Aber das sind doch die Guten – oder? Wohnungsgenossenschaften in Hamburg

Rezension zu Joscha Metzger (2021): Genossenschaften und die Wohnungsfrage. Konflikte im Feld der Sozialen Wohnungswirtschaft. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Lisa Vollmer

Abb. 1 Titel des Buches (Quelle: Westfälisches Dampfboot)

Warum werden in aktuellen Diskussionen Wohnungsgenossenschaften immer wieder als zentrale Akteure einer gemeinwohlorientierten Wohnraumversorgung benannt – obwohl sie kaum zur Schaffung neuen bezahlbaren Wohnraums beitragen? Warum wehrt sich die Mehrzahl der Wohnungsgenossenschaften mit Händen und Füßen gegen die Wiedereinführung eines Gesetzes zur Wohnungsgemeinnützigkeit, obwohl es doch gerade dieses Gesetz war, das sie im 20. Jahrhundert zu im internationalen Vergleich großen Unternehmen wachsen ließ? Sind Wohnungsgenossenschaften nun klientelistische, wenig demokratische und nur halb dekommodifizierte Marktteilnehmer oder wichtiger Teil der Wohnungsversorgung der unteren Mittelschicht?

Wer Antworten auf diese und andere Fragen sucht und Differenziertheit in ihrer Beantwortung aushält, lese Joscha Metzgers Dissertation Genossenschaften und die Wohnungsfrage. Konflikte im Feld der Sozialen Wohnungswirtschaft, die in der Reihe Raumproduktionen beim Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist. Ausgehend von einem konkreten Konfliktfall – dem Abriss von 120 für untere Einkommensschichten bezahlbaren Wohnungen durch eine Wohnungsgenossenschaft im Stadtteil Hamm im Hamburger Osten in den 2010er-Jahren –, spannt Metzger einen Bogen von der Entwicklung des Wohnungsgenossenschaftswesens seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland allgemein und in Hamburg im Speziellen bis zur Untersuchung der aktuellen Geschäftspraxis großer Hamburger Wohnungsgenossenschaften heute. Damit schließt er empirische wie theoretische Forschungslücken.

Eine solcherart umfassende Einordnung der Akteursgruppe Wohnungsgenossenschaften in die (bundes-)deutsche Geschichte der Wohnraumversorgung, die vor allem auch die Entwicklung der letzten 30 Jahre einschließt (Kap. 4), lag bislang nicht vor. Zur Systematisierung der Phasen des Wohnungsgenossenschaftswesens bedient sich Metzger regulationstheoretischer Ansätze, unterscheidet also zwischen einer Phase des liberalen Kapitalismus im 19. Jahrhundert, dem Fordismus in der Nachkriegszeit und der postfordistischen beziehungsweise neoliberalen Phase, die sich ab den 1970er-Jahren entwickelte. In allen Phasen nehmen Wohnungsgenossenschaften – als Teil der Sozialen Wohnungswirtschaft – eine spezifische Funktion in der Wohnraumversorgung ein. Mit der Bezeichnung Soziale Wohnungswirtschaft markiert Metzger ein Feld, das sich im 19. Jahrhundert herausbildete und bis heute besteht: ein Feld, in dem wohnungswirtschaftliche Akteure den Anspruch, ökonomisch rentabel zu wirtschaften und gleichzeitig soziale Zwecke zu verfolgen, vereinen wollen – also letztlich versuchen, den Widerspruch zwischen Gebrauchs- und Tauschwert des Wohnens aufzuheben. Wohnungsgenossenschaften sind eine zentrale Akteursgruppe innerhalb dieser Sozialen Wohnungswirtschaft (eine andere wären z. B. kommunale Wohnungsunternehmen). Ihr tatsächlicher Beitrag zur Dekommodifizierung der Wohnraumversorgung wandelt sich dabei im Laufe der Zeit in Art und Umfang.

Diesen Wandel von der fürsorglich-paternalistischen Ausrichtung der Wohnungsgenossenschaften im 19. Jahrhundert über ihre Politisierung nach dem Ersten Weltkrieg bis zu ihrer Ausrichtung auf die Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit Wohnraum im Fordismus – einhergehend mit einem massiven Wachstum des Sektors und einer Zentralisierung, Professionalisierung und Bürokratisierung der Unternehmen sowie einer Abnahme der Mitbestimmungsrechte der Mitglieder – beschreibt Metzger ausführlich und ordnet die Genossenschaften dabei jeweils in die allgemeine Entwicklung der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik ein.

Dies gelingt auch für die jüngste Phase des Postfordismus bzw. Neoliberalismus hervorragend. Den Übergang zwischen Fordismus und Postfordismus markierte eine neue Periode der Politisierung der Wohnungsfrage und des Genossenschaftswesens ab dem Ende der 1960er- bis in die 1980er-Jahre. Neben der Kritik an der Beteiligung der Sozialen Wohnungswirtschaft an der Kahlschlagsanierung bezahlbarer Altbauviertel – die Neue Heimat als gewerkschaftliche und größte Wohnungsgenossenschaft Westdeutschlands war als Sanierungsträger direkt an Abriss und Neubau beteiligt – spielten in Bezug auf Genossenschaften vor allem Forderungen nach mehr Mitbestimmung und Bewohner:innenselbstverwaltung eine Rolle. In Neugründungen der damaligen neuen Genossenschaftsbewegung waren diese Aspekte dementsprechend zentral. Das Stichwort der Selbstbestimmung griffen auch die etablierten Genossenschaften auf, meinten damit aber eine größere Unabhängigkeit des Managements von staatlicher Regulierung und von der Einmischung der Mitglieder. Mit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit 1989 endete die Phase des Anspruchs, breite Schichten mit Wohnraum zu versorgen. Von den Genossenschaften kam – auch aufgrund innerer Konflikte des Feldes – kaum Widerspruch zu dieser Abschaffung.

In der postfordistischen bzw. neoliberalen Phase der Sozialen Wohnungswirtschaft orientierten sich Genossenschaften in ihrer Geschäftspraxis und inneren Strukturierung zunehmend an privatwirtschaftlichen Unternehmen – lediglich die Gewinnbeschränkung blieb erhalten. Ziel war nun nicht mehr die Versorgung breiter Schichten mit bezahlbarem Wohnraum, sondern der Beitrag zur Herstellung von „funktionierenden“, soll heißen gemischten Nachbarschaften. Damit verschrieben sich die Genossenschaften einem Ideal der neoliberalen Stadt, das die Interessen der Mittelschicht zuungunsten ärmerer Bevölkerungsteile bedient.

Durch die Darstellung der historischen Entwicklung gelingt es Metzger zu verdeutlichen, dass Wohnungsgenossenschaften nicht losgelöst von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden können und ihre genaue Ausformung immer das Produkt sozialer Kämpfe ist. Die unterschiedlichen Interpretationen des Zwecks von Wohnungsgenossenschaften fasst Metzger prägnant zusammen:

„In einer liberalen Interpretation können sie dazu dienen, die ökonomischen Selbsthilfekräfte einkommensschwacher Schichten durch den Zusammenschluss zu mobilisieren und somit in der marktwirtschaftlichen Konkurrenz durchsetzungsfähiger zu machen. In einer konservativen Interpretation dienen sie der Gemeinschaftsbildung und sozialer Kontrolle und tragen dazu bei, Tendenzen der Individualisierung und soziale Konflikte einzuhegen. Sozialökonomische Genossenschaftsinterpretationen sehen sie als Vorbild einer moralisch begründeten Ökonomie, in der Unternehmen auch dann erfolgreich sein können, wenn sie Arbeiter_innen oder Konsument_innen nicht ausbeuten. In einer emanzipatorischen Perspektive bieten Genossenschaften dagegen das Potenzial zu einer selbstverwalteten solidarischen Ökonomie, die Ansätze zu einer Überwindung kapitalistischer Verhältnisse bietet.“ (Metzger 2021: 259)

Neben dieser longue durée schließt Metzger noch eine weitere empirische Forschungslücke, indem er den Blick auf große Wohnungsgenossenschaften in Hamburg richtet (Kap. 6). Bisheriges Forschungsinteresse galt eher den kleinen Genossenschaftsneugründungen der 1970er-/1980er-Jahre oder heutiger Zeit. Zur Analyse dieser Akteursgruppe greift Metzger auf einen reichhaltigen Fundus an Dokumenten zurück wie Eigenpublikationen der Genossenschaften und Medienberichte, auf vier Jahre teilnehmende Beobachtung, auf zahlreiche Interviews mit Vorständen von Hamburger Wohnungsgenossenschaften und Gruppeninterviews mit Bewohner:innen und Aktivist:innen. Mit Pierre Bourdieu führt Metzger außerdem das Konzept des symbolischen Kapitals von Genossenschaften als Konzept ein und bereichert die kritische Wohnungsforschung damit auch auf theoretischer Ebene. Dieses symbolische Kapital basiert auf dem weithin anerkannten guten Ruf der Genossenschaften als soziale Akteure.

Anhand der Interviews und der anderen Materialien arbeitet Metzger überzeugend heraus, warum die großen Wohnungsgenossenschaften Hamburgs als „nachholende“ Gentrifizierer betrachtet werden können (siehe auch Metzger 2015). Die Mieten in ihren Beständen sind zwar verhältnismäßig günstig, und auch beim Neubau erreichen sie geringere Mietpreise als andere Akteure. Ihr explizites Ziel ist aber die Aufwertung ihrer Bestände und der Sozialstruktur ihrer Bewohner:innen. Sie zielen also stärker auf Mitglieder aus der Mittelschicht. Ihre Mietpreise leiten sie nicht aus den Bewirtschaftungs- und Instandhaltungskosten ab, sondern richten sich in der Mietentwicklung an dem Mittelwert des Mietspiegels aus. Eine konstante Mietsteigerung und eine Orientierung an Haushalten mit mittleren Einkommen sind die logische Folge. Die Entwicklung des Wohnungsmarktes wird damit als objektiv gegeben hingenommen, eine eigenständige dämpfende Einflussnahme darauf nicht in Betracht gezogen. Neben der Mietentwicklung steht auch die Praxis der Mitbestimmung bei den großen Wohnungsgenossenschaften ihrem emanzipatorischen Potenzial entgegen. Die Gemeinschaftsbildung unter den Bewohner:innen wird zwar gefördert, aber auf das Engagement in der Nachbarschaft reduziert. Aufkeimendes Begehren nach Mitbestimmung in Entscheidungen der Unternehmensführung wird ignoriert oder mit dem Verweis auf Partikularinteressen, die dem genossenschaftlichen Gedanken entgegenstünden, delegitimiert. Metzger kommt zu dem Schluss, dass die großen Wohnungsgenossenschaften das emanzipatorische Potenzial, das er ihnen durchaus zuspricht, nicht ausschöpfen.

Das Beispiel der Beteiligung der Genossenschaften am Hamburger Bündnis für das Wohnen veranschaulicht dies. Dieses Bündnis ist als Antwort der regierenden sozialdemokratischen Partei auf die aufkeimenden wohnungspolitischen Proteste Anfang der 2010er-Jahre zu verstehen. Neben der Politik sind verschiedene wohnungswirtschaftliche Akteure, darunter auch der Verband der Hamburger Genossenschaften, Teil des Bündnisses, in dem wohnungspolitische Entscheidungen diskutiert und umgesetzt werden. Mit dem Bündnis setzt die Hamburger Wohnungspolitik ganz auf den Neubau als Lösung der aktuellen Wohnungsfrage und erteilt regulierenden Eingriffen in den Bestand weitgehend eine Absage. Für den Neubau hat sich das Bündnis neben zu erreichenden Zahlen auf einen Drittelmix geeinigt: ein Drittel Eigentum, ein Drittel freifinanzierter Wohnungsbau, ein Drittel geförderter Mietwohnungsbau. Damit treibt das Bündnis nicht nur die Eigentumsquote Hamburgs in die Höhe, der Anteil des sozialen Wohnungsbaus liegt auch weit unter dem Anteil der anspruchsberechtigten Bevölkerung und kann den Schwund von Sozialwohnungen durch das Auslaufen von Bindungen nicht kompensieren. Gemeinsam mit profitorientierten Wohnungsunternehmen sprechen sich die Genossenschaften im Bündnis gegen mietpreisbegrenzende Regulierungen aus, selbst gegen solche, die sie selbst überhaupt nicht tangieren würden (vgl. hierzu etwa die Kampagne Berliner Wohnungsgenossenschaften gegen den Volksentscheid zur Enteignung großer Immobilienkonzerne, von dem sie ebenfalls nicht betroffen sind). Durch ihren Schulterschluss mit profitorientierten Unternehmen – im Hamburger Bündnis für das Wohnen, im Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen und anderswo – verleihen Genossenschaften diesen ihre Legitimität, ihr symbolisches Kapital, so eines der zentralen Argumente von Metzger.

Angesichts der expliziten Fokussierung des Buches auf „große“ Wohnungsgenossenschaften wäre nahliegend gewesen, ihre Unterscheidung zu „kleinen“ stärker zu beleuchten: Ist es tatsächlich (nur) die Größe, die die Ausrichtung der Genossenschaften bestimmt? Wie wirkt sich die Größe auf die innere Demokratie, auf das Geschäftsgebaren und die ideologische Verortung der Genossenschaft aus?

Die überzeugende Analyse des aktuellen Gebarens großer Hamburger Wohnungsunternehmen gelingt Metzger nicht nur, weil er ihre Positionierung historisch herleitet und als von gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt erklärt, sondern auch, weil er sie in die allgemeine Entwicklung der Hamburger Wohnungsversorgung und -politik einordnet (Kap. 5). Dabei wird deutlich, wie sehr auch die Genossenschaften von Ideen und Idealen der neoliberalen Stadt geprägt sind. Das Kapitel zum Feld der Sozialen Wohnungswirtschaft in Hamburg hätte zur Straffung des gesamten Buches mit dem vorherigen Kapitel zur Geschichte der Sozialen Wohnungswirtschaft in Westdeutschland zusammengefasst werden können. Dann wäre auch deutlicher geworden, inwiefern Hamburg ein typisches Beispiel der bundesrepublikanischen Entwicklung ist und wo Besonderheiten liegen. Die Auftrennung der beiden Kapitel bietet dafür den Vorteil, dass Leser:innen mit speziellem Interesse einzelne Kapitel herausgreifen können.

Die Einordnung von Wohnungsgenossenschaften in die allgemeine Entwicklung der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik in Westdeutschland und Hamburg, die das Buch leistet, ist beeindruckend und macht es für Leser:innen mit verschiedenen Schwerpunkten empfehlenswert: Ein Interesse an der Geschichte der (west-)deutschen Wohnraumversorgung und -politik wird genauso hervorragend bedient wie ein spezielleres Interesse an der Hamburger Stadtentwicklung. Auch wer sich für Genossenschaften im Allgemeinen interessiert oder etwas über die instrumentelle Verwendung der Begriffe Gemeinwohl und Partikularinteresse lernen möchte, kommt durch das Beispiel der Wohnungsgenossenschaften auf ihre:seine Kosten. Ebenso sei an dem Thema interessierten Aktivist:innen die Lektüre ans Herz gelegt, denn das Buch enthält obendrein Ansätze, wie es gelingen kann, das emanzipatorische Potenzial von Wohnungsgenossenschaften besser auszuschöpfen.

Die Bauhaus-Universität Weimar unterstützt die Publikation dieses Beitrags durch eine institutionelle Vereinbarung zur Finanzierung von Publikationsgebühren.

Autor_innen

Lisa Vollmer ist interdisziplinäre Stadt- und Bewegungsforscherin. Ihre Forschungsinteressen sind soziale Bewegungen, Wohnungspolitik und politische Theorie.

lisa.vollmer@metropolitanstudies.de

Literatur

Metzger, Joscha (2015): Genossenschaften als Alternative zur Gentrifizierung? In: RaumPlanung 179/3, 28-33.

Metzger, Joscha (2021): Genossenschaften und die Wohnungsfrage. Konflikte im Feld der Sozialen Wohnungswirtschaft. Münster: Westfälisches Dampfboot.