Was ist Stadt? Was ist Kritik?

Einführung in die Debatte zum Jubiläumsheft von sub\urban

Nikolai Roskamm, Lisa Vollmer

Im Heft zum zehnjährigen Jubiläum von sub\urban mit dem Themenschwerpunkt „sub\x: Verortungen, Entortungen“ veröffentlichen wir eine Debatte, die von den bisherigen in unserer Zeitschrift in dieser Rubrik geführten textlichen Diskussionen abweicht. Im Vorfeld der Planungen für unsere Jubiläumsausgabe haben wir die aktuellen Mitglieder unseres wissenschaftlichen Beirats darum gebeten, in kurzen Beiträgen zwei grundlegende Fragen kritischer Stadtforschung zu diskutieren: Was ist Stadt? Was ist Kritik?

Der Beirat von sub\urban besteht aus Vertreter*innen der verschiedenen Bereiche, in denen kritische Stadtforschung betrieben wird – also etwa Soziologie, Geographie, Europäische Ethnologie, Politikwissenschaft, Planung, Kulturwissenschaft und Architektur. Was ein wissenschaftlicher Beirat eigentlich macht, ist nirgendwo genau festgelegt. Im Grunde verfolgen wir mit unserem Beirat vor allem das Ziel, ein Netzwerk aufzubauen und zu pflegen, in dem kritisch Stadtforschende zusammenkommen und die Entwicklung des Projekts sub\urban begleiten und unterstützen. Der Beirat funktioniert für uns als Gesprächspartner, mit dem wir unsere Themensetzungen diskutieren können sowie als Personenkreis, aus dem heraus immer wieder neue Themen in die Zeitschrift hineingebracht werden.

Als wir Mitte 2021 damit anfingen, unser Jubiläumsheft zu konzipieren, kamen wir auf die Idee, eine Debatte innerhalb des wissenschaftlichen Beirats von sub\urban zu initiieren. Zum einen, so unser Gedanke, wird es damit möglich, einen Stand zu einem Thema abzubilden, das wir unserer Zeitschrift als Daueraufgabe in die Wiege gelegt haben: Die Diskussion darüber, was kritische Stadtforschung eigentlich ausmacht und was sie zusammenhält. Zum anderen können wir mit diesem Konzept den Beirat für die Leser*innen von sub\urban sichtbarer machen und die in unserem näheren Umfeld versammelten Positionen und Haltungen in den Fokus rücken.

Jubiläen sind Gelegenheiten, über das große Ganze nachzudenken und daher haben wir – nach einigen durchaus kontrovers geführten Diskussionsrunden innerhalb des Redaktionskollektivs – den Mitgliedern unseres wissenschaftlichen Beirats folgende Fragen gestellt:

  1. Was ist Stadt? Oder: mit was für einem Stadtbegriff arbeitet Ihr/arbeiten Sie in Eurer/Ihrer eigenen Forschung?
  2. Was ist Kritik? Oder: Gibt es eine spezifische Form von Kritik, die Ihr/Sie in Euren/Ihren Arbeiten fokussiert/fokussieren?

Die Debatte hat in diesem Fall also keinen längeren Text als Aufschlag, sondern lediglich die beiden Fragestellungen. Von den Beiträgen erhoffen wir uns, wie wir in der Einladung zur Debatte formuliert haben, vielstimmige Positionierungen der kritischen Stadtforschung, die einerseits unterschiedliche Standpunkte und Zugänge aufzeigen und andererseits dazu anregen, über mögliche Entwicklungsperspektiven nachzudenken. Natürlich, auch das haben wir schon in die Einladung geschrieben, sollte es ebenso zulässig wie erwünscht sein, die Relevanz und (Un)Sinnigkeit unserer Fragestellung selbst zu hinterfragen.

Dieser letztgenannte Punkt bedarf an dieser Stelle vielleicht noch einer Vertiefung. Dass der Frage „was ist“ – also der Frage nach dem Kern kritischer Stadtforschung – selbst ein kritisches Moment innewohnt, war uns selbstverständlich von Anfang an bewusst. Wer die Frage nach dem Sein – von Stadt, von Kritik[1], von kritischer Stadtforschung – stellt, gerät (ob gewollt oder nicht) auf eine ontologische Ebene, also dorthin, wo das eigene Selbst zur Debatte steht, in einen Bereich, in dem schwergängiges und metaphysisches Geschütz aufgefahren zu werden droht. Ein solches „Ontologisieren“ ist gerade in der kritischen Forschung nicht allseits beliebt – das wurde bereits in früheren sub\urban-Debatten angesprochen und diskutiert (etwa bei Belina 2014).[2] Als Argument gegen eine Diskussion auf dieser Ebene (also gegen das Stellen solcher Seinsfragen) wird gerne vorgebracht, dass die Sozialwissenschaften sich bewusst schon seit Langem von jeglicher Art „metaphysischen Denkens“ verabschiedet hätten und daher wenig Sinn und Nutzen in sozialtheoretischen Spekulationen sähen.

Dennoch sind wir der Auffassung – und deshalb haben wir uns entschieden, die Fragen („Was ist Stadt? Was ist Kritik?“) an den Anfang dieser Debatte zu stellen –, dass solche grundlegenden Überlegungen notwendig sind, oder vielleicht eher, dass sie sich nicht systematisch vermeiden lassen. Wer kritische Stadtforschung betreibt, so unsere Annahme, sollte eine Idee davon haben, was Stadt in diesem Feld ausmacht und auch davon, welches Kritische es ist, das den eigens kritisch genannten Ansatz begründet. Zudem eröffnet gerade das Herunterbrechen auf die das Feld konstituierenden Begrifflichkeiten nicht nur eine Vielzahl möglicher Ansätze, sondern eben auch gute Einblicke in die sehr unterschiedlichen Heran- und Umgehungsweisen von kritisch Stadtforschenden dieser Tage.

Die 18 Beiträge, die wir in dieser Debatte versammeln konnten, wählen dann auch sehr unterschiedliche Ansätze, die von uns gestellten großen Fragen zu diskutieren. Einige thematisieren das Grundlegende unserer Fragen (nur wenige kritisieren es), einige stören sich offenbar nicht an dem von uns gewählten Ansatz und gehen umstandslos dazu über, von möglichen Richtungen, Schauplätzen und Entwicklungen von Stadt, Kritik und Stadtforschung zu berichten. Das bewusste Offenlassen und die grundlegende Fragestellung haben zu einer wirklich vielfältigen, unterschiedlichen und gerade auch in ihrer Gesamtschau enorm spannenden Annäherung an Möglichkeiten und Unmöglichkeiten kritischer Stadtforschung geführt – das zumindest ist die Einschätzung des sub\urban-Redaktionskollektivs. Aber lest selbst!

Die Bauhaus-Universität Weimar unterstützt die Publikation dieses Beitrags durch eine institutionelle Vereinbarung zur Finanzierung von Publikationsgebühren.

Endnoten

Autor_innen

Nikolai Roskamm forscht zu den Schwerpunkten Stadt- und Raumtheorie, Politische Theorie, Planungstheorie, Wissenschafts- und Städtebaugeschichte, Urbanismus/Stadtplanung, Städtische Aneignungsprozesse.

nikolai.roskamm@fh-erfurt.de

 

Lisa Vollmer ist interdisziplinäre Stadt- und Bewegungsforscherin. Ihre Forschungsinteressen sind soziale Bewegungen, Wohnungspolitik und politische Theorie.

lisa.vollmer@metropolitanstudies.de

Literatur

Belina, Bernd (2014): Warum denn gleich ontologisieren? Und wenn nicht, warum dann ANT? Kommentar zu Alexa Färbers „Potenziale freisetzen“. In: sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung 2/1, 104-109.

Butler, Judith (2009): Was ist Kritik? Ein Essay über Foucaults Tugend. In: Rahel Jaeggi / Tilo Wesche (Hg.), Was ist Kritik? Berlin: Suhrkamp, 221-246.

Foucault, Michel (1997): „What is critique? “. In: Sylvère Lotringer / Lysa Hochroth (Hg.), The politics of truth. New York: Semiotext(e), 23-82.