Die Vorläufigkeit von Stadt und Kritik: Vergeblichkeit und Bescheidenheit im Definieren

Beitrag zur Debatte „Was ist Stadt? Was ist Kritik?“

Susanne Heeg

1. Was ist Stadt? Oder: mit was für einem Stadtbegriff arbeite ich?

Mit einem Stadtbegriff tue ich mich schwer. Städte zu verstehen ist gleichbedeutend damit, Wandel zu verstehen. Städte haben sich über die Jahrhunderte, über die Kontinente und Gesellschaftsformationen hinweg so häufig gehäutet, dass an einem geronnenen Zustand orientierte Definitionen zum Scheitern verurteilt sind. So hat es immer wieder Versuche gegeben, Stadt aus ihrer Bevölkerungsgröße, ihrer Siedlungsstruktur oder ihrer Wirtschafts- und Bauweise abzuleiten, also aus ihren besonderen räumlich-physischen Eigenschaften, die aber allenfalls zeithistorischen Wert haben.

Viele Versuche, einen Stadtbegriff zu entwickeln, resultieren in der Identifizierung unterschiedlicher Typen oder Arten von Städten (z. B. Großstädte, Stadtregionen, Metropolen, Global Cities oder Megacities). Damit gelingt es aber nicht, das Städtische zu bezeichnen, sondern allenfalls unterschiedliche Grade des Städtischen. Die Gefahr, die damit einhergeht, ist, dass bestimmten Städten (z. B. Global Cities, Metropolen) eine Dynamik zugeschrieben wird, während andere Städte davon abgegrenzt und mit quantitativem Wachstum sowie einer Vielzahl von Problemen verbunden werden (etwa im Begriff der Megacity). Dies beinhaltet einen normativ aufgeladenen Blick, der die Grundlage der Bewertung – also der Frage, was als dynamisch und innovativ gilt – unkenntlich macht und droht, in ein schwieriges (post-)koloniales und essenzialistisches Fahrwasser zu geraten (Roy 2011; Robinson 2011).

Tatsächlich sind Städte aber keine natürlichen und sich selbst erklärenden Einheiten. Solche idealtypischen Einheiten sind auch vor Ort nicht klar voneinander abgrenzbar, weil Städte immer vieles und nicht nur eines sind. Ist es dann aber eine vergebliche Mühe, mit dem Begriff der Stadt zu arbeiten? Für mich heißt es das nicht. Vielmehr macht es Sinn, „Stadt“ als ein prozessuales Verhältnis zu verstehen. „Stadt“ ist weder Zustand noch universale Kategorie, sondern ergibt sich aus konkreten politischen, sozial- und wirtschaftsräumlichen Prozessen auf unterschiedlichen scales (Brenner 2004). Das Städtische macht nicht an administrativen Grenzen halt, sondern dehnt sich über diese hinaus aus. Städtische Prozesse, Dynamiken und Debatten können förmlich grenzenlos Einfluss entwickeln.

Zugleich ist es aber so, dass ich ein gewisses Unbehagen mit Ansätzen habe, die Urbanisierung oder Stadt überall sehen (z. B. Lefebvre 2014; Brenner/Schmid 2015), da sie davon ausgehen, dass städtische Logiken – also industrielle bzw. kapitalistische Logiken – keine räumlichen Grenzen haben, sondern gesellschaftlich wirken. Die Schwierigkeit, etwas spezifisch Städtisches zu definieren, führt dann dazu, die Ubiquität des Städtischen in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Elementen wie Autobahnen, technologischen Infrastrukturen oder kulturellen Debatten zu sehen.

Demgegenüber verstehe ich den städtischen Raum als eine Art Kraftzentrum, das sich aus Hinterfragungen, Konflikthaftigkeit, Protest und Widerstand ergibt und in dem Ordnungen, Normierungen und Kategorien problematisiert und neu ausgehandelt werden. Städte sind häufig Ausgangspunkte und Verhandlungsarenen für Bewegungen, die eine emanzipatorische, aber auch eine regressive Kraft haben können. Zentral ist, dass Städte Räume sind, in und an denen gesellschaftliche Verständnisse hinsichtlich unterschiedlichster Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse diskutiert und verhandelt werden. In Städten erfolgt eine Problematisierung von Sexismus, Rassismus, Kapitalismus und weiteren Unterdrückungsformen, aber auch ein Ausprobieren von Alternativen. Leider gilt dies nicht immer und nicht für alle Zeiten.[1] Stattdessen muss die privilegierte Position von Städten in dieser Hinsicht immer wieder durch Handeln performative Kraft entwickeln.

2. Was ist Kritik? Oder: Gibt es eine spezifische Kritik, auf die ich mich in meiner Arbeit fokussiere?

Das oben Gesagte zielt darauf ab, die Bedeutung von Konflikten und Machtbeziehungen für die Konstitution und Veränderung von gesellschaftlichen Lebensverhältnissen zu betonen. Die Aufgabe von Wissenschaftler*innen besteht demnach in einer Kritik von Unterdrückungs- und Ausgrenzungsverhältnissen. Es müssen Konstellationen in den Blick genommen werden, die Ungerechtigkeiten bedingen und beinhalten, um die Notwendigkeit der Veränderung zu verdeutlichen. Dazu gehört, Wissensordnungen, die Menschen zueinander ins Verhältnis setzen, mit kritischer Distanz zu hinterfragen. Dies ist eine fast vergebliche, aber auch maßlose sowie unablässig wichtige Aufgabe.

Meine Vorstellung von Kritik ist zeitdiagnostisch orientiert und will verstehen, wie umkämpfte Bereiche geordnet werden. Damit will ich ihre Bedeutung für das Ermöglichen beziehungsweise Verunmöglichen menschlicher Lebenswelten und gesellschaftlicher Verhältnisse verstehen. Dazu gehört die Bereitschaft zu Hinterfragungen und Problematisierungen, die sich nicht nur auf lokale Bedingungen beziehen und daraus ihre Kritikfähigkeit beziehen, sondern auch auf gesellschaftliche Entwicklungen rekurrieren, die nicht an den Grenzen des Nationalstaates haltmachen.

Zusammengefasst beinhaltet dies eine Kritik an kapitalistischen Formationen und der damit einhergehenden Gefahr der Warenförmigkeit sozialer Verhältnisse, über die Ausgrenzungen und Ungerechtigkeiten hergestellt werden. Es gilt, kritisch gegenüber dem Bestehenden beziehungsweise Gegebenen zu sein, damit kreativer Freiraum entstehen kann für eine Infragestellung dessen, was akzeptiert und vorhanden ist. Dies beinhaltet eine hinterfragende Distanz zu allen möglichen Ordnungsformen als Formen des Steuerns, Sortierens und Erkennens. Nach Foucault bedeutet dies einen Bruch mit Werten und Konventionen der herrschenden Wahrheitsregime. Es gilt, Abstand zu Universalien zu halten und zu fragen, wie sich diese konstituieren und wie diese überschritten werden können.

Selbstverständlich – oder leider – unterliegt die kritische Haltung der Schwierigkeit und Begrenztheit des Erkennens. Es gilt zu fragen: Wie werde ich regiert? Welche Fragen muss ich stellen und wo kann/muss ich ansetzen? Eine kritische Haltung ist ambivalent und zum Teil maßlos, da sie mit dem Problem konfrontiert ist, dass Macht und Herrschaft in Menschen „einwandern“. Kritische Wissenschaftler*innen stehen vor der Herausforderung, ihre eigenen Grenzen, ihre Bedingtheit und ihr Bedingtsein – ihre Positionalität – zu erkennen. Es ist also eine Aufgabe, vermeintliche Wesenhaftigkeiten, Autoritäten und letzte Wahrheiten zu hinterfragen und keinesfalls bei dem „Erreichten“ stehen zu bleiben. Kritik ist eine Aufgabe ohne Ende. „Kritik heißt herauszufinden, auf welchen Erkenntnissen, Gewohnheiten und erworbenen, aber nicht reflektierten Denkweisen die akzeptierte Praxis beruht.“ (Foucault 2005: 221). Daran kann man wachsen, aber auch scheitern.

Dieser Artikel wurde durch den Open-Access-Publikationsfonds der Goethe-Universität Frankfurt gefördert.

Endnoten

Autor_innen

Susanne Heeg, Geographin, beschäftigt sich mit Städten als Kristallisationspunkten gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und als lokale Knotenpunkte im Netzwerk globaler Dynamiken.

heeg@em.uni-frankfurt.de

Literatur

Brenner, Neil (2004): New state spaces. Urban governance and the new rescaling of statehood. Oxford: Oxford University Press.

Brenner, Neil / Schmid, Christian (2015): Towards a new epistemology of the urban? In: City 19/2-3: 151-182.

Foucault, Michel (2005): Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band IV. 1980-1988. Hrsg. von Daniel Defert und François Ewald. Frankfurt: Suhrkamp.

Lefebvre, Henri (2014): The urban revolution. Minneapolis: University of Minnesota Press.

Robinson, Jennifer (2011): Cities in a world of cities: The comparative gesture. In: International Journal of Urban and Regional Research 35/1: 1-23.

Roy, Ananya (2011): Slumdog cities. Rethinking subaltern urbanism. In: International Journal of Urban and Regional Research 35/2: 223-238.