Editorial

Liebe Leser_innen,

die interdisziplinäre Stadtforschung hat sich in den vergangenen Jahren weiter ausdifferenziert. Nie zuvor wurde so vielfältig über städtische Phänomene, Urbanisierungsprozesse und urbane Theorien geforscht wie heute. Solche Forschungen werden mit unterschiedlichen Zielen und von unterschiedlichen Startpunkten aus betrieben, die sich auf unterschiedliche Traditionen und Routinen berufen. Stadtwissen entsteht dabei nicht zuletzt auch außerhalb der Akademie: im städtischen Alltag, in urbanen Bewegungen, in Initiativen und im stadtpolitischen Handeln. Dieses weite Feld der Entstehung von Stadtwissen und der damit verbundenen Positionierung ist der Bereich, den wir mit unserer Zeitschrift immer wieder erkunden.

Dabei freuen wir uns, mit diesem Heft unsere Jubiläumsausgabe zum zehnjährigen Bestehen von sub\urban präsentieren zu können. Zehn Jahre sub\urban. zeitschrift für kritische stadtforschung ist für uns zunächst ein Grund zum Feiern: Wir sind froh und auch ein bisschen stolz, dass sich die Zeitschrift in dieser bewegten, ereignisreichen, unruhigen und nervösen Zeit nicht nur gehalten, sondern ständig weiterentwickelt hat. In diese Entwicklung möchten wir einige Einblicke geben. Daher erinnern wir uns im ersten Teil des Editorials an einige Positionen, die am Anfang unseres Projekts gestanden und es inhaltlich geformt haben. Im zweiten Teil lassen wir einige sub\urban-Stationen Revue passieren und zeichnen eine kurze Chronologie unserer Zeitschrift nach.

Das Jubiläum ist für uns Anlass zur Freude, aber auch Anstoß für Veränderung: Dieses Heft sieht anders aus als die in den vergangenen zehn Jahren erschienenen 28 Ausgaben von sub\urban. Das liegt vor allem daran, dass wir das Erscheinungsbild unserer Zeitschrift geändert und ihr ein kompakteres und erneuertes Layout gegeben haben.[1] Es liegt aber auch daran, dass in dieser Jubiläumsausgabe besondere Formate enthalten sind. So haben wir einige statistische Daten zu uns, unseren Beiträgen und unseren Leser_innen erhoben und die Ergebnisse illustrieren lassen; wir haben in einem Jubiläums-CfP mit dem Titel „sub\x: Verortungen, Entortungen“ spannende Texte eingeworben, die teils auch das Jubiläum als Ausgangspunkt nehmen, sich mit unserer Zeitschrift auseinanderzusetzen; und wir haben eine umfangreiche Debatte der Mitglieder unseres wissenschaftlichen Beirats initiiert und kuratiert, bei der es um zwei große Begriffe der kritischen Stadtforschung geht, die unser Heft seit seiner Gründung begleiten: nämlich um Stadt und um Kritik. In diese Formate der Jubiläumsausgabe führen wir im dritten Teil des Editorials ein.

1. Gründungsgedanken

Die Idee zur Gründung von sub\urban beruhte auf der Diagnose einer Leerstelle: Während international bereits eine große Anzahl wissenschaftlicher Zeitschriften mit einem Fokus auf die Stadt und das Urbane existierte, gab es im deutschsprachigen Kontext nur wenige Orte, an denen eine kritische und transdisziplinäre Diskussion über städtische Themen geführt werden konnte. Daher publizierten Stadtgeograph_innen ihre Arbeiten in der Regel in geographischen Zeitschriften, Stadtsoziolog_innen in soziologischen, Stadtplaner_innen in Planungszeitschriften und so weiter. Eine produktive Auseinandersetzung über die Grenzen disziplinärer Zugänge hinaus fand dagegen eher vereinzelt statt. Im Kontext des Städtischen existierten zwar durchaus intensive und auch kritische Debatten, es mangelte jedoch an einem Medium, das Diskussionen über einzelne Buch- und Tagungsprojekte hinaus ermöglicht, ihnen Kontinuität und Sichtbarkeit verschafft und welches akademische Stadtforschung und aktivistisches Wissen zusammenbringt. Um diese Leerstelle zu füllen, haben wir uns vor zehn Jahren zur Gründung einer neuen Zeitschrift entschlossen, die auf hinterfragende, kritische, subversive Weise das Urbane erkunden möchte.

Entstanden ist die Idee einer neuen Zeitschrift im Rahmen der Gruppe „Kritische Geographie Berlin“. Erste Diskussionen führten wir im Sommer 2011 im Rahmen der International Conference of Critical Geography in Frankfurt am Main. Aufgrund der positiven Resonanz auf unsere Initiative haben wir uns dann im Sommer 2012 entschieden, die ersten konkreten Schritte einzuleiten. Um das Vorhaben auf eine breitere und stärker interdisziplinäre Basis zu stellen, wurden weitere Mitstreiter_innen gesucht und gefunden. Auf diese Weise ist das Redaktionskollektiv entstanden, das von Anfang an alle anfallenden Aufgaben ehrenamtlich übernommen hat. Wir kamen und kommen bis heute aus verschiedenen Disziplinen, von verschiedenen Orten und haben verschiedene wissenschaftliche Prägungen, theoretische Ausrichtungen und Schwerpunkte. Das Ziel, das uns vereint, war und ist es, der deutschsprachigen kritischen Stadtforschung einen Publikationsraum zu geben und unterschiedliche Positionierungen im heterogenen, umkämpften und nicht selten widersprüchlichen Feld der Stadtforschung zu ermöglichen.

Zum Gründungsworkshop im Oktober 2012 in Berlin haben wir ein Positionspapier[2] verfasst, das unsere Ausgangsposition skizziert. Die dort formulierte Annäherung an kritische Stadtforschung hat in der Zwischenzeit kaum an Aktualität eingebüßt. Daher möchten wir in dieser Einleitung noch einmal einige Punkte daraus aufrufen.

Kritische Stadtforschung ist interdisziplinär, sie geht soziologisch, kulturwissenschaftlich, sozialgeographisch, politikwissenschaftlich, philosophisch, planungstheoretisch und/oder aktivistisch vor. Für uns kann Stadtforschung zudem auch Forschung sein, die sich nicht explizit mit „Stadt“ beschäftigt, sondern mit darüber hinausweisenden oder quer dazu liegenden Inhalten. Zudem sind wir der Überzeugung, dass Universitäten und Forschungsinstitutionen nicht die einzigen Orte kritischer Wissensproduktion sind und akademisches Wissen nicht die einzige Form von Wissen darstellt. Kritische Stadtforschung ist unserem Verständnis nach nicht nur interdisziplinär, sondern transdisziplinär im Sinne einer Forschung, deren Ansätze sich zugleich in, zwischen und über Disziplinen sowie (Bewegungs-)Praxen hinweg entwickeln und durch die nötigen Verständigungsprozesse neuartige Perspektiven hervorbringen. Kritische Stadtforschung zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass die verwendeten Konzepte selbst kritisch hinterfragt werden. Begriffe wie Kritik, Stadt und Stadtforschung sind keineswegs eindeutig besetzt; viele der Analysekategorien aus unserem Forschungsfeld sind in hohem Maße als instabil zu bezeichnen. Das zeigt sich in Diskussionen zwischen den Disziplinen, aber auch zwischen unterschiedlichen Richtungen innerhalb eines Faches, bei denen oftmals ganz unterschiedliche Inhalte mit denselben Namen bezeichnet werden. Zudem zeigt es sich in solchen Debatten, in denen die Tragweite von Begriffen wie Stadt selbst unterlaufen wird.

Unser Verständnis von Kritik, auch das haben wir bereits in unserem Positionspapier von 2012 formuliert, ist in unterschiedlichen kritischen Traditionen und Debatten verortet. Genannt haben wir neben klassischen Ansätzen von Karl Marx und Michel Foucault auch eine Reihe von aktuellen Zugängen, unter denen uns besonders queere/feministische, postkoloniale, postfundamentalistische, postmaterielle, konstruktivistische, handlungsorientierte und fundamental machtkritische Ansätze am Herzen lagen und liegen. Uns ist es wichtig, die Besonderheiten der verschiedenen Theorien und die konkrete Art der Kritik, die sie erlauben, zur Debatte zu stellen. Solche Interventionen basieren auf einer Positionierung, die auf eine Überwindung, Destabilisierung oder die positive Veränderung konkreter (kapitalistischer, postkolonialer, rassistischer, sexistischer, homo- und transphober, neoliberaler, biopolitischer und anderer) Formen der Macht und Herrschaft abzielt. Im städtischen Kontext bedeutet das beispielsweise einen kritischen Umgang mit Aufwertungsprozessen in Städten sowie mit der anhaltenden Privatisierung von Gemeingütern und Stadtpolitik, der Ökonomisierung sozialer (Reproduktions-)Beziehungen (die sich etwa in der Nutzung und Planung städtischer Räume widerspiegelt), mit zunehmender Marginalisierung, Normierung und Kontrolle von Menschen, mit rassistischen Stadt-, Migrations- und Grenzpolitiken oder mit stadtpolitisch und vor allem planerisch eingesetzten Begrifflichkeiten wie „soziale Mischung“, „Parallelgesellschaften“ und „Integration“.

2. Zehn Jahre sub\urban

Der Weg von sub\urban war weder konfliktarm noch frei von Hindernissen. Nach dem aufregenden und erfolgreichen Gründungsworkshop im Oktober 2012 gab es Anfang 2013 einen ersten Rückschlag: Unser Finanzierungsantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG wurde abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, dass wir die Ausgangssituation der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in der Stadtforschung verkennen würden, weil die bestehenden Publikationsorte der deutschsprachigen Raumforschung doch schon kritisch genug seien. Zudem wären die Antragsteller_innen – also das Redaktionskollektiv – im fachwissenschaftlichen Diskurs bisher noch wenig bekannt, ihre eigene Publikationsleistung noch relativ gering und daher Zweifel angebracht, ob sie einen wirklich umfassenden und breiten Überblick über die Forschungslandschaft besäßen. Als Hauptgrund für die Ablehnung wurde jedoch die befristete und damit prekäre Situation der Antragstellenden genannt. Es wäre, so formuliert eine_r der anonymen Gutachter_innen, nicht sichergestellt, dass die Redaktionsmitglieder nach Ablauf ihrer befristeten Verträge auch weiterhin im wissenschaftlichen Kontext tätig seien. Deshalb solle sich, wenn überhaupt, ein universitäres oder außeruniversitäres Forschungsinstitut des Projektes annehmen und einen Förderantrag stellen. Der von uns im Antrag in Aussicht gestellte Trägerverein sei dagegen keine angemessene Lösung.

Diese ablehnende Bewertung hat uns nicht entmutigt – ganz im Gegenteil.[3] Im Juli 2013 haben wir unsere erste Ausgabe[4] ohne institutionelle Förderung herausgegeben – getragen von der Idee, ein kollektives und unabhängiges Projekt auf die Beine zu stellen. Eingeführt wurden in diesem ersten Heft bereits die drei Rubriken von sub\urban – Aufsätze, Debatte, Magazin. In der Debatte des ersten Heftes diskutierten verschiedene Autor_innen zum einen die Thesen zur Soziologie der Stadt von Hartmut Häußermann und Walter Siebel aus dem Jahr 1979, zum anderen den Text Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt von Margit Mayer (2013). Von Anfang an war unser Projekt online und komplett im open access zugänglich.

Ebenfalls ab dem ersten Heft führten wir eine – wie es im neoliberalen BWL-Sprech heißt – Qualitätssicherung durch, also eine doppelte und anonymisierte externe Beurteilung der in der Rubrik Aufsatz eingereichten Beiträge. Es gibt unseres Erachtens gute Argumente für und gegen ein solches Review-Verfahren. Nachdem wir vor allem in den ersten Jahren unseres Bestehens das Instrument immer wieder auf den Prüfstand gestellt haben, denken wir inzwischen, dass die Vorteile einer solchen Begutachtung doch überwiegen. In aller Regel erhalten wir wertschätzende und konstruktive Gutachten zu den eingereichten Aufsätzen, die unsere Autor_innen offenbar anspornen, ihre Texte zu verbessern und noch leichter zugänglich zu machen.[5] Wo die Gutachten die Ebene einer konstruktiven Kritik verlassen, nehmen wir uns als Redaktion die Freiheit, sie zu kürzen oder zurückzuhalten. So versuchen wir, diese gerade für junge Wissenschaftler_innen teilweise abschreckenden Verfahren etwas abzumildern.

Im Oktober 2013 haben wir dann – nachdem wir einen weiteren Antrag bei der DFG eingereicht hatten, der von Gutachter_innen bewertet wurde, die mit unserer Idee mehr anfangen konnten – tatsächlich einen Bewilligungsbescheid zu einer Anschubförderung für wissenschaftliche Zeitschriften erhalten. Mit dieser Finanzierung konnten wir sowohl Satz als auch Lektorat/Korrektorat bezahlen und uns stärker auf die redaktionelle Arbeit konzentrieren. Die DFG-Förderung hat entscheidend dazu beigetragen, die bei der Publikation einer solchen Zeitschrift entstehenden Kosten – etwa für Satz und Lektorat sowie Übersetzungen, aber auch Redaktionsklausuren – zu tragen. Ab diesem Moment konnten wir mit Personen zusammenarbeiten, die mit ihrer fachlichen Expertise in teils nun schon jahrelanger Kooperation entscheidend dazu beigetragen haben, dass unser Zeitschriftenprojekt stabil und in guter Qualität erscheint. Wir bedanken uns an dieser Stelle für die jahrelange gute Zusammenarbeit vor allem bei Robert Hänsch (Satz) und Joscha Barisch (Lektorat), dem Übersetzungsbüro sociotrans und Tereza Bodemann, bei der wir regelmäßig in Stolzenhagen für unsere Redaktionsklausuren zu Gast sein können.

Im Dezember 2013 erschien bereits die zweite Ausgabe, dieses Mal mit einem Themenschwerpunkt: „Die postpolitische Stadt?“. Für diese zweite sub\urban-Ausgabe konnten wir eine Förderung der Rosa-Luxemburg-Stiftung einwerben (der später weitere folgten). Zu dieser Zeit schufen wir auch das Instrument der Förderabos, durch das uns Privatpersonen und Institutionen sehr dabei geholfen haben, unsere Zeitschrift voranzubringen und auszubauen.

In den vergangenen zehn Jahren haben wir insgesamt 27 Hefte herausgegeben, meist drei Ausgaben pro Jahr. Inhaltlich haben wir neben den Aufsätzen und Magazinbeiträgen zu verschiedensten Themen Debatten organisiert – etwa über die Perspektive von Akteur-Netzwerk-Theorie und Assemblageforschung, über die (Un-)Möglichkeiten postkolonialer Stadtforschung, über Theorien von Gentrifizierung, zur Frage „Wer plant die Planung?“, zur nicht-sexistischen Stadt und zum städtischen Umgang mit der Coronakrise.

Unsere Themenschwerpunkte „Stadt und Migration“, „Stadt von rechts“, „Gefühlsräume – Raumgefühle“, „Stadt von oben“, „Riots“, „Planung als politische Praxis“, „Stadt der Reproduktion“, „Illegalität – Stadt – Polizei“, „Die Natur der Stadt“, „Digital war besser“, „Wie können wir die Stadt wissen?“ und „Kindheit in der Stadt“ haben wir immer wieder mit der Beteiligung von Gastherausgeber_innen organisiert. Dabei ist es uns einerseits ein Anliegen, Themen kritisch aufzugreifen, die bereits in der Stadtforschung breit diskutiert werden, und andererseits Themen neu zu setzen, für die wir uns mehr Aufmerksamkeit wünschen.

Die Organisation von Debatten und das Setzen von Schwerpunktthemen macht ein stärkeres kuratierendes Eingreifen der Redaktion notwendig als die Begleitung von schwerpunktunabhängig eingereichten Beiträgen. Auch deshalb ist es uns stets ein Anliegen, dass in der Redaktion möglichst viele verschiedene Disziplinen, Sichtweisen und Zugänge zu Wissenschaft und Stadtwissen vertreten sind, was wir bei Redaktionserweiterungen über die Jahre immer berücksichtigt haben. Diese Heterogenität wird auch durch die Besetzung unseres Beirats unterstützt.

Neben der Herausgabe der Zeitschrift entwickelten sich vielfache weitere Aktivitäten im sub\urban-Umfeld. So organisierten wir Heft-Releases, aber auch Podiumsdiskussionen und Workshops zu aktuellen Themen sowie politische Aufrufe (etwa gegen die Rücktrittsforderungen an Andrej Holm als Staatssekretär im Jahr 2016[6]) oder wurden zum Publikationsort für bestimmte Themen (etwa im Jahr 2018 „Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik“), trugen mit sub\urban-lectures zu Fachkonferenzen bei und schmissen wilde Partys zu verschiedenen Anlässen. Enorm wichtig für den Zusammenhalt des Redaktionskollektivs waren und sind die legendären Klausurwochenenden, die wir zweimal im Jahr durchführen. Im Jahr 2014 gründeten wir unseren gemeinnützigen Trägerverein, der seitdem das strukturelle Dach von sub\urban darstellt (und im Übrigen ganz wunderbar funktioniert).

Im Dezember 2016 feierten wir ein erstes sub\urban-Jubiläum – mit Band 4, Heft 2/3 (Themenschwerpunkt: „Bedingungen kritischer Wissensproduktion“) hatten wir unser zehntes Heft veröffentlicht. Am 20. Januar 2017 veranstalteten wir eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema im von Studierenden besetzten Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität und feierten im Anschluss – wieder im Südblock in Berlin/Kreuzberg – bis weit in den Morgen.

Im Jahr 2018 konnten wir unser Projekt noch einmal stabilisieren: Ein weiterer erfolgreicher DFG-Antrag – wieder im zweiten Anlauf – ermöglichte es uns im Folgejahr erstmals, mit Michael Keizers einen Redaktionssekretär einzustellen. Dies hat den redaktionellen Abläufen der Zeitschrift enorm gutgetan und konnte die hohe Arbeitsbelastung für das Redaktionskollektiv von sub\urban, die jede Veröffentlichung einer neuen Ausgabe mit sich bringt, in vertretbarere Dimensionen bringen. Zudem stellten wir im Jahr 2020 die Einreichung der Beiträge auf das halbautomatisierte Open Journal Systems um, was eine weitere spürbare Erleichterung der Zeitschriftenabläufe mit sich gebracht hat.

Das sub\urban-Heft, das der vorliegenden Jubiläumsausgabe vorausgegangen ist, hat den Schwerpunkt „Stadt der Kindheit“. Die Ausgabe (Band 9, Heft 3/4) ist nicht nur das mit Abstand umfangreichste Heft in unserer zehnjährigen Geschichte (430 Seiten), sondern umfasst zusätzlich eine liebevoll gestaltete, von der Redaktion übersetzte und vorab veröffentlichte Kinderausgabe und beschreitet auch hier neue Wege. Diese Sonderausgabe für Kinder schließt an eine ganze Reihe spannender Magazinbeiträge in sub\urban an, die auch in (audio-)visueller Form Stadtwissen vermitteln. Und dies ist es wahrscheinlich, was unsere Zeitschrift immer wieder mit neuer Energie versorgt und unsere Leidenschaft für sub\urban aufrechterhält: Die Freude an kollektiven Produktionsprozessen und die selbst geschaffene Möglichkeit, mit dem trans- und interdisziplinären Publizieren zu experimentieren und dabei zusammen mit unseren Autor_innen immer wieder neue Wege zu gehen.

3. Das Jubiläumsheft

Für das vorliegende Heft veröffentlichten wir im Januar 2021 einen Call for Papers mit dem Titel „sub\x: Verortungen, Entortungen“. Darin haben wir Autor_innen eingeladen, in ihren Beiträgen das Urbane als Variable zu betrachten. Das x, so schreiben wir in dem Call, hält den Platz offen und fordert dazu auf, ihn aus den eigenen Perspektiven und Positionierungen heraus neu zu füllen – und die eigenen Perspektiven dabei auch in die Reflexion einzubeziehen. Das Urbane hat aus unserer Sicht immer wieder als ein Platzhalter fungiert, der ausreichend unbestimmt ist, um eine Vielzahl von kritischen Positionen zu versammeln. Diesen Ansatz wollten wir hier kenntlich machen und in den Mittelpunkt stellen, mit dem sub\x also nach expliziten und impliziten Interpretationen des Städtischen suchen. Jedoch ist nicht nur das urban in sub\urban ein x, auch das sub ist von unterschiedlichen Richtungen aus zugänglich. Aus unserer Sicht war das sub von Anfang an etwas, das vielleicht als ein „halbleerer Signifikant“ bezeichnet werden kann. Das sub, so unsere Intention, transportiert ein Stück weit das Kritische eines kritischen Stadtforschungsansatzes. Ein solcher Ansatz ergreift Partei, er verbündet sich mit dem Unten und beleuchtet die Dinge (und Nicht-Dinge) von dort – er nimmt gewissermaßen ihre Unterseiten und Unterströme in Augenschein. Gleichzeitig – auch darum geht es – lässt sich das sub verschiedenartig lesen: als subversiv, suboptimal, subaltern, subkulturell, substanziell, subjektiv, sublim, subtil, suburban. Erhofft hatten wir uns, mithilfe des Calls solche Beiträge aus der kritischen Stadtforschung einzuwerben, die das Urbane der kritischen Stadtforschung thematisieren und über die Bedeutung des x in „sub\x“ nachdenken.

Der Bericht von unserem Call erfolgt hier im Konjunktiv, weil es dann am Ende doch etwas anders gekommen ist: Wir haben zwar eine Menge interessanter Abstracts erhalten, und daraus sind auch bereits einige spannende Beiträge geworden. Von den Texten, die wir in unserer Jubiläumsausgabe veröffentlichen, beziehen sich am Ende jedoch nur drei direkt auf unseren Jubiläums-Call – der Aufsatz von Matthias Naumann und Nicole Raschke, der Magazinbeitrag von Yvonne Siegmund sowie der ebenfalls im Magazin erscheinende Text von Grischa Bertram. Beeinflusst hat unser Jubiläums-Call allerdings einige der Beiträge zu unserer Debatte „Was ist Stadt? Was ist Kritik?“. Weitere im Rahmen des Calls eingereichten Aufsätze und Magazinbeiträge sind noch im Arbeitsprozess, und wir freuen uns schon sehr darauf, diese Texte in der im Herbst 2022 erscheinenden Ausgabe von sub\urban zu veröffentlichen. Und so wurde die Intention unseres Calls am Ende doch aufgegriffen: Es ist – wie immer bei unseren Autor_innen – etwas ganz Eigenes entstanden.

Damit kommen wir zu den Beiträgen in dieser Jubiläumsausgabe. Wir publizieren in der Rubrik „Aufsätze“ dieses Mal drei Texte. In dem Beitrag „Wenn die Verhältnisse unter die Haut gehen. Urbane Gesundheit relational gedacht“, der bereits online vorabveröffentlicht wurde, erörtern Richard Bůžek, Iris Dzudzek, Susanne Hübl und Lisa Kamphaus das Verhältnis von Gesundheit und Ungleichheit, das in der kritischen Stadtgeographie unterrepräsentiert ist. Mithilfe eines relationalen Gesundheitsverständnisses fragen die Autor_innen, wie Machtverhältnisse – vermittelt über Gesellschaftsstrukturen und (politisch konstruierte) Umwelten – krank machen.

In ihrem Text „Kritische Stadtgeographie und geographische Bildung. Forschendes Lernen zum Recht auf Stadt am Beispiel der Dresdner ‚Straßenbahn-Streichler‘“ schreiben Matthias Naumann und Nicole Raschke über das Beispiel eines Konflikts um öffentliche Räume in der Dresdner Neustadt, über die Chancen und Herausforderungen einer engeren Verknüpfung zwischen kritischer Stadtgeographie und Geographiedidaktik sowie über mögliche konzeptionelle und bildungspraktische Anschlüsse.

Mit dem Titel „Bildwelten zur Legitimation von spekulativen Stadtentwicklungsprojekten in Lagos und New York“ überschreibt Sophie Mélix ihren Artikel, in dem sie anhand von zwei Beispielen großmaßstäblicher Stadtentwicklungsprojekte – Eko Atlantic in Lagos (Nigeria) und Hudson Yards in New York (USA) – erläutert, wie mithilfe von Renderings als Form der digitalen Architekturvisualisierung umfassende Bildwelten innerhalb der jeweiligen Planungsprozesse entstehen und wie sie wirkmächtig werden.

Passend zum Jubiläum ist die Debatte „Was ist Stadt? Was ist Kritik?“ die – was die Anzahl der Beiträge betrifft – mit Abstand umfangreichste Debatte, die wir in unserer Zeitschrift bisher geführt haben. Inhaltlich wird in diese Debatte noch einmal gesondert eingeführt, daher können wir es hier kurz machen: Die 18 kompakten Beiträge, die sämtlich von Mitgliedern unseres wissenschaftlichen Beirats verfasst worden sind, ergeben gerade in ihrer Gesamtheit einen ziemlich guten Einblick in den Stand der Themen und Konzepte, um die in der deutschsprachigen, aber auch der internationalen kritischen Stadtforschung aktuell gerungen wird. Damit passt die Debatte aus unserer Sicht sehr gut zu diesem Jubiläumsheft und liefert das, was schon seit jeher auf unserem Aufgabenzettel ganz oben steht: eine multiple Positionierung (in) der kritischen Stadtforschung.

In der Abteilung „Magazin“ veröffentlichen wir in der Jubiläumsausgabe folgende Texte: In „#traumfabrikcb. Die Aneignung der Stadtpromenade in Cottbus“ berichten Lucas Opitz und Ursula Nill über eine unmöglich traumhafte Intervention in das ehemals glänzende sozialistische Zentrum der Stadt. In „Die Unbestimmtheit als Chance. Wie in kreativen Quartiersentwicklungen die Planungszeit gelebt wird“ plädiert Yvonne Siegmund dafür, die Planungszeit nicht nur als Zwischenzeit zu begreifen, sondern sie aktiv zu gestalten. In „Von sub\urban zu Pro:Polis? Anmerkungen zur ambivalenten Geschichte des Städtischen im kurzen ersten Jahrzehnt der zeitschrift für kritische stadtforschung“ schreibt Grischa Bertram über uns. Der Text, der sich ganz direkt auf den Call for Papers dieser Jubiläumsausgabe bezieht, reflektiert die von uns (nicht) verwendeten Begrifflichkeiten und lässt sich als weitere Chronologie der Geschichte unserer Zeitschrift lesen. Kalle Kunkel untersucht in seinem Beitrag „Was hat ‚Deutsche Wohnen & Co enteignen‘ zu dem gemacht, was es ist? Eine Auswertung von Licht und Schatten einer breiten gesellschaftlichen Kampagne“ Organisationspraktiken der Kampagne und geht der Frage nach, welche Möglichkeiten und Grenzen für eine möglichst breite Einbindung vieler gesellschaftlicher Gruppen bestehen. Zwei Rezensionen runden den Magazinteil ab: Katharina Schmidt schreibt über das vom Autor*innenkollektiv Geographie und Geschlecht herausgegebene „Handbuch Feministische Geographien. Arbeitsweisen und Konzepte“ und Lisa Vollmer rezensiert das Buch von Joscha Metzger mit dem Titel „Genossenschaften und die Wohnungsfrage. Konflikte im Feld der Sozialen Wohnungswirtschaft“.

Schließlich haben wir noch einen ganz besonderen Beitrag, mit dem wir dieses Editorial ergänzen und das Jubiläumsheft eröffnen: einen graphisch reich illustrierten Statistikbeitrag „sub\urban in Zahlen und Bildern“, der zum einen auf von uns erhobenen Daten zu unserer Zeitschrift beruht und zum anderen auf einer großen Leser_innenumfrage, die wir in den vergangenen Wochen durchgeführt haben. In diesem Beitrag könnt ihr mehr über uns erfahren – über das Redaktionskollektiv von sub\urban, über die Beiträge dieser Zeitschrift, aber auch über euch – die hochverehrte Leser_innenschaft unserer Zeitschrift. Endlich wird sichtbar, wie hoch der Frauenanteil unserer Autor_innen ist, welches unsere beliebteste Rubrik und – ganz wichtig – welches das längste je bei uns erschienene Wort ist. Graphisch gestaltet hat den Beitrag Clara Berlinski, der wir herzlich für die gute Zusammenarbeit danken.

Wir hoffen, dass wir mit diesem Editorial Lust auf die Lektüre der sub\urban-Jubiläumsausgabe machen konnten, und wünschen viel Spaß beim Lesen!

 

Herzliche Grüße

das Redaktionskollektiv von sub\urban

 

Kristine Beurskens, Laura Calbet i Elias, Nihad ElKayed, Nina Gribat, Stefan Höhne, Johanna Hoerning, Jan Hutta, Justin Kadi, Michael Keizers, Yuca Meubrink, Boris Michel, Gala Nettelbladt, Lucas Pohl, Nikolai Roskamm, Nina Schuster, Lisa Vollmer

Endnoten