Urbane Neoliberalisierung – ein Plädoyer für etwas mehr Differenz

Kommentar zu Margit Mayers „Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt“

Volker Eick

Margit Mayer hat die neoliberale Stadt und die urbanen sozialen Bewegungen im Blick und ein stimulierendes Papier vorgelegt (Mayer 2013). Angesichts der vorgegebenen Kürze will ich mich nachfolgend auf Nachfragen beschränken. Die auch von Margit Mayer maßgeblich vorangetriebene Diskussion, die sich in der letzten Dekade zwischen Urban Studies, lokaler Politik- und Bewegungsforschung durchaus konstruktiv am „actually existing neoliberalism“ (Brenner/Theodore 2002) abgearbeitet hat, wird auch mit Blick auf die dieser Diskussion ursprünglich inneliegenden regulationstheoretischen Herausforderungen kritisch gegengelesen.

Margit Mayer stellt zunächst ihre spezifische Konzeption der Neoliberalisierung als pfadabhängigen Prozess vor, zeigt Implikationen und Widersprüche für städtische Entwicklungen und Stadtpolitik auf, bei denen die Kommunen den Preis zahlen, und betrachtet dann – mit dem Fokus auf creative city -Politik und austerity urbanism – aktuelle Konflikte und Kämpfe. Sie macht dabei vier Phasen der Krise des fordistisch-keynesianischen Akkumulationsregimes und seiner Regulationsweise aus, deren letzte seit 2008 durch anhaltende Wachstumsorientierung, unternehmerische Governance, anhaltende Privatisierung und ein wachsendes Gefälle zwischen „florierenden“ und „darbenden“ Städten gekennzeichnet sei. In dieser Situation, so Mayer, stellen sich für städtische Bewegungen spezifische Herausforderungen, die sie zwischen kreativer Stadtpolitik und damit verbundenen Gefahren der „Vernutzung“ dieser Potentiale einerseits und einer repressiven Austeritätspolitik gegenüber sogenannten Randgruppen andererseits exemplarisch skizziert. Sie fordert, dass die „privilegierteren Bewegungsgruppen ihre Schlüsselposition“ einsetzen, damit das „neoliberale Herrschaftsregime destabilisiert werden“ kann.

Wenig überraschend halte auch ich es mit dem Konzept der „Neoliberalisierung“ als Praxis und dem „Neoliberalismus“ als Ideologie (Eick 2013), meine allerdings, dass die Arbeiten von Bob Jessop eine deutlichere Berücksichtigung verdienten. Denn erstens weist er darauf hin, dass Varianten vom Neoliberalismus als neostaatliche, neokorporatistische und neokommunitäre Formationen zu berücksichtigen seien, um einen genauer akzentuierten „Begriff“ davon zu bekommen, was den „aktuell existierenden Neoliberalismus“ jeweils spezifisch auszeichnet (2002). Und zweitens erinnert er daran, dass wir es weder bei Neoliberalismus noch Neoliberalisierung mit Akkumulationsregimes oder deren Regulationsweisen zu tun haben, sondern vielmehr mit spezifischen Ausprägungen einer Suchbewegung, die bislang noch in kein neues kohärentes Wachstumsregime mündete (2013)[1]. Berücksichtigt man diese vom Staat und vom Kapitalverhältnis her gedachte Herangehensweise, so lassen sich widersprüchliche Entwicklungen durch unterschiedliche Varianten von Staatlichkeit „im Wandel“ erklären, ohne dass (die Kritik an der) Neoliberalisierung in indifferenter Differenz zerrinnt („was es alles gibt…“) oder aber an Schärfe durch den Wunsch nach dem „einen großen Bild“ verliert.

Ausgehend von dieser Prämisse kann mich die von Mayer vorgeschlagene Phaseneinteilung seit der Krise des Atlantischen Fordismus nur wenig überzeugen. Der Rollback fand ja nicht überall in den 1980er Jahren statt, ein roll out hat nicht allerorten die 1990er Jahre charakterisiert. Und so tendiert der Text einerseits dazu, geographische und temporale Unterschiede zu verwischen. Andererseits sind das Platzen der dot.com-Blase 2001 als dritte Krisenphase und die ab 2008 mit der Finanz-, Wirtschafts- und schließlich Staatskrise ihren vorläufigen Höhepunkt findende vierte Phase zwei vom Rollback und Rollout deutlich zu unterscheidende Sachverhalte. Eine solche Einteilung setzt mithin fälschlich Rollback- und Rollout-Neoliberalismen als „Angriffsstrategien“ gegen den keynesianisch-fordistischen Kompromiss in eins mit „Herausforderungen“ eines in sich widersprüchlichen, von Krisen, Brüchen und Widersprüchen gekennzeichneten kapitalistischen Systems. Im Gegenteil ist doch festzuhalten, dass, wie in den Wirtschaftsseiten leidlich ernstzunehmender Tageszeitungen nachzulesen, auf die dot.com und die Ausläufer der US-amerikanischen Real Estate Bubble mit allerlei Rollback- und Rollout-Initiativen reagiert wurde bzw. wird – Akkumulation durch Enteignung inklusive.

Um es mit ein paar Beispielen anzudeuten: Im Land Berlin setzte der Rollback in den 1990er Jahren ein. Die landeseigenen Unternehmen BEWAG und GASAG wurden vollständig, die Wasserbetriebe teilprivatisiert; außerdem wurde ein Dutzend städtischer Wohnungsbaugesellschaften verkauft. Insgesamt wurde so zwischen 1991 und 2002 öffentliches Vermögen im Wert von 8,2 Milliarden Euro freigesetzt. Mit der Agenda 2010, die unter rot-grüner Ägide unter anderem zu den so genannten Hartz-Gesetzen führte, wurde ab 2003 die deutsche Arbeitsmarktpolitik in einem R ollback, der seinesgleichen sucht, auf Workfare umgestellt und das Beschäftigungsmodell auf den entgarantierten, prekären Niedriglohnsektor zugeschnitten. 1999 wurde das Bund-Länder-Programm Soziale Stadt beschlossen. Damit wurde eine spezifische Form des Rollout-Neoliberalismus implementiert, den ich andernorts als neokommunitaristisch charakterisiert habe (Eick 2011). Dass das Programm 2011 durch die christlich-liberale Koalition weitgehend demontiert wurde, ist eine feine Volte, die uns auf den Rollback des Rollout verweist. Dass in Deutschland kein Hypothekenmarkt einbrach, eine Bankenkrise ausblieb und von Fiskalzwängen ohnehin kaum die Rede sein kann, unterstreicht die Unterschiedlichkeiten nur. Wie können wir diese Ungleichzeitigkeiten im Sinne des Papiers von Margit Mayer besser fassen, also „vor Ort“ genauer sein, ohne die Gemeinsamkeiten aus den Augen zu verlieren?

Ein vergleichbares Problem stellt sich bei den vier von Mayer identifizierten „Merkmalen“ der heutigen Neoliberalisierung des Städtischen. Irritiert bin ich dort, wo Mayer meint, Städte hätten innerhalb des Fordismus eine zentrale Rolle gespielt, wo doch gerade für die BRD gezeigt werden kann, dass bis zur Krise des fordistischen „Modell Deutschland“ Städte bestenfalls als Befehlsempfänger oder „Ausführungsorgan“ des Nationalstaats zu charakterisieren waren und eben keine oder kaum eine eigenständige Politik entwickeln konnten. Erst mit der Krise erlangten bundesrepublikanische Städte den Status im Rahmen regionaler, nationalstaatlicher und globaler politökonomischer Restrukturierung, von dem hier schon für den Fordismus die Rede ist (Mayer 1994).

Auch hier will ich an einigen Beispielen illustrieren, wie die genannten „Merkmale“ in international vergleichender Perspektive zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen. Mayer verweist – nachdem sie die anhaltende Wachstumsorientierung als zentrales Merkmal herausgestellt hat – auf „unternehmerische Formen der Governance“ und zitiert zutreffend Beispiele aus den USA. Die in der BRD nur zögerlich sich entwickelnden Business Improvement Districts wären dafür ein hiesiger, wenn auch sehr kleinteiliger, Beleg (Eick 2012a). Allerdings wird man das „Bewerben um bzw. das Anwerben von bestimmten Großevents wie der Olympischen Spiele oder der FIFA-Weltmeisterschaften wohl eher nicht unter sub- oder out-contracting fassen, denn die beiden Nonprofit-Organisationen IOC und FIFA bedienen sich unmissverständlich der städtischen und nationalen Verwaltungen und machen deren explizite Unterwerfung unter die Vorgaben der beiden steuerbefreiten Großkonzerne zur Voraussetzung für Bewerbung um und das Austragen der jeweiligen Spiele (Eick 2010, 2012b). Mit Blick auf Pfadabhängigkeiten (und deren Grenzen) wird man festhalten müssen, dass gated residential areas, oder wie immer man sie bezeichnen oder definieren mag (Glasze et al. 2006), weiterhin eine singuläre Ausnahme in Deutschland bleiben (Krenz 2011; Heissler 2009), während das anhaltende Wachstum kommerzieller Sicherheitsdienste, ohne dass staatliche Sicherheitskräfte ausgedünnt würden, tatsächlich ein glokales Phänomen ist (Eick/Briken 2013).

Bei allem Interesse an einer „großen Linie“, die gleich Kontinente überwinden mag, ist es hilfreich, sich solcher Spezifitäten, Unterschiedlichkeiten und Ungleichzeitigkeiten genauer zu vergewissern, insbesondere mit Blick auf erfolgreiche Widerstands- und Protestformen zur Überwindung des neoliberalen Projekts. Die angedeutete Eingemeindung von Betreibern „angesagter“ Clubs und Strandbars in die Reihe der von neoliberalen Enteignungs- und Unterdrückungsformen Betroffenen nähme mich jedenfalls wunder. Zumindest habe ich hier zwei Fragen, die vor allem auf den Begriff „strategische Position“ zielen, den Mayer einführt, ohne ihn zu spezifizieren: Welche strategische Position genau haben diese „Kreativen“ und die auf der „Austeritäts-Seite“? Wenn wir einmal in betriebswirtschaftlicher Logik – und das ist die Logik des heutigen „Unternehmens Stadt“ (Eick 2012a) – davon ausgehen, dass eine strategische Position die Fähigkeit umfasst, aktiv planend, gestaltend und kontrollierend sein jeweiliges Image am „Markt“ darzustellen, dann gehört dazu auch, dass eine Dienstleistung oder die Gruppe selbst in den Augen einer festgelegten Zielgruppe zunächst von ähnlichen Produkten bzw. Dienstleistungen konkurrierender Gruppen mit einem ähnlichen „Angebot“ zu unterscheiden ist und Druckmittel in der Hand hält, sich am „Markt“ durchzusetzen. Wo und was ist also die „strategische Position“ oben genannter Gruppen? Und, um eine gewisse Skepsis gegenüber dem durchschimmernden Voluntarismus wenigstens anzudeuten, was sollte die mit Leverage Gesegneten veranlassen, für die Outcasts in die Bresche zwischen iron fist und velvet glove zu springen?

Endnoten

Autor_innen

Volker Eick ist Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin. Forschungsschwerpunkte: Urbane Sicherheitsregime, kommerzielle Sicherheit, Workfare.

Kontakt: eickv@zedat.fu-berlin.de

Literatur

Brenner, Neil / Nik, Theodore (2002): Cities and the Geographies of „Actually Existing Neoliberalism“. In: Antipode 34/3, 349-379.

Eick, Volker (2010): A Neoliberal Sports Event? The FIFA from the Estadio Nacional to the fan mile. In: City 14/3, 278–297.

Eick, Volker (2011): Policing „Below the State“ in Germany. In: Contemporary Justice Review 14/1, 21–41.

Eick, Volker (2012a): The Co-Production of Purified Space. In: European Urban and Regional Studies 19/2, 121–136.

Eick, Volker (2012b): Die Olympischen Jugend-Winterspiele in Innsbruck. In: Gaismair-Jahrbuch 2013. Innsbruck, 48–57.

Eick, Volker (2013): Polychrome Policing in Germany. In: R. Lippert / K. Walby (Hg.), Policing Cities. New York, 97–112.

Eick, Volker / Briken, Kendra (Hg.) (2013): Urban (In)Security. Ottawa.

Glasze, Georg / Webster, Chris / Frantz, Klaus (Hg.) (2006): Private Cities. New York.

Heissler, Julian (2009): Gated Communities. Todsicher in der Isolation. Spiegel Online, 22.10.2009, http://tinyurl.com/bma2y8y (14.06.2013).

Jessop, Bob (2002): Liberalism, Neoliberalism, and Urban Governance. In: Antipode 34/3, 452–472.

Jessop, Bob (2013): Revisiting the Regulation Approach. In: Capital & Class 37/1, 5–24.

Krenz, Sebastian (2011): Ein Investor plant Leipzigs erste bewachte Wohnanlage. Die Zeit 65/38, 15.09.2011, http://tinyurl.com/bsl5m9n (14.06.2013).

Mayer, Margit (2013): Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt. In: sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung, 1, 155-168.

Mayer, Margit (1994): Post-Fordist City Politics. In: A. Amin (Hg.), Post-Fordism. Oxford, 316–337.