Chemisch-Werden

Verkörperte Momente urbaner Zugehörigkeit in Berlin

Max Schnepf

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit Chemie, Körpern und Stadt in ihren intimen Verstrickungen und wechselseitigen Beeinflussungen. Er untersucht, wie sich die Stadt mittels Chemie auf verschiedene Weise in Körper einschreibt und gleichzeitig das Städtische in chemisch vermittelten Körperpraktiken ständig neu produziert wird. Ausgehend von einer ethnographischen Forschung in einem höherpreisigen Friseursalon in Berlin schlage ich vor, die intentionale und lustvolle Nutzung chemischer Substanzen mit ihren zugehörigkeitsstiftenden Effekten in den Blick zu nehmen. Urbane Zugehörigkeit wird dabei nicht als abgeschlossener Zustand verstanden, sondern als Fluchtpunkt, den einige Berliner*innen in sich überschneidenden Anwendungsformen von Schönheitsprodukten, Drogen und Pharmazeutika anstreben. Das Konzept des „Chemisch-Werdens“ begreift dabei spezifische Lokalitäten in Berlin, Körper in ihren intimen Beziehungen und Imaginationen des Städtischen als ein beständiges Wechselverhältnis. Ich stelle diese materiellen und affektiven Ko-Transformationen ethnographisch anhand von zwei Momenten des „Chemisch-Werdens“ vor: der Herstellung erstens von Looks mithilfe von Schönheitsprodukten im Salon und zweitens von Lust unter Zuhilfenahme von Drogen und der pharmazeutischen HIV-Prophylaxe PrEP in der (schwulen) Klubszene. In diesen Praktiken manifestiert sich urbane Zugehörigkeit nicht zwangsläufig in einer geteilten Identität oder festen Subkultur, sondern erscheint als affektives Zugewandt-Sein und materiell-körperliches Streben-nach.

An English abstract can be found at the end of the document.

In diesem Artikel befasse ich mich mit Chemie, Körpern und Stadt in ihren intimen Verstrickungen und wechselseitigen Beeinflussungen. Genauer gesagt zeige ich auf, wie chemische Substanzen an und in Körper gelangen, wie sie spezifische Looks und neue Formen von Lust erzeugen und dabei Zugehörigkeiten zu unterschiedlichen urbanen Szenen ermöglichen und produzieren. Die Frage, wie Chemie menschliches und mehr-als-menschliches Leben mitgestaltet, hat in den letzten Jahren vermehrt sozialwissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren (Romero et al. 2017), insbesondere mit Hinblick auf industriell produzierte Chemikalien und deren destruktive Folgen für die menschliche und planetare Gesundheit. Diese Forschungen legen dar, wie chemical exposure entlang von bestehenden kolonialen und rassistischen Linien der Ungleichheit verläuft und diese verstärkt (Murphy 2017). Agard-Jones (2013: 192) fokussiert als analytischen Ausgangspunkt für die Kritik jener globalen Machtverhältnisse die chemische Konstitution von Körpern – wie Körper Chemikalien ausgesetzt sind und durch diese in Verbindung stehen, „to commodity chains, to uneven relations of colonial/postcolonial power, and thus to world systems“. Gleichzeitig zeigen Ethnographien auf, wie sich in Situationen chemischer Verunreinigung sogenannte chemosocialities – verstanden als „altered, attenuated, or augmented relationships“ (Kirksey 2020: 24) – über Grenzen von Klasse, race und Spezies hinweg herausbilden und neue Formen von chemical kinship ermöglichen (Balayannis/Garnett 2020).

Auch wenn diese Ansätze die produktiven Effekte bei der Formierung von chemosocialities aufzeigen, betrachten sie Situationen, in denen sich Akteur*innen ungewollt Chemikalien ausgesetzt sehen und in oft kreativer Weise darauf reagieren müssen. In diesem Artikel schlage ich vor, auch die intentionale und lustvolle Nutzung chemischer Substanzen mit ihren zugehörigkeitsstiftenden Effekten in den Blick zu nehmen – und zwar anhand der elektronischen Klubszene und schwuler Sexkultur in Berlin. Dazu befasse ich mich mit sich überschneidenden Anwendungsformen von Schönheitsprodukten, Drogen und Pharmazeutika und verstehe diese als „a significant part of contemporary practices of self-transformation“ (Race 2009: x f.). Dabei folge ich insbesondere Shapiros und Kirkseys (2017) Aufruf zu einer chemo-ethnography, die untersucht, wie Chemikalien und moderne Chemie „our conditions of knowing, being, and sociality“ rekonfigurieren (ebd.: 482). In diesem Sinne setzen sich auch Hardon (2021) und Team in unterschiedlichen sozialen und geographischen Kontexten ethnographisch damit auseinander, wie junge Menschen alltäglich mit chemischen Substanzen experimentieren. Dabei konzentrieren sie sich auf situierte und verkörperte Praktiken, in denen verschiedene chemische Substanzen interagieren und dabei Identitäten und Gemeinschaften formen (ebd.: 7 ff.).

Dieser Beitrag untersucht, wie sich die Stadt mittels Chemie auf verschiedene Weise in Körper einschreibt und gleichzeitig das Städtische in chemisch vermittelten Körperpraktiken ständig neu produziert wird. Dabei soll Stadt nicht als ontologisch starre und kohärente Einheit aufgefasst werden, sondern als soziomaterielles Gefüge, „which is relentlessly being assembled at concrete sites of urban practice“ (Farías 2010: 2). In alltäglichen Praktiken verknüpfen und konstituieren sich „die Stadt als (Forschungs-)Gegenstand und Urbanität als multiple Alltagserfahrung“ (Färber 2014: 98). In diesem Verständnis städtischer Ontologien als emergent im Zusammentreffen heterogener menschlicher und nicht-menschlicher Akteur*innen (Amin/Thrift 2002: 27 ff.; Farías 2010: 13 ff.) konzentriere ich mich auf den materiellen und affektiven Prozess des „Chemisch-Werdens“. Damit beschreibe ich, wie sich im Kontakt mit chemischen Substanzen das Urbane auf szene-spezifische Weise in Körpern und ihren chemisch-induzierten Erfahrungen und Interaktionen manifestiert. Berlin stellt mehr als nur einen Kontext meiner Ausführungen dar. Die Stadt ist zugleich Fluchtpunkt des „Chemisch-Werdens“ in den von mir beschriebenen Klub- und Sexszenen. Imaginiert als Labor, in dem die Mitglieder unterschiedlicher Szenen mit Formen des Zusammenlebens experimentieren, präsentiert sich Berlin als „haunted by potential rather than realisation, still encumbered by becoming and not yet being“ (Stahl 2014: 9).

Im Folgenden werde ich zunächst Einblicke in eine sechsmonatige ethnographische Forschung in einem höherpreisigen Friseursalon in Berlin-Friedrichshain geben sowie explorative Beobachtungen zur medizinischen HIV-Prophylaxe PrEP teilen. Zuerst positioniere ich den Salon in geographischer und affektiver Nähe zur (schwulen) Klubszene in Berlin. Anschließend befasse ich mich mit den stofflich-affektiven Dynamiken von Chemie und argumentiere, dass in unterschiedlichen Formen von Chemie bereits der Gedanke einer wechselseitigen Transformation im Sinne einer Anthropology of becoming angelegt ist. Mit diesem emergenztheoretischen Ansatz diskutiere ich im anschließenden Abschnitt urbane Zugehörigkeit, die sich als materielles und affektives Streben-nach ausdrückt und in Momenten des „Chemisch-Werdens“ Aktualisierung erfährt. Solche Momente des „Chemisch-Werdens“ stelle ich dann anhand von zwei Formen urbaner Verkörperung vor: der Herstellung erstens von Looks mithilfe von Schönheitsprodukten im Salon und zweitens von Lust unter Zuhilfenahme von Drogen und der PrEP. Mit dieser Perspektivverschiebung auf chemische Prozesse zeige ich, dass die Anwendung chemischer Substanzen weder als oberflächliche Trivialität noch als Ausdruck tief liegender (Psycho-)Pathologien zu verstehen ist, sondern als kulturelle Praktik, in der die Beteiligten Stadt als bedeutungsvoll erfahren.

1.Chemo-Ethnographie im Salon

Von August 2017 bis Februar 2018 forschte ich ethnographisch in einem höherpreisigen Friseursalon, den ich aus Gründen der Anonymisierung „Mastercut“ taufte.[1] Die Positionierung des Salons in seiner Nähe zur Berliner Technoszene zeigte sich bereits, als ich mich mehrmals wöchentlich von Berlin-Neukölln ins nordöstlich davon gelegene Friedrichshain begab. Mit dem Fahrrad überquerte ich die Spree, fuhr in den ehemaligen Berliner Osten und passierte die Baustelle für die East Side Mall, ein 2018 eröffnetes Einkaufszentrum mit nun über 100 Einzelhandelsgeschäften. Einen Konsumtempel anderer Art konnte ich unweit dessen von der Warschauer Brücke aus erblicken: Das Berghain, Berlins international bekannter Technoklub, erhob sich aus dem umliegenden Industriegebiet. Berühmt-berüchtigt für seine strengen Türsteher*innen, harte elektronische Beats sowie die sexuelle Freizügigkeit und den exzessiven Drogenkonsum seiner Besucher*innen gilt das Gebäude eines ehemaligen Fernheizwerks als Wahrzeichen für Berlins elektronische Partykultur (Robin 2021; Rapp 2009). Schwanhäußer (2010: 17) schreibt in ihrer Ethno­graphie des Berliner „Techno-Underground“, dass der hohe Leerstand nach der Wende Ost-Berlin in ein „Labor für alternative Lebensstile“ verwandelte. Diesem Labor entsprang nicht nur das Berghain: Gleich hinter der Warschauer Brücke führte mich mein Arbeitsweg an einem weiteren ehemaligen Industriegelände vorbei, dem RAW-Gelände, das weitere Klubs und Kultureinrichtungen beherbergt.

Im Herzen Friedrichshains, zwischen Cafés, Bars, Restaurants, Beklei­dungs- und Einrichtungsläden fügte sich Mastercut mit seinen Vasen, Schmuck- und Dekoartikeln im Schaufenster nahtlos ins Straßenbild ein. Der Salon hatte seinen Sitz seit Ende der 1990er Jahre in derselben Straße. „1999 war Friedrichshain ’n totales Drecksloch“, erklärte Felix, der Besitzer von Mastercut: „Alle renovierten Häuser, die da jetzt stehen, sind [seitdem] renoviert worden. […] Also habe ich in den letzten 18 Jahren in einer einzigen Baustelle gewohnt, wird mir gerade bewusst.“ Nach der Wende und insbesondere in den 2000er Jahren entwickelte sich der ehemalige Ost-Berliner Stadtteil zum Szenekiez – mit steigenden Miet­prei­sen, die bereits vor pandemiebedingten Schließungen auch keinen Halt vor den ansässigen Klubs und Bars machten.[2] Das RAW-Gelände kann hier bei­spiel­haft für sich abzeichnende städtische Konflikte stehen, in denen un­ter­schied­liche Personengruppen aufein­ander­treffen. So sehen sich die dort ansässigen Kultureinrichtungen mit Beschwer­den von An­woh­ner*innen über Lärmbelästigung, mit Bebauungs- und Um­gestal­tungs­plä­nen von Investor*innen sowie mit einer erhöhten Polizeipräsenz auf­grund von Drogenhandel und Kriminalität auf dem Gelände konfrontiert (Bährend 2021).

Fußläufig vom RAW-Gelände und vom Berghain entfernt war auch Mastercut den Erzählungen nach jener Aufbruchsstimmung der späten 1990er Jahre entsprungen. Dennoch schien sich der Salon aktuellen Stadtentwicklungen angepasst zu haben und reflektierte die zunehmende Gentrifizierung in Friedrichshain in seiner eigenen Transformation. Einst „der Laden“, zu dem alle angesagten DJs kamen, wie Friseur Oliver Mastercuts wilde Vergangenheit beschrieb, sei der Salon in den letzten Jahren, so Friseur Cedric, deutlich „szeniger“ geworden: „Es war viel schriller, viel bunter alles. Die Wände: ganz viele verschiedene Tapeten, ganz viel Sachen drauf und so. Und jetzt ist es viel ruhiger für seine [Felix’] Verhältnisse. [...] Auch mit der Musik ist er – es ist alles so runtergeschraubt. Die Preise sind höher. Und es ist halt so ’n bisschen szeniger.“ Die Entwicklung von einem angesagten Szenesalon hin zu einem in die Jahre gekommenen „szenigen“ Salon äußerte sich laut Cedric in einer harmonischeren Inneneinrichtung, entspannterer Musik und erhöhten Preisen. Diese starteten bei 40 Euro für einen Kurzhaarschnitt, überstiegen aber bei aufwendigeren Farbbehandlungen schnell 200 Euro. Felix hatte seinen Salon preislich und ästhetisch einem gentrifizierten Friedrichshain angepasst, das sich 2017/18 weder als „Drecksloch“ noch als „Baustelle“ präsentierte. Dennoch waren die Spuren von Mastercuts wilder Vergangenheit nicht gänzlich verwischt: Einige der mittlerweile grau melierten DJs blieben dem Salon als Stammkund*innen erhalten und schlürften ihren frischen Ingwer-Minze-Tee neben Damen mittleren Alters, die den Salon als besonders „cool“ empfanden. Die Friseur*innen hingegen besuchten regelmäßig die angesagtesten Berliner Technoklubs und brachten von dort neue Kund*innen in den Salon. Geduldet von Felix schnitten sie nach Feierabend die Haare von Freund*innen, die eine ähnliche Affinität zur elektronischen Klubszene aufwiesen.

Inmitten dieser Wandlungsprozesse von Stadt und Salon führte ich eine sechsmonatige ethnographische Feldforschung zu körperlichen Trans­formationen durch, indem ich die Herstellung stylisher Körper in Schönheitspraktiken untersuchte.[3] Ich wählte Mastercut als Ausgangspunkt meiner Forschung wegen seiner Außenpräsentation: Die Website des Salons betonte den Hype von Friedrichshain als Salonstandort und pries die Individualität der Angestellten sowie ihrer Kreationen als neuste Haartrends der Stadt an. Urbane Extravaganz spiegelte sich auch in den Porträtfotos wider, die die Friseur*innen mit Piercings, Tattoos und teils außergewöhnlichen Frisuren abbildeten. Mein erstes Kennenlernen des Salonbesitzers entpuppte sich sodann als Bewerbungsgespräch für eine Teilzeitstelle als Assistent des Salons. Nach drei Probearbeitstagen beschied Felix, dass ich „ins Team passte“, und bot mir an, für die Zeit meiner Forschung dort zu arbeiten.

Ein- bis zweimal pro Woche putzte ich Spiegel, staubte Regale ab, beantwortete das Telefon und vereinbarte Schnitt- und Farbtermine. Ich begrüßte die Kund*innen beim Betreten des Salons, nahm ihnen die Jacken ab und bereitete Tee oder Kaffee für sie zu. Und wenn die Friseur*innen in Zeitdruck gerieten, schamponierte ich die Haare ihrer Kund*innen oder wusch an den Waschbecken Blondierungen und Farben aus. Zusätzlich besuchte ich an freien Tagen den Salon, um mit den Friseur*innen in der Küche abzuhängen oder ihnen bei spezifischen Terminen über die Schulter zu gucken. Während die Farben oder Blondierungen einwirkten, setzte ich mich zu den Kund*innen. Dabei entwickelten sich oft Gespräche, die sich von ihren Haaren zu ihren alltäglichen Sorgen und Freuden spannten – von Macho-Kollegen bis hin zu Kinderfotos. Einige Strähnen führten mich im Rahmen der Forschung aus dem Salon heraus. So nahm ich an einem Training einer bekannten Haarproduktfirma teil, begleitete eine Auszubildende des Salons zur Berufsschule, wohnte der Salon-Weihnachtsfeier in einer schwulen Sex-Bar bei und führte Interviews mit Expert*innen aus dem Bereich des Frisierhandwerks.

Oft fegte ich die Haare von Kund*innen zusammen, die in der Ecke vor der Küche ein Büschel bildeten. Ein solches Büschel aus Haaren unterschiedlichen Ursprungs und unterschiedlicher Beschaffenheit beschreibt metaphorisch das Feld meiner chemo-ethnographischen Auseinandersetzung. Es entsteht aus sich kreuzenden Bewegungen von Personen, Ideen, Körpern und Chemikalien, in deren Zentrum Mastercut in seiner geographischen, affektiven und historischen Nähe zur (schwulen) Klubszene in Berlin liegt. Kund*innen kamen und brachten haarige Anliegen zusammen mit dem neuesten Klatsch und Tratsch in den Salon, um diesen nach ihrem Termin verändert wieder zu verlassen. Neue Stile und Techniken fanden ihren Weg zu Mastercut über Instagram oder den Besuch von Messen und prägten dann auf den Köpfen der Kund*innen das Berliner Stadtbild. Lieferant*innen stellten Haarprodukte zu, die sich mit Keratinsträngen verbanden oder über die Kanalisation den Salon wieder verließen. Regelmäßig empfingen die Angestellten freudig einen jungen Mann, der am Küchentisch Platz nahm, als besuche er eine WG von Freund*innen. Ein starker Marihuanageruch erfüllte die Küche, wenn er seine teils pflanzliche, teils synthetische Ware mit einer Küchenwaage portionierte und an die Friseur*innen verkaufte. Auch wir Angestellten verließen den Salon und gingen unserer Wege – auf dem Fahrrad zurück nach Neukölln oder am Wochenende in die Berliner Klubs.

2.Chemie = Werden

„irish, but living in berlin. looking for good, casual chemistry.“ (Grindr-Profil)

„Chilled guy for hot dates here! Chems & groups welcome.“ (PlanetRomeo-Profil)

„Die Chemie muss stimmen.“ (Auszubildende bei Mastercut)

„Ein Chemiker würde mich jetzt ohrfeigen. Aber ich glaube, wir verstehen uns.“ (Friseur-Trainerin)

Chemie ist die Lehre von Stoffen und deren Veränderung. In chemischen Reaktionen verbinden sich Atome und Moleküle miteinander, lösen sich ineinander auf oder werden aufgespalten und bilden so neue Stoffe mit neuen Eigenschaften. Chemische Substanzen wirken dabei nicht selten auf Körper, deren gesundheitliche, ästhetische und sexuelle Konstitution, etwa wenn ein Nutzer einer Hook-Up-App „Chems“ favorisiert, also den Gebrauch von Drogen zur Steigerung sexueller Lust (s. Møller/Hakim 2021). Gleichzeitig beschreibt Chemie metaphorisch soziale und sexuelle Dynamiken, zum Beispiel, wenn ein anderes Nutzerprofil nicht nach „Chems“, sondern nach „good, casual chemistry“ sucht. Chemie vereint demnach Transformationsprozesse auf stofflicher und affektiver Ebene.

Auch bei Mastercut überlagerten sich diese unterschied­lichen Dimen­sio­nen von Chemie. „Die Chemie muss stimmen“, bekundete Mavi, die Auszubildende des Salons, bei meiner Einarbeitung und stieß mich damit auf die Multiplizität von Chemie im Salon. Sie erklärte, wie wichtig es sei, Neukund*innen Termine bei den „richtigen“ Friseur*innen zu geben. Nicht jede Kundin könne beispielsweise mit Reiners „prolliger“ Art umgehen. Florian werde bei kritischen Kund*innen schnell unsicher und Jack bevorzuge Frauenhaarschnitte. Eine andere Art von Chemie zeigte mir Mavi, als ich sie an einem Januarmorgen zur Berufsschule begleitete und im U-Bahngetümmel für eine Klassenarbeit abfragte. Bei einer Dauerwelle, rezitierte Mavi ihr Wissen, werden die Sulfidbrücken im Haar geöffnet, um es neu zu formen. Man müsse jedoch penibel auf die Einwirkzeit achten, damit nicht mehr als 20 Prozent der chemischen Brücken geöffnet werden. Ansonsten verliere das Haar seine Elastizität und die Locken hingen schlapp herunter. Hier offenbarte sich Chemie als theoretisches Wissen über Prozesse im Haar, die praktische Handlungsanleitungen etwa für Einwirkzeiten bereitstellten.

Die eben zitierte Trainerin konnte bei einem Workshop einer bekannten Haarproduktfirma jene exakten Wirkungsmechanismen jedoch nicht benennen. Tatsächlich waren sie ihr egal, solange die Chemie in der Praxis funktionierte. Sie wusste stattdessen, wie sie chemische Produkte zu verwenden hatte, um eine spezifische Form von Strähnen zu erzielen, sogenannte Paintings oder Balayage. Hierbei wird die Blondierung ins Haar gepinselt, um ein möglichst natürliches Farbergebnis zu erzielen – eine Technik, die die Workshopteilnehmenden und ich uns an Übungsköpfen mühsam aneigneten. Auch wenn ein Chemiker die Trainerin für ihre unwissenschaftliche Erklärung „ohrfeigen würde“, war in diesem Fall die korrekte Anwendung chemischer Produkte bedeutsam. Das Wissen über chemische Wirkungsmechanismen und die Anwendung chemischer Produkte in der (Friseur-)Praxis waren demnach nicht deckungsgleich.

Diese unterschiedlichen Chemien beschreibt Barry (2005) am Beispiel der Entwicklung pharmazeutischer Produkte, bei der das Laborwissen nur partiell auf Anwendungskontexte übertragen werden kann. Im Labor „erfinden“ Chemiker*innen „informierte Substanzen“, indem sie spezifische Informationen zu intendierten Effekten, zur idealen Dosierung und zur möglichen Toxizität in Moleküle einschreiben (ebd.: 59). Diese Informationen sind jedoch kontextspezifisch. Sie können nicht eins zu eins auf ihre Anwendungskontexte übertragen werden. Vielmehr handelt es sich bei der Anwendung dieser informierten Substanzen um Übersetzungen: „The molecule that is isolated in the laboratory will not have the same properties as it has in the field, the city or the body.“ (ebd.: 57) Diese Übersetzungs­leis­tungen erbrachten Friseur*innen, wenn sie die Produkte aus den Laboren der erwähnten Haarproduktfirma auf den Köpfen ihrer Kund*innen nutzten. Im Gegensatz zu Mavis Textbuchwissen mussten sie in der Praxis mit Spontaneität und Experimentierbereitschaft auf die materielle Sturheit von Haaren (Holmes 2014) reagieren, wenn beispielsweise eine Blondierung zu „gelbstichig“ ausfiel. Dementsprechend betont Stengers (2021: 23) die Widerspenstigkeit von Substanzen in ihrer „always-specific power to decompose and enter into new com­po­si­tions“. Insofern sich in Reaktionen oft unvorhersehbare Realitäten bilden, wohnt der Chemie immer ein Überraschungsmoment inne, dem es mit Einfallsreichtum zu begegnen gilt.

Chemie trat im Kontext meiner Forschung in mehreren Formen auf. Sie ist die theoretische Lehre stofflicher Veränderung, wie sie sie Mavi in der Berufsschule paukte. Dieses Wissen findet seine Materialisierung in unterschiedlichen Substanzen wie Drogen, Haarprodukten und Pharmazeutika, in die eine bestimmte Wirkungsweise eingeschrieben ist. Gleichzeitig ist Chemie eine Praxis, in der jene Substanzen „im Feld, in der Stadt und in Körpern“ (Barry 2005: 57) zum Einsatz kommen – oft mit unvorhergesehenen Nebeneffekten. Und nicht zuletzt ist die Anwendung chemischer Substanzen untrennbar von affektiven Dynamiken, beispielsweise wenn Drogen zur Steigerung von Lust genutzt werden oder bei Frisierterminen die stoffliche Chemie nicht jenseits von intimen Beziehungen wirken kann.

Diese Formen von Chemie basieren auf dem geteilten Verständnis, dass sich unterschiedliche Akteur*innen im Austausch konstituieren. Dabei können die ausgetauschten „Substanzen“ Elektronen, ein Lächeln, Pheromone, Inspirationen oder Körperflüssigkeiten sein. Dieser Austausch lässt Sender*in und Empfänger*in nicht unverändert zurück. In der Chemie selbst ist damit bereits die Idee einer beständigen, affektiv-materiellen Transformation inbegriffen und damit eine Abkehr von statischen Konzepten von Sein und Identität. In ähnlicher Weise stellen Biehl und Locke (2017) in ihrer Anthropology of becoming den Prozess des Werdens als relational und unabgeschlossen dar. Körper, Machtverhältnisse und Materialität seien demnach niemals festgeschrieben, sondern in einem ständigen Prozess der Konstruktion und Kreation begriffen „as people imag­ine and attempt to make real what they need and long for“ (ebd.: 6). Sie betonen dabei die entscheidende Rolle von Imagination und Bestreben, die den Prozess des Werdens antreiben. Dabei ist Werden nicht als bloße Imitation bestehender Formen zu verstehen. Im Gegensatz zu molaren Politiken der Imitation beziehen Biehl und Locke sich auf molekulare Verbindungen und Annäherungen im Prozess der Ko-Transformation, die keinen Rückschluss auf ursprüngliche, abgeschlossene Entitäten zulässt (ebd.: 8 f.) – als „emitting particles that enter the relation of movement and rest, or the zone of proximity“ (Deleuze/Guattari 2013 [1988]: 321).

Mit „Chemisch-Werden“ beschreibe ich eine spezifische Form der stofflich-affektiven Chemie, die sowohl an konkrete Substanzen und deren Verwendung gebunden als auch in affektive Beziehungen eingebettet ist.[4] Chemie verfolgt nicht nur das molare Ziel, eine bestimmte städtische Form – etwa ein gewisses Aussehen oder das Image sexueller Freizügigkeit – körperlich zu imitieren. Vielmehr verstehe ich Körper, chemische Substanzen und städtische Subkultur als in einem dynamischen Prozess der Ko-Transformation begriffen. Diese molekularen Wechselbeziehungen beschreiben Deleuze und Guattari als Zonen der Komposition, Dekomposition und Rekomposition, in denen Körper sich konstituieren als „nonreducible, relational rhythmic orderings, the affective capacities of which can be transformed through various techniques and practices“ (McCormack 2007: 370). „Chemisch-Werden“ zeichnet sich folglich durch das Annehmen eines Rhythmus mithilfe chemischer Substanzen aus. Diese fast unmerkliche Veränderung lässt sich nicht auf ein bestimmtes Merkmal reduzieren, etwa auf eine neue Haarfarbe. Umgangssprachlich lässt sich diese molekulare Urbanität wohl am Ehesten als ein urbaner vibe ausdrücken – als die kaum beschreibbare Weise, in der Körper zu urbanen Körpern werden und damit zu subkulturellen Imaginationen des Städtischen in Beziehung treten. Chemie ist dabei nicht nur ein Mittel zum Zweck, um urbane Zugehörigkeit herbeizuführen, sondern essenzieller Teil jener Szene-Urbanität, die Felix und seine Angestellten herstellten. Mit diesem Konzept einer molekularen Urbanität soll nun die lineare Beziehung zwischen körperlichen Veränderungen und urbanen Szenen kritisch hinterfragt werden. Im nächsten Abschnitt argumentiere ich deshalb, dass „Chemisch-Werden“ eher eine Modalität des Strebens nach Urbanität und weniger die konkrete Richtung urbaner Zugehörigkeit beschreibt.

3.Verkörperte Zugehörigkeit zu urbanen Szenen

Indem sie Haare schnitten, färbten und stylten, formten die Friseur*innen bei Mastercut Körper und beeinflussten, wie sich die Kund*innen der Stadt zugehörig fühlten. Zur Zeit meiner Forschung setzte Felix beispielsweise auf Neuinterpretationen des in den 1980er Jahren modischen Vokuhilas, „federige“ Schnitte und „knallige“ Neonfarben. Ihre Autorität als Trendsetter*innen zogen Felix und seine Angestellten aus Mastercuts Posi­tionierung als hippem Salon mit Verbindungen zur Technoszene. Während eines Interviews schwärmte Felix von einer Show Anfang der 2000er Jahre, bei der er in einem der angesagtesten Technoklubs gemeinsam mit seinen Angestell­ten live auf der Bühne Haare schnitt und Models stylte: „Ich kannte alle, die da gewesen sind. Ich kannte die ganzen Leute hinter der Bar. Ich kannte die Besitzer. Ich kannte alle DJs. Ich kannte alle. Ich war wie ’n bunter Hund da.“ Besitzer und Salon waren Teil der Klubszene; mehr noch: In seinen Styling-Shows und beim Schneiden der Haare angesagter DJs bestimmte Felix nach eigener Wahrnehmung mit, wie diese Szene aussah.

Die Zugehörigkeit zur Berliner Technoszene hatte einen großen Anteil an den Identitätskonstruktionen des Salons, seiner Angestellten und teilweise auch seiner Kund*innen. Trotz ihrer Flüchtigkeit sind Szenen laut Blum (2003: 176 ff.) nicht nur in der Stadt lokalisiert. Als Orte öffentlicher Intimität bilden sie zudem einen integralen Bestandteil urbaner Imaginationen. So können einige Szenen emblematisch für die Stadt stehen, indem Szene-Praktiken untrennbar mit Lokalitäten assoziiert werden. Urbanität und urbane Verkörperung, wie sie bei Mastercut bedeutungsvoll praktiziert wurden, sind spezifisch an schwule Sexkultur und die Berliner Technoszene gebunden, mit Orten wie dem Berghain. Sie reproduzieren damit ein international verbreitetes Bild von Berlin als Ort sexueller Freizügigkeit und exzessiver Partys (Rapp 2009).

Auch fast 20 Jahre nach der von Felix beschriebenen Show erkannte Esther, eine Kundin aus der Ukraine in ihren 20ern, die partielle Zu­ge­hörig­keit von Mastercut zu einer, wie sie es formulierte, „underground culture“. Als ich mit ihr auf der Wartecouch des Salons ins Gespräch kam, identifizierte sie Mastercut als „more alternative salon“. Für Esther drückte sich dies in affektiven Repertoires aus. So seien es vor allem „the whole vibe of this place“ sowie die „chilled atmosphere“ gewesen, die Mastercut einen alternativen Anstrich verliehen. Sie führte aus, dass nicht so sehr die Kund*innen, aber dafür umso mehr das Aussehen der Friseur*innen zu diesem vibe beitrugen. Dabei deutete Esther auf Franci. Für Esther verkörperte die Friseurin mit ihren schwarzen braids, die sie ungeordnet auf ihrem Kopf türmte, mit ihrem breiten silbernen Nasenring, ihren Tätowierungen auf Hals und Armen, ihren weiten Baggy-Hosen und ihren hohen schwarzen Lederboots jene „underground culture“. Diese konstituiere sich in der Abkehr vom Mainstream und finde ihren Ausdruck in Technomusik und Drogenkonsum, erklärte Esther auf meine Nachfrage. Esther versuchte ihre eigene Szene-Zugehörigkeit durch einen Undercut am Hinterkopf und ein Nasenpiercing auszudrücken. In acht von zehn Fällen seien Piercings „a first sign that the person is more friendly to underground culture“, fügte sie hinzu.

In ihrer Beschreibung des „Techno-Underground“ charakterisiert Schwanhäußer (2010) „die Szene“ durch ihre kurzfristige Aneignung von Stadtraum, die „auf eine Verflüssigung räumlicher Grenzen [zielt], bei der locations im Stadtraum produziert werden, um sie anschließend wieder aufzulösen“ (ebd.: 11; Hervorhebung im Original). Diese auf den Moment fokussierte Ästhetisierung des Raumes schlage sich auch in einem Modestil nieder, der sich einer „sozialen und kulturellen Zuschreibung, auch der einer geschlossenen Subkultur, entziehen möchte“ (ebd.: 108). Dennoch beschreibt Schwanhäußer – wie auch Esther – sehr klare Merkmale, die „die Szene“ und deren Mitglieder in Abgrenzung zum Mainstream eint. Für Esther manifestierte sich diese Abgrenzung in einem Ring, welcher ihre eigene, aber auch Francis und meine Nase als Teil einer „underground culture“ verband.

Diese Aushandlung städtischer Zugehörigkeit anhand körperlicher Schönheitspraktiken umreißt Liebelt (2019) mit dem Konzept der „aes­thetic citizenship“. Anhand von „claims of belonging and struggles over inclusion within a changing urban environment“ (ebd.: 699) beschreibt sie, wie in Istanbul in unterschiedlichen Schönheitspraktiken Normen urbaner, säkulärer Weiblichkeit hergestellt und streng reglementiert werden. Diejenigen, die den Normen urbaner Verkörperung nicht entsprechen, werden moralisch und affektiv von jener Zugehörigkeit zur Stadt ausgeschlossen (ebd.). Für Esther gehörte beispielsweise ein Großteil der wohlhabenderen Kund*innen des Salons aufgrund ihrer gewöhnlichen Haar- und Kleidungsstile eindeutig nicht zur „underground culture“.

Bei unserem Gespräch auf der Wartecouch stieß Esther jedoch schnell an ihre Grenzen, als sie versuchte, den Stil der „underground culture“ anhand konkreter Merkmale zu umreißen. An einem Nasenpiercing allein ließ sich demnach die Zugehörigkeit zur Szene noch nicht ablesen. Stattdessen griff sie auf ihren subjektiven Eindruck von vibes und Atmosphären zurück, um Mastercuts affektive Nähe zur Technoszene zu fassen. Diese Ambivalenz zwischen eindeutig identifizierbaren Symbolen und erlebten Eindrücken beschreibt Drysdale (2019: 7) als Wechselspiel von Repräsentation und Evokation, wenn sie einen affekttheoretischen Szenebegriff entwirft. Sie konzeptualisiert Szenen weder als eine rein individuelle Erfahrung noch als ausschließlich kollektives Phänomen, sondern als „a site of affective investments in experiences that often can’t be quantified or collated in ways that can provide a representationally stable account“. Auch Schwanhäußer (2010: 306) schlägt den Begriff der Szene vor, um speziell „die flüchtigen, oberflächlichen und auch chaotischen Momente urbanen Lebens und urbaner Gruppenbildungsprozesse“ und damit die Instabilität städtischer Subkulturen anzuerkennen. In meiner molekularen Betrachtung des „Chemisch-Werdens“ folge ich dieser Betonung von Momenten, in denen sich Zugehörigkeiten flüchtig in räumlichen und körperlichen Arrangements ausdrücken. Damit folge ich nicht der Annahme, dass sich aus diesen „affective investments“ zwangsläufig feste Gruppen bilden. Zugehörigkeit zur Szene verstehe ich dementsprechend als affektive Qualität, als „desire to connect with others and the material world“ (Drysdale 2019: 8). Damit verschiebt sich der Fokus von einer Beschreibung der Szene, also etwa des „Techno-Undergrounds“ (Schwanhäußer 2010) oder eines „Stammpublikums“ (Robin 2021) hin zum affektiv-materiellen Streben nach einer Szene-Zugehörigkeit und den damit produzierten Imaginationen städtischen Lebens.

Entgegen einem definitorischen Entwurf einer Klubszene anhand von Tanz- und Kleidungsstilen, Verhaltenskodizes und Raumordnungen (Robin 2021) betont Buckland (2002) in ihrer Beschreibung der Klubkultur im New York der 1980er und 1990er Jahre die Fluidität von Zugehörigkeit und Community. Sie konzentriert sich auf das Tanzen im Klub und die performative Herstellung von Zugehörigkeit „in a moment of a space of creative, expressive, and transformative possibilities, which remain fluid and moving by means of the dancing body“ (ebd.: 4). Buckland interpretiert dabei das Tanzen nicht als Teil eines „urbanen Gruppenbildungsprozesses“ (Schwan­häußer 2010: 306), sondern als spontanen, ergebnisoffenen und fort­laufenden Prozess eines „queer world-making“. In ähnlicher Weise schlage ich vor, bei der Betrachtung des „Chemisch-Werdens“ nicht auf die Her­stellung beständiger Gruppen oder geteilter Identitäten zu fokussieren. Chemisch-induzierte Zugehörigkeit verstehe ich demnach nicht als line­are Bezie­hung, die Personen dauerhaft mit einer Gruppe oder chemosociality assoziiert, sondern als „‚distanciated‘ modes of belonging“ (Amin/Thrift 2002: 48). Damit drückt sich in „Chemisch-Werden“ eine Form von „be/longing“ als „embodied-affective work of relating” aus (Kasmani 2019: 36) – also als ein affektives Zugewandt-Sein und materiell-körperliches Streben-nach. Dieses Streben evoziert urbane Verkörperung und Zugehörigkeit als Poten­zialitäten, erfährt jedoch nicht zwangsläufig eine Aktualisierung in einem Moment des Ankommens in einer definierten Identität, Gruppe oder Community. Folglich fokussiert „Chemisch-Werden“ nicht, wozu Personen zugehörig werden, sondern wie sich im Zusammentreffen von Körpern und Chemie spezifische Imaginationen von Urbanität manifestieren. Zwei dieser molekularen Momente des „Chemisch-Werdens“ möchte ich im Folgenden näher betrachten: die Herstellung von Looks im Salon und von Lust in schwuler Sex- und Partykultur.

4.Looks: Synchronisieren von Körpern und Styles

Bei einem Interview zeigte ich Felix seine eigenen Fotos von einer Hair­styling-Messe, die er an die Chatgruppe des Salons geschickt hatte. Bei dem Foto eines weiblichen Models mit einer Pilzkopf-Frisur blieben wir hängen. Unter dem blondierten Deckhaar schienen dessen dunkelblau gefärbten Haare an der scharfen Schnittlinie hindurch, die sich über Stirn, Schläfen und Ohren erstreckte. Felix zeigte sich unbeeindruckt von diesem Look. Er kommentierte, dass Cedric einen solchen Look schon längst auf den Köpfen seiner Kund*innen bei Mastercut umsetze. Tatsächlich konnte ich mich an eine Kundin und den zugehörigen Instagram-Post erinnern. Darin stellte sie eine ähnliche Frisur in einer Version mit lila Haaren zur Schau. Obwohl Cedrics Kundin deutlich weichere Gesichtszüge hatte als das Model und obwohl die Schnittlinie ihres Pilzkopfes ohne Kanten verlief, konnte mein ungeschultes Auge die Ähnlichkeit zwischen Felix’ Foto und Cedrics Instagram-Post erkennen. Dieser Look war mehr als nur ein Haarschnitt – ein Pilzkopf. Mit blondiertem Deckhaar und knalliger Grundfarbe war es eine spezifische Ausführung, die sowohl an die individuellen Gegebenheiten der Person angepasst war als auch Anleihen an einen aktuellen Trend nahm. Doch obgleich beide Fotos einen spezifischen Haarschnitt zeigten, waren beide Frisuren als ein Look identifizierbar.

Looks fungierten bei Mastercut als Währung für Kund*innen, um als urban, modisch oder hip erkannt zu werden. Viele Kund*innen erzählten, dass sie genau wegen der „coolen“ Friseur*innen und deren tadellosen Arbeit zu Mastercut kamen. Sie grenzten den Salon dabei von herkömmlichen oder „eingestaubten“ Salons ab. Bei der Herstellung eines Looks zeigte sich ein Modus des Strebens nach urbaner Verkörperung, in die Friseur*in und Kund*in gemeinsam mit chemischen Substanzen und Schnitt­techniken involviert waren. Looks präsentieren dabei einen Moment des „Chemisch-Werdens“; eine affektive und materielle Transformation, in der eine spezifische Urbanität Aktualisierung erfährt. Dabei ist ein Look zwischen einem individuellen Körper und sozialen Interaktionen positioniert, wie Plemons (2017) in seiner Ethnographie The look of a woman argumentiert. In seiner Auseinandersetzung mit Gesichtsfeminisierungs-OPs bei trans Frauen schlägt er deshalb ein Verständnis von Geschlecht vor, das auf Wiedererkennung beruht: „In a performative model citation and reception of sex/gender norms are predicated on recognition, the act of exchange by which we come into being to ourselves and each other. Social norms and expectations determine who is recognizable to whom and as what.“ (ebd.: 10; Hervorhebung im Original) Ein Look – sei es der Look „einer Frau“ oder „ein urbaner Look“ – ist damit nicht festgeschrieben, auch wenn er gegebene Stile oder Vorstellungen zitiert. Vielmehr bedarf es einiger Synchronisierungen, um materielle Körper mit ausgehandelten sozialen Normen in Einklang zu bringen.

Wenn die Friseur*innen von Looks sprachen, beschränkten sie sich nicht auf eine Frisur. Mehr noch als Haarfarbe und -schnitt umfasste ein Look einen Ausdruck, der eine Beziehung zwischen dem individuellen Aussehen und einem Style herstellte. Um einen Look zu produzieren und damit Urbanität auszudrücken, reichte es nicht aus, eine modische Frisur von Instagram zu übernehmen und eins zu eins auf die Köpfe der Kund*innen zu stülpen. In Analogie dazu beschreibt Plemons (2017) die Arbeitsweise eines Chirurgen, der im Gegensatz zu seinem Kollegen nicht versucht, die Knochen- und Gewebestruktur seiner Patientinnen an Normwerte weiblicher Gesichter anzupassen. Stattdessen verfolge er eine Logik der Selbstoptimierung zur Herstellung besonders attraktiver (weiblicher) Gesichter mit „sex appeal“ (ebd.: 61). Auch Cedric betonte, dass die Herstellung eines Looks mehr erfordere, als nur Normvorstellungen zu reproduzieren. Vielmehr bräuchten Friseur*innen ein „Formgefühl“, eine Art Vision, um eine modische Frisur auf eine spezifische Person anpassen und so einen Look kreieren zu können. Florian beschrieb diesen Prozess folgendermaßen:

„Wenn ich jetzt zum Beispiel mit der Farbe anfange, dann schaue ich mir die Person an und nehme sie in dem Sinne wahr, dass ich mir die Augenfarbe anschaue von der Person; dass ich mir die Hautfarbe anschaue; dass ich schaue, ob sie kühl oder warm ist. Dann schaue ich mir die Haarbeschaffenheit an: Was bringt mir die Kundin mit? Wie ist der Naturton? Wenn die Haare gefärbt sind: Welche Nuancen befinden sich in den Haaren? Und welche Klamotte trägt diese Person? Von den Klamotten her, welche Farben die Person trägt. Wie aufgeregt ist etwas? Wie unaufgeregt ist etwas? Und das sind für mich diese Anhaltspunkte, um ein Konzept zu entwerfen. […] Und sowas kommt natürlich ganz stark aus der Beratung raus, indem ich Farbsträhnen nehmen kann und der Kundin das mal gegen die Haut halte, um damit die emotionale Reaktion direkt erleben kann, wie diese Kundin gerade sich empfindet mit dieser Strähne zum Gesicht hin.“

Die Herstellung eines Looks ist folglich keine reine Reproduktion oder Imita­tion und umfasst deutlich mehr als nur Haare. Sie ist von An­pas­sungs­leistungen gekennzeichnet, in die unterschiedliche materielle (Haar­struk­tur), ästhetische (Farbharmonien), typbezogene (Gesamterscheinung der Person) und affektive (ihre spontane Reaktion) Aspekte einfließen. Die konkrete Umsetzung eines „Konzepts“, wie Florian es nannte, brachte einen Look durch unterschiedliche Techniken und Produkte hervor. Beispielsweise beobachtete ich Oliver bei einem Termin, bei dem er die sogenannte Painting-Technik anwendete, um einen „Beach-Look“ herzustellen. Beim Auftragen der Farbe erklärte er mir minutiös, in welchem Winkel er Blondierung und Farbe ins Haar pinselte, um die Bleichkraft von Sonne und Salzwasser zu imitieren und so ein vermeintlich natürliches Ergebnis zu erzielen.

Cedric ergänzte, dass er Kund*innen viele Fragen stelle, um deren konkrete Wünsche besser erfassen und ihre Erwartungen bereits früh managen zu können, falls diese ein festgelegtes Budget oder materielle Möglichkeiten überschritten. Zum einen zeigte Cedric dabei, dass die Looks bei Mastercut ihren Preis hatten und nicht für jede*n gleichermaßen erschwinglich waren. Zum anderen drückte sich in Cedrics beständigem Nachfragen eine Art Fürsorge aus, die bei Mastercut praktiziert wurde. Körperliche Transformationen sind demnach in fürsorgliche Beziehungen eingebettet, wie es auch Plemons (ebd.: 88) für Gesichtsfeminisierungs-OPs bemerkt: „Care turns the cut into an act of intimacy, becoming its accomplice in the enactment of woman.” Diese Form von cutting as care zeigte sich beispielsweise, wenn die Friseur*innen graue Ansätze scherzhaft in „neublondes Haar“ umtauften, gezielt über OP-Narben am Kopf schwiegen, meinen Trennungsschmerz durch den Look einer „sexy single bitch“ minderten, schwindende Haarpracht durch einen passenden Schnitt verdeckten oder gemeinsam mit ihrer Kundin deren Schlaganfall beklagten. Die Herstellung eines Looks erfolgte in persönlichen Beziehungen und verband dabei unterschiedliche Anliegen in intimer Weise.

Im Salon stellten die Friseur*innen zusammen mit chemischen Haar­pro­dukten, Schnitttechniken und den neuesten Trends Urbanität in Form von Looks her. Wenn die Kund*innen Mastercut und dessen fürsorgliche Beziehungen verließen, konnten sie den Moment urbaner Verkörperung nur teilweise auf ihren Köpfen mit sich nehmen. In sozialen Interaktionen entschied sich immer wieder aufs Neue, ob ein Look auch außerhalb von Mastercut funktionierte; das heißt, ob er als cool empfunden oder als Look einer „sexy single bitch“ wiedererkannt wurde. Die „harte Tür“ des Berghain kann als eine dieser bestätigenden beziehungsweise abweisenden Momente verstanden werden. Fotograf Sven Marquardt erlangte als strenger Türsteher des Technoklubs Berühmtheit. Ich stelle mir vor, wie Esther nach Stunden des Anstehens vor ihn tritt und sich mit ihrem Undercut und ihrem Nasenpiercing seinem Urteil ausliefert. Könnte sie Marquardts restriktiver Einlasspolitik standhalten, mit der er seit über 15 Jahren die Anstehenden aussortierte, um „eine gute Mischung für die Nacht“ (Marquardt 2014) zusammenzustellen? Das Passieren der „harten Tür“ würde Esthers Look als zur „underground culture“ zugehörig bestätigen.

Die Herstellung und Wiedererkennung von Looks präsentieren Mo­men­te des „Chemisch-Werdens“, in denen sich Urbanität in Körpern und sozialen Interaktionen manifestiert. Die körperlichen Transformationen im Salon und über diesen hinaus verfolgen nicht selten das molare Ziel, eine spezifische Identität auszudrücken. Gleichzeitig geht die Verkörperung von Szene-Urbanität in Looks über molare Reproduktion und Imitation hinaus. Ein Look entsteht durch intime Anpassungsleistungen, in denen unterschiedliche Rhythmen – Materialitäten, Affekte, Wünsche, Budgets sowie Imaginationen von Urbanität – bestmöglich miteinander synchronisiert werden. Erst außerhalb des Salons aktualisiert sich dann in Momenten der Wiedererkennung die Zugehörigkeit zu spezifischen Szenen – wenn ein Look Bestätigung erfährt.

5.Lust: Techno-ketaminische Urbanität

Auch in den drei Jahren nach meiner ethnographischen Forschung bei Mastercut begünstigte der gemeinsame Wohnort Berlin Zusammentreffen mit den Angestellten des Salons, etwa wenn ich gelegentlich für einen Haarschnitt dort vorbeischaute, wenn Oliver und ich uns in einem Klub kurz euphorisch in die Arme fielen, um dann wieder unserer Wege zu gehen oder wenn sich Jason auf einer Hook-Up-App auf mein Profil verirrte. Jason war einer der Assistenten und die gute Seele des Salons. Er kümmerte sich auf seine eigene sarkastische Weise, aber doch fürsorglich um das Wohlbefinden von Angestellten und Kund*innen. Da Jason und ich im selben Stadtteil wohnten, kam es vereinzelt zu schriftlichen Interaktionen in der App, oft eingeleitet von Kosenamen wie „Zaubermaus“ oder „Zuckerschnute“. Wie ich es bereits von meiner Feldforschung bei Mastercut kannte, waren die Chats mit Jason von Ambivalenz und sexueller Ironie getränkt, die nicht selten Fragen nach meiner Positionierung im Feld aufwarfen (Schnepf 2020). Bis heute kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob die Chats ein ernsthaftes sexuelles Interesse von Jason bekundeten oder lediglich Ausdruck einer verschmitzten Spielerei waren. Wahrscheinlich tappt auch Jason über die Bedeutung unserer Interaktionen im Dunkeln.

Als ich bei einem dieser virtuellen Zusammentreffen stolz von meinem morgendlichen Pilates-Workout berichtete, machte Jason keinen Hehl aus seiner Abscheu: „Pilates ist schlichtweg untechno und unketaminisch. That’s all.“ Auf meine Frage, was denn stattdessen eine „techno-ketaminische Sportart“ sei, hatte Jason sofort eine Antwort parat: „Bareback ficken, Berghain-Tanzen“, schrieb er in den Chat. Obwohl Jason einer der wenigen Angestellten bei Mastercut war, der Technoklubs generell mied, stellte die Szene mit ihren Lokalitäten wie dem Berghain und den dort konsumierten Drogen wie Ketamin für ihn wichtige Wertungskategorien bereit. Im Gegensatz zu techno-ketaminischen Aktivitäten repräsentierte mein morgendliches Pilates einen auf Gesundheit fokussierten, mittelständischen Lebensstil, von dem sich Jason klar abgrenzen wollte. Pilates produziert wie auch Yoga sicherlich eine andere verkörperte Zugehörigkeit zur Stadt (Kern 2012), nicht jedoch eine Szene-Verkörperung, wie sie bei Mastercut hergestellt und wertgeschätzt wurde. Barebacking, verstanden als Analsex ohne Kondom, und das Tanzen im wohl bekanntesten Berliner Technoklub hingegen waren Aktivitäten, die sich dezidiert von einer solchen Pilates-Urbanität abgrenzten.

Die Herstellung einer techno-ketaminischen Urbanität in Momenten sexueller Freizügigkeit, durch den Konsum von Drogen und das „Berghain-Tanzen“ fasse ich unter dem Begriff Lust. Die zentrale Rolle von Lust in sozialen Veränderungsprozessen stellt Race (2018: 27) in seinem Kapitel zu „queer chemistry” heraus: „A focus on the pleasures afforded by intoxicants, how­ever temporary and ambiguous these may appear, may give some insight into the experiential shape and texture of particular social worlds and the conditions in which participants attempt certain transformations or es­capes.“ Parallel zur Herstellung von Looks ist auch Lust in Körpern und sozialen Interaktionen zu verorten. Auch sie wird durch das Experimentieren mit che­mischen Substanzen begünstigt. Bei der Betrachtung lustvoller Momente des „Chemisch-Werdens“ rückten weniger die Körper der Kund*innen, sondern eher die der Angestellten von Mastercut in den Vordergrund. Hierzu führte ich in Anlehnung an Hardons (2021: 14 ff.) Vorgehen sogenannte „Head-to-toe“-Interviews mit den Angestellten des Salons. Darin fragte ich sie, welche Substanzen an und in ihre Körper gelangten. Insbesondere die Nutzung synthetischer Partydrogen und antiretroviraler Medikamente zur Prävention einer HIV-Infektion kamen dabei zur Sprache.

In diesen „Head-to-toe“-Interviews betonten die Angestellten, dass sie bei Hygieneartikeln auf natürliche Produkte achteten und beschrieben ihre Sportroutinen und gesunden Essgewohnheiten – in Anklang an eine von Jason zuvor abgelehnte Pilates-Urbanität. Als ich nach diesen Ausführungen bei Oliver explizit nachfragte, was in seinen Körper gelange, fragte er zuerst nervös, ob seine Kolleg*innen ehrlich gewesen seien. Erst nach meiner Bestätigung beschrieb er die Bedeutung von Drogen in seinem Leben, aber auch bei anderen Angestellten von Mastercut, wobei er selbst den Widerspruch zwischen der Anwendung natürlicher Schönheitsprodukte und synthetischer Drogen benannte. Oliver erinnerte sich an einen Sticker, den er vor langer Zeit zusammen mit seiner Mutter erblickt hatte. Als Junge hatte er einen „Keine Macht den Drogen“-Aufkleber auf der Rückseite eines Autos entdeckt und sich nach einem elterlichen Aufklärungsgespräch geschworen, niemals Drogen zu nehmen. Doch gerade in Berlin, gerade in der elektronischen Klubszene, seien Drogen Oliver zufolge unerlässlich: „Man möchte dabei sein. Man möchte natürlich auch mitfeiern. Und dann macht man das auch einfach, weil man vielleicht auch – ganz ehrlich – auf ’ner Party nichts Besseres zu tun hat. Was machst du dann in so ’nem Klub, wenn du da 18 Stunden bist? Klar, es macht Spaß: Tanzen, trinken, dich unterhalten. Manche haben Sex da.“ Olivers Wunsch, dabei zu sein, wurde durch den Konsum von Drogen erfüllbar. Die konsumierten Substanzen eröffneten ihm eine Erlebnis- und Gefühlswelt, welche kaum anders körperlich und emotional zu erreichen ist. Als „Dabei-Sein“ beschrieb Oliver diesen lustvollen Moment der Zugehörigkeit, die an chemische Substanzen geknüpft war, in diesem Fall an synthetische Partydrogen. Dieses „Dabei-Sein“ war jedoch nicht an eine definierte Gruppe gebunden, sondern bezog sich auf das Bedürfnis, Teil einer unkonkreten Masse tanzender und Sex habender Körper zu sein. Der Wunsch nach Zugehörigkeit richtete sich demnach auf die Stadt Berlin und ihre Klubkultur und fand im Konsum von Partydrogen seine momentane Aktualisierung.

Auch Friseur Jack bestätigte diese fast untrennbare Verbindung von Drogen und „Berghain-Tanzen“, als er mir erzählte, dass er seit nunmehr zehn Jahren trocken sei. In seinem vorherigen Leben in den USA habe er fast täglich Alkohol und andere Drogen konsumiert. Doch um seinem hohen professionellen Anspruch an sich selbst gerecht zu werden, musste er sein Leben komplett ändern: „Wenn du ’n ganz großer Feiermensch, Alkoholiker bist, dann muss man ’ne radikale Veränderung machen, um das zu hemmen. Und ja – also muss man machen. Also du kannst nicht sechs Tage die Woche in Klubs unterwegs sein und nüchtern bleiben.“ Laut Jack verunmöglichte es ihm seine Abstinenz, „dabei zu sein“ wie Oliver: Ohne Drogen hatte er keinen Zugang zu jenen Momenten der Zugehörigkeit und war damit indirekt vom substanzfokussierten Berliner Klubleben ausgeschlossen.[5]

Dafür versuchte Jack auf andere Weise an urbaner Sexkultur teilzuhaben. Er trainierte fast täglich und präsentierte seinen muskulösen, tätowierten Körper auf Instagram in Lederoutfits und aufreizenden Posen. Auch wenn ihm das „Berghain-Tanzen“ weitestgehend verwehrt blieb, konnte er über die Darstellung schwuler Ästhetik seine Szene-Zugehörigkeit performen. Jacks verkörperte und mediatisierte Teilnahme an schwuler Subkultur – das Trainieren, Tätowieren, Kleiden und Darstellen seines Körpers – kann als Teil dessen verstanden werden, was Jason in zugespitzter Weise auf „Bareback-Ficken“ reduzierte – als eine transgressive Form schwuler Sexualität.

Insbesondere durch die HIV-Prophylaxe PrEP erfuhren teils moralisch geführte Debatten um barebacking in gesundheitswissenschaftlicher Litera­tur sowie im Sprachgebrauch schwuler Sexkultur eine Aktuali­sie­rung (Brisson 2017). Vor der Ein­führung der PrEP stellte laut Dean (2009) Sex ohne Kondom, der Austausch von Körpersubstanzen und damit die potenzielle Weitergabe des HI-Virus einen gemeinschaftsstiftenden Akt unter einigen schwulen cis-Männern dar, der keine biologische, sondern eine virale Reproduktion forciert. Gerade das potenzielle Risiko einer HIV-Infektion beim Sex ohne Kondom konstituiere, so Dean, die Barebacking-Subkultur in der Subversion gängiger neoliberaler Gesundheitsimperative. Jason fasste in einem späteren Chat das Argument fast treffend zusammen, als er halb scherzhaft von seiner „Lebensaufgabe“ sprach: „Mein Sperma verteilen und meine Gene weitergeben, ja [Heiligenschein-Emoji]“. Doch im Gegensatz zu Deans Fokus auf virale Sozialität gab Jason in seinem Profil an, die PrEP einzunehmen. Eine Infektion mit HIV oder eine Weitergabe des Virus zählten damit explizit nicht zu seiner „Lebensaufgabe“. Vielmehr konnte er durch das „Verteilen seines Spermas“ Lust generieren, gerade weil das Medikament eine HIV-Infektion ausschloss.

Auch Oliver betonte diese anti-virale Sozialität durch Selbst- und Fremdschutz. Er bestellte sich bereits während meiner Forschung im Salon das Medikament über das Onlineportal „AllDayChemist“ aus Indien. Zu dieser Zeit beschrieb er sein ambivalentes Verhältnis zu Kondomen:

„Es ist halt diese – es sind so Fetische, die man auch hat irgendwo. Kondom gehört da bei mir definitiv nicht dazu. Aber ich hab’ mit Kondom Sex, einfach nur weil’s wichtig ist. Ich sag aber öfter mal nein oder kann schwer sagen zu der Person: ‚Nein, mach eins drauf!‘ Das kann ich einfach nicht so gut, ehrlich gesagt. Ich schütz mich quasi vor mir selbst mit der PrEP – auch andere.“

Oliver erklärte, dass die Abwesenheit eines Kondoms gemeinsam mit der Abwesenheit eines Infektionsrisikos lustvolle Begegnungen generieren kann. In diesen Momenten der Lust musste er dank der PrEP den Sex nicht unterbrechen, um seinen Partner an die Verwendung eines Kondoms zu erinnern. Die PrEP ermöglichte demnach ein vollumfängliches „Dabei-Sein“ ohne Unbehagen, genauso wie sie Jason dabei unterstützte, seine „Lebensaufgabe“ zu erfüllen. Kritiken an der pharmazeutischen HIV-Prophylaxe und ihrer biopolitischen Kontrolle über schwule Sexualität (Dean 2015) sollten deshalb die Herstellung lustvoller Begegnungen – und auch biopolitischer Gemeinschaften im Kampf um gleiche Zugänge zum Medikament (siehe Schubert 2019) – berücksichtigen.

Jasons „techno-ketaminische“ Ausführungen deuten Momente des „Chemisch-Werdens“ an, die hauptsächlich in schwuler Sexkultur und der Berliner Technoszene zu verorten sind. Dabei sind Substanzkonsum in Klubkontexten und promiske (schwule) Sexualität in ihrer pharmako­lo­gischen Ermöglichung weder exklusiv städtische noch allein queere Phä­no­me­ne. Nichtsdestoweniger verdichten sich in der beschriebenen lustvollen Nut­zung von Drogen und Pharmazeutika Imaginationen von Urbanität und speziell bezogen auf Berlin als Oase der Freizügigkeit und queeren Sexualität (Beachy 2014). Parallel zur Herstellung von Looks verspricht lustvolles „Che­misch-Werden“ eine Teilnahme an jenem Berlin, in dem Körper im chemischen Streben nach Szene-Urbanität produziert werden. Unterschiedliche che­mische Substanzen ermöglichten hierbei lustvolle Interaktionen – sei es das „Dabei-Sein“ im Klub dank bewusstseinserweiternder Substanzen oder der unbeschwerte Sex ohne Kondom dank PrEP. Dieser Umgang mit „Bare­back-Ficken“ und „Berghain-Tanzen“ eröffnet eine Perspektive auf Drogen und Phar­ma­zeutika, die schwule Männer nicht als Opfer externer und interner Homo­negativität pathologisiert, sondern hervorhebt, wie produktiv diese Subs­tanzen an Momenten urbaner Zugehörigkeiten beteiligt sind. Gleich­zeitig zeigen Profiltexte auf Hook-Up-Apps, in denen User ausschließlich Bareback-Sex suchen, dass sich diese Momente auch in anhaltenden Aus­schlüs­sen festigen können. Auch Jacks Abstinenz bestätigte, dass denjenigen, die nicht „chemisch werden“ können oder wollen, der Zugang zu jenen intimen Begegnungen verwehrt bleiben kann.

6.Fazit: Chemische Rückstände

In diesem Artikel habe ich mich auf chemische Substanzen konzentriert und darauf, wie sich diese daran beteiligen, Körper zu urbanen Körpern zu machen – wie Stadt in Körpern an konkreten Orten passiert. Unter dem Begriff „Chemisch-Werden“ habe ich Momente versammelt, in denen Szene-Zugehörigkeiten in und zwischen Körpern affektiv und materiell hergestellt werden. Im Experimentieren mit chemischen Substanzen drückt sich ein Streben nach urbaner Verkörperung aus, ohne dass es oder der Wunsch „dabei zu sein“ zwangsweise in geteilten städtischen Identitäten oder festen urbanen Gruppen, Szenen und Subkulturen Verfestigung findet. Im „Chemisch-Werden“ blitzt Urbanität als sozial situierte Potenzialität auf. „Chemisch-Werden“ beschreibt Stadt als molekulare Beziehung zwischen Körpern, Chemikalien und Lokalitäten, in der Urbanität beständig kreiert wird. In diesen kreativen Momenten des „Chemisch-Werdens“ offenbaren sich Stadt und ihre Szenen als Rhythmus oder vibe, in den Personen mithilfe von Schönheitsprodukten, Drogen und Medikamenten körperlich und affektiv mit einstimmen.

„Chemisch-Werden“ geschieht an konkreten Lokalitäten, die einen spezifischen Platz in der Stadt und ihrer Geschichte einnehmen. Mit seiner geographischen, affektiven und historischen Nähe zur Berliner Techno­szene diente mir Mastercut als Ausgangspunkt für meine ethnographischen Erkundungen. Wie bei einem Haarbüschel, in dem sich Stränge unterschiedlicher Herkunft und Beschaffenheit überkreuzen, verknoten und wieder lösen, trafen im Salon Bewegungen von Personen, Körpern, Imaginationen, Chemikalien und Stilen aufeinander. Indem ich einigen dieser Stränge folgte, identifizierte ich Looks und Lust als zwei Momente des „Chemisch-Werdens“. In Looks und Lust reagieren Körper und Chemie miteinander und erzeugen Urbanität in all ihrer Flüchtigkeit. Chemie, verstanden als affektive und materielle Transformation, nimmt in diesen Momenten unterschiedliche Stellungen ein. Bei der Herstellung von Looks kommen chemische Produkte zum Einsatz, um Haare zu verändern. Doch wie die Friseur*innen bei Mastercut betonten, sind die affektiven Formen von Chemie von ebenso großer Bedeutung. Nur in intimen Begegnungen zwischen Friseur*in und Kund*in können unterschiedliche Anliegen – Haarstrukturen, Budgets, Wünsche, Trends – so synchronisiert werden, dass ein Look entsteht, der auch in sozialen Interaktionen außerhalb des Salons wiedererkannt und bestätigt wird. Auch Lust entsteht in Körpern und deren Interaktionen. Dabei sind intime Begegnungen, anders als bei der Herstellung von Looks, nicht Voraussetzung, sondern Ausdruck von Lust. In Momenten des „Dabeis-eins“ im Klub und beim sorgenfreien Sex ohne Kondom manifestiert sich in Lust eine „techno-ketaminische“ Urbanität. Drogen und die HIV-Prophylaxe PrEP ermöglichten jene intimen Begegnungen beim „Bareback-Ficken“ und „Berghain-Tanzen“.

Looks und Lust beschreiben verkörperte Momente urbaner Zu­ge­hörig­keit, die jedoch ungleich erreichbar und erfahrbar bleiben. Aufgrund hoher Kosten für Frisiertermine, rassistischer Ausschlüsse in der Ber­liner Klubszene sowie ungleicher gesundheitlicher oder körperlicher Mög­lichkeiten kann nicht jede*r gleichermaßen „chemisch werden“. „Chemisch-Werden“ ereignet sich an spezifischen Lokalitäten in der Stadt und verortet damit die körperliche Herstellung urbaner Zugehörigkeiten in sozialen und politischen Dynamiken der Ungleichheit; insbesondere in Verbindung mit gesellschaftlichem Rassismus, sozio-ökonomischen Diskrepanzen und unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen. Zudem hinterlassen Momente des „Chemisch-Werdens“ auch in ihrer Flüchtigkeit Rückstände. Einzelne Looks fügen sich zu einem diffusen Stil der „Szene“ zusammen, auf dessen Basis Personen mit abweichenden Looks der Zugang zu Lokalitäten verwehrt bleiben kann. Andere betreten diese Orte von sich aus nicht, da selbst eine physische Präsenz ohne einen drogeninduzierten Bewusstseinszustand einem „Dabei-Sein“ nicht gleichkommt. Zuletzt sind die beschriebenen Momente der Lust teilweise an cis-männliche Verkörperungen gebunden. Diese Momente können sich zu einer Vorliebe für Bareback-Sex und einer strikten Ablehnung von Kondomen akkumulieren und damit all diejenigen ausschließen, die solchen geschlechtlichen Verkörperungen und sexuellen Präferenzen nicht nachkommen können oder wollen.

Die chemischen Rückstände – die nachklingenden Effekte jener affektiv-materiellen Transformationen, aber auch das Zurückbleiben hinter Idealen von Chancengleichheit – verweisen auf die politischen Dimensionen der beschriebenen Prozesse. „Chemisch-Werden“ ist geographisch und gesellschaftlich positioniert. Zugleich positioniert es Körper in städtischen Szenen unterschiedlich. Meine chemo-ethnographische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen chemischen Substanzen in Berlin zeigt dabei auf, dass urbane Zugehörigkeit in Körpern und deren intimen Begegnungen ständig kreiert und ausgehandelt wird. Diese emergenztheoretische Perspektive auf Werden mit Chemie fragt danach, wie Körper zur Stadt zugehörig werden und dabei Ungleichheiten in Zugängen zu städtischen Szenen entstehen. „Chemisch-Werden“ lässt Urbanität differenziert in Körpern und deren intimen Begegnungen aufscheinen.

Danksagung

Mein Dank geht an das Team von Mastercut – dafür, dass es mich herzlich im Salon empfangen und mir ethnographisch wie persönlich neue Welten eröffnet haben. Ein Dankeschön gilt auch den Kund*innen des Salons für das Teilen ihrer intimen Geschichten und für ihre Nachsicht, wenn mein Umgang mit ihren Haaren das ein oder andere Ziepen verursachte. Marleen de Witte bin ich verbunden für ihre ermutigenden Worte und eine intensive Betreuung meiner Masterarbeit an der Universiteit van Amsterdam. Für ein wohlwollend-kritisches Feedback zu einem ersten Entwurf dieses Artikels bedanke ich mich beim Arbeitskreis „Medical Anthropology“ an der Freien Universität Berlin, insbesondere bei meinem Promotionsbetreuer Hansjörg Dilger für seine gründliche Auseinandersetzung mit meiner Arbeit. Nicht zuletzt möchte ich mich bei Maja Sisnowski für inspirierende Gespräche und kritische Kommentare bedanken, die mein Denken auch über diesen Artikel hinaus prägen.

sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung

2022, 10(2/3), -42

doi.org/10.36900/ suburban.v10i2/3.762

zeitschrift-suburban.de

CC BY-SA 4.0

Ersteinreichung:

13. Dezember 2021

Veröffentlichung online:

16. Dezember 2022

Anhang

Dieser Artikel wurde durch den Open-Access-Publikationsfonds der Freien Universität Berlin gefördert.

Endnoten

[1] Die Forschung führte ich im Rahmen meines Masters in Social Sciences an der Uni­versiteit van Amsterdam durch. Auch für die Angestellten des Salons habe ich in Absprache mit diesen Pseudonyme gewählt, um ihre Anonymität zu gewährleisten.

[2] Zu den Effekten der Covid-19-Pandemie auf die städtischen Räume Berlins und damit auf die Sichtbarkeit von nicht-normativem Sex siehe Probst/Schnepf (2022).

[3] Begleitend zu meiner ethnographischen Forschung führte ich einen Feldforschungs­blog, auf dem ich meine Positionierung im Feld, mein methodisches Vorgehen sowie spezifische Begegnungen im Salon reflektierte (siehe Schnepf 2017).

[4] Anhand experimentalchemischer Versuche diskutiert Earley (1998) unterschiedliche „modes of chemical becoming“ bei der zeitweisen Herstellung kohärenter Einheiten aus der Ansammlung heterogener Moleküle und Atome. Diese Erkenntnisse zu Zu­sam­menhalt trotz Differenz überträgt Earley auf den Aufstieg und Niedergang von Zivilisationen, die ihm zufolge trotz ihrer internen Komplexität als Einheit agieren. Entgegen dieser Nutzung von Chemie als Analogie für soziale Prozesse beschreibe ich mit „Chemisch-Werden“ Chemie als Teil des Sozialen.

[5] Der Fokus auf zugehörigkeitsstiftende Aspekte des „Chemisch-Werdens“ soll eine Auseinandersetzung mit strukturellen Ausschlüssen nicht übergehen, sondern eine kritische Perspektive auf die Rolle chemischer Prozessen hinzufügen. Im Sommer 2021 benannten Diskussionen innerhalb der Berliner Klubszene jene strukturellen Ausschlüsse. So schloss zum einen das Revier Südost nach Rassismusvorwürfen gegenüber dem Sicherheitspersonal zeitweise seine Pforten. Zum anderen kündigte die queere Partyreihe Buttons ihre Zusammenarbeit mit dem Klub ://about blank aufgrund unvereinbarer politischer Positionen im Nahost-Konflikt und der laut Buttons darauffolgenden Diskriminierung von „DJs and collectives of colour, of Palestinian clubgoers and clubgoers in solidarity with Palestine“ (buttonsberlin 2021).

Autor_innen

Max Schnepf promoviert im Fach Sozial- und Kulturanthropologie mit einer ethnographischen Forschung zur medizinischen HIV-Prophylaxe PrEP in Berlin.

max.schnepf@fu-berlin.de

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Chemical becoming. Embodied moments of urban belonging in Berlin

This paper focuses on chemistry, bodies and the city in their intimate entanglements and mutual interference. It explores how the city variously inscribes itself into bodies through chemistry and how the urban is constantly re-produced in chemically mediated body practices. Based on ethnographic research in an upmarket hair salon in Berlin, I analyze how the intentional and pleasurable use of chemical substances produces belonging. Urban belonging is not understood as a finished state. Instead, it constitutes a vanishing point that some Berliners aspire to in the intersecting usages of beauty products, drugs and pharmaceuticals. “Chemical becoming” describes specific localities in Berlin, bodily intimacies, and urban imaginaries as constantly constituting each other. I present these affective and material co-transformations through two ethnographic moments of “chemical becoming”: First, I analyze, how looks are produced with the help of beauty products in the salon and, second, how pleasure is achieved with help of recreational drugs and the pharmaceutical HIV prophylaxis PrEP in the (gay) club scene. In these practices, urban belonging does not necessarily translate into a shared identity or fixed subculture but appears as an affective orientation and material-corporeal striving.