wie machtvoll sie als Bestandteil der visuellen Kommunikationen des Verfahrens wirken können. Gerade die Vielzahl und das Spektrum der visuellen Formen trägt sehr wesentlich zur visuellen Konstruktion der Wirklichkeit[4] dieses Modellverfahrens bei.

3. Methodisches Vorgehen

Unsere Sensibilisierung für die Visualisierungen im Planungsprozess des Dragonerareals ist (auch) das Resultat einer einjährigen ethnographischen Feldforschung, die sich zunächst den kommunikativen Prozessen der partizipativen Planung widmete (vgl. Singh 2020). Im Zuge der systematischen Sichtung von unterschiedlichen Webseiten zentraler Gruppierungen im Planungsprozess zum Dragonerareal wurde anhand der Fülle und Diversität der visuellen Formen jedoch schnell ersichtlich, dass sich sowohl die Wirklichkeit des Verfahrens als auch die Geschichte und damit die historische Bedeutung des Areals anhand dieser Visualisierungen rekonstruieren und visuell „nacherzählen“ lässt. Um die Vielzahl an visuellen Formen einzuordnen,[5] wurden diese zunächst gesammelt und inventarisiert: In diesem Samplingprozess wurde im ersten Schritt dokumentiert, wo und in welchen Verwendungszusammenhängen die Visualisierungen gefunden wurden, in welchen thematischen Kontext sie eingebettet sind und „wer“ (also welche Akteursgruppe) sie veröffentlicht hat. Im zweiten Schritt wurden die Visualisierungen anhand deskriptiver Merkmale und ihrer Funktion typisiert: Architekturvisualisierungen (als Zukunftsbilder), Pläne, Modelle, Fotografien (u.a. von Räumen und Raumnutzungen des Areals), Luftaufnahmen, Zeichnungen, ikonische und symbolische Darstellungen des Arealgrundrisses sowie historische Materialien (alte Baupläne, Zeichnungen, Fotografien). Wie hiermit angedeutet wird, ließ sich schließlich ein weiteres Merkmal identifizieren, das die visuellen Formen im Hinblick ihrer Zeitlichkeit (Vergangenheits-, Gegenwarts-, Zukunftsbezug) differenziert (Bernhardt/Meissner 2020).

Unsere Analyse der unterschiedlichen Visualisierungsformen schließt an wissens- und kommunikationssoziologische Überlegungen an (u.a. Raab 2008; Knoblauch 2017). Wir betrachten Visualisierungen als materialisierte Produkte sinnhafter menschlicher Imaginationen, durch die Akteure ihre Welt für sich selbst und andere verstehbar und erfahrbar machen wollen (Reichertz 2018: 268). Visuelle Materialien, wie etwa Fotografien, Zeichnungen oder Pläne, sind damit „Objektivationen“ (Knoblauch 2017: 155 ff.), die in kommunikative Produktions- und Verwendungszusammenhänge eingelassen sind und sozial kontextualisiert werden. Analytisch erschließen wir die Bedeutung von Visualisierungen sowohl aus dem Zusammenspiel eines äußeren, strukturellen (gesellschaftlichen und historischen) Kontextes (Becker 1995; Heßler 2006) als auch aus der Betrachtung der immanent erzeugten Kontexte (Goodwin/Duranti 1992) und sichtbar gemachten Ordnungen im Bild.

Im Gegensatz zu Gesprächen, die in zeitlicher Hinsicht einer sequenziellen Ordnung unterliegen, ist die Perzeption visueller Ordnung in Bildern zunächst auf Simultanität ausgelegt. Die einzelnen Bestandteile des Bildarrangements werden durch die Betrachter*innen sukzessive und ordnend zu einem kompositorischen Ganzen synthetisiert. Dabei unterliegt die Herstellung von Geordnetheit sowohl alltäglichen als auch methodisch geschulten Sehgewohnheiten und damit einem professionellen Bildwissen der analysierenden Betrachter*innen. Geordnetheit, so die Annahme, ist jedoch als Sinndimension auch im Bild selbst verankert, indem die Produzent*innen des Bildes im und durch das Bild auf bestimmte Aspekte verweisen, die ihnen relevant und verstehenswert erscheinen. Ordnung wird also nicht nur durch die Kommunikation über Visualisierungen, sondern auch durch die Kompositionen und Anordnungen in Visualisierungen erzeugt. So vermitteln diese eine sinnhafte Vorstellung von Geordnetheit, die in sie eingeschrieben wurde. In kommunikativer Hinsicht können visuelle Formen damit eine Kommunikationsmacht (Reichertz 2010)[6] entfalten. Macht vermittelt sich kommunikativ über ihre visuell-sprachliche und symbolische Erscheinungsform. Dieser visuelle Eigensinn oder die Eigenlogik von Bildern liegt aber nicht in der Festlegung von Sinn begründet, sondern in ihrer kontextbedingten Umdeutbarkeit, die auf gesellschaftliche Handlungsfelder, soziale Welten und Milieus, in denen Visualisierungen kommunikativ eingesetzt werden, kollektivierend oder spaltend einwirken kann. Aus der Perspektive der visuellen Wissenssoziologie wird damit reflektiert, wie sozial legitimiertes Wissen und folglich auch Machtverhältnisse mittels visueller Formen zum einen kommunikativ hergestellt und objektiviert werden; und zum anderen, wie etwas als Wissen sicht- und beschreibbar und damit kommunikativ über bestimmte soziale Kontexte hinaus anschlussfähig wird.

4. Visuelle Kommunikation und die Konstruktion umkämpfter Räume

Im Folgenden stellen wir unsere Analysen der von uns als typisch identifizierten Visualisierungen aus dem Sanierungsverfahren des Dragonerareals dar. Die empirische Grundlage, aus der die Auswahl der unten besprochenen Visualisierungen erfolgt ist, bilden digitalisierte Visualisierungen von beteiligten Stakeholdern (Stadtbezirksverwaltung, Sanierungsträger, Planungsbüros und zivilgesellschaftlichen Initiativen) auf den Webseiten des Stadtentwicklungsverfahrens. Dabei konzentrieren wir uns auf die vier genannten Visualisierungstypen: Pläne, Logos, Fotografien und Architekturvisualisierungen.

4.1. Pläne: städtischer Raum als normierte Ordnung

Visualisierungen in der Stadtplanung dienen zumeist der Herstellung und Vermittlung einer räumlichen Ordnung. Damit einher geht die Einnahme einer typischen Perspektive, die in Karten und Plandarstellungen deutlich hervortritt: die „Draufsicht“, das heißt hier vor allem eine zweidimensionale kartographische Perspektive von oben auf einen spezifisch aufgegliederten Raum, der durch die relationale Anordnung konventionalisierter Zeichen und Symbole repräsentiert ist. Pläne weisen aber nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Ordnung auf. So bildet beispielsweise der sogenannte Flächennutzungsplan ab, welche Veränderungen künftig vorgenommen werden soll(t)en, wobei hiermit noch nicht die konkrete Umsetzung in der Bebauungsplanung gemeint ist. Vielmehr lassen sich einzelne Parzellierungen der geplanten Räume identifizieren und abgrenzen. Pläne wie auch Luftaufnahmen haben die besondere Eigenart, einen Raum optisch dergestalt zu erschließen, wie er sonst physisch-perzeptiv nicht erfahrbar wäre. Dieser Visualisierungstyp veranschaulicht also nicht das Leben in einer Stadt oder Interaktionen zwischen Menschen und ihrer Umwelt. Stattdessen bricht er die Vorstellung von Räumlichkeit abstrakt und funktional herunter. Pläne vermitteln darüber hinaus zukünftige Nutzungspotenziale von umgrenzten Räumen, die im Fall von Flächennutzungsplänen auch an rechtliche Normen gebunden sind (Moroni/Lorini 2017). Im Folgenden zu sehen ist ein städtebaulicher Rahmenplan des Rathausblocks mit einer den Plan erklärenden Legende (vgl. Abb. 1).

Abb. 1 Städtebaulicher Rahmenplan (Quelle: Planergemeinschaft 2016: 105)
Abb. 1 Städtebaulicher Rahmenplan (Quelle: Planergemeinschaft 2016: 105)

Die Darstellung stammt aus dem Abschlussbericht der vorbereitenden Untersuchungen zum Dragonerareal. Durch die Form- und Farbgebung wird in dem Rahmenplan ein spezifischer Raumausschnitt des Rathaus­blocks und – in diesem schwarz umrandet – des Dragonerareals hervorgehoben. Die farblich abgehobene Formgebung grenzt den (rechtlich) festgelegten und damit zu beplanenden Teil vom Rest des Stadtteils ab. Pläne wie der vorliegende sind gekennzeichnet durch eine besondere Bildsprache aus Sonderzeichen, Symbolen, Formen und Linien. Aber auch Farben konstruieren Räume, Gebäude oder Nutzungen – kurzum, sie indizieren eine Vorstellung räumlicher Ordnung. Aufgrund der unterschiedlichen Beschreibungen, Empfehlungen und Vorschläge in der Legende, das heißt in analytischer Hinsicht in der Bild-Text-Kombination, verweist die planerische Repräsentation über den repräsentierten Raum hinaus. Gegenwärtige Zustände räumlicher Anordnungen werden mit Nutzungspotenzialen (bspw. verbesserten Bedingungen für den Radverkehr), also einem prospektiven Ausblick, der noch nicht realisiert ist, verknüpft. Das Verstehen des Realitätsgehalts dieser visuellen Codes erfordert demzufolge eine – nicht nur professionell (vgl. Ryan 2011) erworbene – Seh- und Lesekompetenz im Umgang mit Plänen und ihrer Ordnungskonstruktion.

Diese Darstellung erscheint am Ende des vorbereitenden Unter­suchungsberichts in dem Kapitel, das die Ziele des städtebaulichen Entwicklungskonzeptes erläutert. Dort wird ein Konzept erarbeitet, das Handlungsempfehlungen und Ziele (u.a. im Hinblick auf Stadtbild, räumliche Verdichtung, soziale und kulturelle Infrastruktur, Freiraum, Wirtschaft, Gewerbestruktur, Verkehr, stadträumliche Vernetzung, Umwelt, Klima und Energie, aber auch zur Beteiligung der Bevölkerung) formuliert, die innerhalb der Planung realisiert werden sollten. Hiermit wird folglich eine Zukunftsperspektive entwickelt, an der sich die Planenden orientieren können. Der Plan – und das scheint im Leseverständnis wichtig – legt also nicht verbindlich fest, was umgesetzt wird, sondern zeigt die Relationen von potenziellen Um-, Ein- und Abgrenzungen sowie Verbindungen zu anderen Gebäudebeständen und Bereichen des Kiezes an – sprich: Er ordnet und konstruiert den Raum nach rechtlich verbindlichen Normvorstellungen.

4.2. Ikonisierungen: vom „Modellprojekt“ zum Symbol umkämpfter Räume?

Wie eingangs geschildert, firmiert der Planungsprozess zum Dragoner­areal unter dem Label des „Modellprojekts“. Das Modellprojekt gründet in der Idee, dass der formal festgelegte Sanierungsprozess mit einer kooperativen Beteiligungsinfrastruktur von lokalen Initiativen und engagierten Bürger*innen verbunden wird. Am 17. Juni 2019 wurde eine öffentlichkeitswirksame Kooperationsvereinbarung zwischen den sechs Kooperationsparteien (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, VTR, Forum Rathausblock, BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH sowie WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH) geschlossen. Ein Anspruch der Beteiligten, insbesondere auch der Initiativen, besteht darin, dass das Modellprojekt über die Kiez- und Stadtgrenzen hinaus publik wird. Hierfür spielen die visuelle Kommunikation und die Verwendung von Logos und Symbolen in der Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle.

Abb. 2 Modellprojekt Rathausblock Kreuzberg (Quelle: WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH, https://www.wbm.de/neubau-berlin/friedrichshain-kreuzberg/dragonerareal/, 9.2.2023)
Abb. 2 Modellprojekt Rathausblock Kreuzberg (Quelle: WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH, https://www.wbm.de/neubau-berlin/friedrichshain-kreuzberg/dragonerareal/, 9.2.2023)

Abbildung 2 zeigt das offizielle Logo des Planungsprozesses, das sich aus einer Bild-Text-Kombination zusammensetzt. Die erste Zeile „Modellprojekt“ ist in schwarzen Großbuchstaben gesetzt. Darunter in blauer, fettgedruckter Großschrift hervorgehoben folgt „Rathausblock Kreuzberg“. Mit etwas Abstand steht in der dritten Zeile in schwarzer Kleinschrift und deutlich kleinerer Schriftgröße „gemeinwohlorientiert und kooperativ“. Am rechten oberen Bildrand befindet sich ein blaues Symbol, das sich aus zwei Flächen zusammensetzt, die zwar der Form nach miteinander verbunden scheinen, aber durch eine weiße Fuge getrennt sind. Es handelt sich dabei um die eingangs erläuterte Geländeunterteilung in Rathausblock und das darin eingefasste Dragonerareal. Das Symbol für sich genommen ist – für Unbeteiligte – nicht selbsterklärend. Erst durch die Farbähnlichkeit zum Schriftzug „Rathausblock Kreuzberg“ erschließt sich seine räumliche Verbindung und symbolische Bedeutung. Die besondere Ausgestaltung des Verfahrens wird wiederum durch das Motto des Modellprojekts „gemeinwohlorientiert und kooperativ“ konkretisiert.

Abb. 3 Collage Kooperationsvereinbarung (Quelle: Zebralog GmbH, siehe https://twitter.com/rthsblck/status/1417452796157308932 [links], https://www.berlin.de/rathausblock-fk/zusammenarbeit/kooperationsvereinbarung/kooperationsvereinbarung_kreuzberg_2019_07_16.pdf [Mitte], https://www.berlin.de/rathausblock-fk/zusammenarbeit/gremien/forum-rathausblock/artikel.938094.php [rechts], 15.2.2023)
Abb. 3 Collage Kooperationsvereinbarung (Quelle: Zebralog GmbH, siehe https://twitter.com/rthsblck/status/1417452796157308932 [links], https://www.berlin.de/rathausblock-fk/zusammenarbeit/kooperationsvereinbarung/kooperationsvereinbarung_kreuzberg_2019_07_16.pdf [Mitte], https://www.berlin.de/rathausblock-fk/zusammenarbeit/gremien/forum-rathausblock/artikel.938094.php [rechts], 15.2.2023)

Das räumlich-flächige Motiv wird in weiteren Dokumenten (Broschü­ren, Veranstaltungsplakaten, vgl. Abb. 3) verwendet. Dabei wird visuell nicht ausschließlich auf den Rathausblock, sondern speziell auf das Dragonerareal Bezug genommen. Die Form bleibt aber selten isoliert, sondern wird mit anderen visuellen und textlichen Zeichen verknüpft und angeordnet. Die Flächenform dient als sinnstiftender Bezugsrahmen, in dem Titel oder Veranstaltungsankündigungen eingefasst sind. Auch die bereits erwähnte Kooperationsvereinbarung und die Ausstellungseinladung zum städtebaulichen Entwurf verweisen visuell auf die Form des Dragonerareals. Der Hersteller dieser Materialien ist das Beteiligungsbüro Zebralog, das als Auftragnehmer des Bezirksamtes das Verfahren und die Öffentlichkeitsarbeit mitgestaltet. Die wiederkehrende Verwendung des Motivs innerhalb solcher Text-Bild-Arrangements betont, dass das Dragonerareal im Fokus der Handlungsbemühungen im Planungs- und Beteiligungsprozess steht. Auf einer diskursiven Ebene wird die visuelle Reproduktion der Form nicht nur zu einem Logo, sondern zu einem Symbol im „Viskurs“ (Knorr Cetina 2001) des Modellprojekts.[7]

Abb. 4 Forderungen im Planungsprozess des Dragonerareals (Quelle: Stadt von Unten, siehe https://stadtvonunten.de/hauptseiten-svu/modell-2/, 15.2.2023)
Abb. 4 Forderungen im Planungsprozess des Dragonerareals (Quelle: Stadt von Unten, siehe https://stadtvonunten.de/hauptseiten-svu/modell-2/, 15.2.2023)

Auf die Flächenform des Dragonerareals bezieht sich auch die visuelle Kommunikation einzelner Initiativen. Damit verbunden ist die Klärung der Frage, wie die unterschiedlichen Akteure im Planungsprozess dieses Modellprojekt für sich definieren. Abbildung 4 findet sich auf der Webseite der SVU-Initiative und ist eingebettet in die programmatische Erläuterung ihres Modellprojekts. Zu sehen ist eine dreidimensionale Zeichnung des Dragonerareals. In dem Bildausschnitt ist das Areal zwar farblich exponiert, aber nicht vom Stadtteil Kreuzberg isoliert. So trägt die am rechten Bildrand abgebildete kreisförmige Fläche mit der Friedenssäule am Mehringplatz zur stadträumlichen Orientierung und Verortung des Dragonerareals bei. Mit der Visualisierung wird eine (politische) Agenda – über den bereits aktiven Kreis an Personen und Initiativen hinaus – kommuniziert mit dem Ziel einer auf diesen Raum bezogenen kommunalen Selbstverwaltung und einer unmissverständlichen 100-Prozent-Forderung von bezahlbarem Wohnraum, Teilhabe und öffentlichem Eigentum. Die visuelle Darstellung verdichtet jene (etwas umfangreicher ausformulierten) Forderungen und Handlungsstrategien, die für die Initiative mit einer „Utopie“ und einer „Zukunftsvision“ des Dragonerareals verbunden sind und die deren politisches Handeln im Rahmen des Modellprojekts anleiten. Mit anderen Worten: Dies ist einerseits die Position, mit der sich die Initiative an dem Planverfahren beteiligt, und andererseits ihre Definition des Modellprojekts, die visuell und schriftsprachlich auf der eigenen Homepage und in weiteren Schriften kommuniziert wird (u.a. Stadt von Unten 2017a).

Die Visualisierung weist eine Besonderheit auf: Während die vorgenannten Symbole sämtliche Gebäudebestände in die Raumform integrieren, wird hier ein Gebäudekomplex, nämlich das denkmalgeschützte Finanzamt am Mehringdamm, nicht eingebunden. Ersichtlich wird dies an der rechteckigen Aussparung auf der gelben Fläche (vgl. Abb. 4, bei „100% soziale Mieten“). Die Frage der Raumaneignung erhält ikonisch eine Zuspitzung, die auch in anderen Darstellungen der Initiative reproduziert wird: auf Plakaten, bei Demonstrationen und Veranstaltungsankündigungen oder in YouTube-Videos. Weil das Gebäude unter Denkmalschutz steht, es folglich nicht Gegenstand der Aushandlung und sein Bestand gesichert ist, richten sich auch das Interesse und die 100-Prozent-Forderungen der Initiative nicht auf dessen Aneignung. Diese kleinräumige Differenzierung markiert allerdings einen signifikanten Unterschied in der politischen Selbstdarstellung und hinsichtlich der visuellen Konstruktion des umkämpften Stadtraums, welcher das Finanzamt aus (planungs-)rechtlichen Gründen für den partizipativen Umgestaltungsprozess ausschließt. Damit wird der eigene Diskurs um die real verhandelbare Raumfrage präzisiert und eine symbolische Distanz zu der räumlichen Auslegung des Modellprojekts Rathausblock als Gesamtareal durch den Senat und den Bezirk kon­struiert (vgl. Abb. 5).

Abb. 5 Plakat (Quelle: Stadt von Unten, siehe https://stadtvonunten.de/hauptseiten-svu/modell-2/, 15.2.2023)
Abb. 5 Plakat (Quelle: Stadt von Unten, siehe https://stadtvonunten.de/hauptseiten-svu/modell-2/, 15.2.2023)

Unser Augenmerk haben wir damit auf eine spezifische symbolisch-repräsentationale Dimension von Visualität gerichtet. Bereits Richard Wohl und Anselm Strauss (1958) befassten sich mit dem Phänomen, wie die Komplexität von Städten im Alltag erfasst wird. Städte produzieren aufgrund ihrer vielfältigen Erfahrbarkeit einen Bedeutungsüberschuss, der den Autoren zufolge größtenteils über symbolische Repräsentationen (bspw. Postkarten) eingehegt wird. Angewendet auf das Modellprojekt des Dragonerareals stellt sich nun ebenfalls die Frage, was sich genau in den verwendeten Symbolen sozial verdichtet und welche Wirkmächtigkeit sich darin entfaltet. So grenzen die verwendeten Symbole des Dragonerareals zwar das Modellprojekt Rathausblock nach außen von anderen Projekten ab. Es wirkt aber in der visuellen Kommunikation auch gemeinschafts- und sinnstiftend nach innen, weil es auf eine heterogene Wissenskultur mit eigener Planungsgeschichte Bezug nimmt, deren kommunikative Handlungen sich auch in ihren Widersprüchlichkeiten auf die räumliche und soziale Transformation des Dragonerareals richten. In Symbolen können sich deshalb – etwa im Vergleich zu Plänen – unterschiedliche Vorstellungen von Realitäten, Imaginationen und Utopien vermengen, weil sie, mit Alfred Schütz und Thomas Luckmann (2003: 653 ff.) gesprochen, die Grenzen unmittelbarer Erfahrung überwinden. Man sollte jedoch nicht der idealisierten Vorstellung aufsitzen, dass die verwendeten Symbole gleichsam über alle Gruppierungen hinweg Gemeinsinn und Identifikation stiften. Symbole und deren Umformung dienen auch der diskursiven Positionierung und Abgrenzung gegeneinander sowie der kommunikativen Herstellung von Deutungsordnungen und -hoheiten im Hinblick darauf, wie mit dem Modellprojekt und der Gestaltung dieses umkämpften städtischen Raums umzugehen ist. Wie unterschiedlich die kommunikativen Aushandlungsprozesse der beteiligten Gruppen teilweise waren, wird im Folgenden anhand des dritten Visualisierungstyps dargestellt.

4.3. Fotografien: partizipative Ordnungen einer engagierten Stadtgesellschaft

Nahezu alle Veranstaltungen werden von den Sanierungsbeauftragten und Planungsbüros (u.a. S.T.E.R.N. und Zebralog) fotografisch und textlich dokumentiert und entsprechend der Transparenzerwartung auf der Homepage des Senats veröffentlicht. Gleichzeitig produzieren auch die zivilgesellschaftlichen Initiativen (u.a. Upstall, SVU, VTR) Bilder des Verfahrens. Die Fotografien rücken dabei nicht nur das kooperative Handeln einer „engagierten Stadtgesellschaft“ in den Fokus. Sichtbar gemacht und repräsentiert wird auch ein Anspruch öffentlicher Veranstaltungsformate nach Ergebnisoffenheit und alternativen Arbeits- und Aushandlungsformen, deren visuelle Aussagekraft durch Konzepte wie „Lernlabor“, „Werkstatt“, „Dialogstation“ oder „Plangarage“ unterstrichen wird. Anhand der analytisch rekonstruierten Bildkategorien gehen wir der Frage nach, auf welche Weise Partizipation und kooperative Teilhabe dargestellt werden und welche Relevanz die Darstellung von Räumen als physischer Raum wie auch als kommunikativer Aushandlungsort im Planungsprozess aufweist.

Abb. 6 und 7 Werkstattdokumentation Arbeitsgruppen (Quelle: S.T.E.R.N. GmbH 2019, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/themen/artikel.657509.php, 15.2.2023)
Abb. 6 und 7 Werkstattdokumentation Arbeitsgruppen (Quelle: S.T.E.R.N. GmbH 2019, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/themen/artikel.657509.php, 15.2.2023)
Abb. 6 und 7 Werkstattdokumentation Arbeitsgruppen (Quelle: S.T.E.R.N. GmbH 2019, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/themen/artikel.657509.php, 15.2.2023)

Auf den Fotos sind typischerweise soziale Situationen zu sehen, in denen Planungsbeteiligte den Eindruck „fokussierter Interaktion“ (Goffman 1963) vermitteln. Im ausgewählten Bild (vgl. Abb. 6) sitzen die ca. 20 Beteiligten an einer langen, doppelten Tischreihe einander gegenüber – und das in einem hellen Raum mit großer Fensterfront und zusätzlicher Innenbeleuchtung. Manche fertigen Notizen an, während andere aufmerksam auf etwas oder jemanden außerhalb des Fotos blicken. Die räumlich-körperliche Anordnung und das Interieur vermitteln den Eindruck einer konzentrierten Arbeitsatmosphäre, die die Beteiligten gemeinsam hervorbringen. Die Tischreihe ist als Arbeitsfläche organisiert: Stifte, bunte Karteikarten und Zettel liegen als Arbeitsmaterialien ausgebreitet. Getränke, hier vor allem Wasser, erfüllen den Standard notwendiger Versorgung. Einige schreiben etwas auf. Die Körper der Beteiligten suggerieren nicht nur Aufmerksamkeit oder Skepsis, sondern auch, dass hier Zeit investiert wird. Diese fotografische Momentaufnahme visualisiert exemplarisch die kooperative Zielstellung des Verfahrens als Zusammenarbeit – bildlich das Zusammenkommen der Zivilgesellschaft an einem (Verhandlungs-)Tisch.[8]

Vielfach bebildert sind auch Formen kooperativen Handelns, die sich bei genauerer Betrachtung als Umsetzung von Partizipationsmethoden identifizieren lassen. Das ausgewählte Foto (vgl. Abb. 7) steht in direktem Zusammenhang zur vorherigen Abbildung und zeigt, worauf die Blicke der Beteiligten gerichtet sind. Zu sehen sind zwei Personen, die handschriftlich formulierte Forderungen (u.a. dauerhaft bezahlbare Mieten) auf Notizkarten vordefinierten Themen (Gewerbe & Kultur) auf Moderationswänden zuordnen. Die Kamera fokussiert dabei weder auf die Personen, die mit dem Rücken zur Kamera stehen, noch auf die geschriebenen Inhalte, die nur schwer zu lesen sind. Im Zentrum der Abbildung steht stattdessen die etablierte manuelle Praxis und (Arbeits-)Technik des Sammelns, Dokumentierens und Strukturierens von Vorschlägen, Themen und Wissen in partizipativen Formaten. Diese Fotografien lassen sich einer Vielzahl anderer Darstellungen zuordnen, die kommunikative Arbeitsformen und die gemeinsame Herstellung planungsrelevanter Artefakte visualisieren (Zeichnungen, Listen, Forderungen etc.).

Die Fotografien (vgl. Abb. 6 u. 7) akzentuieren jedoch mehr als kommunikativ handelnde Menschen. Als analytisch herausgearbeitete Bildtypen dokumentieren sie „Bürger*innen in Aktion“, die miteinander planen, malen, zeichnen, Karten anheften, Modelle bauen und über diese diskutieren. Die Verwendung von typischen Hilfsmitteln und Arbeitsmaterialien wie einer Flipchart, Pinnwänden, Stiften, aber auch von Visualisierungen und Plänen des Sanierungsgebiets verweist auf die Objektivierung von Erkenntnissen und Wissen, das in den Planungsprozess zurückgespielt wird. Legitimiert wird damit nicht nur die Anwendung von Partizipationsinstrumenten, sondern auch ihre Nützlichkeit für den Planungsprozess.

Abb. 8 Diskussionsdokumentation zum Thema Partizipation (Quelle: Upstall, siehe https://upstall.de/aktuell/, 15.2.2023)
Abb. 8 Diskussionsdokumentation zum Thema Partizipation (Quelle: Upstall, siehe https://upstall.de/aktuell/, 15.2.2023)

Was in den Bildern jedoch selten sichtbar gemacht wird, sind die konflikthaften Momente, die hitzigen Debatten und damit ein wesentlicher Bestandteil partizipativer Diskussionskultur. Inwieweit diese in der empirischen Realität der Planungspraxis auftauchen, lässt sich anhand der Fotografien allenfalls erahnen. Die konfliktbeladene Diskussionsdynamik zwischen den heterogenen Interessenvertretungen geht vielmehr aus den begleitenden Dokumentationen von Initiativen und dem medialen Diskurs hervor. Obwohl Abbildung 8 den Anschein eines harmonischen Austauschs der Teilnehmenden erweckt, kommentiert die beteiligte Initiative Upstall Kreuzberg, „dass Senat und zivilgesellschaftliche Akteure völlig unterschiedliche Erwartungen an den Beteiligungsprozess haben, auch wenn er fortwährend als Musterverfahren angekündigt wurde“ (Upstall 2017). Kaum oder selten sichtbar gemacht werden als mitdiskutierende Parteien gleichermaßen jene Bevölkerungsgruppen, die als Migrant*innen zugezogen sind und in der ersten, zweiten oder dritten Generation in Kreuzberg leben und ein Gewerbe auf dem Dragonerareal betreiben – ein Problem, das im Verfahren selbst reflektiert und thematisiert wurde, weshalb etwa Einladungen für Veranstaltungen in unterschiedliche Sprachen übersetzt wurden. Dass ein essenzieller Bestandteil partizipativer Stadtentwicklung auch den Umgang mit Konflikten, Streitkulturen und unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen beinhaltete, scheint jedoch weniger zu den Sicht- als zu den Sagbarkeiten der (mittlerweile) so positiv konnotierten Kreuzberger Mischung zu gehören. Visuell kommuniziert wird vor dem Hintergrund des Modellprojekts vorrangig die zivilgesellschaftliche Dialogbereitschaft.

In unserer Analyse haben wir neben der Darstellung von partizipativen Praktiken auch die Räume und Orte, in denen Beteiligung stattfindet, als relevant identifiziert. Räume der Partizipation haben neben ihrer Funktion, Zugang zu einer idealerweise gleichrangigen Kooperation und zu einem niedrigschwelligen Austausch für gemeinsames Planen zu ermöglichen, auch die symbolische Bedeutung, Öffentlichkeit lokal herzustellen. Dies drückt sich sowohl in der räumlichen Anordnung als auch in der Verortung von Räumen aus.

Mit Ersterem wird zumeist ein spezifischer Veranstaltungstypus oder ein Beteiligungsformat erzeugt, das einer kommunikativen Rahmung unterliegt und von den Beteiligten gemeinsam etabliert wird. So macht es einen Unterschied, ob auf einer ebenerdigen Bühne eine oder mehrere Personen (oft auch mit Mikrofonen) frontal zu einem in die Rolle von Zuhörenden verwiesenen Publikum sprechen (vgl. Abb. 8 u. 10) oder ob Tische mit Arbeitsmaterialien kreisförmig angeordnet und die daran sitzenden Personen im gemeinsamen Dialog auf Augenhöhe sind (vgl. Abb. 9 u. 11).

Abb. 9 Dokumentation des Auftaktworkshops (Quelle: BSM/BSQB, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/sanierungsverfahren/staedtebauliches-werkstattverfahren/190902-04-dragonerarealprotokollauftaktwerkstatt.pdf, 15.2.2023)
Abb. 9 Dokumentation des Auftaktworkshops (Quelle: BSM/BSQB, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/sanierungsverfahren/staedtebauliches-werkstattverfahren/190902-04-dragonerarealprotokollauftaktwerkstatt.pdf, 15.2.2023)

Abbildung 9 zeigt eine Arbeitsform im Kontext der Auftaktwerkstatt des Sanierungsverfahrens am 2.-4. September 2019 in der sogenannten „Adlerhalle“ auf dem Dragonerareal. Die Halle gehörte seit den 1920er-Jahren den Adler-Automobilwerken, die dort in der NS-Zeit auch Militärfahrzeuge reparierten und zu diesem Zweck Zwangsarbeiter*innen einsetzten. Nachdem die Halle zu Beginn des Verfahrens eher eine marginale Bedeutung hatte, ist sie mittlerweile ein zentraler Ort städtischer Koproduktion von Veranstaltungen im Planungsprozess geworden. Zweifelsohne lässt sich die historische Rahmung in solche Bilder nicht ohne Weiteres hineinlesen, ist sie doch das Ergebnis langer Prozesse der Aushandlung und Nutzung des Ortes. Ein Ergebnis schlägt sich etwa im Namen nieder: In Anlehnung an die historische „Adlerhalle“ wurde die Räumlichkeit zur „hALLE“ umbenannt (VTR 2021). Und auch durch die visuelle Darstellung von Arbeitsformen in umgenutzten, geschichtlich konnotierten Räumen wird zugleich jener experimentelle Charakter des Modellprojekts in Szene gesetzt.

Folglich macht es einen Unterschied, wo die Veranstaltungsräume verortet sind: in den Räumlichkeiten des Bezirks (vgl. Abb. 6-8, 10 u. 11) oder außerhalb der Verwaltungsgebäude auf dem Dragonerareal (Abb. 9, 12 u. 13). Veranstaltungen auf dem Gelände oder in der unmittelbaren Nähe des Dragonerareals implizieren das Potenzial für die angrenzenden Nachbarschaften und die dort ansässigen Initiativen, auch eine symbolische Nähe herzustellen. Im Kontrast dazu konstruieren manche Fotos der offiziellen Räumlichkeiten des Stadtbezirks nahezu eine institutionalisierte, bürokratische Planungslogik mit formalisierter Partizipation (von oben), die praktisch daran gebunden ist, wer einlädt, wer sich wie (räumlich) adressiert fühlt und wem letztlich die Verhandlungshoheit obliegt.

Die Abbildungen 10 und 11 zeigen den Saal der Bezirksverordneten­versammlung in Friedrichshain-Kreuzberg, dessen räumliche Struktur nach Bedarf der Veranstaltung angepasst wird. Das materielle Arrangement aus Fahnen von Stadt, Land und EU, aber auch das Rednerpult und die Tribüne sowie die typische Aufteilung von Präsentierenden und Zuhörenden vermitteln dabei dennoch einen Eindruck von Formalität.

Abb. 10 und 11 Austausch in Werkstattveranstaltungen (Quelle: S.T.E.R.N. GmbH 2019, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/themen/artikel.657509.php, 15.2.2023)
Abb. 10 und 11 Austausch in Werkstattveranstaltungen (Quelle: S.T.E.R.N. GmbH 2019, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/themen/artikel.657509.php, 15.2.2023)
Abb. 10 und 11 Austausch in Werkstattveranstaltungen (Quelle: S.T.E.R.N. GmbH 2019, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/themen/artikel.657509.php, 15.2.2023)

Vor dem Hintergrund der zivilgesellschaftlichen Zielsetzung, das Areal kooperativ mit zu planen, spielte es in der (historischen) Erzählung der Initiativen eine wichtige Rolle, dass das Dragonerareal Bestandteil des Kiezlebens ist und bereits als Raum genutzt wird (Singh/Meißner 2021; Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin 2018). Gemeint sind damit künstlerisch-kulturelle Veranstaltungen, aber auch gewerbliche Nutzungen. Im Juni 2017 etablierte die SVU-Initiative die sogenannte „Plangarage“ als „Archiv, Arbeitsraum, Projektionsfläche und ein mobiles Veranstaltungsmöbel“ mit dem Anspruch, „eine wirkliche Stadtentwicklung von Unten sicherzustellen“ (Stadt von Unten 2017a). Das thematische Motiv der Garage wird durch die Initiativen auf der eigenen Homepage visuell als ein improvisierter, veränderbarer, gestaltbarer Ort mit Projektcharakter in Szene gesetzt, in dem das Experimentallabor des Modellprojekts Rathausblock eine eigenständige Realisierung erfährt (vgl. Abb. 12). Ein weiterer, kooperativ erschlossener, sogenannter „Kiezraum“ (vgl. Abb. 13) auf dem Areal wurde im September 2021 von einer eigens dafür gegründeten Arbeitsgruppe im denkmalgeschützten Bereich des Geländes als „neuer Ort für Gemeinwohl und Zivilgesellschaft“ (Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin 2021: 1) geschaffen. Der vom Bezirksamt angemietete Raum, der früher als Pferdestall der Garde-Dragoner-Kaserne diente, soll als „Schnittstelle zwischen Stadtteilarbeit und Nachbarschaft“ (ebd.) über das Modellprojekt Rathausblock hinaus als Sozialraum sowie als Ort der Begegnung und der Kiezgestaltung zur Verfügung stehen.

Abb. 12 u. 13 Veranstaltungen vor der Plangarage 2019 (links) und vor dem Kiezraum zum Tag der Städtebauförderung 2018 (rechts) (Quellen: Stadt von Unten [links], siehe https://stadtvonunten.de/, 15.2.2023; S.T.E.R.N. GmbH 2019 [rechts], https://www.berlin.de/rathausblock-fk/zusammenarbeit/kiezraum/, 15.2.2023)
Abb. 12 u. 13 Veranstaltungen vor der Plangarage 2019 (links) und vor dem Kiezraum zum Tag der Städtebauförderung 2018 (rechts) (Quellen: Stadt von Unten [links], siehe https://stadtvonunten.de/, 15.2.2023; S.T.E.R.N. GmbH 2019 [rechts], https://www.berlin.de/rathausblock-fk/zusammenarbeit/kiezraum/, 15.2.2023)
Abb. 12 u. 13 Veranstaltungen vor der Plangarage 2019 (links) und vor dem Kiezraum zum Tag der Städtebauförderung 2018 (rechts) (Quellen: Stadt von Unten [links], siehe https://stadtvonunten.de/, 15.2.2023; S.T.E.R.N. GmbH 2019 [rechts], https://www.berlin.de/rathausblock-fk/zusammenarbeit/kiezraum/, 15.2.2023)

Die kommunikative Wirkmacht der Fotografien entfaltet sich vor dem Hintergrund der Deutung ihrer sichtbar gemachten Raumansprüche und den damit verbundenen Ordnungsvorstellungen von Beteiligung. Dies gilt für die visuellen Repräsentationen des Bezirks, deren fotografische Dokumentationen sowohl der öffentlichen Legitimation (transparent, demokratisch) als auch der Selbstvergewisserung über die praktizierte Umsetzung des Modellprojekts dienen. Demgegenüber stehen die Raumdarstellungen der Initiativen, die ein Gegenmodell zur versachlichten Verfahrenslogik des Modellprojekts herstellen, in denen Kulturveranstaltungen, Demonstrationen und „Events“ kein leeres „Particitainment“ (Selle 2011: 1) symbolisieren. Die Bilder vom Kiezraum und insbesondere der „Plangarage“ vermitteln einen Eindruck von gelebter Stadt, die sich zumindest teilweise ohne Regulierung und Anleitung von oben formiert und Handeln zulässt. Trotz der genannten Unterschiede ähneln sich die Bildformen und -inhalte (Menschen, die sich beteiligen) der unterschiedlichen Akteursgruppen insofern, als dass sie jeweils ein standortgebundenes Idealbild von „Öffentlichkeit als Prinzip der demokratischen (Stadt-)Gesellschaft“ (Schäfers 2006: 150) zu konstruieren versuchen.

4.4. Architekturvisualisierungen: zukünftige Ordnungen zwischen Vagheit und Konkretion

Architekturvisualisierungen (u.a. CADs, Renderings) sind wie die bereits aufgeführten Visualisierungsformen zentraler Bestandteil der Kommunikation in städtebaulichen Planungsprozessen. In der alltäglichen Wahrnehmung (in Zeitungen, auf Baustellen etc.) am präsentesten sind wahrscheinlich sogenannte Renderings, also digital erzeugte, fotorealistische Grafiken, in denen zumeist eine recht konkrete – wenn auch simulierte – Vorstellung über Atmosphären und die Erscheinung künftiger Gebäude vermittelt werden soll (vgl. Degen/Melhuish/Rose 2017; Mélix/Singh 2021). Auch für das Dragonerareal kursiert eine Vielzahl solcher Bildformen, die in unterschiedlichen Phasen und Kontexten des Verfahrens erzeugt wurden, sei es durch Investoren oder Studierende im Rahmen von Abschluss- und Projektarbeiten. Ihre Funktionsweise als Entwurf ist dementsprechend kontextspezifisch einzuordnen: als Idee, Vision, Verkaufsargument oder Masterplan.

Ganz im Sinne des Modellprojekts wurde für das Dragonerareal durch den Senat für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen im August 2019 ein offenes städtebauliches Werkstattverfahren initiiert, in das die Öffentlichkeit bei der Gestaltung der Entwürfe in einem mehrphasigen Prozess mit Kolloquien und Zwischenpräsentationen einbezogen war. Insgesamt erhielten drei Planungsteams[9], die im Vorfeld einen Teilnahmewettbewerb gewonnen hatten, den Zuschlag, im Rahmen eines Auswahlverfahrens Vorschläge zur künftigen Arealbebauung zu erarbeiten. Diese traten im Rahmen des Werkstattverfahrens gegeneinander an und erarbeiteten gleichzeitig mit der Zivilgesellschaft über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg Vorschläge und Ideen zur künftigen Gestaltung. Der Siegerentwurf wurde schließlich im Januar 2021 verkündet.[10]

Abb. 14 Platz vor dem Kiezraum (Quelle: ©SMAQ Architektur und Stadt/Man Made Land/Barbara Schindler. KulturKommunikation, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/sanierungsverfahren/staedtebauliches-werkstattverfahren/artikel.887370.php, 15.2.2023)
Abb. 14 Platz vor dem Kiezraum (Quelle: ©SMAQ Architektur und Stadt/Man Made Land/Barbara Schindler. KulturKommunikation, siehe https://www.berlin.de/rathausblock-fk/sanierungsverfahren/staedtebauliches-werkstattverfahren/artikel.887370.php, 15.2.2023)

Die ausgewählte Darstellung (vgl. Abb. 14) entstammt dem Entwurfs­exposé der Gewinner*innen des Werkstattverfahrens, dem Team SMAQ Architektur und Stadt/MML/Barbara Schindler. Gezeigt wird der Platz vor dem bereits thematisierten Kiezraum, wobei auffällt, wie alte und neue Bausubstanz räumlich zueinander in Relation gesetzt werden: Moderne, als Wohnanlagen konzipierte Hochhäuser (farblich gelb und blau hervorgehoben) und das flache historische Backsteingebäude des Kiezraums sind in ihrer Differenz markiert, aber räumlich miteinander verbunden. Zwar betont der Entwurf sowohl die Höhe als auch die Dichte der Bebauung, gleichzeitig bleibt jedoch genügend Freiraum zur Entfaltung räumlicher Praktiken. Neben den materiellen Eigenschaften der Architektur werden auch die potenziellen Raumnutzungen visuell angedeutet. Abgebildet sind zumeist jünger aussehende Menschen: Frauen, Männer und auch ein Kind. Diese vermutlich als Bewohner*innen oder Anwohner*innen dargestellten Menschen scheinen mal mehr, mal weniger zueinander in Bezug zu stehen. In ihrer figurativen Anordnung deuten sich unterschiedliche Interaktionen an: Einige sprechen miteinander, andere gehen gemeinsamen Tätigkeiten nach oder stehen lose im Raum. Die Menschen sind schwarz-weiß und in Grautönen dargestellt und wirken dadurch farblich mit dem Kiezraum und Teilen des Freiraums vor dem Kiezraum im Einklang. Auffällig ist, dass sie miteinander interagieren und dem Raum damit Leben verleihen. Dies zeigt sich auch an den materiell-räumlichen Strukturen, die farblich (in einem rosa-rötlichen Ton dargestellt sind Kiezraum, Wohnhaus und Tisch) miteinander verbunden sind. Darauf deutet auch die Abbildungsbeschreibung im Exposé hin, die das hier besprochene Bild mit einem anderen, kleineren Gebäudemodell verbindet:

„Der Freiraum wird über kommunikative Gebäudefassaden adressiert. Lebendige, genutzte Erdgeschosse und BewohnerInnen, die über die Balkone und Loggien einen visuellen und audiellen (sic!) Kontakt zum Aussenraum haben sorgen für informelle Sicherheit.“

(Vgl. Abb. 14 sowie erweitert https://www.berlin.de/rathausblock-fk/sanierungsverfahren/staedtebauliches-werkstattverfahren/artikel.887370.php, 9.2.2023)

Kommunikation ist folglich ein zentraler interpretativer Zugang zum Bildverständnis. Raum- und Gebäudearchitektur zielen darauf ab, Interaktionen und Begegnungen von Menschen zu befördern. Irritation entsteht allenfalls stilistisch über unterschiedliche grafische Elemente, die dem Bild den Charakter einer Collage verleihen. Gleichzeitig weist ihre Vieldeutigkeit darauf hin, dass der Sinn nicht ausschließlich im Bild selbst liegt, sondern in der Auseinandersetzung mit dem Bild. Ähnlich wie bei der Analyse der Darstellungen der anderen Wettbewerber*innen – die wir hier nicht ausführen können – ist auch hier zu fragen, was eigentlich nicht gezeigt wird. Was ist sagbar und was nicht? Die Visualisierungen buchstabieren nicht jede Vorstellung aus, um Festlegungen und Eindeutigkeiten zu vermeiden. Vagheit ist ein Wesenskern alltäglicher sprachlicher Kommunikation (vgl. Garfinkel 1967: 41), gilt aber umso mehr für die Entwürfe in solchen Verfahren, die den Beteiligten verschiedene Deutungsmöglichkeiten offerieren.

Die hier exemplarisch dargestellte ebenso wie die anderen analysierten Architekturvisualisierungen in diesem Verfahren unterscheiden sich von gängigen Investorenrenderings (vgl. Mélix 2022) darin, dass ihre Produktion unter Einbezug der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Dies mag erklären, warum die Entwürfe klare Festlegungen vermeiden, womit ein kommunikativer Stil verfolgt wird, der dem Geist des Modellprojekts entspricht. Gezeigt wird nicht die schöne, durchästhetisierte neue Welt. Ihre Kommunikationsmacht realisiert sich dadurch, dass sie Auslegungen und Imaginationen von räumlichen und gesellschaftlichen Zukünften demokratisieren und damit die Ergebnisoffenheit des Planverfahrens (zumindest) visuell einzulösen scheinen. Die Bilder bleiben vage, auch wenn die Bildsprache nicht gänzlich abstrakt ist. Je spezifischer und konkreter das Konzept dargestellt wird, desto klarer werden auch die räumlichen und planrechtlichen Festlegungen, die als Beurteilungs- und Entscheidungsgrundlage für die Jury dienen, die sich größtenteils aus Architekt*innen, Bezirksvertreter*innen und anderen Beteiligten aus dem Planungsprozess zusammensetzt. Die Vagheit in den Entwürfen ist daher weniger ein Hinweis auf die Ungeordnetheit der Planung als vielmehr auf die geordnete Herstellung von Irritation und Brüchen, die bei der Betrachtung der Visualisierungen als geteiltes Wissen vorausgesetzt werden muss. Die Vermeidung klarer visueller Vorstellungen des Raums, die zu früh Realitäten als Versprechen formulieren, welche vielleicht nie eintreffen, ist ein grundlegendes Motiv dieser Darstellungen. Und einmal mehr wäre zu thematisieren, was nicht gezeigt wird und was in den Bildern optisch nicht aufscheint: nämlich dass auch die Produktion und die Arbeit an den visuellen Objekten intensive kooperative und konfligierende Aushandlungen und Bedeutungsvermittlungen vorausgesetzt hat, die nicht nur aus der Vagheit der Bildkonstruktion resultieren, sondern auch aus der Kontingenz des Planungsprozesses um das Dragonerareal.

5. Fazit

Mit unseren Ausführungen verfolgen wir das Ziel einer Stadtforschung, die sich mit den Visualisierungen städtischer Wirklichkeiten methodisch und kritisch auseinandersetzt. Dafür schlagen wir vor, die bisherige Analyse städtischer Visualisierungen erstens um die Untersuchung professioneller Visualisierungskulturen von Planer*innen und Architekt*innen sowie zweitens um die Rekonstruktion der visuellen Praktiken zivilgesellschaftlicher Akteure im Kontext stadtplanerischer Verfahren zu erweitern. Visualisierungen stellen in diesem Kontext ein wichtiges Bindeglied zwischen dem dar, was sie vermeintlich repräsentieren, und dem, was sie an Imaginationen und Diskursen kommunikativ freisetzen. In dieser Hinsicht ist ihre Interpretation auf die jeweiligen Kontexte zu beziehen, in die sie kommunikativ eingebettet wird.

Eine wesentliche Funktion von Visualisierungen in Stadtplanungs­prozessen lässt sich zunächst damit benennen, dass durch sie prozessrelevante Wissensbestände geordnet und vermittelt werden. Weil in ihnen auf vielschichtige Weise subjektive und gesellschaftliche Bedeutungen, legitimierte Wissensbestände und Machtvorstellungen eingeschrieben werden, sind sie gleichermaßen Verdichtungen von (normativen) Sinnsetzungen. In der visuellen Kommunikation der unterschiedlichen Akteure wirken sie auf bestehende Ordnungen des Verfahrens (bspw. von Planungen oder Wahrnehmungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) ein. Deren vieldeutige Auslegbarkeit ist damit nicht nur als Resultat konfligierender Aushandlungen zu betrachten, sondern darüber hinaus eine essenzielle Form der visuellen Wirklichkeitskonstruktion dieses vielstimmigen Kooperationsverfahrens.

Wie wir am Beispiel des Modellprojekts Rathausblock darlegen, zielen die von uns als typisch identifizierten Visualisierungsformen (Pläne, Logos, Fotografien und Architekturentwürfe) auf die kommunikative Vermittlung unterschiedlicher Modi urbaner Ordnungen: Pläne rekurrieren auf normierte Raumordnungen, die planrechtlichen Prämissen folgen. Das jeweils unterschiedlich konzipierte Logo des Dragonerareals zielt auf eine übergeordnete symbolisch-repräsentationale Ebene der visuellen Kommunikation des „Modellprojekts“, die sowohl in ihrer Innen- als auch in ihrer Außenwirkung bedeutsam ist. Fotografien verweisen in dem von uns untersuchten Fall auf partizipative Ordnungen, wodurch zugleich auch das Verfahren als ein legitimierter und geordneter Prozess konstruiert wird. Je nach Akteursperspektive und kontextueller Einbettung der Fotografien lassen sich jedoch unterschiedliche (bisweilen utopische) Raumdeutungen und Ordnungsvorstellungen von kooperativem Planungshandeln rekonstruieren. Architekturentwürfe sind das Resultat „experimentierender Handlungen“ (Steets 2015: 163). Sie stiften Imaginationen potenzieller Raumordnungen, die zwar eine Vorstellung oder gar eine Utopie von urbaner Zukunft vermitteln, aber sie sind keine Blaupause für die materiell gebaute Welt im „modo futuri exacti“ (Schütz/Luckmann 2003: 476 f.). Ihre besondere Vagheit spiegelt zugleich die Idee des Modellprojekts wider und erfüllt damit eine ästhetische und eine kommunikative Funktion. Einerseits wird mit gängigen Erwartungen an die Geordnetheit städtischer Räume gebrochen, andererseits wird auch Zukunft nicht visuell fixiert, sondern bleibt innerhalb der Planung – ganz im Sinne des Verfahrens – weitgehend offen und verhandelbar.

Der gesellschaftliche Bedeutungszuwachs kooperativer Stadtplanungs­projekte scheint, unabhängig von welchem Geist sie getragen werden (vgl. Stadt von Unten/coopdisco 2021), zunehmend mit der kommunikativen Herstellung einer größeren Öffentlichkeit verbunden, die wesentlich auf eine wirkungsvolle visuelle Kommunikation gestützt ist. Ein Modellprojekt zeigt sich aber weniger durch die Darstellung innovativer Methoden. Seine Modellhaftigkeit dürfte vor allem rückwirkend ersichtlich werden, wenn sich die vielen kleinteiligen Schritte und Ansätze im Ergebnis dieser umfangreichen „Trajektorie“ (Strauss 1993: 52 ff.) einordnen lassen. Weil jedes Verfahren aufgrund seiner multiplen Einflussfaktoren und unplanbaren Dynamiken ein Unikat darstellt, lässt sich nur schwer beziffern, inwieweit Modellprojekte auch modellhaft für andere Beteiligungsprozesse sein können. Zu berücksichtigen ist, dass sich die Wirklichkeit solcher Prozesse vor dem Hintergrund ihrer besonderen, mithin visuell kommunizierten Sinnsetzungen und ihrer lokalen planungskulturellen Praxis verstehen lässt.

Was sich anhand der Visualisierungen rekonstruieren lässt, ist vor allem die Art und Weise, wie die beteiligten Akteure die besondere Symbolik des Ortes und des Verfahrens visuell konstruieren. In dieser Hinsicht kann visuelle Kommunikation machtvoll wirken, sie verhilft aber denjenigen, die visuelle Formen kommunikativ nutzen, nicht zwangsläufig auch zu mehr Macht. Dies zeigt sich daran, dass insbesondere die Verfahrenslogik durch die beteiligten Initiativen immer wieder kritisiert wird und einige, wie Stadt von Unten, ernüchtert aus dem kooperativen Prozess ausgestiegen sind. Die Visualisierungen des Stadtplanungsverfahrens machen also vieles sichtbar, zugleich verstellen sie aber den Blick auf die Handlungsprobleme einzelner Akteure: etwa den Umgang mit der Komplexität solcher Verfahren, den zeitlichen und materiellen Aufwand, den ehrenamtlich agierende, mehr oder weniger professionalisierte Initiativen betreiben müssen, um mit ihrer Stimme Gehör zu finden, oder auch dass Partizipation konträre Handlungsmotive vereinen kann und vielleicht sogar muss. Es liegt folglich nahe, dass eine kritische Analyse nicht nur die Sichtbarkeiten, sondern auch die Invisibilisierungen, das heißt die paradoxe Gleichzeitigkeit von Gezeigtem und Nichtgezeigtem, in Augenschein nehmen muss, um das Gesamtbild solcher Verfahren zu hinterfragen und zu komplettieren.