Stadt als Metabolismus: Ort der Nicht-Nachhaltigkeit und der Kämpfe für Umweltgerechtigkeit

Beitrag zur Debatte „Was ist Stadt? Was ist Kritik?“

Sybille Bauriedl

1. Konzeption von Stadt in der Urbanen Politischen Ökologie

In meiner Forschung untersuche ich Problemstellungen zur Urbanisierung von Natur mit Ansätzen der Urbanen Politischen Ökologie. Diese betrachtet gesellschaftliche Naturverhältnisse, die (a) in Städten zu erkennen sind und sich auf Fragen lokaler Umweltgerechtigkeit konzentrieren, die (b) von Städten produziert werden und Fragen zu urbanen Materialflüssen relevant machen und die (c) durch Städte erfolgen und Fragen zu den externalisierten Kosten des ressourcenintensiven Stadtlebens erfordern. Damit werden Ausprägungen gesellschaftlicher Naturverhältnisse auf unterschiedlichen Maßstabsebenen sichtbar, in denen Städte materiell und diskursiv wirksam werden. David Harvey hat bereits 1973 in seinem Buch Social Justice and the City die Einkommensungleichheit zwischen armen und reichen Nachbar*innenschaften sowie die soziale Gerechtigkeit als Ergebnis sozialräumlicher Arbeitsteilung und des ungleichen Zugangs zu gesunder Umwelt in Städten betrachtet (Harvey 1973). Die Urbane Politische Ökologie betrachtet Städte jedoch nicht nur als Orte von Ungleichheitsstrukturen und Ungerechtigkeit, sondern auch als Ermöglichungsräume urbaner Praxis und alternativer gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Zahlreiche Studien beschreiben urbane Grünräume als Orte emanzipatorischer Kämpfe, beispielsweise durch Gemeinschaftsgärten. Die Urbane Politische Ökologie betrachtet Städte außerdem als urbanen Metabolismus (Heynen/Kaika/Swyngedouw 2006). In Städten sind große Mengen an Holz, Stahl, Sand, Asphalt und Zement aus verschiedenen Regionen der Welt gebunden (Gandy 2002). Und insbesondere Industriestädte verursachen einen enormen Material- und Energiedurchfluss. Rohstoffe werden für Städte und in Städten zu Energie, Nahrung und anderen Produkten verarbeitet. Als Abfälle und Emissionen werden diese in das Umland, in globale Verwertungsströme oder die Atmosphäre zurückgegeben (Keil 2003). Industriestädte sind von einer nachhaltigen (im Sinne von dauerhaften) Nicht-Nachhaltigkeit gekennzeichnet und setzen eine lange Geschichte kolonialer Verflechtungen fort, indem sie eine Ressourcenausbeutung im Globalen Süden betreiben (beispielsweise großflächiger Zement- und Kupferabbau, Anbau von Futterpflanzen, Plantagenökonomie für Tropenfrüchte und Palmöl) und gleichzeitig die sozialen und ökologischen Kosten und Risiken ihrer Produktionsweise wieder zurück in den Süden verlagern und damit die Lasten einer imperialen Lebensweise (Wissen/Brand 2017) externalisieren (beispielsweise die Zerstörung von Biodiversität und tradierter Lebensräume sowie Treibhausgasemissionen).

2. Kritik-Begriff in der Urbanen Politischen Ökologie

Die Urbane Politische Ökologie ist eine kritische Mensch-Umwelt-Forschung. Studien aus diesem Forschungsfeld grenzen sich klar von funktionalistischen Prämissen der Umweltforschung sowie ihren natur- und sozialdeterministischen Theorien ab. In den Fokus rückt sie stattdessen Fragen nach dem Zugang zu natürlichen Ressourcen, dem Ausschluss von und der Kontrolle über diese innerhalb struktureller Hierarchien und globaler Machtkonstellationen. Die Urbane Politische Ökologie nimmt Bezug auf lokale und transnationale Kämpfe emanzipatorischer Bewegungen. Auf der Suche nach handlungs-, planungs- und politikleitenden Vorschlägen für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist aus einer kritischen Perspektive zunächst zu klären, welche und wessen Interessen im lokalen und globalen Kontext von Entscheidungsträger*innen gehört und privilegiert werden. Die Kritik der Politischen Ökologie ist in diesem Sinne stets eine Herrschaftskritik, die Ursachen von Krisen analysiert und Bedingungen für Verteilungsgerechtigkeit aufzeigt. Ihre Untersuchungsgegenstände sind die Praktiken der Vermittlung von Gesellschaft und Natur, die sich unter anderem in spezifischen Deutungen von Umweltproblemen, der Inwertsetzung von Ressourcen, Aneignungen von Natur sowie Regulationsweisen gesellschaftlicher Naturverhältnisse zeigen.

Für eine emanzipatorisch-kritische Perspektive auf sozial-ökologische urbane Transformationen ist nach den Bedingungen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderungen in unterschiedlichen lokalen, sozialen und kulturellen Kontexten zu fragen sowie nach den Handlungsmöglichkeiten individueller und kollektiver Akteur*innen und den impliziten gesellschaftsstrukturierenden Herrschaftsverhältnissen. Wer definiert die Aspekte und Kriterien einer Umweltkrise oder deren Bearbeitung? Handelt es sich hierbei primär um eine Krise der ökologischen Vielfalt, um eine Krise der Akkumulation, eine Krise urbaner Umweltgerechtigkeit oder eine Krise der politischen Legitimation von Stadtpolitik?

Autor_innen

Sybille Bauriedl ist Geographin mit den Arbeitsschwerpunkten Klimagerechtigkeit, digitale Transformation, Energiewende, Politische Ökologie, feministische Geographie und postkoloniale Geographie.

sybille.bauriedl@uni-flensburg.de

Literatur

Gandy, Matthew (2002): Concrete and clay. Reworking nature in New York City. Cambridge: MIT Press.

Harvey, David (1973): Social justice and the city. Athens: University of Georgia Press.

Heynen, Nik / Kaika, Maria / Swyngedouw, Erik (2006): In the nature of cities. Urban political ecology and the politics of urban metabolism. London: Routledge.

Keil, Roger (2003): Urban political ecology. In: Urban Geography 24/8, 723-738.

Wissen, Markus / Brand, Ulrich (2017): Imperiale Lebensweisen. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: Oekom.